Leo Trotzki‎ > ‎1937‎ > ‎

Leo Trotzki 19370429 Der Danziger Trotzkistenprozess

Leo Trotzki: Der Danziger Trotzkistenprozess

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der IKD, Jahrgang 5, Nr. 4 (84, Ende November 1933), S. 1 f.]

Zwölf Tage bevor in Moskau die angeblichen «Trotzkisten» Pjatakow, Radek u. a. gerichtet wurden, richteten in Danzig die Faschisten wirkliche Trotzkisten: Dr. Jakubowski und neun seiner Gesinnungsgenossen. Der grandiose Moskauer Prozess, der die ganze Welt aufregte, lenkte natürlich die Aufmerksamkeit von dem Danziger Prozess ab. Die große Weltpresse sprach so gut wie gar nicht von dem Strafgericht der Gestapo über die Danziger Revolutionäre. Doch verdient der Danziger Prozess Aufmerksamkeit sowohl an sich, als auch deswegen, weil er den Moskauer Prozess beleuchtet, richtiger: ihn ganz und gar durchleuchtet.

Erst in den letzten Tagen erhielt ich von Freunden die Nummer der faschistischen Zeitung «Der Danziger Vorposten“ mit dem Bericht über die Gerichtsverhandlung sowie die illegalen Publikationen der Danziger Organisation der Trotzkisten, nämlich ihre Zeitung «Spartakus“ und einzelne Aufrufe.

«Nach sorgfältiger Beobachtung und Vorbereitung seitens der politischen Polizei», schreibt «Der Danziger Vorposten“ vom 9. Dezember 1936, «war es möglich, vor einigen Tagen die kommunistische Geheimorganisation ,Spartakus' aufzudecken und einen großen Teil ihrer Mitglieder zu verhaften.» Im Ganzen wurden rund 60 Personen festgenommen. Die Verbrecher hatten – mit den Worten der Polizei – versucht, «ihre Organisation zum Sammelbecken aller Feinde des Staates zu machen. Sie verrichteten eine angestrengte Arbeit, gaben Blätter heraus, vertrieben aus dem Ausland eingeführte Geheimliteratur, sammelten Beiträge usw.» «Einer der in der Organisation führenden Personen besuchte sogar in diesem Sommer (1936) in Norwegen Trotzki … Vor der Aushebung der Geheimorganisation wurde – höchstwahrscheinlich über die polnische Post – ein lebhafter Briefwechsel mit Trotzki geführt.»

Bereits in diesen ersten Zeilen vernimmt man bekannte Melodien: die trotzkistische Organisation als «Sammelbecken aller Feinde des Staates» (diesmal des faschistischen), die Reise eines der Leiter zu Trotzki, die an Pjatakows «Flug» nach Oslo erinnert, der lebhafte Briefwechsel der Angeklagten mit Trotzki, von dem sie «Instruktionen» erhielten … Derart ähnlich ist es, als hätte Wyschinski seinen anderthalb Monate später veröffentlichten Anklageakt nach dem Danziger Muster aufgebaut.

Von den 60 Verhafteten wurden dem Gericht nur 10 Mann im Alter von 23 bis 57 Jahren übergeben. Was die Nazis mit den übrigen machten, ist unbekannt. Als Führer der Organisation und Hauptangeklagter wurde der deutsche Staatsangehörige Dr. Franz Jakubowski genannt. Alle übrigen sind Danziger Bürger. «Der Führer der trotzkistischen Bande», heißt es im Prozessbericht, «gibt eine kurze Darstellung seiner revolutionären Arbeit.» In Danzig bedient man sich derselben Terminologie wie in Moskau: die oppositionelle Organisation wird nicht anders denn als «Bande» bezeichnet. Der 25jährige Jakubowski wurde 1930 Marxist, 1932 Kommunist, 1935 Trotzkist. Jakubowski stand in enger Beziehung zu einem anderen jungen Marxisten, Dr. Siegfried Kissin, der dem Anklageakt zufolge auch die Person ist, die Trotzki in Oslo besuchte.

In ihren Aufrufen und in der Zeitung haben die Danziger Trotzkisten laut Anklage «alles Deutsche in den Schmutz getreten und dagegen die Sowjetunion verherrlicht». Bei der Verhaftung fand man bei Dr. Jakubowski «nicht nur gedruckte Materialien, sondern auch amerikanische Dollar und englische Pfund». Auch in diesem Teil erscheinen die Anklagen der Gestapo wie ein kleines Modell der Anklagen der GPU. Der Unterschied ist bloß der, dass die Moskauer «Trotzkisten» alles Sowjetische in den Schmutz traten und den Faschismus anbeteten; die Danziger machten es umgekehrt. Während Pjatakow Reichsmark von deutschen Firmen erhielt, wurden bei Jakubowski Dollar und Pfunde gefunden.

