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Leo Trotzki 19360820 Über Terrorismus

Leo Trotzki: Über Terrorismus

[Nach Das Banner. Organ der Internationalen Kommunisten in der ČSR, Nr. 3/4 (Oktober 1936), S. 14 f.]

Hönefoss, den 20. 8. 36

Werter Genosse,

Man hat uns Bolschewiken sehr viel unseren Terror vorgeworfen. Auf die Sache nochmals einzugehen, scheint mir nicht der richtige Augenblick. Es genügt nur zu erwähnen, dass die terroristische Etappe in der russischen Revolution erst nach der Intervention der Ententemächte beginnt, die mit Geld und Waffen Aufstände gegen die Sowjetmacht organisierten – ebenso wie jetzt Hitler und Mussolini den Aufstand der Francos vorbereitet haben und unterstützen. In diesem Sinne ist der revolutionäre Terror nichts anderes als Anwendung der bewaffneten Kräfte der Massen gegen die bewaffneten Kräfte der Unterdrücker und Ausbeuter

Napoleon hat aus Erfahrung der großen französischen Revolution gut verstanden, dass keine große soziale Umwälzung ohne Bürgerkrieg und somit Massenterror vor sich gehen kann. Eine Revolution kann man aber nicht nach Wunsch heraufbeschwören. Sie bricht – wie Engels sich einmal ausdrückte – wie ein Naturereignis in die menschliche Geschichte ein, und wenn sie einmal da ist, so kann man über ihre Vorteile und Sachteile ebenso wenig räsonieren wie über die Vorteile und Nachteile der Geburtswehen. Eine revolutionäre Partei sucht die Geburtswehen der Revolution zu verkürzen und somit die blutigen Unkosten der Revolution auf ein Mindestmaß herabzudrücken. Wäre in Spanien eine revolutionäre Partei vorhanden, so wäre heute der Sieg des Volkes sicher und er wäre noch dazu mit bedeutend geringeren Opfern bezahlt. In diesem geschichtlichen Sinn kann man den Terror ebensowenig verwerfen, wie man die Geschichte selbst verwerfen kann.

Das Wort Terror wird aber öfters für die Bezeichnung der individuellen politischen Mordtaten gebraucht, was ja etwas ganz anderes ist. In der Geschichte Russlands spielte der individuelle Terror eine große Rolle als politisches Mittel der dünnen Schicht der Intelligenz im Kampfe gegen den Zarismus. Die marxistische Tendenz entwickelte sich immer im direkten Kampfe mit der individuell-terroristischen Methode. Kein Zufall. Die Marxisten suchten sich auf die soziale Entwicklung zu stützen, d.h. auf die beginnende Arbeiterbewegung, während die von der Masse getrennten Intellektuellen „ihre" Revolution künstlich und eigenmächtig durch Bomben herbeiführen wollten. Politisch bin ich seit meinen jüngsten Jahren in der Atmosphäre des Kampfes gegen diese abenteuerlichen terroristischen Illusionen aufgewachsen. In den Jahren 1897 bis 1908 habe ich eine Menge von Artikeln veröffentlicht und eine Menge von Vorträgen gehalten, gegen den individuellen Terrorismus für den revolutionären Massenkampf. Als im Jahre 1911 unter der Wiener Arbeiterschaft terroristische Tendenzen auftauchten, ersuchte mich Friedrich Adler, der jetzige Sekretär der 2. Internationale, einen Artikel über denTerrorismus zu schreiben. Dieser Artikel, den ich auch heute für ganz richtig halte, stellt dem terroristischen Abenteurertum den organisierten Klassenkampf gegenüber. Das Hauptargument lautet folgendermaßen:

Der individuelle Terrorismus ist in unseren Augen besonders unzulässig, weil er die Masse in ihrem eigenen Bewusstsein erniedrigt, weil er sie mit ihrer Ohnmacht versöhnt und ihre Blicke und Hoff­nungen auf den großen Rächer und Befreier richtet."

