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Leo Trotzki 19361112 Brief an Leo Sedow

Leo Trotzki: Brief an Leo Sedow

[Nach der maschinenschriftlichen Abschrift, Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 330, International Institute of Social History, Amsterdam.]

Lieber Ljowa,

Aus Deinen Erklärungen den franz. Zeitungen entnehme ich Deinen Verdacht, dass die GPU hier in Norwegen, aus meiner Korrespondenz erfahre hat. dass ich empfehle, mein Archiv an das holl. Institut anzuvertrauen. Ich bin derselben Meinung wie Du. Dinge die nur zwischen mir und meinem Advokaten abgemacht werden sollten, gehen durch das Passkontor! …

Nach Überlegung glaube ich, dass die GPU wiederum nicht nur ein Verbrechen sondern auch eine große Dummheit gemacht hat. Einerseits nehme ich an, dass Du doch nicht diejenigen Dokumente dem Institut überreicht hast, die Du für den Prozess brauchst . Somit konnte die GPU uns kaum eines wichtigen Beweisstückes berauben. Andererseits, falls die Schurken sich erdreisten uns irgendwelche Fälschungen zu unterschieben (Verbindungen mit „Terroristen" oder … Gestapo), wird jeder Mensch, der kein vollkommener Idiot ist, verstehen, dass man solcherart „Dokumente", wenn man sie schon besitzt, nicht einem wissenschaftlichen Institut in die Hände spielt. Somit fasse ich das Geschehene ruhiger auf, was jedenfalls für die GPU und ihre Helfershelfer – hier wie dort – kein mildernder Umstand sein soll.

In dem franz. Teile (besser gesagt: Pariser) des Archivs müssen mehrere Briefe sein, die sich auf den Kirowmord beziehen. Diese Briefe sind sehr wichtig. Du erinnerst Dich, dass viele Freunde nach dem Fiasko des ersten Amalgams (mit dem lett. Konsul, etc.) mir gesagt und geschrieben haben: „Stalin hat nur sich selbst kompromittiert". Darauf antwortete ich systematisch: „Gerade darum kann er sich mit dem ersten Prozess nicht zufrieden geben; er muss ein neues viel schrecklicheres Amalgam vorbereiten.“ Die Kopien dieser meiner Briefe missen unbedingt aufgefunden werden. Obwohl ich denselben Gedanken auch in Artikeln zum Ausdruck brachte, Privatbriefe würden den wirklichen Tatbestand noch kräftiger zum Ausdruck bringen.

Das hiesige Regierungsparteiblatt „Arbeiterbladet" fordert jeden Dienstag und Donnerstag die Befreiung von … Ossietzky. Was für edle Menschenfreunde die Leute sind; man könnte vor Rührung fast weinen. Sie vergessen nur leider, dass die Bedingungen unter denen wir mit Mama uns jetzt befinden 1000 Mal niederträchtiger sind: denn Ossietzky ist wenigstens nicht verleumdet und nicht den ungeheuerlichsten Verbrechen angeklagt worden!

Ich überzeuge mich jetzt mehr und mehr, dass die hiesigen Nazi ihren Einbruch bei mir im August auch im Auftrag der GPU vollzogen haben, ohne – vielleicht – das selber zu wissen (wenigstens die jungen Einbrecher). Indem er den Prozess vorbereitete, musste Stalin natürlich danach trachten, sich meines Archives zu bemächtigen. Dass er Agenten unter den norwegischen Nazi (wie auch im Staatsapparat) unterhält, steht außer Zweifel.

Auch dieser Brief geht natürlich über das Passkontor. Das lasse ich aber ohne Beachtung. Ich schreibe einen vertraulichen Brief an meinen Sohn, der in Paris von Banditen verfolgt ist und [wo]möglich auch in seinem Leben bedroht. Es schreibt ein Vater der eingesperrt und an Händen und Füßen gebunden ist. Es handelt sich um Dinge, von denen meine wie Deine physische und moralische Existenz abhängt. Ich muss daher genau aussprechen was ist.

Die Begrüßungstelegramme am 7. XI. hat man mir höchst liebenswürdig sogleich telefonisch mitgeteilt. Dein Telegramm über den Einbrach hat man 48 Stunden zurückgehalten und das ist noch sehr gnädig.

Ich umarme Dich. Mama auch

Dein Alter

12. 11. 1936

P. S. Du beklagst Dich, dass Du manche Briefe nicht verklebt bekommst. Na ja, weißt Du, es gibt keinen „Sekretär" im Passkontor, daher auch keine Ordnung. Ich bekomme z. B. niemals die récépissés meiner rekommandierten Briefe. Wozu? Wenn man die „Ordnung" verteidigt braucht man sich nicht zu genieren. Übrigens lehrt die Geschichte, dass man die Ordnung nur durch den Chaos retten kann.

L. T.

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