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Leo Trotzki 19380400 Diskussion über die Arbeiterpartei

Leo Trotzki: Diskussion über die Arbeiterpartei

[Nach Der Todeskampf der Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale. Essen 1975, S. 75-82]

Trotzki: Als die Liga vor etwa 7 oder 8 Jahren zum ersten Mal die Frage erwog, ob wir eine Arbeiterpartei unterstützen sollten oder nicht, ob wir Initiativen in dieser Richtung entwickeln sollten, herrschte die Meinung vor, es nicht zu tun, und das war völlig richtig. Die Perspektive der Weiterentwicklung war nicht klar. Ich glaubte, dass die Mehrheit von uns auf eine schnellere Entwicklung unserer eigenen Organisation hoffte. Andererseits glaube ich, dass niemand unter uns in jener Periode das Auftreten der CIO mit dieser Schnelligkeit und dieser Macht voraussah. Wir unterschätzten in unserer Perspektive einerseits die Möglichkeit der Entwicklung unserer Partei auf Kosten der Stalinisten, auf der anderen Seite sahen wir nicht diese mächtige Gewerkschaftsbewegung und den raschen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus. Das sind zwei Faktoren, mit denen wir rechnen müssen. Ich kann nicht aus eigener Beobachtung sprechen, nur theoretisch. Die Periode von 1924 kenne ich nur durch die Erfahrung unseres gemeinsamen Freundes Pepper. Er kam zu mir und sagte, dass das amerikanische Proletariat keine revolutionäre Klasse sei; dass die revolutionäre Klasse die Farmer seien und dass wir uns den Farmern, nicht den Arbeitern zuwenden müssten. Das war die Konzeption der damaligen Zeit. Es gab eine Bewegung der Farmer, die aufgrund ihrer sozialen Natur dazu geneigt sind, nach Wundermitteln zu suchen: Populismus, FLP-ismus in jeder Krise. Nun haben wir eine Bewegung von ungeheurer Bedeutung vor uns: den CIO; 3 Mill. Menschen oder mehr sind in einer neuen kämpferischen Organisation zusammengeschlossen. Diese Organisation, die Streiks begann, große Streiks, und sogar die AFL teilweise in diese Streiks für eine Anhebung der Löhne einbezog, – diese Organisation rennt beim ersten Schritt ihrer Aktivitäten in die größte Krise in den USA. Die Perspektive wirtschaftlicher Streiks ist in der nächsten Periode bei wachsender Arbeitslosenzahl usw. ausgeschlossen. Wir können nach der Möglichkeit suchen, dass sie ihr ganzes Gewicht auf die politische Waagschale legt.

Die ganze objektive Situation drängte (diese Gedanken der Arbeiterpartei) den Arbeitern und ihren Führern auf – den Führern in einem doppelten Sinne. Auf der einen Seite nutzen sie diese Tendenz für ihre eigene Autorität aus, auf der anderen Seite versuchen sie sie zu brechen und zu verhindern, dass sie über die Führer hinweggeht. Die LNPL hat diese doppelte Funktion. Ich glaube, unsere Politik braucht theoretisch nicht revidiert zu werden, sie muss nur konkretisiert werden, In welchem Sinne? Sind wir für die Schaffung einer reformistischen Arbeiterpartei? Nein. Sind wir für eine Politik, die den Gewerkschaften die Möglichkeit verschaffen kann ihr Gewicht in das Kräfteverhältnis einzubringen? Ja.

Es kann eine reformistische Partei werden – das hängt von der Entwicklung ab. Hier kommt die Frage des Programms herein. Ich erwähnte gestern und möchte es heute unterstreichen, dass wir ein Programm von Übergangsforderungen brauchen, das in einer Arbeiter- und Bauernregierung gipfelt. Wir sind für eine Partei, für eine unabhängige Partei der arbeitenden Massen, die die Macht im Staat übernehmen werden. Wir müssen es konkret füllen: wir sind für die Bildung von Fabrikkomitees, für Arbeiterkontrolle der Industrie durch die Fabrikkomitees. All diese Fragen hängen jetzt in der Luft. Sie sprechen von Technokratie und geben die Losung „Produktion für den Bedarf“ aus. Wir treten dieser marktschreierischen Losung entgegen und fordern Arbeiterkontrolle der Produktion durch die Fabrikkomitees.

