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Leo Trotzki 19350700 Offener Brief an alle revolutionären proletarischen Organisationen und Gruppierungen

Leo Trotzki: Offener Brief an alle revolutionären proletarischen Organisationen und Gruppierungen

[Nach Bulletin de la Ligue des Communistes-Internationalistes (Bolchéviks-Léninistes), No 8 (Juillet 1935, S. 10-16]

Hitlers Machtübernahme, ohne den geringsten Widerstand seitens der beiden „mächtigen" Arbeiterparteien, von denen die eine sich überdies auf die UdSSR stützte, hat endgültig die innere Morschheit der Zweiten und der Dritten Internationale entblößt. Im August 1933 formulierten vier Organisationen (Liga der Kommunisten-Internationalisten, Revolutionär-Sozialistische Partei, Unabhängige Sozialistische Partei, Sozialistische Arbeiterpartei: LFI, RSP Hollands; OSP Hollands, SAP Deutschlands) zum ersten Mal in einem Programmdokument die neue geschichtliche Aufgabe: die Schaffung der Vierten Internationale. Die seitdem eingetretenen Ereignisse haben unwiderleglich bekräftigt, dass es einen anderen Weg nicht gibt.

Die Niederschlagung des österreichischen Proletariats zeigte, dass, um zu siegen, es nicht genügt, die vom Opportunismus desorientierten und erschlafften Massen in letzten Augenblick, wenn die Partei in die Sackgasse gedrängt ist, zum Aufstand zu rufen. Den Sieg heißt es systematisch vorbereiten durch revolutionäre Politik auf allen Gebieten der Arbeiterbewegung.

Die gleiche Lehre folgt unabweisbar aus der Niederschlagung des spanischen Proletariats. Unter keinen Umständen und schon gar nicht während einer Revolution, darf man den Werktätigen den Rücken kehren, um mit der Bourgeoisie Block zu wachen. Man kann von den betrogenen und enttäuschten Massen nicht erwarten und verlangen, dass sie zur Waffe greifen auf den verspäteten Ruf einer Partei hin, zu der sie das Vertrauen verloren haben. Die proletarische Revolution lässt sich nicht improvisieren auf Befehl einer bankrotten Führung. Die Revolution heißt es vorbereiten durch unablässigen und unversöhnlichen Klassenkampf, der der Führung das unerschütterliche Vertrauen der Partei schafft, die Avantgarde mit der ganzen Klasse verschweißt und das Proletariat zum Führer aller Ausgebeuteten von Stadt und Land macht.

Nach dem schimpflichen Ende der bedeutendsten Sektion des Reformismus, der durch und durch verfaulten deutschen Sozialdemokratie, erlitt in Österreich und in Spanien der „linke" Flügel der Zweiten Internationale Schiffbruch. Doch diese furchtbaren Lehren hinterließen keine Spuren: die leitenden Kader des Reformismus, Parteien sowohl wie Gewerkschaften, sind bis ins Mark verfault, an die Bourgeoisie gekettet durch materielle Interessen und patriotische Anschauungen, und gänzlich außerstande, den Weg des Klassenkampfes zu beschreiten.

Die Parteien der Zweiten Internationale finden sich ruhig damit ab, dass ihr belgischer Vorsitzender auf den ersten Wink des Finanzkapitals sich den katholischen und und liberalen Geschäftsleuten anschloss, um die Banken auf Kosten der werktätigen Massen zu retten. Mit Vandervelde ging der prahlerische Kritiker Marx' und Schöpfer des „Plans" De Man; der „linke" Zentrist Spaak zögerte nicht, die sozialistische Opposition zu verraten um eine Ministerlivree.

Die französische Sozialistische Partei führt, aller Lehren und Tarnungen ungeachtet, fort, sich vergeblich an die „republikanische" Bourgeoisie zu klammern, und verlässt sich mehr auf die Freundschaft mit den Radikalen als auf die revolutionäre Kraft des Proletariats. In Holland, Skandinavien, in der Schweiz, in allen Ländern und Erdteilen bleibt die Sozialdemokratie trotz dem Faulen des Kapitalismus eine Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse und zeigt sich vollkommen ohnmächtig, die Massen zu ihrer eigenen Verteidigung gegen den Faschismus zu mobilisieren.

