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Leo Trotzki 19361026 Brief an Michael Puntervold

Leo Trotzki: Brief an Michael Puntervold

[Nach der maschinenschriftlichen Abschrift, Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives , inventory number 279, International Institute of Social History, Amsterdam]

Abschrift

26. Oktober 1936

An Herrn Puntervold,

Ich sende Ihnen anbei einen Brief des Herrn Vladimir Burian an mich. Es handelt sich um einen sehr lehrreichen Fall aus der Praxis der GPU. – Im Jahre 1929 , nach meiner Ausweisung aus der SU hat man im Auslande versucht, angebliche „Trotzkisten" in Verbindung mit den Wieißgardisten zu bringen. Dabei wollte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: von den Weißen wollte man Informationen über ihre Vrbindungen in der UdSSR bekommen und die Trotzkisten wollte man der Waffenbrüderschaft mit den Weißen überführen. Es ist nicht viel daraus geworden, denn meine politische Position versetzte alle Schattierungen der Emigration in die unversöhnlichste Feindschaft gegen mich. Die russischen Monarchisten und Faschisten wie die russischen Menschewiki erklärten wiederholt meine Politik für viel verderblicher und gefährlicher als die Stalins. Belege dafür könnte man zu Tausenden anführen. Daher konnten auch die GPU-Agenten unter der Maske von „Trotzkisten" nicht viel unter den Weißen ausrichten, sie fanden einfach kein Vertrauen.

Ich weiß nicht, ob man das von Burian angeführte Beispiel heute noch unter die Lupe nehmen und weiter verfolgen kann. Es bleibt aber auch so wie es ist höchst lehrreich. Die GPO beginnt nicht mit dem Vorschlag, eine Fälschung gegen die Trotzkisten aufzuziehen. Nein, sie schlagt einem ausländischen Kommunisten vor, den Weißen einen feinen Streich zu spielen, natürlich „im Interesse der Revolution". Es sei schwer, in die Reihen der Monarchisten (oder Liberalen) einzudringen, man sollte es unter der Maske des Trotzkismus" versuchen etc. Wie kann ein guter Kommunist dem Arbeiterstaat einen ähnlichen Dienst verweigern? Richard Slansky rühmte sich sogar dieses kühnen Unterfangens vor seinem Genossen V. Burian: war doch die kleine Fälschung nur gegen die Weißen, den Klassenfeind, gerichtet'.

Stellen wir uns vor, es gelingt einem Slansky, in seiner Eigenschaft als „Trotzkist" in die Reihen der Weißen einzudringen, Briefe mit Ihnen zu wechseln etc. Dann entlarvt die GPU die ganze Geschichte, – mit der Spitze gegen die „Trotzkisten" und nicht gegen die Weißen. Ein Slansky ist dabei vollständig in den Händen der GPU, hat er sich doch selber in Gesprächen und Briefen als Trotzkist bekannt. Sagt er offen aus, er habe es im Auftrage der GPU gemacht, dann ist er politisch, moralisch, finanziell, vielleicht auch physisch verloren. Er muss schweigen. Nein, schlimmer, er muss öffentlich bestätigen, dass er wirklich ein versteckter Trotzkist sei: Diese „Technik" und die Psychologie ouss :^an 3ich gut vergegenwärtigen, will man manches GPU-Rätawl aufklaren.

Waren die Olbergs, Lurjes etc. Agenten der Gestapo oder nicht? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Leute, die sie kannten (ich habe bei mir einige Briefe darüber) halten es für unwahrscheinlich, ja unmöglich. Ich weiß es nicht. Es ist aber sehr leicht sich vorzustellen, dass die GPU einem dieser Olbergs sagt: „Du warst Trotzkist, du bereust deine Fehler, das genügt aber nicht, du musst der Partei deine Treue beweisen. – Auf welche Weise? Versuche als Trotzkist der Gestapo näherzutreten. Sage, dich treibe der Hass gegen die Sowjetbürokratie der Gestapo in die Hände.“ Das ist möglich. Versuche dieser Art sind sicher von der GPU mehrmals gemacht worden.