Lundberg schreibt ein Buch: „Amerikas 60 Familien“. Der „Annalist“ schreit, dass seine Zahlen falsch seien. Wir sagen, die Fabrikkomitees sollten die Geschäftsbücher einsehen. Dieses Programm müssen wir zusammen mit dem Gedanken einer Arbeiterpartei in den Gewerkschaften und dem einer Arbeitermiliz entfalten. Andernfalls ist es eine Abstraktion, und eine Abstraktion ist eine Waffe in den Händen der gegnerischen Klasse. An den Genossen aus Minneapolis ist zu kritisieren, dass sie das Programm nicht konkretisiert haben. In diesem Kampf müssen wir hervorheben, dass wir für das Bündnis der Arbeiter und Bauern sind, aber nicht für ein Bündnis mit Farmern wie Roosevelt. (Ich weiß nicht, ob Ihr bemerkt habt, dass er in der amtlichen Kandidatenliste ‚Farmer‘ als Beruf angab.) Wir sind für ein Bündnis nur mit den ausgebeuteten Bauern, nicht mit den ausbeutenden Farmern – mit den ausgebeuteten Bauern und Landarbeitern. Wir können die Champions dieser Bewegung werden, aber auf der Grundlage eines konkreten Programms von Forderungen. In Minneapolis sollte die erste Aufgabe darin bestehen, statistisch nachzuweisen, dass 10.000 Arbeiter keine Stimme mehr haben als 10 Intellektuelle oder 50 bei den Stalinisten organisierte Leute. Dann müssen wir fünf oder sechs Forderungen einführen, sehr konkret, dem Denken der Arbeiter angepasst und in das Hirn jedes Genossen eingeschärft: Arbeiter-Fabrikkomitees und dann Arbeiter- und Bauernregierung. Das ist der wahre Sinn der Bewegung.

Cannon: Würden wir den Gewerkschaften jetzt vorschlagen, sich der LNPL anzuschließen?

Trotzki: Ich glaube, ja. Natürlich müssen wir unseren ersten Schritt so machen, dass wir Erfahrungen für praktische Arbeit sammeln und uns nicht für abstrakte Formeln einsetzen, sondern ein konkretes Programm für die Aktion und Forderungen in dem Sinne entwickeln, dass dieses Übergangsprogramm von den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft heute ausgeht und unmittelbar über die Grenzen des Kapitalismus hinausführt. Es ist nicht das reformistische Minimalprogramm, das niemals Arbeitermiliz und Arbeiterkontrolle der Produktion einschloss. Diese Forderungen haben Übergangscharakter, weil sie von der kapitalistischen Gesellschaft zur proletarischen Revolution führen, eine Konsequenz, insofern sie die Forderungen der Massen werden, wie die proletarische Regierung. Wir können nicht nur bei den Tagesforderungen des Proletariats stehen bleiben. Wir müssen den rückständigen Arbeitern einige konkrete Losungen geben, die ihren Bedürfnissen entsprechen und die auf dialektische Art und Weise zur Übernahme der Macht führen.

Shachtman: Wie würden Sie die Losung der Arbeitermiliz begründen?