Wenn Wahlerfolge die Labour Party wieder an die Macht bringen, so wird das Ergebnis nicht die friedliche sozialistische Umgestaltung Großbritanniens sein, sondern dar Zusammenschluss der imperialistischen Reaktion, d.h. eine Bürgerkriegsepoche, der gegenüber die Führung der Labour Party ihre vollständige Unzulänglichkeit an den Tag legen wird. Die parlamentarischen und trade-unionistischen Kretins werden sich überzeugen müssen, dass die Gefahr des Faschismus in England nicht weniger wirklich ist als auf dem Kontinent.

Die stürmische Entwicklung der Krise in den Vereinigten Staaten, die ununterbrochene Kette großer Streikkämpfe und die Organisierung der Arbeiterklasse der USA unter Ausnutzung der durch die Demagogie des Roosevelt“plans" gegebenen Möglichkeiten müssen in der Arbeiterbewegung auf tief konservative, bürgerliche Kräfte, Was die stalinistische Partei betrifft, so ist sie durch die feierlichen Erklärungen Litwinows gebunden, der als Preis für die Anerkennung der UdSSR durch den Yankeeimperialismus sich laut von den amerikanischen Kommunisten lossagte. Sie ist korrumpiert durch ein Jahrzehnt prinzipienlosester Politikasterei und Iiquidatorischer Experimente mit Parteien, die weder der Zusammensetzung noch den Programm nach proletarisch sein sollten (Farmer and Labor Party, Bauern- und Arbeiterpartei), und beschrankt sich gemäß den Aufträgen aus Moskau auf die Rolle einer radikalen Intellektuellenbewegung, die auch in den Vereinigten Staaten nur als Hilfestellung für die stalinistische Diplomatie wirken will. Aber die tiefe Krise des amerikanischen Kapitalismus weckt breite Schichten der Arbeiter dieses Landes aus halb provinziellem Schlaf, verjagt nach und nach die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Illusionen, treibt das Proletariat zu Klassenaktionen großen Schwungs (Streiks von Toledo, Minneapolis, San Francisco) und schafft für eine zielbewusste Partei des revolutionären Marxismus die Voraussetzungen zur Gewinnung breiten und tiefen Einflusses auf die Entwicklung und Formung der amerikanischen Arbeiterklasse. Die geschichtliche Rolle, die der Vierten Internationale und ihrer amerikanischen Sektion nicht nur auf den beiden amerikanischen Kontinenten, sondern im Weltmaßstab zufällt, ist daher besonders wichtig, wie die Erschütterung des amerikanischen Imperialismus für das Weltproletariat von der allergrößten Bedeutung ist.

Unterdessen verschleudert die Dritte Internationale die letzten Reste des Einflusses und der Autorität, die sie sich in den ersten fünf Jahren ihres Daseins erwarb. In Österreich und Spanien erwies sich die Komintern trotz ungemein günstigen Umständen nicht nur unfähig, eine und sei es auch noch so wenig einflussreiche Organisation zu schaffen, sondern kompromittierte noch dazu in den Augen der Arbeiter systematisch selbst die Idee der revolutionären Partei. Das Saarplebiszit zeigte, dass das deutsche Proletariat alles Vertrauen verloren hat nicht allein zur Sozialdemokratie, sondern auch zur Kompartei, die so ehrlos vor Hitler kapitulierte In Großbritannien, Belgien, Holland, Skandinavien, beiden Amerika und im Osten sind die Kominternsektionen, bepackt mit zwölf Jahren verheerender Politik, außerstande, dem Nichts zu entrinnen.

