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Leo Trotzki 19360822 a Brief an Leo Sedow

Leo Trotzki: Brief an Leo Sedow

[Nach dem maschinenschriftliche Exemplar, Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 303, International Institute of Social History, Amsterdam.]

Hönefoss, den 22. August 1936

Kopien an Pfemfert, Zeman u.a.

Lieber Freund,

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass meine Aufmerksamkeit jetzt völlig auf den Moskauer Prozess gerichtet ist. Die unbekannten Größen des Prozesses sind Olberg, Berman-Jore, Fritz David (Krugljanski), Moissej Lurje, Nathan Lurje und jetzt neuerdings Slomovitz und Kunt. Den einen von ihnen, nämlich Olberg, ist es zufälligerweise gelungen, schon zu entlarven. Es ist der junge Spitzel von der Inprekorr und sicher schon damals von der GPU, der von Berlin aus versuchte, zu mir als „russischer Sekretär“ zu kommen. Franz Pfemfert und seine Frau Alexandra Ramm haben aber den Kerl sogleich durchschaut und mir zwei wirklich ausgezeichnete Briefe zugeschickt, die in meinem Besitze sind. Eine Mitteilung darüber habe ich schon der Presse zugesandt. Seither habe ich von Olberg, den ich nie gesehen habe, auch nichts gehört. Aus der „Prawda“ vom 17. August ersehe ich, dass der Kerl, der im Jahr 1930 als einfacher Stenotypist wegen seiner persönlichen Unsauberkeit von uns zurückgewiesen wurde, und der nach dem Anklageakt angeblich ein paar Jahre später von mir zur Verübung von Terrorakten in die Sowjetunion geschickt worden ist, 1935 ruhig und ungeschoren als Dozent am pädagogischen Institut in Stalinabad, d. h. in Zentralasien (neueren Versionen zufolge am pädagogischen Institut in Gorki) arbeitete. Dieses Beispiel bestätigt die Annahme, dass alle übrigen Anklagezeugen aus denjenigen Elementen von der GPU geworben sind, die sich im Auslande an die Linke Opposition angeschmiert haben oder dies wenigstens versucht haben. Diese Leute waren entweder damals schon direkte Agenten der GPU oder aber junge Streber, die hofften, in der linken Opposition eine Karriere zu machen, und die sich später ihres Verrats an der linken Opposition zu Karrierezwecken bedient haben. Usw. Es gab verschiedene solcher Elemente (Mill z.B. in Paris, Well und Senin, Graef u.a.) Es sind meist jüdische Spießbürger, deklassierte Halbintellektuelle, die mit der Arbeiterklasse und der Sache des Sozialismus niemals ernst verbunden waren, die unsere so schonungslos verfolgte Bewegung unvermeidlich ausscheiden musste, die dann aber von den Stalinisten oder direkt von der GPU zum Kampf gegen uns aufgefischt worden sind. Auf dieser Linie sollten wir sorgfältig mit vereinten Kräften die Untersuchung führen. Da diese „Terroristen“ von mir aus dem Ausland in die SU geschickt wurden, so muss an der Sache wenigstens das eine wahr sein, dass sie zum mindesten zwischen dem Februar 1929 und dem August 1936 im Ausland waren. Hier heißt es, ihre Spuren aufzusuchen.

Mit bestem Gruß

L. Trotzki

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