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Leo Trotzki 19360700 Das Internationale Büro für Sozialistische Einheit („Londoner Büro“) und die Vierte Internationale

Leo Trotzki: Das Internationale Büro für Sozialistische Einheit („Londoner Büro“) und die Vierte Internationale

Resolution der Internationalen Konferenz 1936

[eigene Übersetzung nach Documents of the Fourth International, S. 93-97, s. auch Writings of Leon Trotsky: Supplement (1934-1940), S. 692-696]

Die Wiederbewaffnung von Deutschland und der italienische Einmarsch in Abessinien [Äthiopien] kennzeichnen das Ende der Nachkriegsepoche und den offiziellen Beginn der neuen Vorkriegsepoche. Mit der Streikbewegung in Frankreich und Belgien im Juni 1936 hat eine neue revolutionäre Welle eingesetzt. Alle opportunistischen, sozialpatriotischen und zentristisch-pazifistischen Parteien und Gruppen sind jetzt eingekeilt zwischen dem heranrückenden Krieg und der heranrückenden Revolution. Das erste Ergebnis wird das Zermalmen der Splittergruppen sein, die im sogenannten Londoner Büro verbunden sind.

Die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre haben die marxistische Bewertung der Parteien und Gruppen des Londoner Büros als konservativ-zentristischer Organisationen völlig bestätigt, die völlig unfähig sind, dem Druck von Reaktion und Chauvinismus standzuhalten. Die bloße Aufzählung der Tatsachen entfernt jeden Schatten des Zweifels in dieser Frage.

Die SAP, die Triebkraft des Londoner Bundes, hetzte zu einer Spaltung in der niederländischen RSAP auf, zu dem einzigen Zweck, diese Partei auf den Weg des Zentrismus zu ziehen; sie trat in die Volksfront der deutschen Emigration, der leblosesten, elendsten und trügerischsten aller Volksfronten; sie unternahm die heuchlerische Verteidigung der stalinistischen Bürokratie gegen die Bolschewiki-Leninisten und führte in Wirklichkeit ausschließlich gegen die Vierte Internationale einen Kampf.

Die Independent Labour Party versuchte, im italienisch-abessinischen Konflikt eine richtige, prinzipielle Haltung einzunehmen. Die pazifistisch-parlamentarische Clique von Maxton und Co., die die Partei bloß als ein handliches Werkzeug betrachtet, zwang sie mittels eines groben und brutalen Ultimatums zurück in die pazifistische Entkräftung und gleichzeitig nahm die Partei besondere Maßnahmen gegen „Fraktionen“ an, d.h. praktisch gegen den revolutionären marxistischen Flügel. In Verbindung mit dem Problem der UdSSR, schafft die ILP es nicht, zwischen der Oktoberrevolution und der bonapartistischen Bürokratie zu unterscheiden, hält den Mund über die Verbrechen der Bürokratie und preist besonders die dienstbereite Zusammenstellung der Webbs, die einzig darauf abzielt, die Arbeiter von den wirklichen Wegen und Methoden der proletarischen Revolution wegzuführen.

Die spanische Partei der „marxistischen Einheit“ [POUM] stellte in den Vordergrund ihres Programms die „demokratisch-sozialistische Revolution“ und gaben dadurch völlig die Theorie von Marx und Lenin und die Lehren der Oktoberrevolution auf, die beide zeigten, dass sich die proletarische Revolution nicht im Rahmen der bürgerlichen Demokratie entwickeln kann, dass die „Synthese“ von bürgerlicher Demokratie und Sozialismus nichts anderes als Sozialdemokratie ist, das heißt, der organisierte Verrat an den geschichtlichen Interessen des Proletariats. In voller Übereinstimmung mit ihrem eigenen Programm fand die Partei der „marxistischen Einheit“ ihren Platz in der spanischen Volksfront als Schwanz des Papierdrachens der linken bürgerlichen Parteien, einschließlich des gegenwärtigen Präsidenten der Republik, Azaña. Die folgende Kritik der Volksfront durch die Führer der Partei mildert nicht im kleinsten Maße ihre Verbrechen, weil revolutionäre Parteien nach der Weise beurteilt werden, in denen sie in Momenten der Krise handeln und nicht nach der Weise, in er sie über sich selber reden, wenn die Krise vorbei ist. Während der schicksalhaften Jahre der spanischen Revolution zeigte sich die Partei von Maurín-Nin als völlig unfähig zum Übergang von kleinbürgerlichen Reden zu proletarischen Taten.

