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Leo Trotzki 19350513 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 150-153]

13. Mai

Pilsudski ist tot… Ich bin ihm persönlich nie begegnet. Doch bereits in der Zeit meiner ersten Deportierung nach Sibirien (1900-1902) hörte ich von den verbannten Polen Äußerungen über ihn, die von einem sehr starken Gefühl ihrer Anhänglichkeit zeugten. Damals war Pilsudski einer der jungen Führer der PPS (Polnische Sozialistische Partei), infolgedessen – in einem umfassenden Sinne – auch »Genosse«. Genosse war auch Mussolini, ebenso wie MacDonald und Laval… welch eine Galerie von Verräterbildnissen! Ich habe einige vertrauliche Informationen über die jüngste Sitzungsperiode des Büros der Zweiten Internationale (vgl. 10. Mai) erhalten. Diese Leute sind nicht zu übertreffen. Das Schreiben ist wert, aufbewahrt zu werden.

«Brüssel, den 9. Mai 1935

Genosse L. D.

Hier einige Einzelheiten über die Sitzung des B. E. der IOS.

1. Den Text der Resolution, und zwar so, wie er vom Komitee veröffentlicht wurde, finden Sie beiliegend. Ich habe ihn so abgewandelt, wie ihn die Zeitungen gebracht haben.

2. Vandervelde gehört nicht mehr zum B. E. Nach den Statuten ist es nicht zulässig, dass er Minister und Mitglied des Komitees zugleich ist. Er ist jedoch in jeder Sitzung des Sekretariats anwesend. Für die Sitzung hat er sogar sein Amtszimmer im Ministerium zur Verfügung gestellt. Adler sprach sich dagegen aus.

3. Er war ebenfalls bei der ersten Sitzung des Exekutivkomitees zugegen. Das Protokoll enthält keinen Hinweis auf einen diesbezüglichen Antrag.

4. Breitscheit kam seine Freunde besuchen, wohnte der Sitzung aber nicht bei.

5. Die Presse hat die Namen der österreichischen Delegierten nicht gebracht. Es waren Bauer und Pollak. Dasselbe trifft für einen (Delegierten) der Tschechoslowakei zu; es war Leo de Winter.

6. Kein Wort über die Dritte Internationale.

7. Die Ausarbeitung der endgültigen Fassung der Resolution, bei der von Blums Entwurf ausgegangen wurde, beanspruchte die ganze Sitzungszeit.

8. Fünf Minuten brauchten wir zur Bildung eines Komitees, das in Kriegszeiten in Aktion treten soll. Der Vorschlag hierfür kam von Dan. Nach der Sitzung sprach Blum ihn darauf an (und zog ihn damit auf), er fragte ihn, ob der Vorschlag tatsächlich von ihm stamme. Dan gab zur Antwort, es sei ein Vorschlag der polnischen Sozialisten.

9. Zwei Tage lang diskutierten wir die Resolution. Am ungeduldigsten zeigte sich der englische Delegierte. Unser Genosse hatte den Eindruck, dass er allein (William Gilles; die anderen äußerten sich nicht) sich der Labour Party voll verantwortlich fühlte. Die anderen schienen selbständiger zu handeln.

10. Der italienische Delegierte war auch nicht ganz einverstanden. Er wollte durchaus den imperialistischen Plan des italienischen Faschismus in Afrika in der Resolution erwähnt wissen. Auf Grund seines Einspruchs kam dann der von mir im Text unterstrichene Zusatz zustande. Er wird seinen Leuten die notwendigen Erklärungen schon geben können. Die anderen waren entschieden dagegen, dass Abessinien im Text genannt wurde.

Unser Genosse konnte keine genaueren Auskünfte geben, da er nicht bei allen Sitzungen zugegen sein konnte.

Mit kommunistischem Gruß G. Ver.»1

Besonders glänzend finde ich die »Kommission« für den Kriegsfall: was ist das doch für ein heldenmütiger Versuch, über seinen eigenen Schatten zu springen! Diesmal wollen sich die Herrschaften vom Krieg nicht überrumpeln lassen. Und sie bilden… eine geheime Kommission. Doch wie lässt sich für diese Kommission eine Rückversicherung dagegen schaffen, dass ihre Mitglieder sich nicht eines Tages gegenseitig – nicht nur physisch, sondern auch politisch – auf der gegenüberliegenden Seite des Schützengrabens entdecken? – Auf diese Frage bleiben die Weisen die Antwort schuldig…

1 Anlage: Maschinengeschriebener Brief in französischer Sprache

Bruxelles, 9 Mai 1935

Camarade L. D.

Voici quelques détails sur la réunion du B.E. de l'I.O.S.

1° Ci joint vous trouverez la résolution tel qu'elle est sortie de la Commission. J'y ai apporté les changements selon le texte paru dans les journaux.

Van der Velde n'est plus membre du B.E. Les statuts ne lui permettent pas d'être ministre et en même temps membre du bureau. Mais il assiste à chaque réunion du secrétariat. Il a même proposé de se réunir dans son cabinet ministériel. Adler s'y est opposé.

Il assistait également à la première réunion du Bureau Exécutif. Les procès verbaux ne peuvent en faire motion.

Breitscheid est venu rendre visite à ses amis mais n'a pas assisté à la réunion.

5° La presse ne cite pas les noms des délégués autrichiens. Ce furent Bauer et Polak. De même pour celui de la Tchécoslovaquie; c'était Léo de Winter.

6° Pas un mot sur la III Internationale.

Toute la scession fut prise par l'élaboration de la résolution définitive dont cela de Blum était à l'origine.

8° On c'est occupé pendant cinq minutes à constituer une commission qui fonctionnerait……… pendant la guerre. C'est Dan qui a fait cette proposition. Après la rêunon Blum est allé lui demander (en se moquant de lui, si c'était lui qui été l'auteur véritable de la proposition. Dan à répondu que c'était là une proposition des socialistes polonais.

9° Pendant deux jours on a discuté cette résolution. Celui qui ergotait le plus était le délégué anglais. Notre camarade a eu l'impression qu'il sentait (William Gillis; les autres se sont tu) toute la responsabilité qu'il prenait pour le Labour Party. Les autres avait plutôt l'air d'agir en leur nom propre.

10° Le délègue italien aussi était plus ou moins en opposition. Il aurait voullu absolument qu'on parle dans la résolution du plan impérialiste du fascime italien en Afrique. C'est à la suite de son intervention que l'amendement souligné par moi dans le texte a été ajouté. Ceci sans doute pour qu'il puisse s'expliquer devant sa section. Les autres ne voullurent absolument pas que le nom de l’Abyssinie figure dans le texte. Notre camarade n'ayant pas pu assister à toutes les séances n'a pu avoir de meilleurs renseignements.

Salutations communistes.

G. Ver.

Die in gerader Schrift gesetzten Zeilen sind mit Bleistift dick unterstrichen. Unterschrift handschriftlich mit Tinte. –, Die orthographischen Fehler sind übernommen worden.

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