Trotzki: Mit der faschistischen Bewegung in Europa – die ganze Situation zeigt, dass die Blöcke aus Mitgliedern der Liberalen, Radikalen und der Arbeiterbürokratie nichts darstellen im Vergleich zur militaristischen faschistischen Bande; nur Arbeiter mit militärischer Erfahrung können der faschistischen Gefahr begegnen. Ich glaube, dass es in Amerika genug Streikbrecher und bewaffnete Verbrecher gibt, dass man die Losung mit der hiesigen Erfahrung verbinden kann; z.B. indem man die Haltung der Polizei, den Stand der Dinge in Jersey aufzeigt. In dieser Situation muss man unmittelbar sagen, dass dieser Gangster-Bürgermeister mit seinen Gangster-Polizisten durch die Arbeitermiliz vertrieben werden sollten. „Wir wünschen hier die Organisierung durch den CIO, aber in Verletzung der Verfassung ist uns dieses Recht zu organisieren genommen. Wenn die Bundesmacht den Bürgermeister nicht kontrollieren kann, dann müssen wir, die Arbeiter, zu unserem Schutz die Arbeitermiliz organisieren und für unsere Rechte kämpfen. Oder bei Zusammenstößen zwischen der AFL und der CIO können wir die Losung einer Arbeitermiliz als Notwendigkeit zum Schutz unserer Arbeiterversammlungen einbringen. Besonders als Gegensatz zur stalinistischen Idee der Volksfront, und wir können auf das Ergebnis dieser Volksfront hinweisen – das Schicksal Spaniens und die Lage in Frankreich. Dann kann man auf die Bewegung in Deutschland hinweisen, auf die Nazi-Lager. Wir müssen sagen: Ihr Arbeiter in dieser Stadt, werdet die ersten Opfer dieser faschistischen Bande sein. Ihr müsst euch organisieren, ihr müsst vorbereitet sein.

Cannon: Welchen Namen würden Sie solchen Gruppen geben?

Trotzki: Sie können ihnen den bescheidenen Namen ‚Arbeitermiliz‘ geben.

Cannon: Verteidigungskomitees.

Trotzki: Ja. Das muss mit den Arbeitern diskutiert werden.

Cannon: Der Name ist sehr wichtig. ‚Arbeiterverteidigungskomitees‘ kann populär werden, Arbeitermiliz klingt zu fremd.

Shachtman: Es gibt in den USA noch keine faschistische Gefahr, die das Empfinden für eine solche Organisierung wie die Arbeitermiliz mit sich gebracht hätte. Die Organisierung einer Arbeitermiliz setzt die Vorbereitungen zur Machtübernahme voraus. Das steht in den USA noch nicht auf der Tagesordnung.

Trotzki: Natürlich können wir die Macht nur dann erobern, wenn wir die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter uns haben, aber auch in dem Fall wäre die Arbeitermiliz nur eine kleine Minderheit. Sogar in der Oktoberrevolution war die Miliz eine kleine Minderheit. Aber die Frage ist die, wie man diese kleine Minderheit kriegen kann, die organisiert und mit der Sympathie der Massen bewaffnet werden muss. Wie können wir das machen? Indern wir das Bewusstsein der Massen durch Propaganda vorbereiten. Die Krise, die Verschärfung der Klassenbeziehungen, die Schaffung einer Partei der Arbeiter, einer Arbeiterpartei, bedeuten unmittelbar eine furchtbare Anstachelung der Kräfte. Die sofortige Reaktion wird eine faschistische Bewegung sein. Das ist der Grund, warum wir jetzt den Gedanken der Arbeiterpartei mit all seinen Konsequenzen verbinden müssen, andernfalls werden wir nur als Pazifisten mit demokratischen Illusionen erscheinen. Dann haben wir auch die Möglichkeit, die Losungen unseres Übergangsprogramms zu verbreiten und die Reaktion der Massen zu sehen. Wir werden sehen, welche Losungen ausgewählt werden sollten, welche aufgegeben. Aber wenn wir unsere Losungen vor der Erfahrung aufgeben, bevor wir die Reaktion der Massen gesehen haben, können wir niemals vorankommen.

