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Leo Trotzki 19360820 Wer ist W. Olberg, der Hauptzeuge im Moskauer Prozess?

Leo Trotzki: Wer ist W. Olberg, der Hauptzeuge im Moskauer Prozess?

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 4, Sonderausgabe, Ende August 1936, S. 1]

Der Anklageschrift zufolge hat Valentin Olberg erklärt, er sei auf Anweisung Trotzkis in die Sowjetunion gekommen, zum Zweck, dort eine konterrevolutionäre Aktivität zu entfallen und im besonderen einen Mordanschlag auf Stalin zu verüben. Ein Mensch mit einem so außergewöhnlichen Auftrag muss nicht nur Trotzki gut bekannt gewesen sein, sondern auch dessen höchstes Vertrauen genießen, – rechnet man für einen Augenblick mit der Hypothese, dass Trotzki auf der Suche nach Leuten für Terroranschläge gewesen sei. Allein, aus Olbergs eigener Aussage geht hervor, dass er Trotzki nie begegnete! Und nicht, weil er nicht gewollt hätte. Durch einen glücklichen Zufall fand ich heute in einem Stoß alter Papiere zwei W. Olberg betreffende Briefe, und sie riefen mir eine damals gänzlich belanglose Episode ins Gedächtnis, die aber heute von großer politischer Bedeutung ist.

Zu Beginn des Jahres 1930 war ich auf der Suche nach einem russisch verstehenden Sekretär. Meinem deutschen Freunde, Franz Pfemfert (ein wohlbekannter radikaler Verleger) und seiner Frau (die Übersetzerin meiner Autobiographie und der Geschichte der russischen Revolution) wurde von einem Letten, W. Olberg, der Vorschlag gemacht, als mein Sekretär nach Prinkipo zu kommen. Die Pfemferts luden Olberg zu sich ein, um festzustellen, was für ein Mensch er sei. Am 1. April 1930 schrieb Franz Pfemfert mir: «Olberg macht einen höchst unvorteilhaften und wenig vertrauenerweckenden Eindruck.» Der Brief erklärt, dass Olberg, vormals Stalinist, angeblich über Nacht seine Ansichten zugunsten der Opposition geändert habe und sofort gewisse, sehr indiskrete Fragen über die russische Opposition, Trotzki, seine Lebensverhältnisse u.s.w. stellte. «Wir dürfen», fuhr Pfempfert fort, «die Stalinclique nicht unterschätzen. Sie werden vor nichts zurückschrecken, um unsere Reihen mit Spitzeln zu durchsetzen … Möglicherweise ist Olberg nur ein Journalist und kein direkter Agent Stalins. Aber er ist … ein hysterischer, arroganter und taktloser Kerl… Ihr Haus ist kein Platz für Olberg, denn innerhalb von 24 Stunden wird er Ihnen eine unausstehliche Last sein. Möglicherweise, nein sicherlich auch für die Zukunft. Er wird seinen Besuch für seine «Schriftstellerei», wenn nicht für Berichte an die GPU benutzen.»

Ein Brief von Frau Pfemfert vom 2. April 1938 lautet: «Als wir hörten, es bestehe die Möglichkeit, dass Olberg Sie besucht, waren wir ganz entsetzt.» Dieser Brief charakterisiert Olberg als einen degenerierten und korrumpierten Menschen.

Nach solchen «Empfehlungen» war von einer Einstellung Olbergs als mein Sekretär nicht mehr die Rede. Er verschwand völlig aus meinem Gesichtskreis. Jetzt behauptet dieser Mann, oder genauer: lassen ihn seine Auftraggeber behaupten, ich halte ihn in die Sowjet-Union geschickt, um Stalin zu ermorden.

Ich wiederhole, ich bin Olberg nie begegnet und er selbst wagt nicht, das Gegenteil zu behaupten. Das einzige, was ich von ihm weiß, weiß ich aus den obengenannten Briefen der Freunde, die mein völliges Vertrauen besitzen. Die Tatsache, dass die GPU keinen besseren Zeugen gegen mich finden kann, wirft ein helles Licht auf den ganzen Prozess. Ich zweifle nicht, dass die anderen Zeugen von derselben Art sind. Ich hoffe, dass es mir in den nächsten Tagen möglich Ist, dies zu beweisen.

20. August 1930. 18 Uhr 30

Leo Trotzki

P.S. - Herr Franz Pfemfert ist jetzt nach Karlsbad, Tschechoslowakei emigriert und arbeitet als Fotograf. Er wird obiges gewiss bestätigen. – L. Trotzki.

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