Der «Vorposten“ vom 12. Januar bringt eine photographische Aufnahme aus dem Gericht während der Rede des Staatsanwalts, der nicht Wyschinski, sondern Hoffmann hieß. Der Saal strotzte von Publikum, wie die Zeitung schreibt. Den Angeklagten wird zur Last gelegt: Staatsverleumdung, Verletzung der öffentlichen Ruhe, Verbreitung falscher Nachrichten, Vergehen gegen die Pressegesetze, schließlich unerlaubter Waffenbesitz. Wenn die Danziger Trotzkisten «die Sowjetunion verherrlichten», so machten sie jedenfalls eine Ausnahme in Bezug auf die Stalinsche Rechtsprechung. So wird es Jakubowski besonders angekreidet, dass er in einem Artikel «den Moskauer Schauprozess mit dem Reichstagsbrandstifterprozess verglich». Der Staatsanwalt (Hoffmann, nicht Wyschinski) entrüstet sich über diese «sonderbare Gegenüberstellung». Die Reden der Angeklagten werden nicht angeführt – sie bereuten nicht und rühmten Hitler nicht, sondern legten ihre revolutionären Anschauungen dar.

Die zehn Angeklagten, darunter zwei Frauen, erhielten insgesamt 13 Jahre Gefängnis, wobei auf Jakubowski, gegen den der Staatsanwalt 5 Jahre Zwangsarbeit beantragt hatte, 3 Jahre und 3 Monate Gefängnis entfielen. Im Gerichtsurteil heißt es unter anderem: «Der Verband der Trotzkisten muss als kommunistische Organisation betrachtet werden; allerdings bestehen zwischen den Trotzkisten und den übrigen Kommunisten Unterschiede, diese betreffen jedoch nicht die Weltanschauung, sondern nur Fragen der Parteitaktik». Im Schlusswort drückte der Gerichtsvorsitzende sein Bedauern aus, dass der Hauptschuldige, Dr. Kissin, sich in Kopenhagen befinde und nicht auf der Anklagebank. Die Danziger Regierung war natürlich so vernünftig, von einem Auslieferungsantrag betreffs Kissin abzusehen.

Von großem Interesse sind die Publikationen des «Spartakusbundes“, die die politische Physiognomie der Organisation vollständig umreißen. Wir hörten von der Gestapo, dass die Verschwörer zwecks Übersendung der Materialien, in denen «alles Deutsche» beschimpft wurde, sich der polnischen Post bedienten. Indes ein Aufruf anlässlich der spanischen Ereignisse beginnt mit den Worten: «Die deutsche und die polnische faschistische Regierung verkündeten heuchlerisch ihre Neutralität im spanischen Bürgerkrieg. In Wirklichkeit sind sie ständige Waffenlieferanten für die spanischen Faschisten.»

Das Flugblatt, das die Hafenarbeiter aufrief, mit allen Kräften weiteren Waffenversand zu verhindern, ist unterschrieben: «Internationalisten-Kommunisten Deutschlands. Danziger Gruppe (Trotzkisten)“. Somit betrachtet sich der «Spartakusbund“ als Teil der deutschen Organisation der Trotzkisten, derselben, die laut Wyschinski bereits 1932 mit der Gestapo ein Bündnis schloss – das Bündnis der Trotzkisten mit der Gestapo ging bekanntlich der Entstehung dieser Gestapo voraus!

Der Aufruf, der dem Zusammenbruch der alten Arbeiterparteien gewidmet war, lautet: «Durch ihre Politik haben sie selbst ihr Schicksal vorbereitet. Solange wie möglich flößten sie ihren Anhängern Illusionen ein und hielten diese vom Kampf gegen die Nazis ab.» Die Führer des «Spartakusbundes“ säen keine Illusionen. «Wir wissen», schreiben sie, «dass der Faschismus nicht leicht zu beseitigen ist; schwere und gefährliche, lange und zähe Arbeit ist notwendig, um seinen Fall vorzubereiten … Helft uns beim Aufbau der neuen Kommunistischen Partei, die dem Proletariat eine revolutionäre Führung geben wird. Helft uns beim Aufbau der Vierten Internationale, die die Weltrevolution zum Siege führen wird.»

Die Danziger Faschisten geben die Losung heraus: «Danzig muss zur antibolschewistischen Festung im deutschen Osten werden.» Nach Wyschinski müssten die Trotzkisten einen Teil der Garnison dieser Festung bilden. Aber sie wollen sich absolut nicht in dieses Schema einfügen. «Keine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie», schreiben sie in ihrem Blatt, «sondern Niederringung des Faschismus mit der Waffe des Proletariats, das ist die Aufgabe der Danziger Antifaschisten. Die Organisierung der Arbeiter in den Betrieben, Stempelstellen und Arbeitsdienstlagern zwecks Widerstand und aktivem Kampf gegen den Nationalsozialismus, das ist das einzige Mittel, den Faschismus zu stürzen.»

