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Leo Trotzki 19350211 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 26 f.]

11. Februar

Trotz ihrer Farblosigkeit vermitteln die Memoiren des Stabschefs der SA, Röhm, der später von Hitler ermordet wurde, ein eindrucksvolles Bild der in diesen Kreisen herrschenden selbstbewussten Vulgarität. Im »Sozialismus« der Nazis behaupten die psychologischen Relikte der »Klassenversöhnung« aus der Schützengrabenzeit einen wichtigen Platz. Was Martow und andere Menschewisten – ohne jede Begründung –, über den Bolschewismus sagten: er sei ein Soldatensozialismus, lässt sich durchaus auf die Nazis anwenden, zumindest was ihre jüngste Vergangenheit anbelangt. Die »Brüderlichkeit der Kaserne« findet in der Gestalt Röhms den Ausdruck ihrer wesenhaften Verbindung mit der Päderastie.

Indessen hat dieser bornierte Landsknecht, der mangels einer Gelegenheit, Krieg für Deutschland zu führen, gewillt war, für Bolivien zu kämpfen, dank seiner naturalistischen Auffassung von den Erscheinungen des Lebens und dem menschlichen Wesen eine Reihe treffender Beobachtungen gemacht, welche den Salonsozialisten unzugänglich sind: »Flammende Proteste und Massenversammlungen sind zur Erzeugung einer Hochstimmung sicher wertvoll und vielleicht oft sogar unentbehrlich; wenn aber nicht ein Mann da ist, der hinter diesem Nebelangriff die praktische Vorbereitung zur Tat trifft und entschlossen ist, zu handeln, bleiben sie wirkungslos.« (Memoiren S. 80). Dieser Gedanke, der einen Wahrheitskeim enthält, ist teilweise gegen Hitler gerichtet: er, Hitler, hat Reden gehalten, während ich, Röhm, handelte. Nach Röhms Ansicht kommt der Soldat vor dem Politiker. Aber der Politiker hat den Soldaten überspielt.

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