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Leo Trotzki 19360318 Stalins Erklärungen und Bekenntnisse

Leo Trotzki: Stalins Erklärungen und Bekenntnisse

Die Außenpolitik

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Nr. 8 (72), Mitte April 1936, S. 1]

Was lehrt uns die Erfahrung der Mongolei?

In Stalins Interview mit Roy Howard ist vom praktischen Gesichtspunkt aus gesehen das Wesentlichste die Warnung, dass im Falle eines Angriffs Japans auf die Mongolische Volksrepublik die UdSSR unvermeidlich militärisch eingreifen werde. Ist diese Warnung im Wesen richtig? Wir glauben, ja. Nicht nur, weil es sich um die Beschützung eines schwachen Staates gegen den imperialistischen Räuber handelt; denn wollte sich die UdSSR nur von dieser Erwägung leiten lassen, so hätte sie ununterbrochen mit allen Ländern der Welt Krieg zu führen. Dafür ist die Sowjetunion zu schwach, und in dieser Schwäche – das sei schon hier gesagt – liegt die einzige Rechtfertigung für den «Pazifismus» ihrer Regierung. Die Frage der Mongolei ist vielmehr eine Frage von möglichst vorgerückten strategischen Stützpunkten für Japan zum Krieg gegen die UdSSR. Hier gilt es fest zu entscheiden, hinter welcher Linie es kein Zurück mehr gibt. Vor einigen Jahren trat die Sowjetunion Japan die Ostchinesische Eisenbahn ab, eine ebenfalls höchst wichtige strategische Position. Damals wurde diese Handlung von der Komintern als freiwillige Kundgebung des Pazifismus besungen. In Wirklichkeit war sie durch Schwäche erzwungen. Die Komintern hatte mit der «Volksfront»-Politik die chinesische Revolution von 1925-1927 zugrunde gerichtet. Das löste den Imperialisten die Hände. Durch die Abtretung der ungemein wichtigen strategischen Linie erleichterte die Sowjetregierung Japan die Eroberungen in Nordchina und die heutigen Anschläge auf die Mongolei. Jetzt muss es auch einem Blinden deutlich sein, dass es sich bei der Abtretung dieser Eisenbahnlinie nicht um abstrakten Pazifismus handelte (in diesem Falle wäre es einfach Dummheit und Verrat gewesen), sondern um ein ungünstiges Kräfteverhältnis: die chinesische Revolution war zerschlagen und die Rote Armee und Flotte nicht kampfbereit. Heute hat sich die Lage im militärischen Sinne offensichtlich so sehr zum Besseren gewendet, dass die Sowjetregierung es für möglich halten kann, in der Frage der Mongolei ein kategorisches Veto einzulegen. Man kann die Befestigung der Positionen der UdSSR im Fernen Osten, sowie das kritischere. Verhalten seitens der Sowjetregierung zur Fähigkeit des von Widersprüchen zerrissenen Japans, einen großen und langen Krieg zu führen, nur begrüßen. Man muss bemerken, dass die Sowjetbürokratie den eigenen Werktätigen gegenüber sehr verwegen, vor den imperialistischen Gegner leicht in Panik gerät: der Kleinbürger macht mit dem Proletarier nicht viel Umstände, aber den Großbourgeois fürchtet er.

Die offizielle, von der Komintern weit angepriesene Formel der Außenpolitik der UdSSR lautet: «Wir wollen keinen Fußbreit fremden Bodens, werden aber auch keinen Fußbreit eigenen Bodens hergeben» Allein, hinsichtlich der Mongolei handelt es sich nicht um die Verteidigung des «eigenen Bodens»: die Mongolei ist ein selbständiger Staat. Die Verteidigung der Revolution läuft, wie bereits aus diesem kleinen Beispiel ersichtlich, nicht auf die Verteidigung der Grenzen hinaus. Die wahre Verteidigungsmethode besteht darin, auf der ganzen Welt die Positionen des. Imperialismus zu schwächen und die des Proletariats und der Kolonialvölker zu stärken. Ein ungünstiges Kräfteverhältnis kann im Interesse der Erhaltung der Grundbasis der Revolution dazu nötigen, dem Feind so manchen Fußbreit abzutreten, wie es zur Zeit von Brest-Litowsk, zum Teil auch bei der Ostchinesischen Eisenbahn der Fall war. Hingegen kann ein günstigeres Kräfteverhältnis es dem Arbeiterstaat zur Pflicht machen, der revolutionären Bewegung in den anderen Ländern zur Hilfe zu eilen, nicht nur moralisch, sondern wenn nötig auch mit Hilfe von Waffengewalt: Befreiungskriege sind ein Bestandteil der Befreiungsrevolutionen.