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Friedrich Adler, der sich im Jahre 1911 mit meinem Artikel ganz einverstanden erklärte, 5 Jahre später wahrend des Krieges einen terroristischen Akt gegen den österreichischen Ministerpräsidenten Stürghk verübte. Obwohl alle meine Sympathien auf Seiten Friedrich Adlers waren, habe ich seiner individuellen Tat, die eher eine Verzweiflungstat war, die Methode Karl Liebknechts gegenübergestellt, der während des Krieges auf einem öffentlichen Platz in Berlin aufgetreten ist und einen Aufruf gegen den Krieg verteilt hat. Unsere Methode ist die von Karl Liebknecht, nicht die von Friedrich Adler.

Auch heute sehe ich nicht den geringsten Grund, diese Einstellung zum Terror zu ändern. Wenn wir im Kampfe gegen den Zarismus die Ermordung einzelner Minister und Generäle oder des Zaren selbst (beileibe nicht aus Sympathie für diese) zugunsten des Massenaufstandes gegen den Zarismus verwarfen, so wird kein ernster Mensch glauben wollen, dass wir jetzt die Methode gegen die Sowjetbürokratie empfehlen oder verwenden. Die Sowjetbürokratie, die man auch als Sowjetaristokratie bezeichnen kann, ist sicherlich zur größten sozialen Gefahr für die Entwicklung des Landes geworden. Sie kann aber nur von der bewussten Vorhut der Arbeiterklasse im politischen Massenkampf abgelöst werden. Den einen der anderen Bürokraten töten, heißt an der allgemeinen sozialen und politischen Struktur des Landes nichts ändern. Kirow, der dem Attentat eines jungen Bürokraten Nikolajew zum Opfer fiel, ist sogleich durch einen anderen Bürokraten Schdanow ersetzt worden. Es gibt hunderte und tausende Aspiranten, die stets bereit sind, die Lücken zu füllen. Die Moskauer Presse spricht jedenfalls von der angeblichen Vorbereitung eines Attentats auf Stalin. Aber auch Stalin ist nur ein primus inter pares (Erster unter Gleichen). Die Herren Führer erscheinen sich öfters selbst als die Schöpfer der Geschichte und als unersetzliche Beglücker der Menschheit. In Wirklichkeit ist Stalin nur ein Exponent der herrschenden Kaste. Ihre Stärke macht ihn stark, ihre Klugheit macht ihn klug, oder vielleicht richtiger, ihre Schlauheit macht ihn schlau. Die Beseitigung Stalins würde nicht viel ändern, Molotow oder ein anderer würde dieselbe Funktion, wenn die Massen passiv und atomisiert bleiben, mit ungefähr demselben Erfolg erfüllen.

Ein einzelner Bürokrat fürchtet den Terror. Die Bürokratie als Kaste beutet jeden terroristischen Akt zu ihren Gunsten aus. Am klarsten und schrecklichsten sehen wir dies gerade in der Sowjetunion. Die herrschende Clique hat aus Anlass des Kirowmordes Hunderte füsiliert und viele Zehntausende in die Gefängnisse, die Verbannung und die Konzentrationslager gebracht. Der Kampf gegen den Terrorismus dient der Bürokratie zum Deckmantel für die Erdrosselung jeder oppositionellen Regung, jedes kritischen Gedankens in Lande und insbesondere in der herrschenden Partei selbst. Unter diesen Verhältnissen würde die Anwendung des Terrorismus für jede Partei die grauenhafteste Art des politischen und physischen Selbstmordes bedeuten. Wenn die Moskauer Machthaber mir solche Methoden unterschieben wollen, so beweist das nur, wie tief das politische Niveau in der Sowjetunion gesunken ist. Die unerhörte Grobheit dieser Fälschung ist in erster Linie ein Abbild der herrschenden Schicht selbst. Es ist deshalb höchst bezeichnend, mit welcher Beharrung sich die Bürokratie an den Kirowmord immer und wieder klammert. Die Tatsache beweist einerseits, dass die Attentate wenigstens gegen die Spitzen eine seltene Ausnahme darstellen, andererseits aber, dass die Bürokratie dieser Attentate bedarf, um ihre Selbstherrschaft zu rechtfertigen und zu stärken. Dieses Bedürfnis erklärt die sonderbare Tatsache, dass man nach jähriger Unterbrechung denselben gerichtlichen Prozess in einer „verbesserten Aufmachung" nochmals vom Stapel lässt, was z.B. Hitler mit den Reichstagsbrandprozess nicht gewagt hat.

L. T.

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