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Leo Trotzki 19360416 Die neue Verfassung der UdSSR

Leo Trotzki: Die neue Verfassung der UdSSR

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Nr. 10 (74), Mitte Mai 1936, S. 1 f.]

Die Abschaffung der Sowjets.

In den Mauern des Kreml arbeitet man an der Ersetzung der Sowjet-Verfassung durch eine neue, die, wie Stalin, Molotow und andere erklären, die «demokratischste der Welt» sein soll. Allerdings die Art, wie die Verfassung ausgearbeitet wird, ist angetan, Zweifel zu erwecken. Weder in der Presse noch auf Versammlungen war bis in die letzte Zeit von dieser großen Reform die Rede. Niemand kennt bis jetzt den Verfassungsentwurf. Indes erklärte Stalin am 1. März 1936 dem amerikanischen Interviewer Roy Howard: «Wir werden unsere neue Verfassung wahrscheinlich Ende dieses Jahres annehmen». Somit weiß Stalin ganz genau, wann die Verfassung angenommen werden wird, von der das Volk bisher fast noch nichts weiß. Man kann nicht umhin zu schlussfolgern, dass die «demokratischste Verfassung der Weit» in ganz und gar nicht demokratischer Weise ausgearbeitet und eingeführt wird.

Stalin versicherte Howard, und durch ihn auch die Völker der UdSSR, «nach der neuen Verfassung werden die Wahlen allgemein, gleich, direkt und geheim sein». Die Wahlvorrechte der Arbeiter vor den Bauern werden abgeschafft. Von nun ab stimmen, wie man sieht, nicht die Fabriken, sondern die Staatsbürger ab: jeder für sich. Da es «keine Klassen gibt», sind alle Glieder der Gesellschaft gleich. Das Wahlrecht kann einem nur durch Gerichtsurteil entzogen werden. All diese Prinzipien sind zur Gänze dem Programm der bürgerlichen Demokratie entnommen, das seinerzeit von den Sowjets abgelöst worden war. Die Partei hielt das Sowjetsystem stets für die höchste Form des Demokratismus. Absterben sollte das Sowjetsystem zugleich mit der Diktatur des Proletariats, deren Ausdruck es war. Die Frage der neuen Verfassung geht darum auf eine andere, grundlegendere Frage zurück: wird sich von nun an die Diktatur noch weiter «verstärken», wie es alle offiziellen Reden und Artikel fordern, oder wird sie umgekehrt beginnen, sich zu mildern, schwächer zu werben, «abzusterben»? Nur im Lichte dieser Perspektive kann die Bedeutung der neuen Verfassung richtig beurteilt werden. Fügen wir sogleich hinzu, die Perspektive selbst hängt durchaus nicht vom Grad des stalinschen Liberalismus ab, sondern von der realen Struktur der im Übergang befindlichen Sowjetgesellschaft.

Zur Erklärung der Reform beruft sich die Prawda stumpf und so gar nicht vorsichtig auf das von Lenin 1919 geschriebene Parteiprogramm, wo tatsächlich gesagt ist: «…die Entziehung der politischen Rechte und Freiheitsbeschränkungen welcher Art auch immer sind notwendig ausschließlich als zeitweilige Maßnahmen im Kampf gegen die Versuche der Ausbeuter, Ihre Privilegien zu verteidigen oder wiederherzustellen. In dem Maße, wie die objektive Möglichkeit zur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verschwinden wird, wird auch die Notwendigkeit solcher zeitweiliger Maßnahmen verschwinden, und die Partei wird nach ihrer Einschränkung und voll ständigen Beseitigung trachten.» (Hervorhebung von mir, d. Aut.) Diese Zeilen rechtfertigen zweifellos den Verzicht auf die «Entziehung der politischen Rechte» in einer Gesellschaft, wo die Möglichkeit zur Ausbeutung verschwunden ist. Doch das Programm fordert daneben zugleich auch die Beseitigung der «Freiheitsbeschränkungen welcher Art auch immer». Denn der Übergang zur sozialistischen Gesellschaft ist nicht dadurch charakterisiert, dass die Bauern mit den Arbeitern gleich werden, und dass 3-5% Staatsangehörige bürgerlicher Herkunft die politischen Rechte wieder erlangen, sondern dadurch, dass für alle 100% der Bevölkerung wirkliche Freiheit hergestellt wird. Mit der Aufhebung der Klassen stirbt nach Lenin wie nach Marx nicht nur die Diktatur ab. sondern auch der Staat selbst. Allein, was die Abschaffung der Freiheitsbeschränkungen betrifft, so hat Stalin darüber weder Howard noch den Völkern der UdSSR etwas gesagt.

Molotow kam ihm zur Hilfe, leider nicht sehr glücklich, Auf eine entsprechende Frage des Direktors des Temps erwiderte Molotow :«Heute besteht schon häufig (?) keine Notwendigkeit mehr zu den administrativen Maßregeln, die früher gebraucht wurden», aber «die Sowjetmacht muss selbstredend stark und konsequent sein im Kampf gegen die Terroristen und Zerstörer des gesellschaftlichen Eigentums»: «Sowjetmacht» ohne Sowjets, proletarische Diktatur ohne Proletariat, noch dazu Diktatur nicht gegen die Bourgeoisie, sondern gegen «Terroristen und Diebe». Solch einen Staatstypus sah das Parteiprogramm jedenfalls nicht vor.