Die Erfahrung mit der Mongolei schlägt somit die Ideologie des konservativen Pazifismus in Scherben, der sich auf die geschichtlichen Grenzen wie auf Gesetzestafeln stützt. Die Grenzen der UdSSR sind nur momentane Schützengräben des Klassenkampfes. Sie haben nicht einmal eine nationale Rechtfertigung. Das ukrainische Volk – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – ist durch die Staatsgrenzen mittendurch gerissen. Bei günstiger Fügung der Umstände wäre die Rote Armee verpflichtet, der von den polnischen Henkern unterdrückten Westukraine zur Hilfe zu eilen. Es Ist nicht schwer sich vorzustellen, welch gigantischen Anstoß die Vereinigung der Arbeiter- und Bauernukraine der revolutionären Bewegung in Polen und In ganz Europa geben würde. Die Grenzen aller Staaten sind nur Fesseln der Produktivkräfte. Aufgabe des Proletariats ist nicht die Erhaltung des Status quo, d h die Grenzen zu verewigen, sondern im Gegenteil sie revolutionär zu beseitigen zugunsten der Schaffung der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa und der ganzen Welt. Damit aber eine solche internationale Politik möglich werde – wenn nicht jetzt, so in Zukunft – muss die Sowjetunion selbst sich von der Herrschaft der konservativen Bürokratie mit ihrer Religion des «Sozialismus in einem Lande» befreien.

Welches ist die Ursache der Kriege?

Auf Howards Frage, welches die Ursache der Kriegsgefahren sei, antwortet Stalin traditionsgemäß: «der Kapitalismus». Zum Beweis beruft er sich auf den vergangenen Krieg, der «aus dem Wunsch entstand, die Welt neu aufzuteilen». Allein, bemerkenswert ist, dass, sobald Stalin von der Vergangenheit zur Gegenwart, von undeutlichen theoretischen Erinnerungen zur realen Politik übergeht, der Kapitalismus sofort verschwindet und an seine Stelle einzelne Böses planende Cliquen treten, die nicht zu verstehen vermögen, was der Welt frommt. Auf die Frage: ist Krieg unvermeidlich? antwortet Stalin: «ich finde, dass die Positionen der Friedensfreunde sich befestigen. Die Friedensfreunde können offen (!) arbeiten, sie stützen sich auf die Macht der öffentlichen Meinung, ihnen stehen Instrumente zur Verfügung wie beispielsweise (!!!) der Völkerbund. Das ist ein Plus für die Friedensfreunde … Was die Friedensfeinde betrifft, so sind sie gezwungen, im Geheimen zu arbeiten. Darin liegt das Minus der Friedensfeinde. Übrigens ist nicht ausgeschlossen, dass sie gerade kraft dessen (?) sich zu einem kriegerischen Abenteuer entschließen können, als zu einem Verzweiflungsakt?»

Die Menschheit ist also nicht in Klassen und nicht in einander feindliche imperialistische Staaten geteilt, sondern in Friedens«freude» und -«feinde», d.h. in Gerechte und Sünder. Ursache der Kriege (wenigstens der zukünftigen, wenn nicht der vergangenen) ist nicht der Kapitalismus, aus dem die Unversöhnlichkeit der Gegensätze entspringt, sondern der böse Wille von «Friedensfeinden», die «im Geheimen arbeiten», während die französischen, englischen, belgischen und anderen Sklavenhalter bei helllichtem Tage arbeiten. Aber gerade weil die Friedensfeinde gleich Geistern der Finsternis im Geheimen arbeiten, können sie sich in einem Verzweiflungsanfall in ein Abenteuer stürzen. Wen verlangt nach dieser philosophischen Suppe? Bestenfalls mag sie für einen pazifistischen Altdamenverein taugen.