In Frankreich hat der Block mit Doriot (der gerade die „französische Volkspartei“ gegründet hat, nachdem die faschistischen Bünde aufgelöst wurden) und Marceau Pivert gegen die Vierte Internationale schnell ihren reaktionären Charakter gezeigt. Der Bürgermeister von Saint-Denis, Doriot, unter dessen Schutz die letzte Konferenz des Londoner Büros stattfand, ging sehr bald danach mit seiner Organisation ins Lager der Reaktion über. Marceau Pivert funktioniert heute als Sonderbeauftragter von Léon Blum in Angelegenheiten, die die Linke betreffen – Leon Blum, der durch die bürgerliche Polizei die einzige revolutionäre Zeitung in Frankreich beschlagnahmt und die Verfolgung der Anhänger der Vierten Internationale durch bürgerliche Richter gutheißt.

Es ist unnötig, besondere Beobachtungen über die schwedische Partei anzustellen, die nicht über den Rahmen des provinziellen Pazifismus hinausgeht, ganz zu schweigen von den italienischen Maximalisten, den Gruppen in Polen, Rumänien und Bulgarien, die nicht die kleinste qualitative oder quantitative Bedeutung besitzen.

Das dem Londoner Büro angegliederte Stockholmer Jugendbüro führt die Politik der SAP durch, d.h. die Politik der Mehrdeutigkeit und Falschheit, die auf die neue Generation von Revolutionären eine besonders demoralisierende und verderbliche Auswirkung hat. Der wirkliche Charakter des Londoner Büros kann am besten durch die Tatsache angezeigt werden, dass es, um seine freundliche Politik gegenüber den schlimmsten opportunistischen und patriotischen Gruppierungen unbehelligt durchführen zu können, es auf sich nahm, den Vertreter der Bolschewiki-Leninisten [Walter Held] aus seinen Reihen auszuschließen, der im Büro in der Minderheit war und für sich nur das Recht auf freie Kritik suchte. Durch diese Handlung haben die Führer des Londoner und Stockholmer Büros selbst den politisch Blinden gezeigt, dass es für Revolutionäre in diesen Organisationen keinen Platz gibt und geben kann.

Die internationalen Konferenzen beider Büros stellen halb diplomatische, halb parlamentarische Einrichtungen und Versammlungen dar, nach dem Vorbild der Zweiten Internationale, aber in viel kleinerem Rahmen die keinem anderen Zweck dienen, als rechtszentristische Organisationen mit einem schmückenden internationalen Deckmantel zu versorgen, hinter dem sie ihre opportunistische nationale Politik verfolgen können. Die Erklärungen und die sogenannten Entscheidungen der internationalen Konferenzen, die in sich selbst völlig eklektisch sind, üben keinen Einfluss auf den tatsächlichen Kurs der angeschlossenen nationalen Organisationen aus.

Worauf die auf diesen Konferenzen verkündete „internationale marxistische Grundlage“ und die „revolutionäre Einheitlichkeit“ wirklich hinausläuft, zeigt sich darin, dass in dieser Liliputaner-Internationale zu keiner Frage der grundsätzlichen oder aktuellen Politik Übereinstimmung besteht. Im italienisch-abessinischen Konflikt zum Beispiel ist die ILP in England ein Gegner von Sanktionen durch den Völkerbund und verurteilt alle Zusammenarbeit der Arbeiterbewegung mit dem Völkerbund. Die italienischen Maximalisten auf der anderen Seite flehen den Völkerbund, dessen Triebkraft England ist, an, die Sanktionen gegen Italien zu verschärfen. Die spanische Sektion des Londoner Büros ihrerseits unterzeichnet das bürgerliche Programm der spanischen „Volksfront“, die zur Außenpolitik in Übereinstimmung mit den Prinzipien und Methoden des Völkerbundes aufruft. Die gleiche Verwirrung herrscht in der Haltung des Londoner Büros gegenüber der verräterischen Volksfrontpolitik der Stalinisten vor. Während die letzte Sitzung des Büros die Volksfront begrüßte und während die deutschen und italienischen Sektionen an Volskfrontkomödien in der deutschen und italienischen Emigration beteiligen, lehnen die ILP und offensichtlich auch die sozialistische Partei Schwedens die Volksfrontpolitik für ihre eigenen Länder ab (die sie international anerkennen!) Die ILP geht sogar so weit, dass sie sich weigert, Kandidaten der Labour Party gegen bürgerliche Kandidaten zu unterstützen. Aber das Londoner Büro begeistert sich über die französische Volksfront, die mit den Stimmen der Sozialisten und Kommunisten Bürgerliche à la Herriot ins Parlament wählt.