Molotows Versprechen, «Häufig» ohne die außergewöhnlichen Maßregeln auszukommen. die sich als unnötig erweisen, ist auch an sich schon nicht sehr teuer, vollends aber verliert es seinen Wert im Zusammenhang mit der Berufung auf die Ordnungsfeinde, deretwegen man ja eben auf die außergewöhnlichen Maßregeln nicht verzichten kann. Woher jedoch kommen diese Ordnungsfeinde, Terroristen und Diebe, dazu in so bedrohlicher Anzahl, dass sie angeblich die Erhaltung der Diktatur in der klassenlosen Gesellschaft rechtfertigen? Hier müssen wir nun Molotow zu Hilfe kommen: in der Frühzeit der Sowjetmacht wurden terroristische Akte verübt von Sozialrevolutionären oder Weißen in der Atmosphäre des noch nicht beendigten Bürgerkriegs. Als die ehemals herrschenden Klassen die Hoffnung verloren, war es auch mit dem Terrorismus vorbei. Der Kulakenterror, von dem auch heute noch Nachklänge zu beobachten sind, hatte stets lokalen Charakter und ergänzte den Partisanenkrieg gegen das Sowjetregime. Nicht davon ist bei Molotow die Rede. Der neue Terror stützt sich weder auf die alten herrschenden Klassen, noch auf den Kulaken. Die Terroristen der letzten Jahre rekrutieren sich ausschließlich aus der Sowjetjugend, aus den Reihen des Komsomol und der Partei. Völlig ohnmächtig, die Aufgaben zu lösen, die er sich stellt, ist der individuelle Terror jedoch von höchst wichtiger symptomatischer Bedeutung, indem er die Schärfe des Gegensatzes zwischen der Bürokratie und den breiten Volksmassen, im Besonderen der jungen Generation, charakterisiert. Der Terrorismus ist das tragische Gegenstück zum Bonapartismus. Jeder Bürokrat als Einzelner fürchtet den Terror, doch die Bürokratie als Ganzes nutzt ihn erfolgreich aus zur Rechtfertigung ihres politischen Monopols. Auch in dieser Beziehung haben Stalin und Molotow das Pulver nicht erfunden.

Schlimmer jedoch ist, dass man weder aus den beiden Interviews, noch aus den Kommentaren dazu absolut nicht entnehmen kann, welches nun die soziale Natur des Staates ist, für den die neue Verfassung ausgearbeitet wird. Das Sowjetsystem galt offiziell als der Ausdruck der proletarischen Diktatur. Sind aber die Klassen vernichtet, so damit auch die soziale Basis des Diktatur. Wer ist jetzt ihr Träger? Offenbar die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit. Wenn aber zum Träger der Diktatur das gesamte von Klassengegensätzen befreite Volk wird, so bedeutet das nichts anderes als die Auflösung der Diktatur in die sozialistische Gesellschaft und folglich die Liquidierung des Staates. Die marxistische Logik ist unverwundbar. Die Liquidierung der Staates ihrerseits beginnt mit der Liquidierung der Bürokratie. Bedeutet die neue Verfassung etwa die Liquidierung der GPU? Möge es nur jemand in der UdSSR probieren, diesen Gedanken zu äußern: die GPU wird ihn sofort mit überzeugenden Beweisen zu widerlegen wissen. Die Klassen sind vernichtet, die Sowjets werden abgeschafft, die Klassentheorie des Staates rollt im Staub, aber die Bürokratie bleibt. Was zu beweisen war.

Die Peitsche gegen die Bürokratie.

Wir werden später auf die Frage zurückkommen, inwieweit das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht der angeblich erreichten sozialen Gleichheit aller Staatsbürger entspricht. Doch dies als wahr vorausgesetzt, erscheint umso ungelöster die Frage: warum müssen denn in diesem Fall von nun ab die Wahlen geheim sein? Wen fürchtet denn eigentlich die Bevölkerung des sozialistischen Landes? Vor welchen Anschlägen muss sie nur geschützt werden? Wenn Kinder sich im Finstern fürchten, so hat diese Furcht einen rein biologischen Grund, wenn aber erwachsene Menschen nicht wagen, offen Ihre Meinung zu sagen, so ist diese ihre Furcht politischer Art. und die Politik ist für den Marxisten immer eine Funktion des Klassenkampfes. In der kapitalistischen Gesellschaft hat der geheime Charakter der Abstimmung den Zweck, die Ausgebeuteten vor dem Terror der Ausbeuter zu schützen. Wenn die Bourgeoisie letzten Endes dieser Reform zustimmte – natürlich unter dem Druck der Massen –, so nur deshalb, weil sie selbst daran interessiert war, wenigstens teilweise ihren Staat vor der Demoralisierung zu bewahren, die sie selbst schuf. Allein, In der UdSSR kann es ja doch keinen Druck von Ausbeutern auf die Werktätigen geben. Wovor gilt es die Sowjetbürger mittels des Wahlgeheimnisses zu schützen?

