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Leo Trotzki 19361031 Brief an NN und Freunde in Prag

Leo Trotzki: Brief an NN und Freunde in Prag

[Nach der maschinenschriftlichen Abschrift, Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 380, International Institute of Social History, Amsterdam.]

Abschrift.

Ende Oktober 1936

Liebe Genossen,

Das Wichtigste – das einzig Wichtig« – wäre, ein stalinistisches Blatt zu klagen, wenn dies möglich ist, dann gewinnen auch die Klagen gegen die anderen Blätter Bedeutung. Sonst hieße es daneben hauen.

Juristisch wollen wir uns hier darauf stützen, dass ich nicht verurteilt, weil überhaupt nicht angeklagt und nicht gerichtet worden bin. Der Beschluss über die eventuelle Verhaftung bedeutet formell nur den Beschluss über die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens gegen mich und meinen Sohn, nicht mehr. Wenn ein Blatt sagt, T. sei des Verbrechens überwiesen, so ist dies auch juristisch falsch, somit übernimmt das betreffende Blatt die Verantwortung für die Behauptung und muss folglich im eigenen Namen den Beweis führen. Das sagt die Logik. Natürlich erschöpft diese Logik nicht alle möglichen juristischen Schikanen, geschweige denn „die hohe Politik" /d. h. bewusste Parteinahme/. Man hat aber wenigstens einen guten Ausgangspunkt•.

Der Beschluss des Gerichts wird dabei, wie man annehmen muss. ein Beschluss salomonischer Art sein, d. h. mir nichts, die nichts. Auf viel mehr kann man überhaupt kaum rechnen. Weniger als das wäre schon gefährlich. Es ist aber kaum zu befürchten, dass ein Prager Gericht für Stalin-Jagoda direkt die Verantwortung übernimmt. Oder doch? …

Welchen Sinn hat aber dann der Prozess, wenn man im Voraus mit einem „neutralen" Ausgang rechnen muss? Der Sinn des Prozesses ist der Prozess selbst. Im Laufe des Gerichtsverfahrens kann man das Lügengewebe vollständig zerpflücken. Ist dies erreichbar im Rahmen der Prager Gerichtspraxis? Ich weiß es nicht. Wenn Ja, dann soll man's wagen! Unsere Positionen sind unerschütterlich. Wenn der Gegner sich weigert, den Beweis zu führen, dass er im Recht ist / und er wird sich weigern müssen/, dann werden wir den unwiderleglichen Beweis führen, dass er lügt, nur lügt, und obendrein ein Schurke ist. Das ist genug. Die Tatsachen, die Dokumente, die Zeugen, die politische Logik, das moralische Gefühl, der gesunde Menschenverstand – dies alles wird für uns eintreten. Unsere Positionen – ich wiederhole es – sind gewaltig und uneinnehmbar. Die Frage ist nur, ob wir den genügenden Platz zu manövrieren bekommen! Ob das Gericht die Sache nicht überhaupt am Anfang niederschlägt? Das weiß ich nicht. Aber auch in diesem Falle scheint mir der Verlust nicht so groß zu sein. Die Klugen werden einsehen, dass das Gericht mit der GPU unter einer Decke steckt. Und die Klugen werden dies den Einfältigen klar machen.

Man muss sich sagen: Dieser Prozess wird Jahre dauern. In einem gewissen Sinne wird er mit der weiteren Geschichte der UdSSR und Europas zusammenfallen. Es handelt sich jetzt nur um die erste Etappe. Die kann man nicht überspringen oder umgehen. Daher soll man's wagen! Somit bin ich vielleicht in Bezug auf Prag optimistischer geworden? Dieser Eindruck wäre unrichtig. Ich bin aber bezüglich Norwegens pessimistischer geworden. Die Schwierigkeiten und Hindernisse sind hier enorm. Das Ganze sieht wie eine Lotterie aus. In der Lotterie aber – wenn man schon spielt – empfiehlt es sich, nicht auf eine einzige sondern auf mehrere Zahlen zu setzen. Daher bin ich entschlossen, die Klage gegen die Verleumder in der ČSR unter der Bedingung einzubringen, wenn in erster Linie die Stalinisten damit getroffen werden.

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