Es genügt zu sagen, dass es auf dem letzten Kongress der NAP (Norwegische Arbeiterpartei) im Mai 1935, der einzigen dem Londoner Büro angeschlossenen Massenorganisation, keine einzige Stimme des Protests gegen das Abbrechen der Beziehungen dieser Partei mit dem Londoner Büro gab. Diese beredte Tatsache zeigt über jeden Zweifel, dass die Verbindung mit dem Londoner Büro einen rein nominellen Charakter trägt, die niemandem auch nur die kleinste Verpflichtung auferlegt, die sich im inneren Leben der Sektionen nicht ausdrückt und folglich nicht einmal die Bildung der Spur eines Linken Flügels unterstützen kann.

Die Parteien des Londoner Büros haben weder eine bestimmte Theorie noch eine bestimmte Politik. Sie schleppen sich zwischen dem linken Flügel der Zweiten Internationale und der Dritten Internationale in ihrer neuesten Phase hin, einer Phase die die Verbrüderung mit ihrer eigenen Bourgeoisie im angeblichen Interesse des Arbeiterstaats, die Verteidigung des demokratischen „Vaterlandes“, die antifaschistische Volksfront etc. darstellt. So stellen sie eine neue Ausgabe der Internationale Nummer Zweieinhalb in Miniatur dar. Während der letzten zwei Jahre nahm das Londoner Büro in keiner einzigen Frage eine klare revolutionäre Haltung ein, hatte durch keine seiner Aktivitäten einen befruchtenden Einfluss auf die Arbeiterbewegung und zog nicht nur die feindliche Aufmerksamkeit der Zweiten und Dritten Internationale nicht an, sondern näherte sich ihnen in ihrer Hetze gegen die Vierte Internationale an. Heute, wo die zwei alten Internationalen sich einander so genähert haben, wird das Vorhandensein einer Zwischeninternationale reiner Unsinn.

Die Interessen der Vierten Internationale, d.h. der proletarischen Revolution, schließen alle Kompromisse in grundlegenden Fragen und Willfährigkeit und Tolerierung von Parteien, Gruppen und Individuen aus, die ständig die Namen von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und Liebknecht für Zwecke missbrauchen, die in direktem Widerspruch zu den Ideen und Handlungen dieser Lehrer und Kämpfer stehen.

Als das Gespenst eines neuen Krieges Fleisch und Blut anzunehmen begann, brachte das Londoner Büro unter der Führung der SAP die bedeutungslose Losung eines „neuen Zimmerwald“ auf, an Stelle der Frage nach einem marxistischen Programm, einer bolschewistischen Politik und der Auslese von revolutionären Kadern. Alle, die von revolutionären Schwierigkeiten erschreckt sind, eilen sich, diese scheinbar leninistische Losung zu besetzen. Ein paar Monate sind vergangen und selbst die Initiatoren haben ihre eigene Entdeckung vergessen. Die Aufgabe des Aufbaus der neuen Internationale auf dem Granitfundament von Prinzipien bleibt in all ihrer Größe. Wir werden einen Weg durch diese historische Lage nicht so leicht finden.

Die Führer der wichtigsten Organisationen des Londoner Büros sind keine Heranwachsenden oder Neulinge. Alle haben eine lange Geschichte des Opportunismus, Pazifismus und zentrischer Verschiebungen hinter sich. Weder der Krieg noch die Oktoberrevolution noch die Zerstörung des deutschen und österreichischen Proletariats noch die verräterische Wendung der Komintern noch der herannahende neue Krieg haben sie etwas gelehrt, sondern sie vielmehr demoralisiert. Es gibt nicht den kleinsten Grund, ihre revolutionäre Umerziehung zu erwarten. Die direkte Pflicht der proletarischen Revolutionäre ist daher die systematische und kompromisslose Entlarvung des Zögerns, der Mehrdeutigkeiten und Heucheleien des Londoner Büros als des nähesten und unmittelbarsten Hindernisses auf dem Weg des weiteren Aufbaus der Vierten Internationale.

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