Zwar vertauschte die Komintern nach der deutschen Katastrophe die Abenteurerpolitik der „Dritten Periode" mit der Kapitulationspolitik der Einheitsfront um jeden Preis. Allein, die Erfahrung in Frankreich, wo die neue Wendung an breitesten zur Entfaltung gelangte, zeigt, dass die Komintern bei all ihren Widersprüchlichkeiten und Zickzacks darauf bedacht bleibt, als Bremse der proletarischen Revolution zu wirken. Indem sie, angesichts der unmittelbar drohenden faschistischen Gefahr die Schaffung einer Arbeitermiliz ablehnt und der Kampf um die Macht durch ein Programm von Teilforderungen und durch parlamentarische Tolerierungspolitik ersetzt, wird sie zur Pflanzstätte übelster reformistischer und pazifistischer Illusionen, unterstützt sie faktisch den rechten Flügel der sozialistischen Partei gegen den linken, demoralisiert sie die proletarische Avantgarde und bahnt sie dem faschistischen Umsturz den Weg.

Die Stammmutter der Komintern endlich, die Kompartei in der UdSSR, wurde in den letzten Jahren vollends zermalmt von der unkontrollierten Bürokratie, die die Diktatur des Proletariats in einen konservativen Absolutismus Stalins verwandelt hat, Mit Hetze, Unterstellungen, Amalgamen und blutiger Unterdrückung trachtet die herrschende Clique, jede Regung des marxistischer Denkens im Keim zu ersticken. Nirgends auf der Welt wird der wahre Leninismus mit solch tierischer Grausamkeit verfolgt wie in der UdSSR!

Die letzte opportunistische Kehrtwendung der Komintern ist eng verknüpft mit dem Umschwung in der Sowjetaußenpolitik zum Völkerbund und zum Militärbündnis mit dem französischen Imperialismus. Die herrschende Bürokratie der UdSSR ist endgültig zu dem Schluss gekommen, dass die Komintern außerstande ist, ihr auch nur die geringste Hilfe zu leisten gegen die Kriegsgefahr, und gleichzeitig die Arbeit der Sowjetdiplomatie erschwert. Die demütigende, wahrhaft sklavische Abhängigkeit der Komintern von den Sowjetspitzen tritt besonders krass zutage anlässlich Stalins kürzlicher Erklärung, in der er die Landesverteidigung des französischen Imperialismus guthieß.

Durch einen imperialistischen Minister als Mittelsmann hat der Führer der Komintern der französischen Kompartei anbefohlen, mit ihrer Bourgeoisie von nun an patriotischen Burgfrieden zu schließen. Damit ist die Dritte Internationale, die seit beinahe acht Jahren keinen Weltkongress mehr abgehalten hat, offiziell von der internationalistischen Position übergegangen auf die des plattesten und hündischsten Sozialpatriotismus. Ob der siebte, immer wieder verschobene Weltkongress nun stattfinden wird oder nicht – die dritte Internationale wird dadurch nicht wieder lebendig. Stalins Erklärung an Laval war ihr Totenschein.

Unterdessen setzen die Zerstörungskräfte des imperialistischen Kapitalismus ihr Höllenwerk fort. Der Verfall der Weltwirtschaft, die Arbeitslosigkeit von Zehn Millionen, der Ruin der Bauern stellen die Aufgabe der sozialistischen Umwälzung gebieterisch auf die Tagesordnung. Die Werktätigen sind erbittert, gereizt, suchen nach einem Ausweg. Schlappheit, Zerfall und Fäulnis der Zweiten und der Dritten Internationale lassen das Proletariat ohne revolutionäre Führung und stoßen die kleinbürgerlichen Massen auf den Weg der Verzweiflung. Die bankrotten Führer suchen die Verantwortung für den Sieg des Faschismus auf die „Passivität“ des Proletariats abzuschieben. So tritt zum politischen Verrat die Verleumdung.

In der Klemme unentrinnbarer Widersprüche zappelnd, bereitet der Kapitalismus ein neues Völkermorden vor. Minister und Diktatoren beraten offen darüber, ob der Krieg in einen oder in drei Jahren ausbrechen wird. Alle Regierungen schaffen sich um die Wette die wirksamsten Zerstörungswerkzeuge an und fördern damit von allen Seiten eine Explosion heran, die unermesslich furchtbarer werden kann als der Krieg von 1914-1918 es war.

Die Führer der sogenannten Arbeiterparteien und Gewerkschaften rühmen die Vorzüge des Friedens, schwatzen von „Abrüstung", ermahnen ihre Regierungen, sich zu vertragen, vertrösten die Massen auf die Arbeit des Völkerbundes und legen zugleich den Treueid ab auf die „Landesverteidigung", das heißt den Schutz der bürgerlichen Herrschaft mitsamt ihren unvermeidlichen Kriegen.

