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Leo Trotzki 19360700 Sollen die österreichischen Arbeiter die „Unabhängigkeit“ Österreichs verteidigen?

Leo Trotzki: Sollen die österreichischen Arbeiter die „Unabhängigkeit“ Österreichs verteidigen?

(Ein Gespräch.)

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Nr. 13 (77), Mitte Juli 1936, S. 4, Nr. 14 (78), Anfang September 1936, S. 4]

A: Glaubst Du nicht auch, dass RS und KP recht haben, wenn sie meinen, dass sich die österreichischen Arbeiter in derselben Zwangslage befinden wie die französischen Arbeiter? Sie müssten ihr Land verteidigen, um nicht von Hitler überrumpelt zu werden ?

B : Wenn die französischen Arbeiter unter der Patronanz der Blum und Cachin «ihr» Land (ist es denn wirklich ihr Land?) verteidigten, würden sie Hitler damit den größten Dienst erweisen, den sie ihm nur erweisen könnten. Sie würden es ihm ermöglichen, den deutschen Arbeitern zu sagen : «Man hat Euch immer vom Klassenkampf erzählt. Der Klassenkampf ist ein Schwindel; der französische Arbeiter verteidigt sein Vaterland, die Stimme des Blutes ist stärker als die marxistische Dogmatik. Ebenso muss der deutsche Arbeiter sein Vaterland verteidigen. Wir stehen in einem heiligen nationalen Kampf.» So würde Hitler sprechen. Und er würde es nicht schwer haben, Glauben zu finden, angesichts der nationalistischen Verseuchung eines beträchtlichen Teiles der deutschen Arbeiterklasse, die durch die frühere Politik der SPD und der KPD nur gefördert wurde. Nein, um die nationalistische Seuche innerhalb der deutschen Arbeiterklasse zu bannen, gibt es nur ein Mittel: den Klassenkampf gegen die eigene Bourgeoisie in jedem Land!

A: Soll denn gar keine Rücksicht genommen werden auf das politische Regime des Landes? Frankreich ist eine Demokratie. Deutschland ein Faschismus. Ist nicht ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ein Kampf zweier unversöhnlicher politischer Regimes?

B: Nein. Er ist ein Kampf zweier Imperialismen. Auch im Weltkrieg haben z.B. die Sozialpatrioten in den Ententeländern, die Longuet und Henderson, vom Kampfe der Demokratie gegen den Militarismus der Habsburger und Hohenzollern, vom Kampf um einen «gerechten» Frieden gesprochen. Den «gerechten» Versailler Frieden kennen wir. Auf der anderen Seite haben die deutschen .Sozialpatrioten. die Wels und Scheidemann vom Kampf «gegen den Zarismus» geschwätzt. Doch hat das diese Herrschaften nicht gehindert, ihre Regierung zu unterstützen, auch als der Zarismus gestürzt und die deutsche Armee gegen die russische Revolution geführt wurde. Sogar dem niederträchtigen Gewaltfrieden von Brest-Litowsk haben sie ihre Stimme nicht verweigert. Alle diese Formeln: «Kampf der Demokratien», «Friedensfreund», «antifaschistische Sammlung» usw. sind nur eine ideologische Hülle. Wenn das faschistische Italien an der Seite Frankreichs zu kämpfen sich entschließen wird, werden diese Herren beginnen, zwischen einem «konstruktiven» und einem «destruktiven» Faschismus zu unterscheiden.

A: Aber bitte, man kann doch nicht die Tatsache übersehen, dass Frankreich ein Verbündeter Sowjetrusslands ist. Wenn der französische Imperialismus geschwächt wird, wird auch Sowjetrussland geschwächt.

