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Leo Trotzki 19370905 Heuchelei unter der Maske der Unparteilichkeit

Leo Trotzki: Heuchelei unter der Maske der Unparteilichkeit

Nochmals über Fenner Brockway

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der IKD, 5. Jahrgang 1937, Nr. 4, Mitte November 1937 (Nr. 85), S. 4]

Das Londoner „Büro Revolutionär-Sozialistischer Parteien“ wurde ebenso wie die 2. und die 3. Internationale aufgefordert, an der Internationalen Untersuchungskommission betreffend die Moskauer Prozesse teilzunehmen. Am 21. Mai antwortete Fenner Brockway im Namen des Büros ablehnend. Wir zitieren die betreffende Stelle seiner Antwort wörtlich.

Das Internationale Büro kann der amerikanischen Untersuchungskommission keine Unterstützung zuteil werden lassen oder darin vertreten sein, denn es ist der Ansicht, dass ein verhängnisvoller Fehler begangen wurde, als ein Komitee die Initiative zur Untersuchung übernahm, das sich selbst als ,Komitee zur Verteidigung Trotzkis' bezeichnet".

Anscheinend also ist das Londoner Büro lebhaft am Erfolg der Untersuchung interessiert, und wenn es ablehnt, in dieser Sache zu helfen, so nur weil sie von einem „Verteidigungs“-Komitee ausgeht. Mister Brockway. unterlässt es jedoch anzugeben, wer denn die Initiative zur Untersuchung ergreifen sollte: der neue Meister der GPU, Jeschow?, der Kominternsekretär Dimitrow?, Kronrat Pritt?, der Sekretär des Londoner Büros, Fenner Brockway? oder schließlich der Bischof von Canterbury? Der „unparteiischste" all dieser aufgezählten Kandidaten ist. sollte man meinen. Brockway selbst. Jedoch gerade er hat, wie aus seinem Februarbrief an den amerikanischen Sozialisten Allen ersichtlich ist. nicht nur nichts getan, um die Initiative zur Untersuchung zu übernehmen, sondern sich auch aus allen Kräften bemüht, die Initiative der anderen zu hemmen, wobei er nicht auf die Interessen der Unparteilichkeit, sondern auf die Interessen der Moskauer Bürokratie hinwies. An Allen schrieb Fenner Brockway folgendes: eine Untersuchung kann „Russland und den kommunistischen Kreisen schaden“. Ist das nicht erstaunlich? In dem nicht zur Veröffentlichung bestimmten Brief trat Brockway unvorsichtigerwelse als Mitglied eines „Komitees zur Verteidigung“ Stalins, Dimitrows, Wyschinskis und Jagodas auf. Ich wies schon damals in der Presse darauf hin.

Brockway hat nicht ein Wort erwidert. Es vergingen einige Monate. Im Brief vom 28. Mai tritt Brockway wieder gegen die Untersuchung auf, aber bereits mit einer ganz anderen Argumentation. Im Wesen aber bleibt er auch jetzt ein Mitglied des heimlichen „Komitees zur Verteidigung" der Fälscher gegen ihre Opfer.

Der Verdacht, den Brockway im Namen des Londoner Büros auf die Untersuchung zu werfen versucht, ermangelt jeglicher juridischen oder moralischen Begründung. Das New Yorker Komitee ist nur der Initiator der Sache, wobei das Wesen seiner Initiative eben darin bestand, unter Mitwirkung anderer Organisationen eine objektive und lautere Untersuchung durch eine besondere, von den Initiatoren ganz unabhängige Internationale Kommission zu gewährleisten.

