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Leo Trotzki 19351026 Helfer des Imperialismus der dritten Garnitur

Leo Trotzki: Helfer des Imperialismus der dritten Garnitur

[Eigene Übersetzung nach Leon Trotsky, The Crisis of the French Section (1935-36), New York 1977, S. 59-61]

Lieber Genosse van Driesten:

Ich bin sicher, dass Sie ebenso wie die anderen niederländischen Genossen der Lage in Frankreich mit der größten Aufmerksamkeit folgen. Es ist insgesamt ebenso wie in den Details wichtig. Mit insgesamt meine ich die Bildung der Volksfront, die ein „Modell“ für die gesamte Komintern geworden ist. Mit den Details meine ich die Manöver der Stalinisten und Reformisten, um unsere Freunde zu isolieren, die Gegner der heiligen Einheit1, bevor sie als Staatsfeinde in die Hände der Behörden fallen.

Für den inneren Kampf der niederländischen Jugend ist die Haltung der französischen Spartacus-Gruppe, die ausschließlich von den Ideen der SAP inspiriert ist, von größter Bedeutung. Dieses lebende Beispiel zeigt recht gut, wie falsch und oberflächlich die Idee ist, dass es auf der einen Seite die Utopisten gebe, die die Vierte Internationale aus dem Hut zu zaubern versuchen, und auf de anderen Seite die Realisten, die zwar auch für die neue Internationale sind, aber die Wirklichkeit berücksichtigen und sich an die Entwicklungsstufen der Massen anpassen.

Das Argument auf die rein formelle Frage der „Ausrufung“ oder „Nichtausrufung“ der Vierten Internationale zu reduzieren, bedeutet, die theoretische und politische Grundlage des Gegenstandes zu ignorieren. Die Spartacus-Gruppe hat politisch vor der SFIO-Bürokratie kapituliert, genau wie es Marceau Pivert, der französische Vetter von Schwab, hat. Nur vor ein paar Wochen schrieb Pivert Wort für Wort: „Der Kampf gegen ,Trotzkismus' in dieser Periode ist das Zeichen eines reaktionären Standpunkts in den Reihen der Arbeiterklasse.“ Jetzt verwendet er die Spalten von Le Populaire, um unser „Sektierertum“ anzuprangern und auf seinem Bauch vor Léon Blum zu kriechen.

Offensichtlich betonen die Spartacus-Gruppe ebenso wie Marceau Pivert die Notwendigkeit von „Einheit“. Nicht von den Massen getrennt sein? Unsere französische Sektion hat, indem sie den ziemlich gewagten Schritt gemacht hat, der SFIO beizutreten – ein Schritt, der sich als ganz richtig erwiesen hat – gezeigt, dass sie die Wichtigkeit versteht, engen Kontakt zu den Massen zu haben. Aber es ist notwendig, gut zu verstehen, dass diejenigen, die vor ihrem eigenen Imperialismus kapitulieren, das meistens tun werden, indem sie sich auf die Notwendigkeit der Bewahrung der Einheit der Arbeiterklasse, besonders im Kriegsfall, berufen.

Die Spartacus-Gruppe, Marceau Pivert und die anderen sind natürlich nicht weniger als die Bolschewiki-Leninisten „gegen den Imperialismus unseres eigenen Landes“, aber anders als letztere wollen sie nicht von den Massen isoliert sein und sind daher ständig um die „Einheit“ besorgt. Dies ist auch mehr oder weniger die Haltung der neuen offiziellen Führung der Seine-Jugend (Chochoy und die anderen). Ich fürchte auch, dass ähnliche Haltungen unter vielen führenden Genossen der belgischen Jungen Sozialistischen Garde gefunden werden. „Wir, die Jugend, sind bereit, den imperialistischen Krieg in den Bürgerkrieg zu verwandeln, aber unter der Bedingung, dass Onkel Léon Blum (oder Onkel Emile Vandervelde) es erlaubt.“ Mit dieser Haltung behält man für sich das angenehme Vorrecht, „internationalistische“ Reden und Artikel bei Parteikonferenzen und in internen Diskussionsbulletins von sich zu geben und gleichzeitig weiterhin eine Unterstützungsbasis für die „Einheit“ zu sein, die den Herren Léon Blum und Emile Vandervelde dient, also letztlich den französischen und belgischen Imperialisten. Damit meine ich natürlich nicht, dass man heute oder morgen die reformistische Partei auf eigene Initiative verlassen muss. Auch unsere französischen Freunde machen das nicht. Aber wo die Bürokratie, die ihre Interessen und die ihrer Bosse ganz gut versteht, uns die Alternative aufzwingt, uns der sozialpatriotischen, d.h. imperialistischen Disziplin zu unterwerfen und auf das Recht zu verzichten, revolutionäre Ideen zu den Massen zu bringen, sollten wir – gerade zum Wohle der Massen – uns weigern, den sozialpatriotischen Dienern des Imperialismus zu gehorchen. Genau in dem Augenblick, in dem Fred Zeller diesen Schritt zusammen mit unseren Leuten unternahm, verrieten die SAPisten schändlich den ehrlichen revolutionären Flügel.

Worum es geht, ist nicht die „abstrakte“, „theoretische“ Frage der Vierten Internationale (die sozialpatriotischen Profiteure scheren sich überhaupt nicht um Theorien und Abstraktionen) sondern um die lebenswichtige Frage unserer Epoche: mit dem Imperialismus oder gegen ihn?

Durch ihre Haltung machen sich die französischen Spartacus-Unterstützer zu Helfern des Imperialismus der dritten Garnitur. Nimm zum Beispiel den Artikel in dem miserablen Blatt Neue Front über den Siebten Weltkongress oder über die Volksfrontregierung: Im Grunde begrüßen sie die reformistische Degeneration der Komintern und nehmen ihr neues Koalitionsprogramm an. Diese Artikel allein beweisen, dass die SAP nicht durch wahrhaft unversöhnliche Prinzipienkonflikte von der Zweiten oder von der Dritten Internationale in ihrer gegenwärtigen Form getrennt ist. Wie könnte sie den Willen finden, die gigantische geschichtliche Aufgabe des Aufbaus der neuen Internationale auf ihre zerbrechlichen Schultern zu nehmen?

Wen man den wirklichen Inhalt der SAP-Politik ignoriert, kann der ganze Kampf gegen sie nur steril und fruchtlos sein. Aber wenn wir den Stier bei den Hörnern packen, dann werden wir verstehen und andere zum Verständnis bringen, dass die Frage der Vierten Internationale eine ganze Auffassung symbolisiert, ein ganzes politisches System, das in immer schärferer Opposition zur Auffassung und zum politischen System der SAP ist. Denn für jeden, der Augen hat, ist es kein Geheimnis, dass die SAP in den letzten Monaten auf völlig reaktionäre Weise rückwärts gegangen ist.

Vor ein paar Tagen schrieb ich einen ziemlich langen Artikel über die britische ILP und ich hoffe, Sie werden bald die deutsche Übersetzung erhalten. Die Frage der Vierten Internationale wird in diesem Artikel in Bezug auf die britische Arbeiterbewegung analysiert und vielleicht kann dieser Artikel auch den niederländischen Genossen nützlich sein.

Beste Wünsche,

L. Trotzki

1 Als Union sacrée (heilige Einheit) wurde in Frankreich im Ersten Weltkrieg die Unterwerfung der Arbeiterbewegung unter den eigenen Imperialismus bezeichnet, entsprechend dem deutschen „Burgfrieden“

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