B: Scheint Dir wirklich das imperialistische Frankreich ein sicherer, verlässlicher Partner der SU zu sein? Nehmen wir den im Bezug auf diese Frage günstigsten Fall an: den Tag, an dem das nationalsozialistische Deutschland besiegt ist. An diesem Tage spätestens wird sich der französische Imperialismus mit Tod und Teufel und unter Umständen mit dem gerade besiegten bürgerlichen Deutschland gegen die SU verbünden. Eine sichere Hilfe für die SU ist nur der Sieg der Revolution in den kapitalistischen Ländern, welches auch immer ihr Regime und ihre außenpolitische Orientierung sein mag. Die Entfaltung des revolutionären Kampfes wird den Imperialismus schwächen? Selbstverständlich. Gerade darauf kommt es ja an! Eben dadurch wird ja die SU gestärkt.

A: Du hast mich vielleicht nicht ganz verstanden, ich sehe folgende Gefahr : wenn durch die Zuspitzung des revolutionären Kampfes der französische Imperialismus geschwächt, die französische Armee zersetzt wird, so wird dadurch Hitler gestärkt und könnte militärische Siege über ein im Bürgerkrieg befindliches Frankreich erringen, ja, sogar ganz Frankreich einstecken.

B : Würden revolutionäre Kämpfe und Siege gar keine Wirkungen nach außen zeitigen, so verhielte es sich vielleicht so, wie Du es geschildert hast. Doch stehen die Dinge anders. Im Kriege kommt es vor allem auf die Moral der Soldaten an. Um die bürgerliche Moral der Armee zu zersetzen, gibt es kein stärkeres Mittel als das Beispiel des revolutionären Kampfes. Das revolutionäre Beispiel ist in jeder Situation wirksam, in besonders hohem Grade aber in der Kriegssituation. Ist ja im Kriege schon an sich das Risiko, die Revolution zu machen, für die Massen, die hungern und den Tod vor Augen haben, weit geringer, als das, sie nicht zu machen. Dazu kommen noch eine Reihe von neuen Umständen, die die Auslösung des revolutionären Prozesses beschleunigen und im besonderen die Dauer des revolutionären Machtkampfes wesentlich verkürzen. Denken wir nur an das veränderte Bild des modernen Krieges, dessen unmittelbare Schrecken (Luftkrieg!) diesmal auch das Hinterland erfassen. Vergessen wir auch nicht, dass die Massen aus den Erfahrungen des letzten Krieges und der Nachkriegszeit so manches gelernt haben und vor allem, übersehen wir nicht die proletarischen Revolutionäre in der ganzen Welt, die nicht nur was ihre Zahl, sondern auch was ihren Erfahrungsreichtum, ihre politische Reife betrifft, heute einen weitaus bedeutsameren Faktor darstellen als dies im vorigen Weltkriege der Fall war. All dies macht es wahrscheinlich, dass die revolutionäre Entwicklung unvergleichlich beschleunigter ablaufen wird als etwa im Jahre 1917 in Russland. Trotzdem dürfen wir es nicht als ausgeschlossen erklären, dass die (noch so kurze) Frist bis zum Siege des proletarischen Aufstandes es Hitler ermöglicht, einen Teil Frankreichs zu besetzen, da es denkbar ist, dass zunächst die Kräfte des Beharrens stärker sind, als die Auswirkungen des revolutionären Kampfes. Aber mit dem revolutionären Siege ist die Möglichkeit rasch wiedergewonnen, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern und darüber hinaus in der Klemme zwischen einem Arbeiterfrankreich und der Sowjetunion den deutschen Kapitalismus zu erdrücken.

A: Ja, ich muss gestehen, das hat manches für sich. Aber gilt dasselbe für das kleine Österreich, was für das große Frankreich gilt? Besteht nicht die Gefahr, dass Hitler ganz Österreich verschluckt?