In die alle Sowjetverfassung war die offene Stimmabgabe eingeführt worden als Waffe der revolutionären Klasse gegen die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feinde. Demselben Zweck dienten auch die Wahlrechtseinschränkungen selbst. Heute, gegen Ende des zweiten Jahrzehnts nach dem Umsturz, gibt es keine Klassenfeinde mehr, aber die Werktätigen selbst sind so verschüchtert, dass sie nicht anders als unter der Hülle des Geheimnisses abstimmen können. Handelt es sich ja doch eben um die Volksmassen, um ihre überwiegende Mehrheit; denn man kann doch nicht annehmen, dass die geheime Stimmabgabe speziell der konterrevolutionären Minderheit zu Gefallen eingeführt wird!

Wer terrorisiert also das Volk? Die Antwort ist klar: die Bürokratie. Mit dem Wahlgeheimnis gedenkt sie die Werktätigen vor ihr selber zu schützen. Stalin hat das ziemlich unverhüllt zugegeben. Auf die Frage: warum sind die Geheimwahlen notwendig?, entgegnete er wörtlich: «Weil wir den Sowjetleuten volle Freiheit geben wollen, für die zu stimmen, die sie wählen wollen». Wir erfahren auf diese Weise von Stalin, dass heute die «Sowjetleute» nicht für die stimmen können, die sie wählen wollen. «Wir» aber gedenken ihm diese Möglichkeit noch zu geben. Wer sind diese «wir», welche die Wahlfreiheit gewähren oder auch nicht gewähren können? Das ist die Schicht, in deren Namen Stalin spricht und handelt: die Bürokratie. Stalin hätte nur noch hinzufügen brauchen, dass sein wichtiges Geständnis für die Partei ebenso gilt wie für den Staat, und dass im Besonderen er selbst den Posten des Generalsekretärs kraft desselben Systems bekleidet, das den Parteimitgliedern nicht gestattet, die zu wählen, die sie wählen wollen. Schon an sich genommen ist der Satz: «Wir wollen den Sowjetleuten geben» weitaus wichtiger als alle Verfassungen, die Stalin noch schreiben mag, denn er, dieser kurze Satz, ist schon eine fertige Verfassung, dabei eine völlig reale und nicht fiktive.

Wie seinerzeit die europäische Bourgeoisie, sieht sich heute die Sowjetbürokratie gezwungen, zur geheimen Abstimmung zu greifen, um wenigstens zum Teil den Staatsapparat, den sie «nach dem Grundsatz des Privateigentums» ausnutzt, von der Korruption zu säubern, die sie selber verursacht. Es passierte Stalin, beiläufig dies Motiv der Reform zu lüften. «Bei uns gibt es nicht wenig Institutionen», sagte er zu Howard, «die schlecht arbeiten … Die Geheimwahlen in der UdSSR werden in den Händen der Bevölkerung eine Peitsche gegen die schlecht arbeitenden Machtorgane sein». Ein zweites bemerkenswertes Geständnis! Nachdem die Bürokratie mit eigenen Händen die sozialistische Gesellschaft erschaffen hat, fühlte sie ein Bedürfnis … nach der Peitsche. Und nicht nur, weil die Machtorgane «schlecht arbeiten», sondern hauptsächlich auch, weil diese durch und durch von allen Übeln der unkontrollierten Cliquen zerfressen sind.

Schon 1928 schrieb Rakowski anlässlich mehrerer ans Licht gedrungener Fälle erschreckender bürokratischer Demoralisierung: «Das charakteristischste und gefährlichste an der wachsenden Flut von Skandalen ist die Passivität der Massen, der kommunistischen sogar mehr als der parteilosen, gegenüber den Äußerungen unerhörter Willkür, von denen die Arbeiter selber Zeugen waren. Infolge der Furcht vor den Machthabern oder einfach infolge politischer Gleichgültigkeit gingen sie ohne Protest darüber hinweg oder beschränkten sich auf Murren». In den danach verflossenen acht Jahren wurde die Lage noch unvergleichlich schlimmer. Das stalinsche Selbstherrschertum erhob Vetternwirtschaft. Willkür, Zügellosigkeit, Unterschlagung und Bestechung zum Regierungssystem. Die Fäulnis des Apparats, die auf Schritt und Tritt zum Vorschein kam, bedrohte schließlich selbst die Existenz des Staates als der Quelle der Macht, der Pfründe und Privilegien der herrschenden Schicht. Eine Reform tat not. Erschrocken vor dem Werk ihrer Hände, wendet sich die Kremlspitze an die Bevölkerung mit dem Ruf, sie reinigen und den Regierungsapparat In Ordnung bringen zu helfen.

Demokratie ohne Politik.