Das Abkommen der Sowjets mit Frankreich gibt, wie wir schon seinerzeit sagen konnten, Frankreich ungleich mehr Garantien als den Sowjets. In den Verhandlungen mit Paris bewies Moskau Mangel an Festigkeit, oder einfacher gesagt, Laval hat Stalin betrogen. Die mit der Rheinzone verknüpften Ereignisse bestätigen unbestreitbar, dass Moskau bei realistischerer Beurteilung der Lage von Frankreich weit ernstere Garantien erlangen konnte, soweit Verträge in der gegenwärtigen Periode scharfer Umschwünge der Lage, beständiger Krisen, Brüche und Umgruppierungen überhaupt «Garantien» genannt werden können. Aber wie bereits gesagt, die Sowjetbürokratie legt im Kampf gegen die vorgeschrittenen Arbeiter weit mehr Strenge an den Tag, als in den Verhandlungen mit bürgerlichen Diplomaten.

Wie immer jedoch man den französisch-sowjetrussischen Pakt beurteilt, kein ernster proletarischer Revolutionär stritt oder streitet dem Sowjetstaat das Recht ab, durch zeitweilige Abkommen mit dem französischen oder einem anderen Imperialismus eine zusätzliche Stütze für seine Sicherheit zu suchen. Dazu ist es aber nicht im geringsten erforderlich, schwarz weiß zu nennen und bluttriefende Räuber In «Friedensfreunde» umzutaufen. Man könnte sogar den neuen Verbündeten, die französische Bourgeoisie, zum Vorbild nehmen: beim Abschluss des Vertrages mit den Sowjets behandelt sie diesen Akt ohne alle Lyrik, äußerst nüchtern, ohne Komplimente, ja mit einer ständigen Nuance leichter Drohung gegenüber der Sowjetregierung. Wie kränkend es auch ist, aber man muss die Wahrheit sagen: Laval, Sarraut und Kompanie legen bei der Verteidigung der Interessen des bürgerlichen Staates weit mehr Nachdruck und Würde an den Tag, als Stalin und Litwinow im Dienste des Arbeiterstaates.

Es ist wahrlich schwer. sich eine unheilvollere Dummheit auszudenken als die Einteilung der Welträuber in Friedensfreunde und -feinde! Man konnte allenfalls in einem gewissen Sinne von Freunden und Feinden des Status quo sprechen, aber das ist durchaus nicht ein und dasselbe. Der Status quo ist nicht organisierter «Frieden», sondern organisierte niederträchtige Gewaltherrschaft einer Minderheit über die gewaltige Mehrheit der Menschheit. Der Status quo erhält sich nur aufrecht mit Hilfe beständigen Krieges innerhalb und jenseits der geheiligten Grenzen (England In Indien und Ägypten, Frankreich in Syrien, de La Rocque in Frankreich). Der Unterschied zwischen den beiden, obendrein äußerst wandelbaren Lagern besteht darin, dass die einen Räuber es heute noch für vernünftiger halten, mit der Waffe in der Hand für die Erhaltung der bestehenden Gewalt- und Zwangsgrenzen einzutreten, während die anderen sie lieber sofort durchbrechen möchten. Dieses Verhältnis der Appetite und Pläne ist selber in unaufhörlichem Wandel begriffen. Italien ist für den Status quo in Europa, nicht aber in Afrika: indessen zieht jeder Anschlag auf die Grenzen in Afrika sofort Folgen in Europa nach sich. Hitler beschloss nur deshalb die Rheinzone mit Truppen zu besetzen, weil Mussolini einige zehntausend Abessinier ausrotten konnte. Wohin ist Italien zu zählen: zu den Freunden oder zu den Feinden des Friedens? Dabei schätzt Frankreich die Freundschaft mit Italien weit höher als die mit der Sowjetunion. Gleichzeitig sucht England die Freundschaft Deutschlands.

Die «Friedensfreunde» arbeiten offen (wer hätte das gedacht?) und verfügen über «solche Instrumente wie beispielsweise den Völkerbund». Aber welche anderen «Instrumente» besitzen die Friedensfreunde noch, außer dem Völkerbund? Offenbar die Komintern und das Komitee Amsterdam-PIeyel. Stalin hat diese ergänzenden «Instrumente» nicht genannt, teils weil er ihnen selbst keine große Bedeutung beimisst, teils um nicht unnütz den Gesprächspartner zu schrecken. Doch der Völkerbund, der in den Augen der ganzen Menschheit dahinsiecht, ist für Stalin endgültig zur Schutzwehr des Friedens geworden, Stütze und Hoffnung der Völker.

