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Leo Trotzki 19350907 Zum 7. Weltkongress der Komintern

Leo Trotzki: Zum 7. Weltkongress der Komintern

[Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 3. Jahrgang, Nr. 10. (62), Anfang Oktober 1935, S. 1]

Ich muss mich bei den Lesern unserer internationalen Presse entschuldigen, mich trotz Aufforderung bis jetzt noch nicht über den 7. Weltkongress der Komintern geäußert zu haben. Die Gründe dafür liegen außerhalb meines Willens. Die Debatten des Kongresses waren einerseits ungemein formlos, absichtlich verschwommen, andererseits rein theatralisch. Die Fragen wurden hinter den Kulissen, oft per Telefon zwischen dem Kreml und dem Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, besprochen und entschieden. Im engen bürokratischen Kreise gab es wohl so etwas wie einen Streit der Meinungen. Nachdem jedoch der Beschluss des Politbüros feststand, wurden die Redner bestimmt, die den Beschluss so vorzutragen hatten. dass die Kominternspitze möglichst wenig kompromittiert werde und jedenfalls auf die Unfehlbarkeit des Führers nicht die Spur eines Schattens fiele. Das was sich die «Beratungen» des Kongresses nennt, ist in Wahrheit eine lange und, man muss schon sagen, grauenhaft öde Komödie mit verteilten Rollen. Obendrein waren die Schauspieler schlecht.

Die Berichte von den Debatten heißt es daher lesen wie diplomatische Dokumente, wobei auf Schritt und Tritt die Frage zu stellen ist: was hat der Redner in Wirklichkeit im Auge? was verschweigt er? und warum? Doch diplomatische Dokumente pflegen gewöhnlich kurz abgefasst zu sein; die Reden der Berichterstatter des Kongresses aber sind ungewöhnlich lang. Das ermüdende Ausmaß der Berichte ist eine ergänzende Maßnahme dar bürokratischen Selbstversicherung: es gilt so viel und so ungenaue Behauptungen wie nur irgend möglich aufzustellen, ohne Rücksicht auf ihren Widerspruch: weiß man doch nicht welche von diesen Behauptungen in Zukunft gelten werden. Hinzu kommt noch die entsetzliche schlechte Wiedergabe durch die Zeitungen. Die Darstellungsform kann klar, gut, überzeugend sein dort, wo ein klarer Gedanke und politischer Wille vorhanden ist, wo offener Kampf der Ideen stattfindet, der stets zur Präzisierung des Gedankens beiträgt; dort aber wo der Beamte als Redner seine eigenen Spuren und die der Vorgesetzten verwischt, und wo der Beamte als Journalist die konfuse Rede wiedergibt in beständiger Angst, ja nirgends anzustoßen, dort stellen die Zeitungsberichte unvermeidlich einen jämmerlichen Aufguss schlecht zusammenhängender Gemeinplätze dar. Von dieser Art sind de Berichte der Humanité. mit denen ich mich bisher begnügen musste. Als ich zum Beispiel versuchte, auf Grund dieser Berichte mir auch nur annähernd zu vergegenwärtigen, was unter den Bedingungen der heutigen Krise im Fernen Osten die japanische Arbeiterbewegung darstellt und welchen Platz darin die japanische Kompartei einnimmt, so habe ich mit voller Zuverlässigkeit nur erfahren, dass flammende Liebe zum Führer auf japanisch durch das Wort «Banzai» ausgedrückt wird; aber das wusste ich auch vorher, denn «Banzai» pflegt man auch zu Ehren des Mikado zu schreien. Übrigens glänzte Stalin auf dem Kongress durch Schweigen, ganz ähnlich wie der Mikado.

Die sogenannten «Beratungen» drehten sich um zwei Fragen: die «Einheitsfront»poIitik (eine andere Politik gibt es heute schon nicht mehr) gegen den Faschismus und dieselbe Politik gegen den Krieg. Die Reden der Berichterstatter, sowohl der vulgäre und platte Bericht Dimitrows wie die jesuitischen Künsteleien Ercolis, haben den Ausführungen, von denen die Kominternpresse der letzten Monate, besonders in Frankreich, voll war, nichts Neues hinzugefügt. Die Erfahrung der französischen Kompartei stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wurde als nachahmenswertes Beispiel empfohlen. Doch gerade zu den Grundfragen des Kongresses haben die Organisationen der Vierten Internationale sich längst in aller Ausführlichkeit geäußert. Im Lichte der Moskauer Debatten brauchen wir revolutionären Marxisten nicht eine Zeile von dem zu ändern, was wir bisher sagten zu den Fragen des Krieges, des Faschismus, der «Einheitsfront» und der «Volksfront».