Indem die Bürokratie das Volk um die rettende Peitsche ersucht, stellt sie jedoch eine ultimative Bedingung: ja keine Politik. Diese geheiligte Funktion soll wie bisher Monopol des «Führers» bleiben. Auf die kitzlige Frage des amerikanischen Fragestellers betreffs der Parteien antwortete Stalin: «Sobald es keine Klassen gibt, sobald die Grenzen zwischen den Klassen sich verwischen («es gibt keine Klassen» – «die Grenzen zwischen den – nicht existierenden! – Klassen verwischen sich» L. T.) bleibt lediglich ein geringer, aber nicht grundlegender Unterschied zwischen den verschiedenen Zwischenschichten der sozialistischen Gesellschaft, kann es keinen Nährboden für die Schaffung sich bekämpfender Parteien geben. Wo es nicht mehrere Klassen gibt kann es auch nicht mehrere Parteien geben, denn die Partei ist ein Teil der Klasse». Jedes Wort ein Fehler, mitunter gar zwei!

Bei Stalin sieht es aus, als seien die Klassengrenzen scharf gezogene Striche und als entspräche jeder Klasse in jeder gegebenen Periode nur eine Partei. Die marxistische Lehre von der Klassennatur der Parteien ist hier zu einer lächerlichen bürokratischen Karikatur geworden: die politische Dynamik wird aus dem Geschichtsprozess gänzlich verbannt – im Interesse der administrativen Ordnung. In Wirklichkeit ist ein Beispiel, wo einer Klasse nur eine Partei entspräche, in der ganzen politischen Geschichte nicht zu finden! Die Klassen sind nicht gleichförmig, sind zerrissen von inneren Antagonismen, und sogar an die Lösung gemeinsamer Aufgaben treten sie nicht anders heran als durch den inneren Kampf der Tendenzen, Gruppen und Parteien. Mit gewissen Einschränkungen kann man zugeben, dass «die Partei ein Teil der Klasse ist». Da aber eine Klasse viele «Teile» hat – die einen schauen vorwärts, die anderen rückwärts – so kann ein und dieselbe Klasse mehrere Parteien herausbilden. Aus demselben Grunde kann sich eine Partei auf Teile mehrerer Klassen stützen.

Beachtenswert ist, dass dieser skandalöse Fehler Stalins ganz uneigennützig ist. denn in Bezug auf die UdSSR geht er ja von der Behauptung aus, dass es dort überhaupt keine Klassen gibt. Von welcher Klasse bildet dann die WKP einen Teil – nach der Aufhebung aller Klassen? Bei seinem unvorsichtigen Ausflug in den Bereich der Theorie bewies Stalin mehr als er beweisen wollte. Aus seiner Argumentation ergibt sich nicht, dass es in der UdSSR nicht verschiedene Parteien, sondern dass es dort überhaupt keine Partei geben könne: wo keine Klassen sind, dort ist für Politik gar kein Platz. Allein, von diesem Gesetz macht Stalin eine liebenswürdige Ausnahme zugunsten der Partei, deren Generalsekretär er ist.

Die Unhaltbarkeit der stalinschen Theorie von den Parteien offenbart sich am besten an der Geschichte der Arbeiterklasse. Obgleich diese ihrer sozialen Struktur nach zweifellos die am wenigsten ungleichförmige von allen Klassen der kapitalistischen Gesellschaft ist. führt das Vorhandensein solcher «Zwischenschichten» wie der Arbeiteraristokratie und der mit ihr verbundenen Arbeiterbürokratie zur Schaffung reformistischer Parteien, die unvermeidlich zu einem Werkzeug der bürgerlichen Herrschaft werden. Ob vom Standpunkt der stalinschen Soziologie der Unterschied zwischen der Arbeiteraristokratie und der proletarischen Masse ein «grundlegender» oder bloß ein «geringer» ist. das ist ganz gleichgültig; doch gerade aus diesem Unterschied erwuchs seinerzeit die Notwendigkeit der Schaffung der Dritten Internationale. Man kann andererseits keinen Zweifel hegen, dass die Struktur der Sowjetgesellschaft weit ungleichförmiger und zusammengesetzter ist als die Struktur des Proletariats der kapitalistischen Länder. Damit kann sie für mehrere Parteien Nährboden zur Genüge abgeben.

Stalin interessiert in Wirklichkeit nicht die Soziologie Marx', sondern das Monopol der Bürokratie. Das ist durchaus nicht ein und dasselbe. Jede Arbeiterbürokratie, auch wenn sie nicht über die Staatsgewalt verfügt, Ist geneigt zu finden, in der Arbeiterklasse sei für Opposition kein «Nährboden» vorhanden. Die Führer der britischen Labour Party jagen die Revolutionäre aus den Gewerkschaften mit der Begründung, in den Reihen der «einigen» Arbeiterklasse sei kein Platz für Parteienkampf. Genau dasselbe vertreten die Herren Vandervelde, Leon Blum. Jouhaux usw. Diese Handlungsweise ist nicht von der Metaphysik der Einheit sondern von den egoistischen Interessen der privilegierten Cliquen diktiert. Die Sowjetbürokratie ist unvergleichlich mächtiger, reicher und selbstsicherer als die Arbeiterbürokratie der bürgerlichen Staaten. Die hoch qualifizierten Arbeiter genießen in der Sowjetunion Privilegien, wie sie die höchsten Arbeitskategorien in Europa und Amerika nicht kennen. Diese doppelte Schicht: die Bürokratie, gestützt auf die Arbeiteraristokratie, regiert eben das Land. Die heute herrschende Partei der UdSSR ist nichts anderes als die politische Maschine der privilegierten Schicht. Die Stalinbürokratie hat etwas zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen. Sie hat nicht die Absicht, herzugeben, was sie besitzt. Den «Nährboden» will sie auch weiterhin für sich allein behalten.

