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Leo Trotzki 19360827 Prozesse und kein Ende

Leo Trotzki: Prozesse und kein Ende

[Nach Leo Trotzki, Die „Terroristen“-Prozesse in der USSR. Prag 1936, S. 3 f.]

Ich bin jetzt beim Lesen der Gerichtsberichte in der „Prawda". Man erstickt vor Ekel. So viel Frechheit, Dummheit und Treubruch sich vorzustellen, fällt selbst einem Politiker nicht leicht. Wenn jemand diese Sache für bare Münze nehmen kann, tötet ihn das in meinen Augen für immer.

Dieser Prozess ist aber nicht der letzte. Am Ausgang des Prozesses (Sinowjew, Kamenew usw.) vom Januar 1935 schrieb ich: da das Amalgam insbesondere in Bezug auf mich ein klägliches Fiasko erlitten hat, wird Stalin unweigerlich danach trachten müssen, einen neuen, besser vorbereiteten Prozess zu inszenieren. Diese Prognose muss in erweitertem Sinne auch auf den letzten Prozess angewendet werden. Man hat 16 Leute erschossen, um nur die Worte „trotzkistisch" und „terroristisch" zu identifizieren. Das war der ganze Sinn des Prozesses. Jetzt wird man neue und neue geheime Gerichte ins Leben rufen, wo man jeden, den man als „Trotzkist" abstempelt, sogleich als Terrorist erschießen kann. Diese unglückseligen und miserablen 16 Verurteilten, die einen ermüdet, leer, zermürbt, — die jungen Spitzel mit der Hoffnung, eine Karriere zu machen! Stalin hat blutigen Brei aus ihnen gemacht, nur um mich erreichen zu können.

Die Angeklagten haben Stalin aus allen Kräften zu helfen versucht. Alle Aussagen, alle Fäden, alle Denunziationen führten angeblich zu mir. Und je mehr man diese Denunziation liest, desto mehr hat man das Gefühl der Leere. Das öffentliche Gerichtsverfahren war nur möglich durch einen vorheriges Kompromiss zwischen der GPU und den Angeklagten. Aber Stalin hat den Kompromiss abgeschlossen, um es nicht einzuhalten. Er hat die Sache durch die summarische Erschießung geregelt.

Im März 1923, als Lenin für den 12. Parteitag eine entscheidende Attacke gegen Stalin vorbereitete und mir darüber eine Reihe von Briefen und Dokumenten vom Krankenbett aus zuschickte, ließ er mir durch seine Sekretärin Fotijewa sagen: „Gehen Sie aber mit Stalin auf keine Verhandlungen ein, denn er wird einen faulen Kompromiss abschließen und dann betrügen." Diese seine Eigenschaft hat Stalin seither ins Unendliche entwickelt. Auch mit den armseligen Angeklagten des Prozesses hat er „einen faulen Kompromiss" (gegen mich) abgeschlossen und hat dann seine an Händen und Füßen gebundenen Partner betrogen. Und wie!!

Auf der Anklagebank saßen, wie gesagt, nur 16 Mann. Beiläufig sind aber von den Angeklagten, die als Ankläger und Selbstankläger fungierten, noch eine Menge Namen genannt worden. Die gewesene Frau Smirnows, Safonowa, ist aus dem Gefängnis als Zeugin gegen ihren früheren Mann herbeigerufen worden. Sie soll Offizier in der Roten Armee gewesen sein und eine „trotzkistische" Verschwörung unter den roten Offizieren angezettelt haben. Wie Reingold in dem Prozess der 16, so scheint mir Safonowa in dem bevorstehenden Prozess die Rolle des Hauptagenten der GPU zu spielen. Sie wird diese Rolle aber wie Reingold bezahlen müssen, d. h. mit dem eigenen Leben. Merkwürdige Worte finde ich in der Zeugenaussage von Reingold. Er behauptete, die Aufgabe übernommen zu haben, nach der Ergreifung der Macht durch die Verschwörer die Spuren der terroristischen Handlungen zu verwischen. Wie? – „Durch die physische Vernichtung der Funktionäre des Innenkommissariats (GPU), die von der Verbreitung der Terrorakte Kenntnis haben konnten wie auch die faktischen Täter dieser Akte." Mit andern Worten: die unglückseligen Schurken übertragen in Gedanken auf die Angeklagten diejenige blutige Arbeit, die die GPU morgen ganz praktisch mit den Angeklagten selbst ausführen wird.

Noch einen Zug, der ein grauenhaftes Licht auf die bonapartische Clique wirft. Die Kommentare zu dem Gerichtsverfahren schrieb in der „Prawda" Saslawski, der in jeder Zeile meiner und der anderen angebliche Verbindung mit der Gestapo als erwiesen hinstellt. Dieser Saslawski war im Jahre 1917 in der Bankzeitung „Den" (Der Tag) der wütendste Feind der Bolschewiki. Er klagte Lenin, mich und die andern damals an, im Dienste des deutschen Generalstabes zu stehen. In seiner Serie von Artikeln des Jahres 1917 wiederholte Lenin in stereotyper Weise: „Saslawski und andere Schurken " Jetzt verteidigt dieser Schurke Stalins „Bolschewismus" gegen uns als Agenten der Gestapo. Keine theoretische oder poetische Phantasie, auch nicht die eines Marx' oder eines Shakespeare wäre fähig, solche Kombinationen zu erfinden. Das Leben bringt sie aber doch zustande.

Ich hoffe, noch die vollständige Entlarvung dieses einzig dastehenden Verbrechens zu erleben. Auch durch diesen Brief will ich ein wenig dazu beitragen. Das übrige kommt mit der Zeit.

27. VIII. 1936.

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