Unter dem Deckmantel der „Einheitsfront" und selbst der „organischen Einheit" , bereitet die Sowjetdiplomatie hinter dem Rücken der Arbeiter die nationale Einheit der Sektionen beider Internationalen mit der Bourgeoisie in all den Ländern vor, die mit dem Sowjetstaat im Militärbund stehen werden. So wird der Ausbruch eines neues Krieges zu einem neuen Vorrat führen, vor dem der 4. August 1914 verblassen wird.

Der Verrat der Sowjetbürokratie an der Sache der internationalen Revolution hat das Weltproletariat weit zurückgeworfen. Die Schwierigkeiten, die sich vor der revolutionären Avantgarde türmen, sind schier unglaublich. Und trotzdem ist ihre Lage heute unvergleichlich vorteilhafter als am Vorabend des letzten Krieges. Damals schien der Kapitalismus allmächtig, fest unerschütterlich. Der patriotische Fall der Internationale kam sogar für Lenin völlig unerwartet. Die revolutionären Elemente waren überall überrumpelt. Die erste internationale Konferenz – wenig zahlreich und in der Mehrheit unschlüssig – kam erst über ein Jahr nach Kriegsbeginn zusammen. Die Formierung der revolutionären Kader ging nur allmählich vor sich. Die Möglichkeit einer proletarischen Revolution verneinten sogar die meisten „Zimmerwalder". Erst der Oktobersieg in Russland, nach vierzig Monaten Krieg, veränderte die Sachlage und gab der Formierung der Dritten Internationale einen machtvollen Anstoß.

Heute ist die innere Schwäche und Fäulnis des Kapitalismus so offenkundig, dass sie sogar für die faschistische Demagogie das Hauptthema abgibt. In der grandiosen Krise der Vereinigten Staaten, ihrer nicht minder grandiosen Arbeitslosigkeit in Roosevelts Wirtschaftsabenteuer, in dem Aufschwung der Streikkämpfe, in dem Gären innerhalb aller Arbeiterorganisationen sind zum ersten Mal die Bedingungen enthalten für eine mächtige Entwicklung der revolutionären Bewegung in Nordamerika. Das Beispiel der ersten siegreichen proletarischen Revolution lebt im Gedächtnis der Massen. Die Erfahrung der kolossalen Ereignisse der letzten zwanzig Jahre ist im Bewusstsein der besten Kämpfer verankert. Wirklich revolutionäre Organisationen oder wenigstens Gruppen existieren in allen Ländern. Sie sind untereinander ideologisch und zum Teil auch organisatorisch verbunden. Schon jetzt stellen sie eine unvergleichlich einflussreichere, gleichförmigere und gestähltere Kraft dar als es die „Zimmerwalder Linke" war, die im Herbst 1915 die Initiative zur Vorbereitung der Dritten Internationale ergriff.

Innerhalb der reformistischen Parteien und Gewerkschaften entstehen und wachsen oppositionelle Gruppierungen. Einige von ihnen nehmen den Charakter selbständiger Organisationen an. In den Kominternsektionen ist die Opposition infolge des Galeerenregimes dumpfer und verstockter, aber sie entwickelt sich auch dort. Selbst in der UdSSR zeugt die Notwendigkeit immer neuer Reinigungen und Unterdrückungen dafür, dass es der Bürokratie nicht gelingt, den ihr verhassten Geist der marxistischen Kritik auszurotten.

Die Oppositionsstimmungen und -streuungen sind heute vorwiegend zentristischer Natur, d.h. stehen zwischen Sozialpatriotismus und Revolution. In den Verhältnissen des Vorfalls und der Zersetzung der hergebrachten Massenorganisationen ist der Zentrismus in vielen Fällen ein unvermeidliches Zwischenstadium sogar für progressive Arbeitergruppierungen. Die Marxisten müssen es verstehen, Zugang zu all diesen Strömungen zu finden, um durch ihr Beispiel und ihre Propaganda deren Übergang auf den revolutionären Weg zu beschleunigen. Voraussetzung des Erfolges ist dabei unversöhnliche Kritik der zentristischen Führung, Entlarvung aller Versuche zur Neugründung einer Internationale 2½, unermüdliches Erklären, dass die revolutionären Aufgaben unserer Epoche im Voraus alle mittleren und formlosen Vereinigungen zu ruhmlosem Zusammenbruch verurteilen.