Dunne: Ich möchte eine Frage stellen über die Losung der Offenlegung der Bücher1. Es scheint mir, dass sie gut überdacht und sorgfältig angewendet werden muss, andernfalls kann es zu Schwierigkeiten kommen, die wir bereits erfahren haben. Fest steht, dass die Unternehmer die Militanz der Arbeiter dadurch einzuschränken trachten, dass sie das Angebot machen – wir hatten einen solchen Fall –‚ uns die Bücher zu zeigen und zu beweisen, dass sie sich gerade in einem Verlustgeschäft befinden, – ob aufrichtig oder nicht, ist dabei nicht die Frage. Wir haben dagegen gekämpft, indem wir sagten, es ist ihre Aufgabe, ihr Geschäft zu organisieren; wir fordern angemessene Arbeitsbedingungen. Ich möchte wissen, welche Wirkung unsere Forderung nach Offenlegung der Bücher dann haben würde.

Trotzki: Ja, die Kapitalisten öffnen ihre Bücher in zwei Momenten: wenn die Lage der Fabrik wirklich schlecht ist oder wenn sie die Arbeiter täuschen können. Aber die Frage muss von einem allgemeineren Gesichtspunkt aus gestellt werden. Zunächst einmal haben wir Millionen Arbeitslose, und die Regierung sagt, dass sie nicht mehr zahlen kann, und die Kapitalisten sagen, dass sie keine weiteren Zugeständnisse machen können – wir wollen Zugang zu der Buchführung dieser Gesellschaft haben. Die Kontrolle des Einkommens sollte von Fabrikkomitees organisiert werden. Die Arbeiter sagen: Wir wollen unsere eigenen Statistiker, die der Arbeiterklasse ergeben sind. Wenn ein Industriezweig sich als wirklich ruiniert erweist, dann antworten wir: wir schlagen vor, euch zu enteignen. Wir werden besser leiten als ihr. Warum habt ihr keinen Profit? Wegen der chaotischen Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft. Wir sagen: Geschäftsgeheimnisse sind eine Verschwörung der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten, der Fabrikanten gegen die Arbeiter. In der freien Ära, der Ära des Wettbewerbs, sagten sie, sie bräuchten Verschwiegenheit zum Schutz. Aber heute haben sie keine Geheimnisse untereinander, sondern nur gegenüber der Gesellschaft. Diese Übergangsforderung ist auch ein Schritt zur Arbeiterkontrolle der Produktion, als Vorbereitungsplan für die Leitung der Industrie. Alles muss von den Arbeitern kontrolliert werden, die die Herren der Gesellschaft von morgen sein werden. Doch die Übernahme der Macht zu fordern, das erscheint den amerikanischen Arbeitern illegal, phantastisch. Aber wenn man sagt:

Die Kapitalisten weigern sich, für die Arbeitslosen zu zahlen und verstecken ihre wirklichen Profite vor dem Staat und vor den Arbeitern durch unehrliche Buchführung, dann werden die Arbeiter diese Formel verstehen.

Wenn wir zu dem Bauer sagen: die Bank betrügt dich. Sie haben sehr große Profite. Und wir schlagen euch vor, Bauernkomitees zu gründen, um in die Buchführung der Bank einzusehen, jeder Bauer wird das verstehen. Wir werden sagen: Der Bauer kann nur sich selbst trauen; lass ihn Komitees zur Kontrolle der Agrarkredite gründen – das werden sie verstehen. Es setzte eine turbulente Stimmung unter den Bauern voraus; es kann nicht jeden Tag durchgeführt werden. Aber es ist notwendig, diese Idee sofort bei den Massen und unseren eigenen Genossen zur Sprache zu bringen.

Shachtman: Ich glaube, es ist nicht richtig, wie Sie sagen, die Losung der Arbeiterkontrolle der Produktion derart herauszustellen noch die andere Übergangsforderung der Arbeitermiliz. Die Losung der Offenlegung der Bücher2 ist für die gegenwärtige Periode angemessener und kann populär gemacht werden. Was die beiden anderen Losungen angeht, so ist es zwar richtig, dass es Übergangsforderungen sind, aber für das Ende der Periode, die an die Machtergreifung grenzt. Übergang kann eine lange und auch eine kurze Periode bedeuten. Jeder Abschnitt der Periode erfordert seine eigenen Losungen. Heute könnten wir die der Offenlegung der Bücher benutzen, morgen würden wir jene der Arbeiterkontrolle der Produktion und der Arbeitermiliz benutzen.

