Leo Trotzki‎ > ‎1935‎ > ‎

Leo Trotzki 19350209 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 26 f.]

9. Februar

Rakosi ist zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden. Nach mehreren Jahren Gefängnishaft bewahrte er eine Haltung, die eines Revolutionärs würdig war. Vor der Hinrichtung haben ihn jedenfalls nicht die Proteste der L'Humanité gerettet, die fast keinen Widerhall ausgelöst hatten. Eine viel bedeutsamere Rolle spielte dabei der Tenor der französischen großen Presse, mit dem Temps an der Spitze. Diese Zeitung war für Rakosi und gegen die ungarische Regierung, so wie sie gegen Sinowjew und für die Rechtsprechung Stalins war. In beiden Fällen selbstverständlich auf Grund von »patriotischen« Überlegungen. Und was für Überlegungen sonst könnten bei dem Temps vorherrschen?

Freilich, in der Angelegenheit Sinowjews gab es auch noch Überlegungen des sozialen Konservativismus: Der Moskauer Korrespondent des Temps, der anscheinend sehr genau weiß, wo er seine Richtlinien zu suchen hat, hat mehrmals betont, dass Sinowjew, wie überhaupt alle gegenwärtig Verfolgten der Opposition, links von der Regierung ständen und dass infolgedessen kein Grund zur Beunruhigung vorliege. Freilich, auch Rakosi steht links von Horthy, und zwar stark links – doch handelt es sich in diesem Falle um einen kleinen Dienst, der dem Kreml erwiesen wird. Lässt sich annehmen, dass es ein uneigennütziger ist?

Das Innenministerium hat die auf den 10. Februar festgesetzten Gegendemonstrationen der Arbeiter verboten. Gerade dadurch, dass Cachin und Blum von dem »schwachen« Flandin die Auflösung der faschistischen Verbände fordern, verleihen sie ihm genügend Stärke gegenüber den Arbeiterorganisationen. Die Maschinerie des Neobonapartismus ist evident. Selbstverständlich werden Cachin-Blum in der Presse Bannflüche gegen Flandin schleudern: das ist sowohl Flandin als auch ihnen selbst gleichermaßen nützlich. Doch in der Tiefe ihrer Seelen werden sich diese Herrschaften über das Verbot der Arbeiterdemonstrationen freuen: So Gott will, wird alles ins Lot kommen, und es wird möglich sein, ihre nützliche Oppositionstätigkeit fortzusetzen … Die Anzahl der Streikenden, die Unterstützung beziehen, ist unterdessen auf 483.000 angewachsen.

In der Frage der Streikenden schickte Blum im Parlament Frossard vor. Das bedeutet im Hinblick auf die Bürgerlichen: »Seid in der Frage der Streikenden unbesorgt, euch droht nichts, erhaltet uns nur das Parlament und unsere Freiheiten.«

Kommentare