Die Losung der „Einheit" aller Arbeiterorganisationen, unabhängig von ihrem Programm und ihrer Taktik, wird gegenwärtig von den Zentristen eifrig verfochten und von den weitsichtigsten Reformisten, die nicht ohne Grund fürchten, über Bord geworfen zu werden, geschickt ausgenutzt. Die Idee der neuen Internationale ersetzen die Zentristen häufig durch die Idee der Verschmelzung der beiden alten Internationalen. In Wirklichkeit bedeutet Einheit mit Reformisten und Sozialpatrioten, sozialdemokratischer oder stalinistischer Herkunft, letzten Endes Einheit mit der nationalen Bourgeoisie und demzufolge unvermeidlich Spaltung des Welt- und damit auch des nationalen Proletariats, besonders im Kriegsfalle Die wahre Einheit der Internationale und ihrer nationalen Sektionen ist nur auf revolutionärer, marxistischer Grundlage zu sichern, die ihrerseits nur durch Bruch mit den Sozialpatrioten geschaffen werden kann, Die prinzipiellen Voraussetzungen und Garantien für die proletarische Einheit verschweigen, heißt in die weit verbreiteten Illusionen einstimmen, heißt die Arbeiter betrügen und neue Katastrophen vorbereiten.

Die würde- und hoffnungslose Lage der beiden alten Internationalen ist hinreichend gekennzeichnet dadurch, dass der Vorsitzende der einen untertäniger kgl. Minister wurde, und der faktische Herr der anderen die weltproletarische Organisation als Tauschmünze benutzt bei diplomatischen Geschäften. Welche Vereinigungsmanöver die beiden gleich verkommenen Bürokratien auch unternehmen mögen, nicht sie werden die Einheit des Proletariats herstellen und nicht sie werden den Ausweg zeigen. Von vorneherein verurteilt sind die Bemühungen der Zentristen, das Unversöhnbare zu versöhnen und durch Teilflickereien das dem Verderben Geweihte zu retten. Für eine neue Epoche bedarf es einer neuer Internationale. Erste Voraussetzung des Erfolges auf diesem Wege ist ein enger nationaler und internationaler Zusammenschluss aller wirklichen proletarischen Revolutionäre, der Schüler Marxens und Lenins, auf gemeinsamem Programm and unter gemeinsamem Banner.

Verhängnisvoll wäre es, für alle Länder eine einheitliche Marschroute aufstellen zu wollen. Je nach den nationalen Verhältnissen, je nach dem Grad der Versetzung der alten Arbeiterorganisationen, schließlich je nach dem Zustand der eigenen Kräfte im gegebenen Augenblick können die Marxisten (revolutionären Sozialisten, Internationalisten, Bolschewiki-Leninisten) auftreten bald als selbständige Organisationen, bald als Fraktion einer der alten Parteien oder Gewerkschaften. Natürlich ist diese Fraktionsarbeit, gleich wann und gleich wo, nur eine Etappe auf dem Wege zur Schaffung neuer Parteien der Vierten Internationale, die entweder durch die Gruppierung der revolutionären Elemente der alten Organisationen vor sich gehen kann oder durch das Wirken selbständiger Formationen. Aber auf welcher Arena und mit welchen Methoden auch immer sie arbeiten, sie sind verpflichtet, namens der uneingeschränkten Prinzipien und namens klarer revolutionärer Losungen aufzutreten., Sie spielen mit der Arbeiterklasse nicht Versteck, sie verheimlichen ihre Ziele nicht, sie ersetzen nicht den Kampf der Grundsätze durch Diplomatie und Kombinieren. Die Marxisten sprechen immer und unter allen Umständen offen aus, was ist.