Wie verhalten sich die Danziger Trotzkisten zur Verteidigung der UdSSR? «Hitler bietet sich als Oberwrangel an», schreibt das Organ des Spartakusbundes, «für den imperialistischen Kreuzzug gegen die Sowjetunion … Stalin und seine Bürokratie stellen die größte Gefahr für die Existenz der Sowjetmacht dar. In der Innenpolitik vertauschten sie die Herrschaft des Proletariats mit der Herrschaft der Bürokratie; in der Außenpolitik zogen sie ein Bündnis mit der Bourgeoisie der Unterstützung des Proletariats vor. Aber noch ist es ihnen nicht gelungen, die wichtigsten sozialen Eroberungen der Oktoberrevolution zu vernichten; das Privateigentum an den Produktionsmitteln bleibt in Russland nach wie vor vernichtet. Die Verteidigung Sowjetrusslands bleibt darum unbedingte Pflicht des Proletariats». Vergessen wir nicht, dass dies auf Hitlers Territorium geschrieben wurde!

Im August 1936, einige Tage vor dem Sinowjew-Kamenew-Prozess, wandte sich die Danziger Gruppe der Stalinisten an den Spartakusbund mit einem Einheitsfrontvorschlag. Doch kaum hatten die Verhandlungen begonnen, als der Moskauer Prozess dazwischen platze. Am nächsten Tage schrieben die Danziger Stalinisten: «Die Verbindung mit der Gestapo überrascht uns nicht: ist doch die trotzkistische Filiale in Danzig schon längst ein Spionage- und Provokationszentrum der Danziger Gestapo». Im kleinen Maßstab sehen wir hier ein Muster der Sittenverderbnis, die die GPU in die Reihen der Arbeiterklasse der ganzen Welt trägt. «Wenn wir mit der Gestapo in Verbindung ständen», antworteten verächtlich die Danziger Trotzkisten, «dann säßt ihr schon lange im Gefängnis, denn ihr habt doch selbst mit uns Verhandlungen geführt». In Wirklichkeit saßen bald darauf die Mitglieder des Spartakusbunds im Gefängnis!

Die ähnlichen Züge des Danziger und des Moskauer Prozesses sollen uns jedoch nicht die Augen vor dem Hauptunterschied verschließen: die Danziger Anklage bestand im Grunde zu Recht; die Moskauer war von Anfang bis Ende falsch. In Danzig wurden unanfechtbare Beweisstücke vorgelegt, die bei den Verhaftungen beschlagnahmt worden waren. Keine revolutionäre Organisation kann leben und handeln ohne Programm und Presse. Mit ihrem bescheidenen Hektografen erhielten die Danziger Trotzkisten die Verbindung zwischen sich und den Massen aufrecht. Sie verleugneten vor Gericht weder ihre Ideen noch ihre Publikationen. Sie bekannten ihre Solidarität mit mir, sowohl in ihrer Presse wie vor Gericht. Von irgendwelchen «Reueerklärungen» sagt der Bericht nicht ein Wort. Auf der Angeklagtenbank in Danzig saßen meine wirklichen Gesinnungsgenossen, und nicht Feinde, die auf Befehl der Polizei die Maske von Freunden trugen.

Im Prozess war von Kissins Reise nach Oslo die Rede. Wir erinnerten dabei an Pjatakows «Flug». Die Sache ist aber die, dass Kissin mich wirklich im Juli 1936 besucht hat, auf dem Wege von Danzig nach Dänemark. Von diesem Besuch machte damals schon die norwegische Presse Mitteilung: die Bedingungen meines Lebens schlossen die Möglichkeit geheimer Besuche aus.

Eine Erfindung ist allerdings die Behauptung, ich hätte nach Danzig «Instruktionen» geschickt: von der Danziger Gruppe erfuhr ich durch Kissin erst einige Tage vor meiner Internierung, und stand mit ihr in keinerlei Briefwechsel. Doch am Wesen der Sache ändert das nichts. Uns verband enge ideologische Solidarität. Wie die Publikationen des Spartakusbunds beweisen, fanden sich die jungen Führer auch ohne meine «Instruktionen» in politischen Fragen gut zurecht.

Der faschistische Staatsanwalt warf den Danziger Trotzkisten nicht Terror, Sabotage und Spionage vor und forderte auch nicht ihre Köpfe. Das erklärt sich daraus, dass das. totalitäre Regime in Danzig noch jung ist, und dass die öffentliche Meinung der Regierungspartei selbst nicht auf solche Maßnahmen vorbereitet ist. Stalin tritt hier als Schulmeister des Faschismus auf. Die GPU erteilt der Gestapo Lehren. Wenn Hitlers Lage noch schwieriger wird, dann werden die deutschen Wyschinskis den revolutionären Arbeitern die Köpfe auch unter Anschuldigung des Terrors, der Sabotage und Spionage abhacken. Die Saat der Moskauer Schwindelprozesse wird, daran kann man nicht zweifeln, nicht auf Stein gefallen sein. Aber auch die Saat des Spartakusbundes wird eines Tages revolutionäre Früchte tragen.

L. TROTZKI.

Kommentare