Zwar hatte die bolschewistische Partei auch in der ersten Periode der Sowjetära die Monopolstellung im Staate inne. Allein, diese beiden Erscheinungen gleichsetzen heißt den Schein für das Wesen nehmen. In den Bürgerkriegsjahren, unter außerordentlich schweren geschichtlichen Umständen, sah sich die Partei der Bolschewiki gezwungen, zeitweilig die anderen Parteien zu verbieten, nicht weil für sie kein «Nährboden» vorhanden war – in diesem Falle wäre es ja auch nicht nötig gewesen, sie zu verbieten – sondern umgekehrt, gerade weil für sie ein Nährboden da war: das ja machte sie gefährlich. Die Partei erklärte den Massen offen was sie tat, denn allen war klar, es ging um die Verteidigung der isolierten Revolution vor Lebensgefahren. Heute beschönigt die Bürokratie die soziale Wirklichkeit umso mehr, je frecher sie sie zu ihrem Vorteil ausnutzt. Wenn es wahr wäre, dass das Reich des Sozialismus bereits angebrochen und der Nährboden für politische Parteien verschwunden ist, so brauchte man sie nicht mehr zu verbieten. Es bliebe nur übrig, entsprechend dem Programm «Freiheitsbeschränkungen, welcher Art auch immer» abzuschaffen. Aber von so einer Verfassung erlaubt die Bürokratie niemandem ein Wort verlauten zu lassen. Der innerliche Lug und Trug des ganzen Gebäudes springt in die Augen!

Um zu versuchen, die natürlichen Zweifel seines Gesprächspartners zu zerstreuen, führte Stalin einen neuen Gedanken an. «Wahllisten werden nicht nur von der kommunistischen Partei aufgestellt werden, sondern auch von allen möglichen gesellschaftlichen parteilosen Organisationen. Davon gibt es bei uns hunderte»… «Jede der Zwischenschichten (der Sowjetgesellschaft) kann ihre besonderen Interessen haben und sie durch die vorhandenen mannigfaltigen gesellschaftlichen Organisationen reflektieren (ausdrücken?)». Eben aus diesem Grunde wird ja die neue Sowjetverfassung die «demokratischste Verfassung von allen auf der Welt bestehenden» sein.

Dieser Sophismus ist nicht besser als die anderen. Die wichtigsten «Zwischenschichten» der Sowjetgesellschaft sind die Spitze der Bürokratie, ihre mittlere und untere Schicht, die Arbeiteraristokratie, die Kolchosaristokratie, die mittlere Arbeitermasse, die Mittelschichten der Kolchosbauern, die Einzelbauern, die unteren Arbeiter- und Bauernschichten, die ins Lumpenproletariat übergehen, die Besprisorny [verlassene Kinder], Prostituierten, usw. Was die sowjetischen gesellschaftlichen Organisationen betrifft – Gewerkschaften, Genossenschaften, Kultur- und Sportvereine u.a.m. –, so vertreten sie keineswegs die Interessen verschiedener «Zwischenschichten», denn sie haben alle ein und dieselbe hierarchische Struktur: sogar in den Fällen, wo die Organisationen sich auf nicht privilegierte Kreise stützen, wie z.B. bei den Gewerkschaften und Genossenschaften, spielen darin eine aktive Rolle ausschließlich Vertreter der privilegierten Spitzen, und das letzte Wort hat stets die «Partei», d.h.die politische Organisation der kommandierenden Schicht. Die Teilnahme der unpolitischen Organisationen am Wahlkampf läuft infolgedessen auf nichts anderes hinaus als auf die Konkurrenz verschiedener bürokratischer Cliquen Innerhalb der vom Kreml vorgezeichneten Grenzen. Die herrschende Spitze beabsichtigt auf diese Weise einige ihr verborgene Geheimnisse zu erfahren und ihr Regime zu verjüngen, ohne dabei politischen Kampf zuzulassen, der sich unvermeidlich gegen sie selbst richten würde.

Der geschichtliche Sinn der neuen Verfassung.

