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Leo Trotzki 19381010 Eine ganz frische Lehre

Leo Trotzki: Eine ganz frische Lehre

Im Verfolg der Septemberkrise.

(Zur Frage nach dem Charakter des kommenden Krieges)

[Nach Unser Wort, 7. Jahrgang, Nr. 2-3 (93-94), Mitte März 1939, S. 6-8]

Zwanzig Jahre nach dem ersten imperialistischen Weltkrieg, der die «demokratischen» Illusionen völlig zerstörte, versuchen die Führer der Komintern zu beweisen, dass die kapitalistische Welt ihre Natur völlig verändert hat, dass der Imperialismus nicht mehr der entscheidende Faktor auf unserem Planeten, ist, dass die Weltwidersprüche nicht durch die raubgierigen Interessen des Monopolkapitals, sondern durch abstrakte politische Prinzipien bestimmt sind und dass der neue Krieg der Völker ein Verteidigungskrieg der unschuldigen und friedlichen Demokratien gegen die «faschistischen Angreifer» sein werde. Es bedarf des so überaus kurzen menschlichen Gedächtnisses, damit die Abenteurer der Dritten Internationale es am Vorabend des neuen imperialistischen Krieges wagen können, dieselben Ideen in Umlauf zu setzen, mit denen die Verräter der Zweiten Internationale die Massen während des vergangenen Krieges betrogen haben.

Indessen beschränkt sich die Sache nicht auf eine einfache Wiederholung. Die Fäulnis des Kapitalismus, die während des letzten Vierteljahrhunderts in der Ökonomie wie in der Politik große Fortschritte gemacht hat, verleiht den Fälschungen der Dritten Internationale im Vergleich zu den sozialpatriotischen Lehren des vergangenen Krieges einen unvergleichlich offeneren, zynischeren und schmutzigeren Charakter. Die Führer der Zweiten Internationale, die schon den Glauben an die Kraft der «demokratischen» Formeln verloren hatten und nahe daran waren, an allem zu verzweifeln, empfingen verblüfft und mit neuer Hoffnung die unerwartete Hilfe der Komintern. In ihrem Gefolge wandte ein ganzer Teil der Imperialistischen Bourgeoisie seine Blicke den kommunistischen Patrioten zu. Das ist die wichtigste Wurzel der schmutzigen und schändlichen Politik der «Volksfronten».

Jede tiefe Krise, sei sie ökonomisch, politisch oder militärisch, hat ihre positive Seite, indem sie die verschiedenen traditionellen Größen und Formeln einer Prüfung unterzieht. Durch die Enthüllung der Fäulnis derjenigen unter ihnen, die zur Maskierung der Widersprüche während des «Friedens» gedient haben, treibt sie die allgemeine Entwicklung nach vorwärts. Die diplomatische Krise um die Tschechoslowakei hat diese fortschrittliche Arbeit ausgezeichnet vollbracht. Den Marxisten bleibt nur übrig, aus der frischen Erfahrung die notwendigen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Erfahrung des vergangenen Krieges.

Beginnen wir, indem wir einen schnellen Blick zurück werfen. Der Krieg von 1914-18 war, wie man weiß, ein «Krieg für die Demokratie». Das Bündnis Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Vereinigten Staaten erlaubte den Sozialpatrioten der Entente, vor dem fünften Bundesgenossen, dem Zarismus, schamhaft die Augen zu schließen.

Nach der Februarrevolution von 1917, die Nikolaus II. stürzte, wurde die Front der Demokratien endgültig ausgerichtet. Nur die unverbesserlichen Bolschewiki konnten noch von Imperialismus schreien. In der Tat, lohnte es der Mühe, darüber zu streiten, dass der Liberale Miljukow und der Beinahe-Sozialist Kerenski Galizien, Armenien und Konstantinopel rauben wollten? Schließlich erklärten Miljukow und Kerenski, dass die Bolschewiki ganz einfach Agenten Ludendorffs (des damaligen «Hitler») seien.

Der Krieg hat mit dem vollständigen Sieg der Demokratien geendet, obwohl Sowjetrussland, geführt von den Bolschewiki, ihr geheiligtes Lager verlassen hatte. Das Ergebnis des Sieges war der Versailler Vertrag, gewiss mit Millionen Menschenleben bezahlt, aber bestimmt, auf der Erde endgültig die Demokratie, die Freiheit der Entwicklung der Nationen und die friedliche Zusammenarbeit der Völker auf der Grundlage der allgemeinen Entwaffnung zu befestigen. Der Völkerbund war die Krönung der Eroberungen eines Krieges, der der «letzte der Kriege» gewesen sein sollte: das ist es, was Wilson und die Zweite Internationale versprachen.