Die Zusammensetzung des New Yorker Komitees ist nicht gleichförmig. Es gehören ihm Personen an die von Anfang an die Absurdität und Niedertracht der Moskauer Anschuldigungen begriffen hatten. Andere Mitglieder hatten diesbezüglich keine fertige Meinung, aber waren beunruhigt oder empört über den „totalitären" Charakter der Moskauer Rechtsprechung und über die Tatsache, dass die norwegischen „sozialistischen“ Lakaien der GPU mich just in dem Augenblick hinter Schloss und Riegel sperrten, als mir Freiheit zur Verteidigung nicht nur meiner selbst, sondern auch hunderter anderer am meisten nötig war. Schließlich, wenn das New Yorker Komitee aus Heuchlern bestanden hätte, hätte es sich Komitee zur „Verteidigung der ewigen Grundlagen der Moral“ nennen können. Doch es zog vor, offen zu handeln. Unter „Verteidigung Trotzkis" verstand und versteht das Komitee nicht die Deckung eines Bündnisses Trotzkis mit Hitler, sondern eine Chance für Trotzki. öffentlich die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu widerlegen. Nur! Und das genügt vollauf.

Die Komiteemitglieder begriffen von vorneherein nicht schlechter als Fenner Brockway. dass das Urteil der Internationalen Kommission nur in dem Falle Autorität besitzen würde, wenn die Untersuchungskommission mit allen erforderlichen Garantien der Vollständigkeit und der Objektivität umgeben werde, insbesondere durch die Teilnahme von Vertretern der verschiedensten Richtungen des politischen Denkens an der Kommission. Das Komitee begann. Das Komitee begann mit einer orientierenden Einladung an die Vertreter der Moskauer Regierung, der Komintern, der „Freunde der Sowjetunion“, der 2. Internationale, des Londoner Büros usw. Es handelte sich selbstredend nicht um eine politische oder moralische Beurteilung des Stalinismus, des Trotzkismus, des Bolschewismus oder des Marxismus: keine einzige politische Richtung wird darauf eingehen Gegenstand der Beurteilung durch eine zwischenparteiliche Kommission zu werden, und keine vernünftige Kommission wird eine solche Aufgabe, der sie nicht gewachsen wäre, übernehmen. Die Bewertung der politischen Richtungen erfolgt durch die Massen im politischen Kampf. Das endgültige Urteil wird die Geschichte fällen. Die Aufgabe einer Untersuchung durch eine Internationale Kommission bestand und besteht lediglich in der Überprüfung bestimmter juristischer Anklagen gegen bestimmte Personen. Die politische Schlussfolgerung aus dem Urteil der Kommission wird von jeder Richtung auf ihre Weise gezogen werden Umso gebieterischer war es für jede an der Ermittlung der Wahrheit interessierte Organisation an der Untersuchung teilzunehmen. Allein, die direkten und indirekten Agenten und „Freunde“ der GPU und die Freunde dieser Freunde lehnten glattweg ab; die einen wiesen im Geiste des ersten Briefes Fenner Brockways auf die Unzulänglichkeit hin, Stalin und seiner Komintern Schaden zuzufügen; die anderen aber fanden im Stil des zweiten Briefes Fenner Brockways die künftige Kommission nicht unparteiisch genug. Die einen wie die anderen fürchten mit vollem Recht die Untersuchung. Und das Londoner Büro deckte ihnen den Rücken.