Nun scheinen aber die in Frage kommenden Kandidaten (Olberg, David, Lurje etc.) gerade für dieses Amalgam weniger brauchbar. Zunächst sind sie alle Juden. Dass gerade Juden sich der Gestapo als Agenten für Terrorakte anbieten, ist nicht sehr wahrscheinlich. Wenn sie es mit dem Terror ernst meinten, so riskierten sie dabei freiwillig ihren Kopf. Solche Motive wie Geld, Karriere usw. fallen da vollständig weg. Nur von einer Idee durchdrungen können die Leute ihr Leben opfern. Welche Idee aber könnte junge jüdische Intellektuelle bis zur Selbstaufopferung mit der Gestapo verbinden? Der kluge Wyschinski sagt von den Angeklagten: Diese Leute haben keine Ideen, nur nackte Machtgier.“ Nehmen wir an, dieses treffe auf Trotzki, Sinowjew usw. zu. Was für eine „Machtgier" konnte aber einen Berman oder David bewegen, auf einem Kongress auf Stalin zu schießen, d. h. sich selbst dem sicheren Tod zu weihen? Diese ganz „kleine" Frage hat der Ankläger vollständig unbeachtet gelassen. Welchen Beweggrund konnte ein kommunistischer (oder trotzkistischer) Intellektueller, dazu noch Jude, haben, im Bündnis mit Hitler auf Stalin zu schießen und somit Hitler zuliebe den Kopf zu verlieren? Stalin hat wirklich zu viel „amalgamieren" wollen, wenigstens die Gestapo ist hier überflüssig.

Nimmt man aber an, die GPU habe den einen oder andern der Angeklagten unter der Maske des „Trotzkisten" einfach in die Gastepo abkommandiert (ähnlich wie sie es im Falle Richard Slanskys zu tun versuchte), so erweisen sich alle diese grandiosen terroristischen Pläne einfach als Mumpitz. Sie sind nachträglich von Jagoda-Wyschinski, auf Stalins Kommando, hinzugedichtet.

Ich wiederhole, ob jemand von en betreffenden Angeklagten, die ein Gestapobekenntnis ablegten, wirklich eine Verbindung mit der Gestapo gehabt hat, das weiß ich nicht. Für ausgeschlossen halte ich es nicht. Aber wenn schon, dann nicht als wirkliche Terroristen, die im Bündnis mit der Hitlerpolizei Stalin – und sich selbst – zu vernichten trachteten, sondern als authentische Agenten der GPU, die sich auf diese Art zu rehabilitieren und sogar – mit einem gewissen Risiko – Karriere zu machen wünschten.

Man kann noch die Trage aufwerfen: warum hat Stalin gerade jüdische Intellektuelle für die Rolle der terroristischen Naziagenten auserkoren? Er sollte doch wenigstens diese Widernatürlichkeit zu vermeiden suchen! Aber nein! Der Moskauer Prozess, in den alles von Anfang bis Ende frech, faul und falsch ist, wäre ohne dieses „Widernatürlichkeit* nicht das vollendete Produkt von Stalins Geist.