In der Person ihres autoritativsten Führers beweist die Bürokratie aufs Neue, wie wenig sie von den geschichtlichen Tendenzen versteht, kraft deren sie sich bewegt. Wenn Stalin sagt, der Unterschied zwischen den Zwischenschichten der Sowjetgesellschaft sei ein «geringer, aber nicht grundlegender», so hat er offenbar die Tatsache im Auge, dass abgesehen von den Einzelbauern, die auch heute noch die Tschechoslowakei besiedeln könnten, alle übrigen «Zwischenschichten» auf den verstaatlichten oder kollektivierten Produktionsmitteln fußen. Das ist nicht zu bestreiten! Aber zwischen dem kollektiven, d.h. Gruppeneigentum in der Landwirtschaft und dem nationalisierten Eigentum in der Industrie bleibt noch ein «grundlegender» Unterschied bestehen: er kann in der Zukunft noch zu schaffen geben. In die Erörterung dieser wichtigen Frage wollen wir jedoch hier nicht eintreten. Heute kommt weitaus einschneidendere Bedeutung jenem Unterschied zwischen den «Zwischenschichten» zu, der nicht durch deren Verhältnis zu den Produktionsmitteln, sondern zu den Gebrauchsartikeln bestimmt ist. Die Verteilungssphäre ist natürlich nur ein «Überbau» zur Produktionssphäre. Indes, für das tägliche Leben der Menschen ist gerade die Verteilungssphäre von ausschlaggebender Bedeutung. Unter dem Gesichtswinkel des Eigentums an den Produktionsmitteln ist der Unterschied zwischen einem Marschall und einer Putzfrau, zwischen dem Oberhaupt eines Trusts und einem ungelernten Arbeiter, zwischen dem Sohn eines Volkskommissars und einem Besprisorny kein «grundlegender». Aber die einen leben in fürstlichen Wohnungen, verfügen über mehrere Landhäuser an verschiedenen Orten des Landes, fahren In den besten Automobilen und haben längst vergessen, wie man seine Stiefel putzt; die anderen wohnen oft in einer Holzbaracke, ohne Zwischenwände. Führen ein halbes Hungerdasein und putzen ihre Stiefel nur darum nicht, weil sie barfuß gehen. Für den hohen Beamten ist dieser Unterschied nur «gering», d.h. keiner Beachtung wert. Dem ungelernten Arbeiter erscheint er nicht ohne Grund als ein «grundlegender».

Neben den Terroristen sind in der UdSSR Objekt der Diktatur nach Molotows Worten die Diebe. Doch schon die Fülle von Leuten dieser Profession ist ein sicheres Zeichen der in der Gesellschaft herrschenden Not. Wo das materielle Niveau der überwältigenden Mehrheit noch so niedrig ist, dass das Eigentum an Brot und Stiefeln durch Erschießungen geschützt werden muss, dort klingen die Reden vom angeblich bereits verwirklichten Sozialismus wie gemeiner Hohn auf den Menschen!

In einer wirklich gleichförmigen Gesellschaft, wo der normale Bedarf der Bürger ohne Zank und Streit befriedigt wird, wäre nicht nur ein bonapartistischer Absolutismus, sondern auch eine Bürokratie überhaupt undenkbar. Die Bürokratie ist keine technische, sondern eine soziale Kategorie. Jede Bürokratie entsteht und hält sich infolge der Ungleichförmigkeit der Gesellschaft, infolge der Interessengegensätze und des inneren Kampfes. Sie reguliert die sozialen Antagonismen im Interesse der privilegierten Klassen oder Schichten und streicht dafür bei den Werktätigen einen gewaltigen Zins ein. Dies eben ist die Funktion, die trotz der großen Umwälzung in den Eigentumsverhältnissen mit Zynismus und nicht ohne Erfolg auch weiterhin die Sowjetbürokratie ausübt.

Sie kam empor mit der NEP, indem sie sich den Antagonismus zwischen Kulaken und Nepmännern einerseits, Arbeitern und armen Bauern andererseits zunutze machte. Als der erstarkte Kulak die Hand nach der Bürokratie selbst ausstreckte, war diese um der Selbstverteidigung willen gezwungen, sich unmittelbar auf die unteren Schichten zu stützen. In den Jahren des Kampfes gegen den Kulaken (1929-1932) war die Bürokratie am schwächsten. Eben deshalb schritt sie mit Rieseneifer an die Bildung der Arbeiter- und Kolchosaristokratie; schreiende Differenzierung des Arbeitslohns, Prämien, Orden und ähnliche Maßnahmen mehr, die zu einem Drittel durch die ökonomische Notwendigkeit hervorgerufen sind, zu zwei Dritteln aber durch die politischen Interessen der Bürokratie. Auf diesem neuen, sich stets weiter vertiefenden sozialen Antagonismus erhob sich die regierende Kaste bis zu ihren heutigen bonapartistischen Höhen.

Im Lande, wo die Lava der Revolution noch nicht erkaltet ist, fürchten die Privilegierten sich sehr vor den eigenen Privilegien, besonders angesichts der allgemeinen Not. Die obersten Sowjetschichten haben vor der Masse rein bourgeoise Angst, Stalin liefert für die wachsenden Privilegien der herrschenden Schicht die «theoretische» Rechtfertigung mit Hilfe der Komintern und schützt die Sowjetaristokratie vor der Unzufriedenheit mit Hilfe der Konzentrationslager. Stalin ist der unbestrittene Führer der Bürokratie und der Arbeiteraristokratie. Nur mit diesen «Zwischenschichten» steht er in ständiger Berührung. Nur aus diesen Kreisen stammt die aufrichtige «Vergötterung» des Führers. Das ist das Wesen des heutigen politischen Systems der UdSSR.

