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Leo Trotzki 19350208 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 24-26]

8. Februar

Es ist schwer, sich eine qualvollere Beschäftigung auszudenken, als die Lektüre Léon Blums. Es ist, als habe sich dieser gebildete und auf seine Art kluge Mann zum Lebensziel gesetzt, nichts außer Salonbanalitäten und überspitzter Sinnlosigkeit von sich zu geben. Des Rätsels Lösung ist, dass er politisch schon längst aus dem Spiel heraus ist. Das ganze gegenwärtige Zeitalter passt ihm nicht. Angesichts des bedrohlichen Wirbelsturmes unserer Tage erscheint sein winziges, für die Atmosphäre parlamentarischer Wandelgänge geschaffenes Können kläglich und bedeutungslos. Ein Artikel in der heutigen Ausgabe ist dem Jahrestag des 6. Februar gewidmet. Selbstverständlich: Le fascisme n'a pas eu sa journéel Doch ist Flandin nicht auf der Höhe: Les émeutiers fascistes se fortifient contre sa faiblesse. Der starke Blum wirft Flandin Schwäche vor. Blum richtet an Flandin das Ultimatum: Pour ou contre l'émeute fasciste! Doch ist Flandin überhaupt nicht gezwungen, eine Wahl zu treffen. Seine ganze »Stärke« besteht darin, dass er zwischen der émeute fasciste und der force ouvrière steht. Die Kräftediagonale nähert sich dem Faschismus in dem Maße, in welchem Blum und Cachin schwächer werden. Stalin hat einmal den Aphorismus in die Welt gesetzt: die Sozialdemokratie und der Faschismus sind Zwillinge! Jetzt sind aber Sozialdemokratie und Stalinismus Zwillinge geworden, Blum und Cachin. Sie tun aber auch alles, um den Sieg des Faschismus sicherzustellen.

L'Humanité führt immer dieselbe triumphierende Schlagzeile: Ils n'ont pas eu leur journée! Diesen Triumph der mächtigen »Einheitsfront« hat der schwache Flandin bereitet. Die Drohung der Einheitsfront, die Arbeiter auf die Place de la Concorde, das heißt unbewaffnete und unorganisierte Massen vor die Gewehrmündungen militärischer, schlagringbewaffneter Banden zu führen, wäre ein verbrecherisches Abenteuer, wenn es sich um eine wirkliche Drohung handeln würde. Hier handelt es sich aber um einen Bluff, der mit dem »schwachen« Flandin abgestimmt worden ist. Ein unübertroffener Meister dieser Art Taktik war in der guten alten Zeit Viktor Adler (und was ist aus seiner Partei geworden?).

Die Anschuldigungen gegen Flandin in Popu und Huma von heute sind nichts anderes als die Tarnung der mit ihm getroffenen Abmachungen von gestern. Diese Herrschaften glauben die Geschichte betrügen zu können, aber sie –, werden nur sich selbst betrügen. Inzwischen kämpft der Temps gegen Korruption und Sittenverfall…

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