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Leo Trotzki 19360416 Aus den Spalten der „Prawda“

Leo Trotzki: Aus den Spalten der „Prawda“

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der IKD, 4. Jahrgang 1936, Nr. 14, Anfang September 1936 (Nr. 78), S. 3]

Während sie immer neue und neue Bilanzen der sogenannten „Kontrolle der Parteipapiere" bringt, gibt die Prawda der Säuberung hinter den Kulissen den Vorzug vor der offenen. Nämlich „viele der maskierten Feinde verstanden die Säuberungskommissionen zu täuschen und gingen stellenweise durch die Säuberung unter Applaus". Das heißt mit anderen Worten, dass der Opposition Verdächtige die Sympathie ihrer Organisationen genießen, und dass die von oben eingesetzten Kommissionen keine Handhabe zum Ausschluss hatten. Dafür war bei der Kulissenkontrolle das „Studium der Zusammensetzung der Partei tiefer und allseitiger als bei der Säuberung“ (Prawda vom 22. März). Kein Wunder: die Durchleuchtung geschah mit Hilfe der GPU-Apparatur.

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Nebenbei erfahren wir aus der Prawda, dass in einer Fabrik irr Tscheljabinsk „auf 108 Kommunisten 318 zu verschiedener Zeit ausgeschlossene Parteimitglieder kommen“. Mit anderen Worten, ausgeschlossen wurden dreimal mehr als blieben. Die Tscheljabinsker Fabrik stellt kaum eine seltene Ausnahme dar. Jedenfalls ist aus ihrem Beispiel deutlich zu ersehen, wie diese unselige herrschende „Partei" lebt.

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Die Prawda prangert den Sekretär des Uspensker Rayonkomitees aus dem Asow-Schwarzmeergebiet. an „Seine Anträge auf den Sitzungen des Rayonkomitees – und zu jeder Frage stellte er Anträge – finden keinen Widerspruch, weil er keinen Widerspruch duldet.“ Welch Gräuel! Welch schreiende Verletzung der Demokratie. Saltykow schrieb einmal die Geschichte der Stadt Glupow (etwa Dummstadt – d. Übers), in der die Ordnung der ganzen zaristischen Monarchie geschildert war. Die Notiz über das Uspensker Rayonkomitee klingt wie eine unfreiwillige Satire auf das Regime. Der Uspensker Sekretär heißt Saut. Setzt man anstelle des Rayon die UdSSR und anstelle Saut Stalin, so kann der ganze übrige Text unverändert bleiben.

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Molotow hat jetzt endlich ganz den richtigen Fuß gefasst. Seit der Liquidierung der „dritten Periode“ befand sich Molotow bekanntlich halb in Ungnade. Er wurde zwar unter den geborenen Führern genannt, aber nicht immer, gewöhnlich hinter Kaganowitsch und Woroschilow, und oft wurde sein Name ohne die Anfangsbuchstaben seines Vor- und Vatersnamens gedruckt, im Sowjetritual aber sind all dies Merkmale von großer politischer Bedeutung. Wenn zu Molotow eine Delegation kam, so durfte er sie nicht anders empfangen als mit Rudsutak zur Linken und Tschubarj zur Rechten. Seinerseits zollte Molotow dem Führer wohl das nötige Lob. aber nur ganze zwei-drei Mal im Verlaufe einer Rede, sodass es in der Kremlatmosphäre fast klang wie ein Aufruf zum Sturz Stalins. Ende des vergangenen Jahres machte sich jedoch mit Gottes Hilfe ein Umschwung zum Guten bemerkbar. Molotow fasste Fuß. In den letzten Wochen hat er einige Lobreden auf Stalin gehalten, die selbst Mikojan vor Neid erblassen ließen. Zum Entgelt bekam Molotow seine Anfangsbuchstaben wieder, sein Name steht an zweiter Stelle und er selbst nennt sich „engsten Kampfgefährten".

Ende gut. alles gut Aber die Welt muss zugeben, dass es für Molotow nicht leicht war. sich selbst zu notzüchtigen. Er kennt Stalin von alters her immerhin viel zu gut. um ihn mit Lenin auf gleiche Stufe zu stellen, wie er es in seiner unter aller Würde stehenden Rede vor den Delegierten Sowjetgeorgiens tat. Aber letzten Endes haben wir uns nicht um die menschliche Würde Molotows zu kümmern. Wir haben andere Sorgen.

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Während die Prawda auf die Notwendigkeit der Wachsamkeit den „Trotzkisten" gegenüber hinweist, wird sie so deutlich, dass es sich lohnt, es wiederzugeben: „Der Klassenfeind in seiner Agonie vor dem Tode (offenbar gibt es also auch Agonien, die nicht vor dem Tod stattfinden) ergibt sich nicht. Er ist auf alle möglichen Ränke, alle möglichen Gemeinheiten aus, besonders wenn die Wachsamkeit ihm gegenüber einschläft.“ Somit ist der Klassenfeind fürchterlich nicht dort, wo er in der Blüte seiner Kräfte steht und mit der Waffe in der Hand seine privilegierten Positionen verteidigt, nein, besonders gefährlich ist er „in seiner Agonie vor dem Tode“. Der durchlauchtigste Fürst Potemkin sagte in einem ähnlichen Fall zu dem Literaten Fonwisin: „Stirb, Denis, besser wirst Du nicht schreiben“.

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Die Prawda vom 30. XII. 1935 meldete mit Entrüstung, dass in den jugoslawischen Gefängnissen Revolutionäre gefoltert werden. Sie vergaß hinzuzufügen, dass jugoslawische Revolutionäre auch in Stalins Gefängnissen gefoltert werden.

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