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Leo Trotzki 19360823 Erklärung zum Moskauer Prozess

Leo Trotzki: Erklärung zum Moskauer Prozess

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Nr. 15 (79), Anfang Oktober 1936, S. 2]

[Die nachstehende Erklärung ist die vorläufig letzte Stellungnahme, die L. Trotzki über den Moskauer Justizmord niederschreiben konnte. Durch die inzwischen erfolgte strenge Internierung seitens der norwegischen Arbeiterregierung wurde Trotzki bisher daran verhindert, weiterhin das Verbrechen der Stalinclique in der Öffentlichkeit zu enthüllen und sich ausführlich und gründlich mit dem «Prozess» öffentlich auseinanderzusetzen. Die schändliche Haltung der Arbeiterregierung Norwegens wird Trotzki in seiner Verteidigung und vor altem in seinen Anklagen gegenüber der stalinschen Terrorclique jedoch nur hemmen, nicht aber verhindern können. Überall und laut müssen alle Freunde und Gruppen, die für die Erhaltung auch mir der elementarsten demokratischen und Menschenrechte sind, die Forderung erheben: Trotzki muss sofort die Möglichkeit erhalten, sich frei und ungehindert mit dem Moskauer Justizverbrechen und den dort gegen ihn erhobenen Anklagen auseinanderzusetzen!

Unser Wort.]

Die Geständnisse

Die «Geständnisse» der weltbekannten Politiker Sinowjew, Kamenew u.a. sind durch ihren Inhalt und Ton eine krasse Bestätigung meiner ersten Erklärung vom 19. August, dass die Angeklagten in Wirklichkeit die Ankläger sein werden. Bei dem ersten Gerichtsverfahren, am 15. Januar 1935, sind Sinowjew und Kamenew als moralische Urheber des Kirowmordes angeklagt worden, und sie haben sich damals als nur moralische Urheber des Kirowmordes schuldig erklärt. Jetzt werden sie als direkte Organisatoren desselben Terroraktes und der Vorbereitung anderer angeklagt und sie erklären sich mit der gleichen erzwungenen Bereitwilligkeit als solche. Keiner von ihnen sagt aber ein einziges Wort darüber, ob er überhaupt in irgendeiner konkreten Beziehung zum Attentäter Nikolajew stand und wenn ja in welcher, welcher Mittelsmänner er sich bediente, an welchem Ort, zu welcher Zeit und mit wem die Zusammenkünfte stattfanden usw. usw. usf. Der Staatsanwalt vermeidet seinerseits sorgfältig, Angeklagte und Zeugen mit solchen Fragen zu belästigen. Die Erklärungen Sinowjews Kamenews und der andern klingen wie Leitartikel aus Prawda und Iswestija, deren bedeutendste Redakteure übrigens der Mitwisserei am den Terrorakten beschuldigt werden (Bucharin, Radek). Man kann und mit Recht diese bewusst falschen Selbstbezichtigungen, die eigentlich eine Anklage gegen einen andern, namentlich den Unterzeichneten, darstellen, moralisch bewerten, wie sie es verdienen. Man darf dabei aber nicht aus dem Auge verlieren, dass diese hundertprozentigen, aber rein formalen, keinen konkreten Inhalt aufweisenden Bekenntnisse im Munde dieser unglücklichen Angeklagten ein Mittel sind der öffentlichen Meinung zu sagen: Alles ist Lüge und Fälschung.