Damit aber diese Mechanik erhalten bleibe, muss Stalin sich von Zeit zu Zeit auf die Seite des «Volks» gegen die Bürokratie stellen, versteht sich mit schweigender Zustimmung der letzteren. Er ist sogar genötigt, unten eine Peitsche gegen die Missbräuche oben zu suchen. Das ist, wie bereits gesagt, eins der Motive für die Verfassungsreform. Es gibt noch ein anderes, nicht weniger wichtiges.

Die neue Verfassung schafft die Sowjets ab und löst die Arbeiter somit in der allgemeinen Masse der Bevölkerung auf. Politisch haben die Sowjets allerdings schon längst jede Bedeutung verloren. Aber mit dem Wachsen der neuen sozialen Antagonismen und mit dem Erwachen der neuen Generation hätten sie wieder aufleben können. Am meisten galt es sich natürlich vor den städtischen Sowjets zu hüten, mit ihrem wachsenden Anteil von frischen und anspruchsvollen Jungkommunisten. In den Städten springt der Kontrast von Luxus und Not allzu sehr in die Augen. Die erste Sorge der Sowjetaristokratie ist, sich der Arbeiter- und Rotarmisten Sowjets zu entledigen.

Trotz der Kollektivierung ist der materielle und kulturelle Gegensatz zwischen Stadt und Land kaum angetastet. Die Bauernschaft ist immer noch sehr rückständig und zerstäubt. Soziale Antagonismen gibt es auch innerhalb der Kolchosen und zwischen den Kolchosen. Mit der Unzufriedenheit des Dorfes wird die Bürokratie viel leichter fertig. Sie kann nicht ohne Erfolg die Kolchosbauern gegen die städtischen Arbeiter ausspielen. Den Protest der Arbeiter gegen die wachsende soziale Ungleichheit mit der Schwere der rückständigeren Massen des Dorfes zu ersticken, das ist der hauptsächliche Sinn der neuen Verfassung von dem sowohl Stalin wie Molotow selbstverständlich der Welt nichts erzählt haben. Der Bonapartismus stützt sich, beiläufig gesagt, immer auf das Dorf gegen die Stadt. Stalin bleibt auch hier in der Tradition.

Die gelehrsamen Philister vom Schlage der Webb sahen nicht den großen Unterschied zwischen dem Bolschewismus und dem Zarismus bis 1923. dafür aber anerkannten sie vollauf die «Demokratie» des Stalinregimes. Kein Wunder: diese Herren waren ihr Leben lang Ideologen der Arbeiterbürokratie. In Wirklichkeit verhält sich der Sowjetbonapartismus zur Sowjetdemokratie wie der bürgerliche Bonapartismus oder sogar der Faschismus zur bürgerlichen Demokratie. Der eine wie der andere entstanden gleichermaßen aus den furchtbaren Niederlagen des Weltproletariats. Der eine wie der andere werden bei dessen erstem Sieg zusammenbrechen.

Der Bonapartismus verträgt sich, wie die Geschichte bezeugt, ausgezeichnet mit dem allgemeinen und sogar geheimen Wahlrecht. Das demokratische Ritual des Bonapartismus ist das Plebiszit. Von Zeit zu Zeit wird den Bürgern die Frage vorgelegt: für oder gegen den Führer? Seinerseits trifft der Führer Anstalten, damit der Abstimmende den Revolverlauf an der Schlafe spüre. Seit den Zelten Napoleons III, der heute wie ein Provinzdilettant erscheint, hat diese Technik eine ungeahnte Entfaltung erreicht, wie Goebbels kürzliche Inszenierung beweist. Die neue Verfassung soll somit juridisch das baufällig gewordene Sowjetregime liquidieren, und es durch einen Bonapartismus auf plebiszitärer Grundlage ersetzen.

Die Aufgaben der Avantgarde.

Stalin fortentwickelnd, antwortete Molotow dem Redakteur des Temps, die Frage der Parteien in der UdSSR sei «nicht aktuell, insofern bei uns die Sache durchweg bis zur völligen Liquidierung … der Klassen gediehen ist». Welche Genauigkeit der Gedanken und der Terminologie: 1931 wurde die «letzte kapitalistische Klasse, das Kulakentum», liquidiert, und 1936 ist es «durchweg gediehen» bis zur Liquidierung der Klassen. So oder so, die Frage der Parteien ist für Molotow «nicht aktuell». Ganz anders jedoch sehen es die Arbeiter, die finden, dass die Bürokratie, während sie mit der einen Hand die Ausbeuterklassen unterdrückt, mit der anderen ihre Wiederauferstehung vorbereitet. Für diese vorgeschrittenen Arbeiter ist die Frage einer eigenen von der Bürokratie unabhängigen Partei, die aktuellste aller Fragen. Stalin und Molotow verstehen das ganz gut: nicht von ungefähr schlossen sie in den letzten Monaten aus der sogenannten WKP einige zehntausend Bolschewiki-Leninisten aus. d.h. im Grunde eine ganze revolutionäre Partei.