Trotzki: Wie können wir in einer solch kritischen Situation, wie sie jetzt in der ganzen Welt existiert, das Stadium der Entwicklung der Arbeiterbewegung in den USA messen? Sie sagen, es ist der Anfang und nicht das Ende. Wie groß ist die Entfernung? 100, 10, 4? Wie können Sie es annähernd festlegen? In den guten alten Zeiten würden die Sozialdemokraten sagen: Jetzt haben wir nur 10.000 Arbeiter, später werden wir 100.000 haben, dann eine Million, und dann werden wir die Macht erlangen. Die Entwicklung der Welt war für sie nur eine Ansammlung von Quantitäten: 10.000, 100.000 usw. usw. Nun haben wir eine völlig andere Situation. Wir befinden uns in einer Periode des niedergehenden Kapitalismus, von Krisen, die ungestümer und schlimmer werden, und des herannahenden Krieges. Während eines Krieges lernen die Arbeiter sehr schnell. Wenn man sagt, wir warten ab, es wird sich zeigen, und propagieren erst dann, dann werden wir nicht die Vorhut sein, sondern die Nachhut. Wenn Sie mich fragen: Ist es möglich, dass die amerikanischen Arbeiter in 10 Jahren die Macht erobern werden? werde ich sagen: ja, absolut möglich.

Der Ausbruch der CIO zeigt, dass die Basis der kapitalistischen Gesellschaft unterhöhlt ist. Arbeitermiliz und Arbeiterkontrolle der Produktion sind nur zwei Seiten derselben Frage. Der Arbeiter ist kein Buchhalter. Wenn er nach den Büchern fragt, so will er die Situation ändern durch Kontrolle und dann durch Leitung. Natürlich hängen unsere vorantreibenden Losungen von der Reaktion ab, der wir in den Massen begegnen. Wenn wir die Reaktion der Massen sehen, werden wir wissen, welche Seite der Frage wir betonen müssen. Wir werden sagen, Roosevelt wird den Arbeitslosen durch die Kriegsindustrie helfen; aber wenn wir Arbeiter die Produktion in Gang hielten, würden wir eine andere Industrie finden, keine für die Toten, sondern für die Lebenden. Diese Frage kann selbst einem durchschnittlichen Arbeiter verständlich werden, der niemals an einer politischen Bewegung teilnahm. Wir unterschätzen die revolutionäre Bewegung in den arbeitenden Massen. Wir sind eine kleine Organisation, eine propagandistische, und in solchen Situationen skeptischer als die Massen, die sich sehr schnell entwickeln. Anfang 1917 sagte Lenin, dass die Partei zehnmal revolutionärer ist als ihr Zentralkomitee und die Massen hundertmal revolutionärer als die Reihen der Partei. In den USA herrscht gegenwärtig keine revolutionäre Situation. Aber Genossen mit sehr revolutionären Ideen können in ruhigen Zeiten zu einer wirklichen Bremse der Bewegung in revolutionären Situationen werden – das passiert oft. Eine revolutionäre Partei wartet so oft und so lange auf eine Revolution, dass sie sich daran gewöhnt, sie nachzustellen.

Cannon: In Streiks kann man dieses Phänomen beobachten – sie fegen über das Land und überraschen die revolutionäre Partei. Bringen wir dieses Übergangsprogramm in den Gewerkschaften ein?

Trotzki: Ja, wir propagieren dieses Programm in den Gewerkschaften, schlagen es als Grundlage für die Arbeiterpartei vor. Für uns ist es ein Übergangsprogramm; aber für sie ist es das Programm – Jetzt ist es eine Frage der Arbeiterkontrolle der Produktion, aber man kann dieses Programm nur durch eine Arbeiter- und Bauernregierung verwirklichen. Diese Losung müssen wir populär machen.