Damit will ich keineswegs sagen, dass wir den 7 Kongress unbeachtet lassen dürfen. Auf keinen Fall! Mögen die Debatten inhaltsreich oder leer gewesen sein, der Kongress an sich jedoch stellt eine Etappe in der Bewegung eines bestimmten Teils der Arbeiterklasse dar. Er ist schon dadurch wichtig, dass er die opportunistische Wendung in Frankreich legalisiert und sogleich auf die gesamte übrige Menschheit ausdehnt. Das Kuriose des bürokratischen Denkens zeigt sich darin, dass, während der Kongress, wenigstens der heutigen auf dem Papier, allen Sektionen liberale Autonomie schenkt und ihnen sogar befiehlt, selbständig zu denken und sich den eigenen nationalen Verhältnissen anzupassen, er gleichwohl findet, dass für alle Länder der Welt, das faschistische Deutschland und das demokratische Norwegen, Großbritannien wie Indien, Griechenland wie China, die «Volksfront» und wenn möglich eine Volksfrontregierung gleich vonnöten sei. Der Kongress ist wichtig dadurch, dass er nach einer Periode des Schwankens und Tastens den endgültigen Eintritt der Komintern in die «vierte Periode» bezeichnet, deren Losung ist: «Daladier an die Macht!», deren Fahne: das dreifarbene Tuch (Trikolore), deren Hymne: die Marseillaise, die die Internationale übertönt.

Um die Tiefe der Wendung und ihren konkreten Gehalt hinsichtlich der Verhältnisse in den verschiedenen Ländern beurteilen zu können, müssten die Resolutionen jedenfalls mehr geben als die wortreichen Debatten. Jedoch nicht zu einer einzigen der erörterten Fragen sind vorher Resolutionsentwürfe veröffentlicht worden. Die Debatten drehten sich nicht um bestimmte Texte, sondern zerflossen ins Uferlose. Erst nachdem alle Redner mit ihrem Lobgeschrei auf den Führer zu Ende waren und sich anschickten, ihr Felleisen zu packen, machte sich eine besondere Kommission an die Abfassung der Resolutionen. Eine beispiellose Tatsache: der offizielle Kongress wurde geschlossen, ohne überhaupt eine Resolution angenommen zu haben. Dafür sollten die neuen Führer sorgen, die schon vor dem Kongress ernannt worden waren (Dimitrow) nach Möglichkeit mit Rücksicht auf de Stimmungen und Wünsche der ehrenwerten Delegierten. Auf diese Weise hat die diesem Kongress eigene Mechanik jede, einigermaßen rechtzeitige, kritische Beurteilung seiner Arbeiten im höchsten Grade erschwert. Nunmehr sind die Hauptmaterialien des Kongresses jedenfalls veröffentlicht, und damit ist es endlich möglich, seine theoretische und politische Bilanz zu ziehen. Ich werde mich bemühen diese Arbeit so bald wie möglich fertig zu stellen entweder in einer besonderen Broschüre oder in Form einer Artikelreihe. Schon jetzt möchte ich vorwegnehmend einige politische Schlussfolgerungen andeuten, was die vom Kongress konsolidierte Wendung der Komintern betrifft.

Es wäre unsererseits ein verhängnisvoller Fehle zu meinen, Theorie und Praxis der «Dritten Periode, seien nun endgültig und schmerzlos liquidiert durch die «Selbstkritik» der Führer, und der der opportunistischen und patriotischen Wendung eine wolkenlose Zukunft beschieden. Wenn auch die Bürokratie mit so frecher Leichtfertigkeit alles verbrannte was sie anbetete, mit den Massen verhält es sich anders. Sie stehen zu den Losungen ernster und aufrichtiger. Im Bewusstsein der der Komintern folgenden Arbeiter leben die Stimmungen der «dritten Periode» noch voll weiter. Eben diese Stimmungen beseelten die französischen Kommunisten in Toulon und Brest. Den Führern gelang es, vorläufig den Widerstand der Basis nur mit lügenhaften Beteuerungen «im Vertrauen» zu beschwichtigen, wonach es sich um ein schlaues Manöver handle in der Absicht, die Radikalen und Sozialisten hinters Licht zu führen, ihnen die Massen abspenstig zu machen, dann aber... «dann werden wir uns zeigen». Andererseits trägt de kartellistische und patriotische Wendung der Kompartei ihr die Sympathie neuer, der Arbeiterklasse ziemlich fern stehender, sehr patriotischer, mit den Finanzverordnungen sehr unzufriedener Schichten ein, die in der Kompartei lediglich den energischsten Flügel der Volksfront erblicken. Das heißt, dass innerhalb der Kompartei und um sie herum sich immer mehr einander widersprechende Tendenzen häufen, die zu einer oder mehreren Explosionen führen müssen. Für die Organisationen der Vierten Internationale entsteht daraus die Verpflichtung, aufs Aufmerksamste das innere Leben der Kompartei zu verfolgen um die revolutionäre proletarische Richtung gegen die führende sozialpatriotische Richtung zu unterstützen, die von nun ab sich immer mehr in Versuche der Klassen-Zusammenarbeit verstricken wird.

