Leo Trotzki‎ > ‎1936‎ > ‎

Leo Trotzki 19360321 Buchbesprechung

Leo Trotzki: Buchbesprechung

Alfred Rosmer's: Le Mouvement Ouvrier pendant la Guerre. (Die Arbeiterbewegung während des Krieges)1

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Nr. 8 (72), Mitte April 1936, S. 4]

Das ist ein Buch, das zur rechten Zeit erscheint! Welch unschätzbare Quelle historischen Unterrichts und revolutionärer Erziehung! Wirklich, unser alter Freund Rosmer konnte seine Kräfte und sein Wissen besser nicht verwenden, und die Librairie du Travail ein heute notwendigeres Buch nicht herausgeben.

Das erste was man sagen muss ist: dies ist ein ehrliches Buch. Die Komintern hat den Büchermarkt mit Ausgaben überschwemmt, in denen Unbildung sich mit Gewissenlosigkeit paart. Die Publikationen aus der Schule Leon Blums & Co sind in der Form «feiner», «gesitteter», aber nicht weniger verlogen. Diese Leute haben etwas zu verbergen. Sie rechtfertigen ihren begangenen Verrat oder bereiten den zukünftigen vor. Rosmer hat keine Hintergedanken und Nebenabsichten: er stellt dar was war. Zwischen seinen Ideen und Tatsachen klafft kein Widerspruch und er ist naturgemäß daran interessiert, die ganze Wahrheit aufzudecken. Außergewöhnliche persönliche Gewissenhaftigkeit – eine ach nicht häufige Eigenschaft bei den Herren Schriftstellern! – treibt ihn, die Fakten, Daten, Zitate aus den ursprünglichen Quellen nachzuprüfen. Feuilletonistische Improvisation ist ihm fremd. Er tritt an sein Material wie ein Forscher.

Aber eben darum ist dies Buch von so packendem Interesse. Ein historischer Abriss der französischen Arbeiterbewegung nach der Kommune, die Vorbereitung des imperialistischen Krieges, das Verhalten der verschiedenen Arbeiterorganisationen vor dem Kriege und im Moment seines Ausbruchs, der vollständige Verrat der Gewerkschafts- und der parlamentarischen Bürokratie, die ersten Stimmen des Protestes und die ersten Kampfhandlungen, das Suchen nach internationalem Zusammenschluss und die Zimmerwalder Konferenz – das ist der Inhalt des fast 600 gedrängte Seiten starken Bandes.

Dieses historische Werk Ist zugleich ein bitterböses politisches Pamphlet: auf den Seiten von Rosmers Buch können die Sozialpatrioten der Zweiten wie der Dritten Internationale, fix und fertig all die Fälschungen vorfinden, die sie heute zur Verdummung der Arbeiter in Umlauf setzen. Leon Blum, Marcel Cachin und ihresgleichen erleben heute im Grunde eine «zweite Jugend», schmählicher und zynischer noch als die erste. Gerade darum muss ein jeder ernster proletarischer Revolutionär Rosmers Buch lesen, richtiger, studieren. Allerdings ist das Buch, angesichts seines Umfangs, teuer; aber dies Hindernis muss überwunden werden, indem sich mehrere zu einer Gruppe zwecks Erwerb des Buches zusammentun. Jede revolutionäre Organisation sollte dies Buch ihren Propagandisten zur Verfügung stellen, um sie mit unschätzbaren Tatsachen und Argumenten auszurüsten. Es gilt zur Regel zu machen: wer in unseren Reihen Rosmers Arbeit nicht studiert hat, darf nicht öffentlich zu den Fragen des Krieges auftreten.

Diese Zeilen sind keine kritische Beurteilung des Buches; sonst würden wir auch einige Punkte nennen, wo wir mit dem Autor nicht oder nicht ganz einverstanden sind. Hier wollen wir nur die Aufmerksamkeit aller Internationalisten auf diese Arbeit lenken, über die die Presse der beiden patriotischen Internationalen sich natürlich ausschweigen wird, wie sie schändlicherweise alle ernsten und ehrlichen Publikationen des revolutionären Denkens verschweigt. Umso lauter und herzlicher soll die Presse der Vierten Internationale davon widerhallen.

Fügen wir zum Schluss noch hinzu dass das Buch in einer vorzüglichen – ruhigen, klaren und präzisen – Sprache geschrieben ist und sehr gut herausgegeben ist.

21. März 1936.

L. Trotzki.

1Verlag Librairie du Travail, 17, rue de Sambre-&-Meuse, Paris Xe – Preis: 45 französ. Franken [Fußnote der Redaktion von „Unser Wort“]

Kommentare