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Leo Trotzki 19350526 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 165 f.]

26. Mai

Ich bin durch meinen Krankheitszustand zur Romanlektüre verurteilt. Zum ersten Mal habe ich ein Buch von Edgar Wallace in die Hand genommen. Soviel ich weiß, gehört er zu den meistgelesenen Autoren Englands und Amerikas. Etwas Kläglicheres, Plumperes und Unbegabteres kann man sich schwerlich vorstellen. Keine Spur von Beobachtungsgabe, Talent und Phantasie. Die abenteuerlichen Ereignisse sind ohne die geringste Andeutung von Kunst wie ein Haufen Polizeiberichte übereinandergestapelt. In keinem Augenblick bin ich von der Handlung gepackt worden und habe weder Interesse noch schlichte Neugier verspürt. Beim Lesen des Buches hatte ich das Gefühl, wie wenn einer aus purer Langeweile im Zustand seelischer Depression mit den Fingern auf einer fliegenbefleckten Fensterscheibe herum trommelt…

An diesem einzigen Buch lässt sich erkennen, in welchem Maße das aufgeklärte England (und natürlich auch nicht England allein) noch immer ein Land der Kulturbarberei ist. Millionen von Engländern und Engländerinnen, die, gierig und (bis zu Ohnmachtsanfällen) erregt, die Festzüge und Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums des Königspaares begafften, bilden die verzückte Leserschar der Wallaceschen Produktion.

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