Die Bedingungen meines Aufenthalts in Kopenhagen

Außer dem mir unbekannten Berman Joren erklärt der mir ebenso unbekannte Fritz David, von mir In Kopenhagen Instruktionen für terroristische Handlungen erhalten zu haben. Diese Zeugen beweisen durch ihre Aussagen, dass sie von den Bedingungen meines Aufenthalts in Kopenhagen keine Ahnung haben. Ich bin mit jungen Freunden direkt von Prinkipo nach Kopenhagen gekommen. Da das meine erste Reise nach Westeuropa nach 16 jähriger Unterbrechung war, so sind sogleich Freunde aus Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, Norwegen u.a. Ländern, nicht weniger als 30 bis 40 Personen, ohne die dänischen Gastgeber einerseits und die vielen Journalisten, Photografen, Filmleute usw. andererseits mitzurechnen. Die jungen Leute waren, ob mit Recht oder Unrecht kann dahingestellt bleiben, um meine Sicherheit besorgt. Zu meinem Arbeitszimmer konnte man nicht anders Zutritt finden als durch ein anderes Zimmer, wo immer 4, 5, 6 oder auch mehr Freunde saßen. Es ist somit ausgeschlossen, dass mich jemand besuchen konnte, dessen Identität nicht von mehreren jetzt in Westeuropa lebenden Freunden festgestellt worden wäre. Jedes normale Gericht hätte somit die vollständige Möglichkeit die Behauptungen der 2 GPU-Agenten, die angeblich von mir in Kopenhagen die terroristischen Instruktionen erhielten, durch Zeugenaussagen zu prüfen und sich von ihrer völligen .Haltlosigkeit zu überzeugen.

Mein Sohn Leo Sedow

Alle die angeblich von mir aus dem Ausland gesandten Terroristen berufen sich auf meinen Sohn, Leo Sedow, seiner Zeit Student in Berlin, jetzt in Paris wohnhaft, wo er soeben seine Prüfungen an der Sorbonne bestanden hat. Aus diesen durch die TASS sorgfältig ausgesiebten Aussagen geht mit Deutlichkeit hervor, dass die «Terroristen» von meinem Sohn auserkoren worden seien und dass nur zwei von ihnen angeblich in direkte Berührung mit mir in Kopenhagen gekommen sind. Daraus ergibt sich, dass ich Aufforderungen zu Terrorhandlungen durch einen jungen studierenden Mann an mir unbekannte Personen vergeben haben soll, was an sich schon eine Absurdität ist. Ich erkläre die Notwendigkeit sich dieser Absurdität zu bedienen, dadurch, dass die Lockspitzel der GPU es natürlich leichter hatten, sieh einem Studenten an der Berliner oder Pariser Hochschule zu nähern, ihn anzusprechen oder ihn wenigstens anzusehen, als das mit mir der Fall war. Dabei versucht man nebenbei auch, den jungen Mann gegenüber den französischen Behörden zu kompromittieren. Jeder zum politischen Denken fähige Mensch wird sich über diesen Punkt selbst sein Urteil bilden.

Gestapo

Die Anklagen bezüglich meiner angeblichen Verbindungen mit der Gestapo sind in all ihrer Frechheit so dumm und so plump, dass sie keiner Widerlegung bedürfen.

Ein unabhängiges Gerichtsverfahren

Diese Mitteilungen haben nur vorläufigen Charakter. Ich bin jetzt an der Arbeit, das gesamte Material vom juristischen und politischen Standpunkt in Form einer Broschüre zu bearbeiten. Ich bin inzwischen bereit, der Weltpresse auf alle sie interessierenden speziellen Fragen zu antworten. Das beste wäre meiner Meinung nach, wenn der Vorschlag, den die konservative norwegische Zeitung «Morgenbladet» in der Ausgabe vom 21. August gemacht hat, die Anklagen der Sowjetbehörden gegen mich durch ein unabhängiges Gericht untersuchen zu lassen, sobald wie möglich verwirklicht werden könnte. Selbstverständlich bin ich auch bereit, vor einem dänischen Gericht zu erscheinen, um für meine Handlungen auf dänischem Boden Rechenschaft abzulegen. Ein freies und offenes Gerichtsverfahren wäre hier nicht um meiner Person, sondern um der Sache willen von historischer Bedeutung.

Hönefoss, den 23. August

Leo Trotzki.

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