B : Politik, insbesondere revolutionäre Politik ist ohne Gefahren undenkbar. «Der ist kein Sozialist» – schreibt Lenin in seinem Brief au die amerikanischen Arbeiter vom 20. August 1918, – «der nicht begreift, dass im Interesse des Sieges über die Bourgeoisie … man vor keinerlei Opfern haltmachen darf und soll, selbst nicht vor dem Opfer eines Landesverlustes oder vor dem Opfer schwerer Niederlagen von Seiten des Imperialismus. Der ist kein Sozialist, der nicht durch Taten seine Opferwilligkeit bewiesen hat, die schwersten Opfer von Seiten «seines» Vaterlandes zu bringen, damit nur die Sache der sozialistischen Revolution tatsächlich vorwärtskomme. «Ihrer» Sache zuliebe, d.h. zur Eroberung der Weltherrschaft schrecken die Imperialisten Englands und Deutschlands nicht davor zurück, eine ganze Reihe von Ländern, von Belgien bis auf Serbien, über Palästina und Mesopotamien vollkommen zu ruinieren und zu strangulieren. Nun, und die Sozialisten? Im Namen der Befreiung der Werktätigen der ganzen Welt vom Joch des Kapitals, im Namen der Erlangung eines allgemeinen ehrenvollen Friedens – sollen sie abwarten, bis sich ein Weg ohne Opfer finden wird; sollen sie fürchten, den Kampf zu beginnen, bis ein leichter Erfolg «gesichert» sein wird; sollen sie die Integrität und Sicherheit «ihres» von der Bourgeoisie geschaffenen «Vaterlandes» über die Interessen der internationalen sozialistischen Revolution stellen? Dreifacher Verachtung seien … jene Lakaien der bürgerlichen Moral preisgegeben, die so denken!»

Wenn es überhaupt einen Weg gibt, sich Hitlers in Österreich zu erwehren, so ist es der, die eigene Bourgeoisie zu schlagen. Die Politik des «kleineren Übels» führt nur zum größten Übel. Um Hitler zu bekommen, gab es keinen sichereren Weg als Brüning zu unterstützen. Dies gilt auch heute für die österreichischen Brünings.

A: Deine Lösung dagegen Ist?

B : … der revolutionäre Zweifrontenkrieg. Die Aufgabe ist, den Kampf gegen Schuschnigg zu verknüpfen mit dem Kampf gegen die Nazis. Man darf den Unabhängigkeitsschwindel nicht mitmachen. Doch sind dies Probleme, über die wir ein anderes Mal diskutieren müssten.

(Fortsetzung.)

A: Du sagtest letzthin, das österreichische Proletariat müsse den Kampf gegen Schuschnigg mit dem Kampf gegen Hitler verknüpfen. Man kann doch nicht übersehen, dass auch RS und KP Schuschnigg stürzen wollen.

B: Gewiss wollen sie es. Aber gleichzeitig stehen sie auf dem Standpunkt der Verteidigung der österreichischen «Unabhängigkeit», d.h. auf dem gleichen Standpunkt wie Schuschnigg. Dadurch verwirren sie die Arbeiter, desorganisieren und lähmen sie den proletarischen Kampf. Ihre Sprache unterscheidet sich immer weniger von der der Regierung. «Österreich» ist der Schlachtruf der Regierung. «Österreich» ist aber auch die Parole der KP. Man lese die «Rote Fahne», (18. Jahrgang Nr. 9) Auslieferung Ende Juni 1936:

«Jawohl, wir bekennen uns zu Österreich. Wir bekennen uns nicht nur, sondern die Arbeiter sind die einzigen, die für Österreich kämpfen. Wir werden Österreich vor Verrat und Katastrophen retten im Kampf gegen die Handvoll Abenteurer und Katastrophenpolitiker der autoritären Regierung, der Heimwehrbanden, der Nazis und der Habsburger.» Die gleiche Sprache führt auch die «Arbeiter-Zeitung», das Organ der RS.

A: Aber wollen nicht RS und KP die Unabhängigkeit Österreichs erst verteidigen, nachdem die Bourgeoisie erst die Demokratie wiederhergestellt hat?

B: Sicher. «Nur ein freies Österreich werden die Arbeiter verteidigen», so lauten ihre ständigen Deklamationen. Die Arbeiterbürokraten möchten dafür, dass sie die Arbeiter der Bourgeoisie ausliefern und sie zu begeistertem Kanonenfutter dressieren, einen Preis bezahlt bekommen.

