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Leo Trotzki 19350329 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 78-80]

29. März

Ich müsste einmal von den Dokumentendiebstählen der GPU in meinem Archiv berichten. Doch das hat keine Eile…

Le Petit Dauphinois bringt heute eine bemerkenswerte Meldung aus Brüssel, die eigentlich durch das Interview mit De Man etwas verschleiert ist. Le Petit D. ist ein reaktionäres Organ, das aber bis auf weiteres noch nicht faschistisch ist. Seine Sympathiegefühle gegenüber De Man sind grenzenlos, zumindest sind es die Gefühle seines Brüsseler Korrespondenten. Wir erfahren jedenfalls, dass der Plan De Mans auf zwei Pfeilern ruht: dem römischen Papst und dem belgischen König. Die Päpstliche Enzyklika Quadragesimo Anno besagt, dass die Geldherren nach ihrem Ermessen die Menschen am Atmen hindern können. Das ist, nach De Man, der Ausgangspunkt für Van Zeeland, den Premierminister. Genauer gesagt: De Man würde es gerne sehen, wenn Van Zeeland die Päpstliche Enzyklika zum Ausgangspunkt nähme. Wie sich jetzt herausstellt, fand der »Plan« das Wohlwollen des verstorbenen Königs, der neue König Leopold aber étudiait chaque jour, avec le même intérêt les travaux d'Henri de Man avant que celui-ci devienne son ministre. Dies alles tat De Man selbst dem Korrespondenten kund.

Zum Plan selbst. Erstens: »Der Staat muss sich von der Kuratel der Banken befreien und die Befehlshebel in seine eigenen Hände nehmen.« Zweitens: Korporationen à la Mussolini – zur Verwaltung der Sachen; der Parlamentarismus – zur Lenkung der Menschen. Es lässt sich erkennen, dass alles das nach De Mans Diktat aufgezeichnet worden ist: Ein Journalist kann sich solche Formulierungen nicht ausdenken! Verwaltung der Sachen und Lenkung der Menschen –, ist bei Engels plagiiert: Laut Engels wird sich das Absterben des Staates dadurch vollziehen, dass an die Stelle der Menschenlenkung allmählich die Verwaltung der Sachen treten wird. Doch wie man gleichzeitig zwei Regime, ein korporatives und ein parlamentarisches, für die Sachen und die Menschen, schaffen soll –, das ist schlechterdings unfassbar Wie aber beabsichtigt De Man, die Menschen von den Sachen, das heißt also die Eigentümer vom Eigentum, zu trennen? Gerade darauf lässt sich ja die ganze Frage zurückführen. Natürlich will De Man keine Enteignung auf dem Revolutionswege – doch keine Enzyklika wird die frommen Ausbeuter bestimmen, die Verwaltung der Banken und Konzerne an die machtlosen »Korporationen« abzutreten…

Dieses ganze Vorhaben, das zur Hälfte ein Abenteuer und zur Hälfte ein Komplott gegen das Volk ist, wird am Ende zu einem kläglichen Krach führen, durch den De Man und Spaak endgültig blamiert sein werden. Die von ihnen mittels ihrer Deflationspolitik geretteten Banken werden den Neuerern schon vormachen, wie man den Staat von der Finanzkuratel »befreit«!…

Bei den Moskauer diplomatischen Verhandlungen (Eden-Besuch usw.) steht unter vielem anderen auch das Schicksal der Komintern zur Entscheidung. Bekennt England sich zur Idee des Paktes (ohne Deutschland), so wird der Kominternkongress, der für die erste Hälfte des laufenden Jahres angekündigt worden war, selbstverständlich nicht einberufen werden. Kommen England und Frankreich mit Deutschland (ohne die UdSSR) überein, so wird der Kongress wahrscheinlich stattfinden. Doch ein solcher Kongress der Bankrotteure ist unfähig, dem Proletariat etwas zu bieten!

Claude Farrère, den ich vor einigen Tagen bereits erwähnte, ist in die Académie gewählt worden. Diese widerliche Ansammlung greiser Narren! Bei einer öffentlichen Befragung antwortete Barthou, der als schlechter Schriftsteller bekanntlich auch Mitglied der Académie war, auf die Frage: »Was würden Sie sich selbst wünschen?« – »Ich habe keine Wünsche: in meiner Jugend träumte ich von der Karriere eines Ministers und eines Akademiemitglieds, in meinen reifen Jahren wurde ich beides!« Sein eigenes Charakterbild mit einem noch schärferen Sarkasmus zu zeichnen ist wohl kaum möglich!

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