Als der Redakteur des Temps höflich eine Frage bezüglich Fraktionen und ihrer eventuellen Verwandlung In selbständige Parteien stellte, antwortete Molotow mit der ihm eigenen Findigkeit: «In der Partei … sind Versuche zur Schaffung besonderer Fraktionen gemacht worden, … seit einigen Jahren aber hat sich die Lage nun gründlich geändert und die kommunistische Partei ist wirklich geeint». Am besten, hätte er hinzufügen können, zeugen dafür die ununterbrochenen Säuberungen und Konzentrationslager. Allein, das illegale Dasein der oppositionellen Partei bedeutet nicht ihr Nichtsein: es ist nur eine sehr schwere Form des Seins. Verhaftungen können sich vollständig wirksam erweisen gegen Parteien einer von der Szene verschwindenden Klasse: das hat die revolutionäre Diktatur von 1917-1923 vollauf bewiesen. Aber Verhaftungen gegen die revolutionäre Avantgarde werden nicht die überlebte Bürokratie retten, die ihrem eigenen Geständnis zufolge der «Peitsche» bedarf.

Lüge ist es, dreimal Lüge, dass in der UdSSR der Sozialismus verwirklicht sei. Die Blüte des Bürokratismus ist ein barbarisches Zeugnis dafür, dass es bis zum Sozialismus noch weit Ist. Solange die Produktivität der Arbeit in der UdSSR um ein Mehrfaches niedriger ist als In den vorgeschrittenen kapitalistischen Ländern, solange das Volk aus der Not nicht herauskommt, solange um die Gebrauchsartikel erbitterter Kampf tobt, solange die sich absondernde Bürokratie ungestraft mit den sozialen Antagonismen spielen kann, solange wird die Gefahr der bürgerlichen Restauration in voller Stärke fortbestehen. Heute, bei steigender Ungleichheit auf der Grundlage der wirtschaftlichen Erfolge, ist die Gefahr sogar noch gewachsen. Darin und auch nur darin liegt die Rechtfertigung für die Notwendigkeit der Staatsmacht. Doch der bürokratisch entartete Staat ist selbst zur Hauptgefahr für die sozialistische Zukunft geworden. Die Ungleichheit auf das im gegenwärtigen Stadium wirtschaftlich unvermeidliche Maß zurückführen und der sozialistischen Gleichheit den Weg bahnen kann nur durch die aktive politische Kontrolle der Werktätigen geschehen, angefangen mit ihrer Avantgarde. Die Wiederauferstehung der bolschewistischen Partei als Gegengewicht gegen die Partei der Bonapartisten, ist der Schlüssel zu allen übrigen Schwierigkeiten und Aufgaben.

Auf dem Wege zum Ziel muss man verstehen, sich der realen Möglichkeiten zu bedienen, die sich in jeder Etappe bieten. Irgendwelche Illusionen über die stalinsche Verfassung sind natürlich nicht am Platze. Aber ebenso unzulässig wäre es, sie als unbedeutende Kleinigkeit abzutun. Die Bürokratie läuft das Risiko der Reform nicht freiwillig, sondern aus Zwang. Die Geschichte kennt so manches Beispiel, wie eine bonapartistische Diktatur, die um ihres Heils willen zu «liberalen» Reformen Zuflucht nahm, sich noch weiter schwächte. Während sie den Bonapartismus entblößt, schafft die neue Verfassung eine halblegale Deckung für den Kampf gegen sie. Der Wettstreit der bürokratischen Cliquen kann für breiteren politischen Kampf ein Ventil öffnen. Die Peitsche gegen die «schlecht arbeitenden Machtorgane» kann zur Peitsche gegen den Bonapartismus werden, Alles hängt von dem Grad der Aktivität der vorgeschrittenen Elemente der Arbeiterklasse ab.

Die Bolschewiki-Leninisten müssen von nun an alle Peripetien der Verfassungsreform aufmerksam verfolgen, sorgfältig die Erfahrung der ersten bevorstehenden Wahlen studieren. Es heißt lernen, sich des Wettstreits der verschiedenen «gesellschaftlichen Organisationen» im Interesse des Sozialismus zu bedienen. Es heißt verstehen, den Kampf auch auf der Grundlage der Plebiszite aufzunehmen. Die Bürokratie fürchtet die Arbeiter, umso kühner und breiter heißt es den Kampf in ihrer Mitte zu entfachen. Der Bonapartismus hat Angst vor der Jugend, darum heißt es sie unter dem Banner Marx' und Lenins zusammenzuschließen. Von den Abenteuern des individuellen Terrors, der Methode Verzweifelter, heißt es die Avantgarde der jungen Generation auf den breiten Weg der Weltrevolution hinüber führen. Es heißt neue bolschewistische Kader bauen, die das verfaulende bürokratische Regime ablösen werden.

16. April 1936

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