Cannon: Soll diese auch als Übergangsprogramm eingebracht werden, oder ist sie ein Pseudonym für die Diktatur des Proletariats?

Trotzki: In unserem Bewusstsein führt sie zur Diktatur des Proletariats. Wir sagen den Arbeitern und Bauern: Ihr wollt Lewis als Präsidenten – gut, das hängt von seinem Programm ab. Lewis und Green und La Follette als Vertreter der Bauern? Auch das hängt vom Programm ab. Wir versuchen das Programm zu konkretisieren, präziser zu machen, dann bedeutet die Arbeiter- und Bauernregierung eine Regierung des Proletariats, die die Bauern führt.

Shachtman: Wie bringen Sie das mit der ursprünglichen Feststellung in Einklang, dass wir die Organisation einer reformistischen Arbeiterpartei nicht verteidigen können? Ich möchte in meinen Kopf Klarheit darüber bekommen, was unser Genosse konkret tut, wenn seine Gewerkschaft der LNPL zuneigt und er als Delegierter der Arbeiterpartei gesandt ist. Da genau tritt die Frage auf, was in den Wahlen zu tun ist und vorgeschlagen worden ist: „Lasst uns La Guardia unterstützen“. Konkret, wie stellt sich die Sache unseren Genossen dar?

Trotzki: Wir befinden uns hier in einem Gewerkschaftstreffen, das die Beziehungen zur LNPL diskutiert. Ich werde in der Gewerkschaft sagen: Erstmal ist die Vereinigung der Gewerkschaften auf politischer Ebene ein Fortschritt. Es besteht die Gefahr, dass sie (die Arbeiterpartei) in die Hände unserer Feinde fallen wird. Daher schlage ich zwei Maßnahmen vor: 1) dass nur Arbeiter und Bauern unsere Vertreter sind; dass wir nicht von so genannten parlamentarischen Freunden abhängen; 2) dass unsere Vertreter unser Programm befolgen, dieses Programm. Dann skizzieren wir unseren konkreten Plan bezüglich Arbeitslosigkeit, Militärbudget usw. Dann sage ich, wenn ihr mich als Kandidaten vorschlagt, ihr kennt mein Programm. Wenn ihr mich als euren Vertreter schickt, werde ich für dieses Programm in der LNPL, in der Arbeiterpartei kämpfen. Wenn die LNPL entscheidet, für La Guardia zu stimmen, werde ich entweder unter Protest zurücktreten oder protestieren und bleiben: „Ich kann nicht für La Guardia stimmen, ich habe mein Mandat.“ Wir bekommen reichlich neue Möglichkeiten für Propaganda.

Die Auflösung unserer Organisation ist völlig ausgeschlossen. Wir machen völlig klar, dass wir unsere Organisation, unsere Presse usw. usw. haben. Es ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Genosse Dunne sagt, wir können in den Gewerkschaften auch nicht für Unterstützung der SWP eintreten. Warum? Weil wir zu schwach sind. Und wir können den Arbeitern nicht sagen: Wartet, bis wir mehr Autorität bekommen haben und mächtiger geworden sind. Wir müssen in die Bewegung intervenieren, so wie sie ist

Shachtman: Wenn keine Bewegung für eine Arbeiterpartei bestehen würde und wir mit der Schaffung einer Arbeiterpartei konfrontiert wären, wie berührt das das Programm selber – es wäre immer noch unser Übergangsprogramm. Ich verstehe das nicht, wenn Sie sagen, wir können eine reformistische Partei nicht verteidigen, aber gleichzeitig verteidigen wir und werden Verfechter von Bewegungen für die Arbeiterpartei, um den Willen der Arbeiter politisch zu hintergehen.