Um den imperialistischen Antagonismus zwischen Frankreich und Deutschland auszunutzen, bestand und besteht nicht die geringste Notwendigkeit zur Idealisierung der bürgerlichen Verbündeten oder Imperialistenkombination, die sich momentan hinter dem Aushängeschild des Völkerbundes verbirgt. Das Verbrechen liegt nicht in dieser oder jener praktischen Abmachung mit den Imperialisten, sondern darin, dass die Sowjetregierung gemeinsam mit der Komintern auf schändliche Weise die episodischen Verbündeten und ihren Bund beschönigt, die Arbeiter mit Losungen wie Abrüstung und «kollektive Sicherheit» betrügt und somit praktisch zur politischen Agentur der Imperialisten gegenüber den Arbeitermassen wird.

Das von Lenin 1919 ausgearbeitete Programm der bolschewistischen Partei beantwortet all diese Fragen mit bemerkenswerter Klarheit und Einfachheit. Wer aber im Kreml denkt an dieses Dokument? Heute beengt Stalin & Co. sogar das eklektische Programm der Komintern, das Bucharin 192S zusammenstoppelte. Wir halten es darum für nützlich, zu zitieren, was das Programm der bolschewistischen Partei zur Frage des Völkerbundes und der Friedensfreunde sagt. Es lautet da folgendermaßen:

«Das wachsende Andrängen seitens des Proletariats und insbesondere seine Siege in diversen Ländern verstärken den Widerstand der Ausbeuter und haben von deren Seite die Schaffung neuer Formen internationalen Zusammenschlusses der Kapitalisten zur Folge (Völkerbund usw.), die, indem sie im Weltmaßstabe die systematische Ausbeutung aller Völker der Erde organisieren, ihre unmittelbarsten Anstrengungen auf die direkte Unterdrückung der revolutionären Bewegungen des Proletariats in allen Ländern richten.

All dies führt mit Unvermeidlichkeit zur Verknüpfung des Bürgerkrieges innerhalb der einzelnen Staaten mit den revolutionären Kriegen sowohl der sich verteidigenden proletarischen Länder wie der unterdrückten Völker gegen das Joch der imperialistischen Mächte.

Unter diesen Umständen sind die Losungen des Pazifismus, der internationalen Abrüstung unter dem Kapitalismus. Schiedsgerichtsbarkeit usw. nicht nur reaktionäre Utopie, sondern auch direkter Betrug der Werktätigen, bestimmt zur Entwaffnung des Proletariats und zu seiner Ablenkung von der Aufgabe der Entwaffnung der Ausbeutern.»

Ehen dieses verbrecherische Werk verrichten Stalin und die Komintern: sie säen reaktionäre Utopien, täuschen die Werktätigen, entwaffnen das Proletariat.

Die Weltrevolution, ein «komisches Missverständnis»?

Niemand zwang Stalin, Howards Neugier in der Frage der Weltrevolution zu befriedigen. Gab Stalin das Interview als inoffizielles Staatsoberhaupt (und es geht aus seiner Erklärung betreffs dir Mongolei hervor), so hätte er in den Fragen der Weltrevolution den Fragesteller einfach auf Dimitrow verweisen können. Aber nein, Stalin ließ sich auf Erklärungen ein. Auf den ersten Blick erscheint es ganz unverständlich, warum er sich dabei so schwer mit zynischen und, ach, so ganz und gar nicht klugen Auslassungen über die Weltrevolution kompromittierte. Doch es stößt ihn auf diesen schlüpfrigen Weg ein unabweisbares Erfordernis: mit der Vergangenheit Schluss zu machen. – Wie steht es mit den Plänen und Absichten hinsichtlich der Revolution? fragt der Besucher – «Solche Pläne und Absichten haben wir nie (!) gehabt». – Das ist ja doch nur … «die Folge eines Missverständnisses». Howard: «Eines tragischen Missverständnisses?» Stalin: «Nein, eines komischen, oder eher eines tragikomischen». Wie peinlich, diese Zeilen auch nur zu lesen und niederzuschreiben, in solchem Grade sind sie übel angebracht und gemein. Für wen ist diese … Weisheit berechnet? Selbst die pazifistischen Ladies werden sie von sich weisen.

