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Leo Trotzki 19371129 Zur internationalen Gewerkschaftseinheit

Leo Trotzki: Zur internationalen Gewerkschaftseinheit

(Ein Interview an die mexikanische Zeitung „El Universal")

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der IKD, 6. Jahrgang 1938, Nr. 1, Anfang Januar 1938 (Nr. 85), S. 4]

[Seitdem sich die Stalinbürokratie auf die „demokratischen Mächte" und auf den Völkerbund orientiert hat und die Kominternpolitik unter der Marke „Volksfront" betrieben wird, stehen nationale und internationale Vereinigungsverhandlungen zwischen der reformistischen und der stalinistischen Bürokratie auf der Tagesordnung. Der Gedanke der reformistisch-stalinistischen „Einheitspartei " hat in jüngster Zeit allerdings einen Rückschlag erlitten, da die französische Sozialdemokratie (SFIO) die Verhandlungen über die Herstellung der „organisatorischen Einheit" mit der KPF abgebrochen hat. In Bezug auf die gewerkschaftlichen Organisationen jedoch sind die Verschmelzungsverhandiungen augenblicklich in vollem Gange. Nachdem die französischen kommunistischen Gewerkschaften mit den reformistischen verschmolzen worden sind und nachdem in den übrigen Ländern die – lachhaften – kommunistischen Gewerkschaftsorganisationen sich eifrig um ihre Liquidierung bemühen, konnte es nicht ausbleiben, dass die Stalinbürokratie die Frage der Gewerkschaftseinheit auch international stellen würde. Die „Rote Gewerkschaftsinternationale" freilich ist längst schon liquidiert, sie wagt sich kaum noch auf dem Papier hervor; die Verhandlungen gehen lediglich noch um den Anschluss der russischen Gewerkschaften an die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale. Seit den Besprechungen, die in letzter Zeit die Führer des IGB – Jouhaux, Schevenels – in Moskau geführt haben und bei denen man eine Verschmelzungsbasis (die jedoch noch geheim gehalten wird) ausgearbeitet hat. ist die internationale Gewerkschaftseinheit in den Vordergrund der Diskussionen innerhalb der Arbeiterbewegung gerückt worden. Das Interview Leo Trotzkis beleuchtet kurz die wirkliche Bedeutung der Verhandlungen, über die internationale Gewerkschaftseinheit. – „Unser Wort" wird zu dieser Frage noch ausführlicher Stellung nehmen.

Die Red.]

Die Einheit der Weltgewerkschaftsbewegung – in diesem Falle der Anschluss der Sowjetgewerkschaften an die Amsterdamer Internationale – könnte der Arbeiterschaft große Vorteile bringen, – unter einer Bedingung dass es in der USSR wirklich Gewerkschaften gäbe. Doch das ist nicht der Fall. Es gibt dort einen Gewerkschaftsapparat, der gänzlich der herrschenden Clique unterworfen ist und die Arbeitermassen niederhält. So wurde bei der letzten blutigen Säuberung, die übrigens noch lange nicht abgeschlossen ist, der Zentralrat der Gewerkschaften vollkommen umgemodelt, ohne dass die sogenannten gewerkschaftlich Organisierten davon etwas anderes erfuhren, als die offizielle Presse meldete. Die Reinigung des Gewerkschaftsapparates war das Werk der GPU und geschah auf direkten Befehl Stalins. Der frühere Gewerkschaftsleiter, der alte Revolutionär Tomski, wurde durch eine Kampagne unerhörter Verleumdungen und Verfolgungen zum Selbstmord getrieben. An seine Stelle trat, ohne dass die Mitglieder irgendwie befragt worden wären, Schwernik. der nie etwas anderes gewesen ist als Stalins persönlicher Laufbursche. Der erneuerte Apparat unternimmt seinerseits eine Säuberung in Betrieben und Büros und eine Hetzjagd auf alle Unzufriedenen, kritisch Gestimmten und gegen jeden, der Forderungen erhebt. Die sogenannten Gewerkschaften sind daher eine Industriepolizei-Organisation, eine GPU-Filiale, und beileibe keine selbständigen Arbeiterorganisationen.

Es handelt sich also nicht um die Einheit der Arbeitermassen, sondern um ein diplomatisches Abkommen zwischen dem schon hinlänglich konservativen Amsterdamer Apparat und dem Moskauer Polizeiapparat.

Die englischen Trade-Unions-Führer möchten die Außenpolitik ihres Landes auf eine Annäherung mit Frankreich, den Vereinigten Staaten und der UdSSR einstellen. Die französische Volksfrontpolitik beruht auf Moskaus Unterstützung. Jouhaux, der französische Gewerkschaftsführer, gehört, obwohl er sich auf seine Gewerkschaftsunabhängigkeit beruft, in Wirklichkeit zur Volksfront. Diese politische Konjunktur hat national und international die Annäherung der Amsterdamer Gewerkschaftsbürokratie an die Pseudogewerkschafts-Bürokratie von Moskau bestimmt. Noch ein nicht unbedeutendes Element muss hier erwähnt werden. Seit Jahren, praktisch seit 1924, erkauft sich Stalin durch Vermittlung des sogenannten Gewerkschaftsapparates die „Sympathie“ verschiedener Gewerkschaftsführer, angefangen mit den englischen. Man könnte den Fall britischer Gewerkschaftsführer erwähnen, die regulär in Moskaus Sold stehen. Andere genossen außergewöhnliche Vorrechte oder ihre Frauen erhielten Gold- und Platingeschenke. Die Praxis, Arbeiterführer zu demoralisieren, war übrigens einer der Hauptpunkte meines Kampfes gegen die Stalinclique. Als ich im Frühjahr 1925 von dieser Praxis erfuhr, protestierte ich heftig. „Wieso?" – erwiderte Stalin, – „Kauft die Bourgeoisie nicht auch Arbeiterführer?" Ich antwortete: „Man kann jemanden kaufen, um ihn zu korrumpieren, aber nicht, um aus ihm einen Kämpfer für die Befreiung der Unterdrückten zu machen." Diese Praxis hat seitdem Riesenausmaße erreicht. Man vergesse nicht, dass die Goldindustrie große Fortschritte gemacht hat. Die Bestechungs- und Korruptionsindustrie aber noch größere. Viele der sogenannten „Freunde" der Sowjetunion, die mit dem russischen Volk, seiner revolutionären Tradition, seinen Leiden und seinem Wollen nichts zu tun haben, sind nichts weiter als eigennützige Freunde der herrschenden Kremlclique. Die einen sind direkt mit Gold entlohnt. Die anderen stützen sich in ihren persönlichen politischen Zielen auf die Hilfe des mächtigen internationalen Apparats in Moskau. Ich zweifle nicht daran. dass Stalin, Jeschow und Schwernik sich der sogenannten Gewerkschaftseinheit bedienen werden, um ihren Einflusskreis auf eine Menge Führer mit biegsamen Gewissen und Wirbelsäulen auszudehnen. Wie wird die Arbeiterschaft auf diese Praktiken reagieren? Das wird uns die Zukunft zeigen.

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