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Leo Trotzki 19360929 Brief an William Schlamm

Leo Trotzki: Brief an William Schlamm

[Nach der maschinenschriftlichen Abschrift, Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 312, International Institute of Social History, Amsterdam.]

29. Sept. 1936

Lieber W. Schlamm,

Ihr Brief (28/V111), den ich mit einer ungeheuren Verspätung bekommen habe, war für meine Frau und für mich eine Freude. Sie haben recht: jetzt heißt es Farbe bekennen. Auch finde ich Ihre Formel ausgezeichnet: Das Gewebe der Lüge „Faden für Faden zerreißen … zäh, geduldig, mit verlässlichem Gedächtnis, unbeugsam und gewissenhaft; Eben! So muss man jetzt die Arbeit führen, und der Erfolg wird sicher sein.

An dieser Arbeit kann ich einstweilen nicht nur nicht als Hauptinteressierter, sondern auch als Gleichberechtigter teilnehmen. Heine Frau und ich, wir sind an Händen und Füßen gebunden. Was man „Internierung" nennt kommt einem Gefängnis ziemlich gleich, nur dass die Verpflegung (jedenfalls von uns bezahlt) besser ist. Die Verbindung mit der Außenwelt ist sehr dürftig, die Zeitungen, Briefe und Telegramme kommen mit ungeheurer Verspätung, von einer technischen Hilfe (Stenotypistin etc. ) gar keine Rede. Unter diese Bedingungen ist es gerade für mich ziemlich schwer an dem Zerpflücken des Lügengewebes aktiv teilzunehmen. Desto mehr muss ich von den Freunden (im weitesten Sinne des Wortes: jeder gewissenhafte Mensch, der kein Pontius Pii. ist, muss zum Freunde werden) erwarten. Wie lange die Gefangenschaft dauert ist schwer zu sagen; denn es hingt natürlich nicht von polizeilichen, sondern von politischen Faktoren ab und die and ziemlich unberechenbar.

Das hiesige reaktionäre Blatt Aftenposten (ein schmutziger Wisch der aber den Ton angibt) hat vor einigen Tagen die Nachricht gebracht, ich hätte zusammen mit W. Dauge in Belgien den „Aufstand" vorbereitet. Darüber könnte man sehr gut den jetzigen belgischen Außenminister Spaak befragen, der mich 1933 in Paris aufgesucht hatte, und im 1934 sich an mich brieflich wendete um sich mit mir über dieselben Fragen auseinanderzusetzen, die später das Thema unserer Korrespondenz mit W. Dauge bildeten. Hoffentlich wird unsere Korrespondenz mit Spaak noch aufzutreiben sein. . .

Die Geschichte mit Tukalewsky interessiert mich sehr. Warum hat ihn Olberg – ohne jeden sichtbaren Zusammenhang – genannt? Die GPU musste doch dabei ihr Ziel haben. Welche nämlich? Das muss man aus findig machen. Möglich, dass man hier etwas Wahres (oder halb Wahres) in das Gewebe der Lüge hinein geflochten hat. Natürlich ist es nur eine Hypothese. Die Frage bleibt offen und scheint mir von Wichtigkeit zu sein.

Ich werde mich sehr freuen, wenn Sie mir von Zeit zu Zeit schreib über den Prozess, aber auch über alles andere, was für mich von Interesse sein kann: zum Lesen habe ich Zeit.

Mit herzlichsten Grüßen von meiner Frau und mir

LEO TROTSKY

Adresse; Centralpasskontor Oslo

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