«Welche Gefahr», fragt Stalin, können die umliegenden Staaten in den Ideen der Sowjetmenschen erblicken, wenn diese Staaten wirklich fest im Sattel sitzen? Nun aber, fragen wir, wie wenn sie nicht fest sitzen? Allein, so eben ist es. Gerade weil die Lage der Bourgeoisie wacklig ist, fürchten sie die Sowjetideen, – nicht die Stalins, sondern die, die zur Schaffung des Sowjetstaates führten. Zur Beruhigung der Bourgeoisie führt Stalin ein weiteres Argument an: «Export der Revolution ist Unsinn. Jedes Land wird, wenn es dies wollen wird, selbst seine Revolution vollziehen, wenn es aber nicht will, so wird es keine Revolution geben. So zum Beispiel hat unser Land die Revolution durchführen wollen und auch durchführt…» Und so weiter in demselben selbstzufrieden belehrenden Ton. Von der Theorie des Sozialismus in einem Lande ist Stalin vollständig und endgültig übergegangen zur Theorie der Revolution in einem Lande. Will das «Land» – so wird es sie machen, will es nicht – so nicht. So zum Beispiel «wir» haben gewollt … Doch bevor wir wollten, haben «wir» die Ideen des Marxismus aus den anderen Ländern importiert und uns fremder revolutionärer Erfahrung bedient. «Wir» hatten jahrzehntelang in anderen Ländern unsere Emigration, die den revolutionären Kampf In Russland leitete. Um den Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern und ihre gegenseitige revolutionäre Unterstützung planmäßig und aktiv zu gestalten, organisierten «wir» 1919 die Kommunistische Internationale. «Wir» haben mehr als einmal die Pflicht des Proletariats eines siegreichen Landes verkündet, den aufständischen Völkern, zur Hilfe zu kommen, durch Ratschläge, materielle Mittel, wenn möglich auch mit Waffengewalt. All diese Ideen (sie tragen, beiläufig gesagt, die Namen Marx, Engels, Lenin, Luxemburg, Liebknecht) sind in den Hauptprogrammdokumenten der bolschewistischen Partei und der Komintern niedergelegt. Stalin verlautbart; all das Ist ein Missverständnis. Ein tragisches? Nein, ein komisches. Nicht von ungefähr erklärte Stalin unlängst, das Leben in der Sowjetunion sei «lustig»: Jetzt ist sogar die Kommunistische Internationale aus einer ernsten Person zu einer komischen geworden. Ja, kann es denn auch anders sein, wenn der internationale Charakter der Revolution weiter nichts als «Unsinn» Ist? Stalin würde auf den Interviewer einen viel überzeugenderen Eindruck gemacht haben, wenn er nicht hilflos die Vergangenheit gelästert hätte («Solche Pläne und Absichten haben wir nie gehabt»), sondern offen seine eigene Politik den alten, ins Archiv getanen «Plänen und Absichten» gegenübergestellt hätte. Stalin hätte Howard das von uns oben angeführte Zitat aus dem Programm vorlesen und an dieses Beispiel folgende kurze Rede knüpfen können: «In Lenins Augen war der Völkerbund eine Organisation blutiger Unterdrückung der Werktätigen. Wir aber sehen dann ein Instrument des Friedens. Lenin sprach von der Unvermeidlichkeit revolutionärer Kriege. Wir aber halten den Export der Revolution für Unsinn. Lenin brandmarkte ein Bündnis des Proletariats mit der nationalen Bourgeoisie als Verrat. Wir aber drangen das französische Proletariat aus allen Kräften auf diesen Weg Lenin geißelte die Losung der Abrüstung unter dem Kapitalismus als niederträchtigen Betrug der Werktätigen. Wir aber bauen auf dieser Losung die gesamte Politik. Ihr komisches Missverständnis», so hätte Stalin enden können, «besteht darin, dass Sie uns für die Fortsetzer des Bolschewismus halten. Während wir seine Totengräber sind.»

Eine solche Erklärung würde den letzten Argwohn der Weltbourgeoisie zerstreut und endgültig Stalins Reputation als Staatsmann befestigt haben. Leider wagt er eine so offene Sprache noch nicht zu reden. Die Vergangenheit bindet Ihn, die Traditionen hindern ihn, das Gespenst der Opposition schreckt ihn. Wir eilen Stalin zur Hilfe, Unserem Wahlspruch getreu sprechen wir auch in diesem Fall offen aus was ist.

18. März 1936

Leo Trotzki

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