Um noch deutlicher die unwürdige Rolle dieses Büros aufzuzeigen, geben wir noch ein anderes, frischeres Beispiel. Die Gangster der GPU ermordeten in Spanien Andreas Nin, den Führer der POUM. Nin war mein Gegner. Fenner Brockway hingegen betrachtete Nin als seinen Gesinnungsgenossen. Hätten das Londoner Büro und andere „unparteiische“ Pontius Pilatuse eine Untersuchung der Moskauer Fälschungen sofort nach dem Sinowjew-Kamenew-Prozess unternommen, die GPU hätte es vielleicht nicht gewagt, die wissentlich falsche Beschuldigung in Umlauf zu setzen, dass der Führer der POUM mit General Franco zusammenwirke. Doch das wurde nicht getan. Die „Unparteiischen“ schützten die GPU. Das Ergebnis ist, dass Nin und Dutzende, Hunderte anderer ermordet wurden. Die POUM ist zerschlagen. Das Versäumte ist nicht nachzuholen. Aber sind etwa all die Herren Brockway nicht der Meinung, dass jetzt die Stunde für eine internationale Untersuchung der Verbrechen der GPU in Spanien: Fälschungen, Gewalttaten und Morde, geschlagen hat? Oder erwarten sie vielleicht die Initiative zur Untersuchung von den sterilisierten Priestern der Unparteilichkeit? Möge mir Brockway ihre Adresse und Telefonnummer angeben, ich werde mich sofort an sie wenden. Wenn sie aber, wie ich vermute, in Natur gar nicht existieren, so möge das Londoner Büro selbst die Initiative zur Untersuchung ergreifen. Möge es sich wie das New Yorker Komitee, an alle bestehenden Arbeiterinternationalen und einzelnen hervorragenden Wissenschaftler, Literaten und und Künstler wenden, die für ihre Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit bekannt sind. Wenn jemand sagen sollte, dass Fenner Brockway einen „verhängnisvollen Fehler“ machte, indem er die Initiative der Untersuchung übernahm, statt die Siehe Stalin oder Ncgrin zu überlassen, dann wird jeder vernünftige und ehrliche Mensch einen solchen Anklägern einen unverschämten Heuchler nennen.

Zum Schluss halte ich es für notwendig, noch an einen nicht unwichtigen Umstand zu erinnern. In dem Brief vom Februar, in dem F. Brockway seine rührende Sorge um Stalins. Jagodas und Dimitrows Belange äußerte, schlug er auch vor, eine Internationale Kommission zur Untersuchung … meiner politischen Wirksamkeit zu schaffen, wobei er mit einer sonderbaren „Voreiligkeit" beabsichtigte, in diese Kommission Norman Thomas, Otto Bauer, Branting und andere geschworene politische Gegner von mir aufzunehmen. Schon der Gedanke einer „offiziellen" Beurteilung der politischen Tätigkeit einer Person oder Partei durch … eine Untersuchungskommission ist eine derartige Absurdität, von der man nur auf den Seiten eines Provinzwitzblattes reden konnte. Das müsste natürlich auch Fenner Brockway sehr wohl wissen. Aber er versuchte, die blutigen Moskauer Amalgame, dazu auszunutzen, um dem ihm verhassten Bolschewismus ( „Trotzkismus") einen Stoß zu versetzen, wobei er seinem Fraktionskampf den Mantel einer unparteiischen „Untersuchung“ umzuhängen suchte: Moralspezialisten fischen bekanntlich gern im Trüben.

Wir „amoralischen" Bolschewiki gehen anders vor. Nins Politik kritisierten wir offen zu seinen Lebzeiten. Wir haben unser Urteil nach seinem Tod nicht geändert. Aber da wir keine Minute lang an der Unbestechlichkeit dieses proletarischen Kämpfers zweifelten, sind wir bereit, alles zur Rehabilitierung seines Namens und zur unbarmherzigen Brandmarkung seiner Henker zu tun. Wir erklären Fenner Brockway und allen anderen Moralspezialisten im Voraus, dass nicht einer unserer Freunde oder Gesinnungsgenossen versuchen wird, die Untersuchung über die Ermordung Nins zu benutzen, um mit Nins Politik abzurechnen. Zum Kampf gegen den Opportunismus und den Zentrismus haben wir es nicht nötig, uns hinter einer zu ganz anderen Zwecken geschaffenen „Kommission“ zu verstecken. Derlei Tricks überlass. den Tartuffes der idealistischen Moral. Wir aber, wir groben Materialisten, ziehen es vor, „eine Nessei Nessel und eine Dummheit Sache von Dummköpfen zu nennen". Die Hiebe auf die Gegner versetzen wir offen und unter eigener Verantwortung.

L Trotzki

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