Unsere zweite Schlussfolgerung betrifft die zentristischen Gruppierungen und ihr Verhältnis zur strategischen Wendung der Komintern. Die rechtszentristischen Elemente werden sich unvermeidlich von dieser Wendung angezogen fühlen wie vom Magneten. Es genügt, auf die Kriegsthesen von Otto Bauer, Zyromski und dem russischen Menschewiken Dan hinzuweisen, damit vollständig klar werde: gerade diese vollendeten Vertreter der goldenen Mitte drücken viel besser als Dimitrow und Ercoli das eigentliche Wesen der neuen Kominternpolitik aus. Aber nicht nur sie. Das Magnetfeld erstreckt sich auch nach links. Die Neue Front, Organ der SAP, begrüßt in ihren letzten beiden Nummern (16 und 17}. verdeckt unter einem Haufen behutsamer Vorbehalte und Vorkehrungen, im Grunde die opportunistische Wendung der Komintern als Befreiung aus der sektiererischen Versteinerung und als Übergang zu einer «realistischeren» Politik. Wie unzutreffend erscheint doch alles Gerede, die SAP sei mit uns wohl in allen prinzipiellen Fragen einverstanden und billige nur unsere «Methoden» nicht. In Wahrheit legt jede große Frage die Unvereinbarkeit unserer prinzipiellen Einstellungen zu Tage. Die nahende Kriegsgefahr bewog die SAP plötzlich, im Gegensatz zu uns, die demoralisierende Losung der «Abrüstung» aufzustellen, die sogar Otto Bauer, Zyromski und Dan heute als «irreal» ablehnen. Derselbe Gegensatz der Einstellungen ergab sich auch bei der Beurteilung der Entwicklung der Komintern. In der höchsten Glut der «dritten Periode» sahen wir ganz genau voraus, dass der Paroxismus des Ultralinkstums unvermeidlich zu einem neuen opportunistischen Zickzack führen werde, ungleich tiefer und verheerender als alle vorhergehenden. Zur Zeit, als die Komintern noch im Feuer des «revolutionären Defätismus» flammte, sagten wir voraus, dass die Theorie des «Sozialismus in einem Lande» unweigerlich sozialpatriotische Schlussfolgerungen mit allen ihren verräterischen Folgen nach sich ziehen werde. Der Siebente Kominternkongress erbrachte eine wahrhaft schlagende Bekräftigung dieser marxistischen Prognose. Und was da? Die SAP-Führer, die alles vergessen und nichts hinzugelernt haben, begrüßen das neue, heftigste Stadium der unheilbaren Krankheit, indem sie darin Symptome … realistischer Genesung entdecken. Ist etwa nicht klar, dass wir hier mit zwei unvereinbaren Positionen zu tun haben?

Vom angegebenen Gesichtspunkt aus im höchsten Grade interessant ist, wie auf den Siebenten Kongress die linkszentristische Partei reagieren wird, die der Komintern bisher am nächsten stand, nämlich die englische IIP. Wird sie von dem seichten «Realismus» des 7. Kongresses («Einheitsfront», «Massen», «Mittelklassen» usw.) sich angezogen fühlen, oder wird sie umgekehrt von seinem verspäteten und umso verderblicheren Opportunismus (Klassengemeinschaft unter der leeren Fahne des «Antifaschismus». Sozialpatriotismus unter dem Deckmantel der «Verteidigung der UdSSR» usw.) abgestoßen werden? Von dieser Alternative hängt das weitere Schicksal der ILP ab. Im Allgemeinen kann man sagen, weiches auch die einzelnen Teiletappen und -episoden sein mögen, die von dem Kongress festgelegte Wendung der Komintern vereinfacht die Lage der Arbeiterbewegung. Sie konsolidiert das sozialpatriotische Lager, indem sie, unabhängig davon, wie es mit der organischen Einheit bestellt ist, die Parteien der Zweiten und Dritten Internationale einander annähert. Sie verstärkt die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der zentristischen Gruppierungen. Umso breitere Möglichkeiten bietet sie den revolutionären Internationalisten, d. h. den Erbauern der Vierten Internationale.

7. September 1935.

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