Die Kriegsgefahr, diese Lebensfrage für die Volksmassen, ist der große Prüfstein für alle Gruppierungen und Richtungen in der Arbeiterklasse. „Kampf für den Frieden“, „Kampf gegen den Krieg"., „Krieg dem Kriege", derlei Losungen sind hohle und verlegene Phrasen, wenn sie nicht begleitet sind von der Propaganda und der Anwendung revolutionärer Kampfmethoden. Der Sturz der Bourgeoisie ist das einzige Mittel, dem Krieg der Garaus zu machen. Der bewaffnete Aufstand ist das einzige Mittel, die Bourgeoisie zu stürzen. Gegen die reaktionäre Luge von der „Landesverteidigung" heißt es die Losung der revolutionieren Vernichtung des Nationalstaats aufzustellen. Dem Irrenhaus des kapitalistischen Europa heißt es das Programm der Vereinigen Sozialistischen Staaten Europas als Etappe zu den Vereinigten Staaten der ganzen Welt gegenüberstellen.

Die Marxisten lehnen unversöhnlich pazifistische Losungen wie „Abrüstung", „Schiedsgerichtsbarkeit", „Völkerverständigung“, (das heißt Verständigung der kapitalistischen Regierungen) usw. ab, als Haschisch, das dazu dient, die Volksmassen einzuschläfern. Das Gebändel der Arbeiterorganisationen mit kleinbürgerlichen Pazifisten (Komitee Amsterdam-Pleyel und ähnliche Unternehmungen) leistet dem Imperialismus die vortrefflichen Dienste, indem es die Arbeiterklasse von der Realität mit ihrem rauen Kampf ablenkt zugunsten ohnmächtiger Paraden.

Der Kampf gegen Krieg und Imperialismus kann nicht Angelegenheit irgendwelcher spezieller „Komitees" sein. Kampf gegen den Krieg, das ist die Vorbereitung der Revolution, das heißt Sache der Arbeiterparteien und der Internationale. Diese grandiose Aufgabe stellen die Marxisten der proletarischen Avantgarde unverhüllt. Der entkräftigenden Losung der „Abrüstung“ stellen wir die Losungen der Gewinnung der Armee und der Bewaffnung der Arbeiter gegenüber. Hier verläuft eine der wesentlichen Scheidelinien zwischen Marxismus und Zentrismus. Wer nicht wagt, laut die revolutionären Aufgaben bei Namen zu nennen, der wird nie den Mut finden, sie zu lösen.

In den anderthalb Jahren, die seit der Veröffentlichung des ersten Programms der Vierten Internationale verflossen sind, hat der Kampf um ihre Prinzipien und Ideen nicht einen Tag lang aufgehört: die Zahl der revolutionären nationalen Sektionen und Gruppen ist gestiegen; die einen verbreiterten ihre Reihen und ihren Einfluss, andere gelangten zu größerer Gleichförmigkeit und stärkerem Zusammenhalt; verwandte Organisationen haben sich verschmolzen (Holland, Vereinigte Staaten); eine Reihe von programmatisch-taktischen Dokumenten wurde ausgearbeitet. All diese Arbeit wird ohne Zweifel viel besser vonstatten gehen, wenn sie im Weltmaßstab unter dem Banner der Vierten Internationale in Einklang gebracht und zusammengefasst sein wird. Die drohende Kriegsgefahr erlaubt nicht, diese Aufgabe auch nur um einen Tag zu verschieben.

Es gilt, auf neuer Grundlage neue Parteien und eine neue Internationale aufzubauen: das ist der Schlüssel zur Losung aller anderen Aufgaben. In welchem Tempo und in welchen Zeiträumen der revolutionäre Neuaufbau vonstatten gehen wird, das hängt selbstverständlich ab von dem allgemeinen Verlauf des Klassenkampfes, von den künftigen Siegen und Niederlagen des Proletariats. Aber die Marxisten sind keine Fatalisten. Sie wälzen nicht auf den „historischen Prozess“ eine Aufgaben ab, die der geschichtliche Prozess ihnen selbst auferlegt hat. Initiative seitens einer bewussten Minderheit; ein wissenschaftliches Programm; kühne und unermüdliche Agitation namens klar formulierter Ziele; erbarmungslose Kritik an aller Halbheit, das sind mit die Hauptfaktoren für den Sieg des Proletariats. Ohne festgefügte und gestählte revolutionäre Partei ist die sozialistische Revolution undenkbar.

