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Leo Trotzki 19350212 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 28-31]

12. Februar

Popu und Huma schäumen heute vor Freude über, weil 100.000 »Antifaschisten« einen Spaziergang über die Place de la République unternommen haben. Quel admirable peuple! – schreibt Blum. Diese Leute wundern sich, wenn immer die Massen auf ihre Appelle reagieren. Und sie haben gute Gründe sich zu wundern, denn im Laufe von Jahrzehnten haben sie nichts anderes getan, als das Vertrauen der Massen zu missbrauchen. 100000! Doch wissen die Condottieri des Faschismus genau, dass es nur eine Volksmenge ist, die sich heute angesammelt hat und morgen zerfallen wird. Vaillant-Couturier, dieser Snob, der das marxistische Verhältnis zur Moral zynischer Hemmungslosigkeit verfälscht hat, folgert aus der Tatsache der Demonstrationen auf der Place de la République, dass die faschistischen Verbände sofort – sans délai!entwaffnet und aufgelöst werden müssen.

Man kann nicht umhin, sich bei dieser Gelegenheit an das Verbot der SA-Armee Hitlers, durch das Dekret vom 13. April 1932 des Generals Groener in seiner Eigenschaft als Innenminister, zu erinnern. In diesem Zusammenhang berichtet Röhm:

»Aber nur die Uniformen und Abzeichen waren verschwunden. Nach wie vor übte die SA auf dem Truppenübungsplatz Döberitz sowie auf anderen reichseigenen Plätzen. Nur trat sie jetzt nicht mehr als SA auf, sondern als Verein Deutscher Volkssport.« Zu ergänzen ist noch, dass General Groener nicht nur Reichsinnenminister, sondern auch Reichswehrminister war. In seiner ersteren Eigenschaft erließ er – aus Gründen des parlamentarischen Opportunismus – das »SA-Verbot«, in seiner letzteren Eigenschaft dagegen bot er der SA von Staats wegen alle Möglichkeiten zu ihrer weiteren Entwicklung. Diese sehr bedeutsame politische Episode rückt die hoffnungslose Stupidität aller Forderungen nach der Entwaffnung der Faschisten in ein gnadenloses Licht!

Das Verbot der militärischen Organisationen – sofern die französische Regierung es für nötig befinden sollte, eine solche Maßnahme zu treffen (welche Möglichkeit, ganz allgemein gesehen, nicht auszuschließen ist) –, würde lediglich bedeuten, dass die Faschisten gezwungen wären, auf dem Gebiet der Bewaffnung irgendwelche fadenscheinigen Tarnungsmittel anzuwenden, während die Arbeiter in Wirklichkeit der geringsten legalen Möglichkeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung beraubt sein würden.

Es scheint, als sei der Hauptslogan »Einheitsfront« eigens dazu geschaffen worden, um der französischen Reaktion zu helfen, die Vorhut des Proletariats in den Untergrund zu hetzen.

Anlässlich des proudhonistisch-anarchistischen Kongresses von 1874 schrieb Engels an Sorge verächtlich: »Allgemeine Uneinigkeit über alles Wesentliche, verdeckt dadurch, dass man nicht debattiert, sondern nur erzählt und anhört.« Dies ist eine außerordentlich treffende Formulierung, die sich auf die Beratungen des London-Amsterdam-Blocks durchaus anwenden lässt. Doch heutzutage haben »Vereinigungen« dieser Art eine noch unendlich geringere Lebensfähigkeit als vor 60 Jahren!

Der Wechsel im Zungenschlag des Temps ist höchst bemerkenswert. Keine Spur der früheren olympischen Verdammung der Diktaturen von links und rechts. Die Leitartikel tönen das Lob des Mussolinismus als eines Rettungsankers »für den äußersten Fall«. Die Enquêtes enthalten Werbung für die Jeunesses Patriotes und so weiter. Notre Dame wird Flandin nicht helfen.

Die Versetzung Tschubarjs von Charkow nach Moskau verlief seinerzeit irgendwie unbemerkt, und es fällt mir jetzt sogar schwer, mich zu erinnern, wann sie eigentlich erfolgte. Doch hat diese Versetzung eine politische Bedeutung: Tschubarj ist Molotows »Stellvertreter« in dem Sinne, dass er ihn früher oder später verdrängen muss. Rudzutak und Meschlauk, zwei andere Stellvertreter, sind dazu ungeeignet: der erste lässt sich gehen und ist ein Faulpelz geworden, der zweite ist politisch zu unbedeutend. Jedenfalls lebt Molotow unter der Bewachung von drei Stellvertretern und meditiert über seine Sterbestunde.

Es gibt kein abstoßenderes Wesen als den Geld hamsternden Kleinbürger: Bisher hatte ich nie Gelegenheit, diesen Typ, wie jetzt, aus der Nähe zu beobachten.

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