A: Ist es ihnen nicht aber darum zu tun, die Unabhängigkeit Österreichs zu sichern, um sich Hitlers zu erwehren?

B: Zunächst: die sogenannte Unabhängigkeit Österreichs ist eine Lüge. In Wahrheit ist Österreich ein Vasall des italienischen Imperialismus. Wenn RS und KP sich nach der «Unabhängigkeit» Österreichs die Lungen ausschreien, so kennzeichnet dies nur ihr Bestreben. Österreich vor dem Anschluss zu bewahren und es zum Vasall des mit der SU verbündeten, aber darum nicht minder imperialistischen Blocks Frankreich-Kleine Entente zu machen, ihre Politik geht von der Auffassung aus: Der Hauptfeind der Arbeiter, sowohl der österreichischen wie der russischen, ist Hitler. Es geht vor allem darum. Hitler zu schlagen; aus diesem Grunde sei es notwendig, das Proletariat mit allen «antifaschistischen Kräften», unter welchem schamhaften Namen die «demokratische» Bourgeoisie in Österreich und außerhalb Österreich figuriert, zu verbünden, was natürlich nur möglich ist unter vollkommener Zurückstellung des Klassenkampfes. Auf einer anderen Grundlage ist ja ein Bündnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie nicht denkbar. Doch gerade diese Politik erleichtert, wie wir letzthin zu beweisen bemüht waren, den Sieg der Nazis.

Unser Weg ist ein ganz anderer. Wir gehen von der Auffassung aus, dass der Krieg in einem vielleicht noch höheren Grade als die Krise die Arbeiter vor die Frage des Machtkampfes stellt. Man muss den Krieg ausnutzen, um die proletarische Revolution in allen Ländern zu entfesseln. Das aber ist nur möglich durch schärfste Opposition und Kampf gegen die kriegführende Gewalt. Nur auf diesem Wege kann man im Verlauf des Krieges die unteren Schichten des Kleinbürgertums und entscheidende Teile der Armee um das Proletariat sammeln und die Revolution durchführen. Auch RS und KP sprechen an Sonn- und Feiertagen von der Revolution. Aber in Wahrheit glauben sie nicht an die Revolution, denn sonst würden sie nicht die Hoffnungen der von ihnen beeinflussten Massen auf Teile der Bourgeoisie des eigenen Landes und die Bourgeoisie anderer Länder lenken. Sonst würden sie nicht von der «Friedensfront» sprechen, d.h. von der doch ebenso wie Hitler imperialistischen Front der Bourgeoisie der hitlerfeindlichen Länder, – und die einzige wirkliche Friedensfront: die der internationalen Arbeiterklasse – übersehen. Wenn aus der gegenwärtigen Lage nicht wieder ein Krieg mit dem schließlichen Siege einer imperialistischen Gruppierung hervorgehen soll, sondern die proletarische Revolution in möglichst vielen Ländern, dann muss man die Hoffnungen der Arbeiter nicht auf den Klassenfeind lenken, wie immer er sich auch gibt, sondern auf, ihre eigene Kraft, auf ihre eigene revolutionäre Aktien gegen die eigene Bourgeoisie. Das Proletariat kann die stärkste soziale Kraft der modernen Gesellschaft sein. Was die siegreiche Entfaltung dieser Kraft verhindert, das sind die im Proletariat heute noch einflussreichen Parteien. Die Arbeiterklasse ist geschwächt worden und wird in diesem Schwächezustand erhalten durch seine alten und entarteten Parteien, deren ganze Arbeit darin besteht, ihren Anhängern Unglauben an die proletarische Klassenkraft einzuimpfen. Mit Führern aber, die an die Revolution nicht glauben, kann man die Revolution nicht machen. Daraus ergibt sich die unabweisbare Schlussfolgerung:

Wenn die sozialistische Revolution siegen soll, muss man in jedem Lande mit aller Kraft helfen, eine neue revolutionäre Arbeiterorganisation auszubauen. Dazu ist jeder verpflichtet, der nicht will, dass die Arbeiterklasse wieder eine große historische Gelegenheit versäumt.

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