Man beachte zunächst, dass ich um jeden Preis Terroristen aus dem Ausland nach Moskau senden musste, denn sonst konnte man nicht im Auslande mit Erfolg gegen mich vorgehen. Wie sollte ich aber diese Terroristen ausfindig machen? Dazu braucht man ein entsprechendes politisches Milieu. Deutsche, Franzosen oder Türken gegen Stalin schicken? Das geht schon der Sprache wegen nicht. Das russische Milieu im Auslande ist weißgardistisch. Die Versuche, mich mit den weißen Terroristen zu verbinden ( s. oben den Fall Slansky) konnten zu nichts führen. Auch war das Spiel mit wirklichen Terroristen für die Regisseure selbst zu gefährlich. Man musste sich daher nach gefügigeren und brauchbareren Gesellen umschauen, die dabei die russische Sprache beherrschen. Da blieben nur die kleinbürgerlichen jüdischen Intellektuellen aus den Randstaaten (Litauen, Lettland) übrig. Es gab ihrer nicht wenige in Deutschland und anderswo, insbesondere in Apparat der Komintern. Da vieles Material aus Moskau kommt, braucht man im Auslande Leute, die russisch verstehen, die mit dem „bodenstämmigen" Milieu nicht verwachsen sind und der Komintern (somit auch der GPU) immer zur Verfügung stehen. Die russisch-jüdischen Kleinbürger, Intellektuelle und Halbintellektuelle aus den Randstaaten, ohne ernste Verbindung mit der Arbeiterklasse, ohne revolutionäre Vergangenheit, auch ohne ernste theoretische Schulung, beweglich und sprachkundig, spielten und spielen eine bedeutende, meistens negative, zuweilen miserable Rolle im Dienste der Komintern. Einmal unbefriedigt laufen sie über Nacht ins Lager der Opposition. Im Laufe der letzten 8 Jahre warnte ich mehreremals in Form von Briefen und Artikeln (alle sind sie leicht aufzufinden!) – meine Gesinnungsgenossen in verschiedenen europäischen Ländern gegen die Ansprüche und Intrigen dieser spezifischen Schicht, – selbstverständlich nicht aus nationalen, sondern aus sozialen und politischen Erwägungen heraus. Dass ich gerade in diesem beschränkten Milieu, dem ich à priori misstraute, die Terroristen ausfindig machte und dabei mit verschlossenen Augen, ohne sie zu kennen und zu prüfen, das ist wirklich zu ungereimt. Aber die GPU konnte eben kein anderes Milieu finden. Nur die Olbergs und die Bermans standen ihr zur Verfügung.

Dabei verfolgte Stalin nebenbei ein anderes Ziel. Er scheute sich überhaupt nie, die niedrigsten Vorurteile – auch die des Antisemitismus – im Kampfe gegen die Opposition auszunutzen. Dafür könnte man zahllose Beweise anführen. Ich erwähne nur ein Beispiel. Das Dekret, das mich meiner Staatsbürgerschaft für verlustig erklärte, nannte mich nicht einfach Trotzki, euch nicht Sedow ( nach meinen offiziellen Dokumenten), sondern Bronstein, ein Name , der seit 1902, wo ich mich zum ersten Male Trotzki nannte, vollständig aus dem Gebrauch verschwand. Gleichzeitig fand man einige Menschewiki mit demselben Namen Bronstein. und man amalgamisierte sie mit mir in demselben Dekret. Auch meine Tochter, Wolkowa nach dem Namen des Mannes und nach ihren Sowjetdokumenten, ist im genannten Dekret als Bronstein bezeichnet worden, unter demselben Gesichtswinkel musste es Stalin ganz vorteilhaft finden, dass die angeblich von mir gesandten Terroristen durchwegs jüdische Namen tragen.

Auch die Gestapo soll man doch nicht für so dumm halten. Für untergeordnete Ziele kann sie sich natürlich auch zufälliger Agenten bedienen. Stellen wir uns aber vor, die Gestapo bereite terroristische Akkte gegen Stalin und die andern vor (so was liegt ganz im Bereich der Möglichkeit). Würde sie sich in diesem Fall auf ihr unbekannte junge Juden verlassen, die zu ihr mit der Erklärung kommen: „Wir sind Trotzkisten, hassen Stalin und möchten ihn mit Ihrer Hilfe ermorden.“? Die Gestapo würde sie sicher verhaften, denn eine plumpere Provokation kann man ja überhaupt nicht aushecken.

Die von mir angeblich gesandten „Terroristen" wiederholten: Trotzki und sein Sohn Sedow forderten, dass Trotzkis Name auf keinen Fall genannt werde. Niemand sollte wissen, dass Trotzki ein Terrorist ist. Gut! Was aber die Verbindung mit der Gestapo betrifft, so war es „keine Ausnahme", sondern ein System und zwar auf Trotzkis Anweisung, man sprach davon ganz offen, man erklärte bei Zusammenkünften: „Das ist für mich gar nicht neu" ( s. den offiziellen Bericht, somit verheimlichte ich nur meinen Terrorismus, nicht aber meine Verbindung mit der Gestapo … Es überfällt einen der Brechreiz, über diese Dinge auch nur schreiben zu müssen. Genug für heute.

Leo Trotzki

P. S. Ich ersuche meine jungen Freunde, auf Grund dieser Erwägungen den Bericht wiederum zu studieren, Tatsachen und Zitate zu gruppieren etc.

L. T.

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