Trotzki: Es wäre absurd zu sagen, dass wir eine reformistische Partei verteidigen – Wir können den Führern der LNPL sagen: „Ihr macht aus dieser Bewegung ein rein opportunistisches Anhängsel der Demokraten“. Es ist eine Frage des pädagogischen Herangehens. Wie können wir sagen, wir verteidigen die Bildung einer reformistischen Partei? Wir sagen (nur), dass man seinen Willen durch eine reformistische Partei nicht durchsetzen kann, sondern nur durch eine revolutionäre Partei. Die Stalinisten und Liberalen wünschen, aus dieser Bewegung eine reformistische Partei zu machen, aber wir haben unser Programm, wir machen eine revolutionäre daraus...

Cannon: Wie kann man eine revolutionäre Arbeiterpartei erklären? Wir sagen:

Die SWP ist die einzige revolutionäre Partei, hat das einzige revolutionäre Programm. Wie kannst du dann den Arbeitern erklären, dass auch die Arbeiterpartei eine revolutionäre Partei ist?

Trotzki: Ich will nicht sagen, dass die Arbeiterpartei eine revolutionäre Partei ist, sondern dass wir alles tun werden, es möglich zu machen. Bei jedem Treffen werde ich sagen: Ich bin ein Vertreter der SWP. Ich halte sie für die einzige revolutionäre Partei. Aber ich bin kein Sektierer. Ihr versucht gegenwärtig, eine große Partei der Arbeiter zu schaffen. Ich werde euch helfen, aber ich schlage vor, dass ihr ein Programm für diese Partei erwägt. Ich mache diese und jene Vorschläge. Ich beginne mit diesem. Warum soll man nicht offen sagen, was ist? Ohne jegliche Tarnung, ohne jegliche Diplomatie.

Cannon: Bis heute wurde die Frage immer abstrakt gestellt. Die Frage des Programms wurde nie so hervorgehoben, wie Sie es heute getan haben. Die Anhänger Lovestones waren immer für eine Arbeiterpartei; aber sie haben kein Programm?

Es scheint mir, wenn wir ein Programm haben und es immer herausstellen...

Trotzki: Zuerst ist das Programm und dann die Statuten, die das Übergewicht der Gewerkschaften gegenüber den einzelnen Liberalen, Kleinbürgern usw. gewährleisten.

Sonst kann es in der sozialen Zusammensetzung eine Arbeiterpartei werden, eine kapitalistische Partei in der Politik.

Cannon: Es scheint mir, dass es sich in Minneapolis zu sehr um einen organisatorischen Streit handelt, um einen Kampf zwischen den Stalinisten und uns um die Kontrolle über die Organisation. In Minneapolis müssen wir einen programmatischen Kampf gegen die Stalinisten in der FLP aufnehmen, so wie wir uns gestern die Abstimmung über den Ludlow-Antrag nutzbar machten.

Shachtman: Nun, unter der drohenden Gefahr des Kriegsausbruchs, kann die Arbeiterpartei eine Falle werden. Und ich kann immer noch nicht verstehen, wie sich die Arbeiterpartei von einer reformistischen rein parlamentarischen Partei unterscheiden kann.

Trotzki: Sie stellen die Frage zu abstrakt; natürlich kann sie sich in eine reformistische Partei auflösen und in eine, die uns ausschließen wird. Aber wir müssen Teil der Bewegung sein. Wir müssen zu den Stalinisten, den Anhänger Lovestones usw. sagen: „Wir sind für eine revolutionäre Partei. Ihr tut alles, sie zu einer reformistischen zu machen.“ Aber wir zeigen immer auf unser Programm. Und wir schlagen unser Programm der Übergangsforderungen vor. Was die Kriegsfrage und den Ludlow-Antrag angeht, so werden wir das morgen diskutieren und ich werde noch einmal den Nutzen unseres Übergangsprogramms in dieser Situation aufzeigen.

1 wörtlich: Arbeiterzugang zu den Geheimnissen der Industrie

2 wörtlich: Prüfung der Bücher der Kapitalistenklasse

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