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Leo Trotzki 19360815 Erklärung gegenüber der norwegischen Presse

Leo Trotzki: Erklärung gegenüber der norwegischen Presse

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Sonderausgabe, Ende August 1936, S. 1]

In dem Augenblick, wo ich diese Erklärung auf das Papier setze, kenne ich noch nicht den Originaltext der sensationellen Tass-Nachricht. – Ich kenne sie nur aus zweiter Quelle. Aber schon die Hauptpunkte dessen, was man mir erzählt hat, reichen aus, um diese Nachricht sofort als eine der größten Fälschungen, in der politischen Geschichte zu brandmarken.

Die TASS-Agentur spricht von einer Verschwörung der sogenannten Trotzki-Sinowjew-Gruppe. Die herrschende Bürokratie nennt jede Kritik, die gegen sie gerichtet wird, eine Verschwörung. Ich nehme an, dass sich die Kritik in der Sowjet-Union mehr und mehr ausbreitet. Das kann ich nur mit Freude begrüßen. Es ist sehr möglich, dass zahlreiche und ziemlich verschiedenartige Elemente dieser kritischen Stimmung sich auf meinen Namen berufen, d. h. auf meine Ideen und Schriften. Aber die TASS-Nachricht behauptet auch, dass es sich um eine terroristische Verschwörung gegen die Führer des Regimes handelt, und dass diese Verschwörung von mir von Norwegen aus geleitet wird.

Ich erkläre hiermit, dass diese Behauptung nicht den Schatten der Wahrheit für sich hat. Für jeden, der die politische Geschichte der jüngsten Zeit kennt, sieht es außerhalb jeden Zweifels, dass die von der TASS verbreitete Nachricht in schärfstem Gegensatz zu meinen Ideen und zu meiner gesamten Tätigkeit, die jetzt nur schriftstellerischen Charakter hat, steht.

Seit ich 1897 in die revolutionäre Bewegung eintrat, bin ich wie alle russischen Marxisten ein unversöhnlicher Gegner des individuellen Terrors als Kampfmethode, einer Methode, die letzten Endes nur absolutistischen und bonapartistischen Interessen dienen kann.

Ich stelle fest: Seit ich nach Norwegen kam, habe ich keinerlei Verbindung mit der Sowjetunion gehabt – habe ich keinen einzigen Brief aus der Sowjet-Union bekommen, noch einen einzigen Brief dahin geschrieben, weder direkt noch durch andere Personen.

Meine ganze Tätigkeit in Verbindung mit der Sowjet-Union hat sich auf meine Artikel beschränkt, die in der Weltpresse veröffentlicht worden sind und auf ein Buch, das in naher Zukunft in verschiedenen Ländern erscheinen wird. Meine Frau und ich haben nicht einmal eine einzige Zeile mit meinem Sohn wechseln können, der in Russland als junger unpolitischer Wissenschaftler arbeitet.

Weil ich heimatlos bin und jetzt das Asylrecht in Norwegen benutze, glaube ich, dass diese Behauptung, ich solle von Norwegen aus diese terroristische Verschwörung geleitet haben, nur auf folgende einzig mögliche Art geprüft werden kann, nämlich indem eine kompetente Regierungskommission gebildet wird, die die Anklage in den Dokumenten untersuchen würde. Ich bin meinerseits bereit, einer solchen Kommission gegenüber völlige Rechenschaft für meine Tätigkeit in Norwegen abzulegen – Tag für Tag und Stunde für Stunde. Diese Maßregel könnte und sollte meiner Ansieht nach dadurch vervollständigt werden, dass die Arbeiterorganisationen der ganzen Welt, respektive deren internationale Führer, eine unparteiische internationale Kommission ernennen, die die Anklage in der Sowjet-Union selbst untersuchen, in direkten Kontakt mit den Angeklagten kommen müsse, um danach einen Bericht über ihre Untersuchungen zu veröffentlichen. Ich behaupte, dass dieser Bericht die gesamte Anklage in all Ihrer Falschheit in nichts auflösen wird. Ich bin bereit, jeden andern Weg zu gehen, um der öffentlichen Meinung eine bessere Aufklärung über die wichtigen Motive der Anklage gegen mich und die andern zu gehen. Ich habe in dieser Sache nichts zu fürchten und nichts zu verschweigen. Für mich handelt es sich nur um die Wahrheit, nur darum, dass die Wahrheit zu ihrem Recht kommt.

Kristiansand, den 15. August.

Leo Trotzki

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