Die Bedingungen sind schwer, die Hindernisse groß, die Aufgaben grandios, doch für Pessimismus, für Mutlosigkeit ist kein Grund vorhanden. Trotz allen Niederlagen des Proletariats bleibt die Lage des Klassenfeindes hoffnungslos. Der Kapitalismus ist verdammt. Allein in der sozialistischen Revolution liegt das Heil der Menschheit.

Die bloße Reihenfolge der Internationalen hat bereits ihre innere Logik, die mit den geschichtlichen Aufstieg des Proletariats übereinstimmt. Die Erste Internationale verkündete das wissenschaftliche Programm der proletarischen Revolution, fiel aber dem Fehlen einer Massenbasis zum Opfer. Die Zweite Internationale hat Millionen von Arbeitern aus der Finsternis befreit, aufgeklärt und gesammelt, wurde aber in der Stunde der Entscheidung verraten von der durch den blühenden Kapitalismus korrumpierten parlamentarischen und Gewerkschaftsbürokratie. Die Dritte Internationale gab zum ersten Mal das Beispiel einer siegreichen proletarischen Revolution, wurde jedoch aufgerieben zwischen der Bürokratie des isolierten Sowjetstaates und der reformistischen Bürokratie des Westens! Heute, in den Verhältnissen des endgültigen Niedergangs des Kapitalismus, wird die Vierte Internationale, auf die Schultern ihrer Vorgänger gestützt und bereichert um die Erfahrung von deren Siegen und Niederlagen, die Werktätigen von West und Ost sammeln zum Siegessturm auf die Festung des Weltkapitals.

Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

Revolutionär-Sozialistische Arbeiterpartei Hollands (RSAP), P. J. Schmidt, H. Sneevliet

Arbeiterpartei der Vereinigten Staaten (WPUS), James P. Cannon, A. J. Muste

Bolschewistisch-Leninistische Gruppe der SFIO (Frankreich)

Internationales Sekretariat der Liga der Kommunisten-Internationalisten (Bolschewiki-Leninisten), Crux, Dubois, Martin,

Arbeiterpartei Kanadas

Diesem Briet legen wir die „Vierererklärung" über die Grundprinzipien der Vierten Internationale bei. Nicht eine Zeile dieser Erklärung ist veraltet. Der vorstehende Brief ist nur ein Kommentar zur „Vierererklärung" im Lichte der Erfahrung der letzten anderthalb Jahre.

Wir fordern alle Parteien, Organisationen, Fraktionen innerhalb der alten Parteien wie innerhalb der Gewerkschaften, alle revolutionären Arbeitervereinigungen und Gruppierungen, die mit uns in den Grundprinzipien und in der von uns gestellten großen Aufgabe – der Vorbereitung und dem Aufbau der Vierten Internationale – einig sind, auf, uns ihre Unterschrift unter den vorliegenden Offenen Brief, ihre Vorschläge und ihre Kritik zuzusenden. Die abseits stehenden Genossen, die bisher mit unserer Arbeit nicht verbunden waren, mögen, wenn sie ernst entschlossen sind, nunmehr in die gemeinsamen Reihen zu treten, mit uns Verbindung aufnehmen.

Die den Offenen Brief zeichnenden Initiativorganisationen haben beschlossen, eine Provisorische Kontaktkommission zu schaffen zwecks Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen den auf dem Boden der Vierten Internationale stehenden Parteien und Gruppen. Die provisorische Kommission ist beauftragt, ein Informationsbulletin herauszugeben.

Des Weiteren wird die Kommission für eine regelmäßige Ausarbeitung der grundlegenden programmatischen und taktischen Dokumente der Vierten Internationale zu sorgen haben.

Die Frage der Vorbereitung einer Internationalen Konferenz wird gemäß den erhaltenen Antworten und dem allgemeinen Gang der Vorbereitungsarbeit gelöst werden.

Die provisorische Adresse ist: P. J. Schmidt oder H. Sneevliet, Paramaribostraat 10 huis Amsterdam. W Holland

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