Jedoch verwirklichte sich nicht das Paradies, sondern vielmehr etwas, was der Hölle ziemlich ähnlich sah. Der Versailler Frieden erstickte Europa. Das Schutzzollsystem erstickte die Wirtschaft. Der Krieg für die «Demokratie» eröffnet eine Ära des endgültigen Niedergangs der Demokratie. Die Welt verarmte und wurde noch enger. Die Staaten betraten einer nach dem andern den Weg der faschistischen oder militärischen Diktatur. Die internationalen Beziehungen wurden stets gespannter. Statt der Entwaffnung erschienen Militärprogramme, die am Vorabend des vergangenen Krieges einem Alpdruck geglichen hätten. Schon entwickeln sich die ersten Anfänge neuer blutiger Konflikte in den verschiedenen Teilen der Welt. Eben diesen Moment hat die Komintern gewählt, um die letzten Trümmer des Internationalismus preiszugeben und zu verkünden, dass die Aufgabe der neuen Epoche in dem Bündnis des Proletariats mit den verwesenden imperialistischen Demokratien «gegen den Faschismus» bestehe. Die Quelle der größten Verpestung der Welt ist der Haufen Unrat, der Rest dessen, was ehedem die kommunistische Internationale war.

Der Kampf für und gegen eine Neuaufteilung der Welt.

Gewisse Theoretiker der Zweiten Internationale, die, wie Kautsky, irgendeine Perspektive zu entdecken versuchten, haben die Hoffnung ausgedrückt, dass die Imperialisten, nachdem sie ihre Kräfte in dem großen Kriege der Völker gemessen hätten, gezwungen sein würden, sich untereinander zu verständigen und eine friedliche Herrschaft über die Welt in der Form einer Aktiengesellschaft zu errichten (Theorie des «Ultra-Imperialismus»). Diese philiströse pazifistische Theorie, der sozialdemokratische Schatten des Völkerbundes, versuchte vor zwei Prozessen die Augen zu schließen: erstens vor den fortwährenden Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten und der absoluten Unmöglichkeit, diese Veränderungen praktisch anders als durch Waffengewalt zu messen; zweitens vor dem Emanzipationskampf des Proletariats des Mutterlandes und der Kolonialvölker, ein Kampf, der der Hauptfaktor der Zerstörung des Gleichgewichts ist und durch seine Natur selbst die Möglichkeit einer «friedlichen» imperialistischen Plünderung ausschließt. Es sind gerade diese Ursachen, die bewirken, dass die Entwaffnungsprogramme elende Utopien bleiben.

Das schreiende und stets wachsende Missverhältnis zwischen dem spezifischen Gewicht Frankreichs und Englands in der Weltwirtschaft — ganz zu schweigen von Holland, Belgien und Portugal — und den grandiosen Dimensionen ihrer kolonialen Besitzungen ist ebenso sehr die Quelle der Weltkonflikte, ebenso sehr das Ferment des neuen Krieges, wie die unersättliche Gier der faschistischen «Angreifer». Besser gesagt: die Phänomene der einen und der anderen Art sind nur zwei Seiten einer und derselben Medaille. Die «friedlichen» englischen und französischen Demokratien stützen sich auf die Zermalmung der national-demokratischen Bewegungen von Hunderten von Millionen Menschen in Asien und Afrika, um von ihnen enorme Extragewinne zu erhalten. Andererseits versprechen Hitler und Mussolini «artiger» zu werden, wenn sie hinreichende Kolonialgebiete bekommen.

Dank des beinahe totalen Besitzes eines ganzen Kontinents mit unerschöpflichen natürlichen Reichtümern haben die Vereinigten Staaten ihre Herrschaft über die Welt in einer sehr «friedlichen» und sehr «demokratischen» Weise ausgebreitet, wenn man von Details wie Ausrottung der Indianer, Diebstahl des besten Teils von Mexiko, Zertrümmerung Spaniens, Teilnahme am Weltkrieg usw. absieht. Indessen gehört diese «idyllische» Ausbeutungsmethode nun der Vergangenheit an. Die schnelle und wirksame Verfaulung des amerikanischen Kapitalismus stellt ihn immer offener vor die Frage, unter einer militärischen Form zu leben oder zu sterben. Über die 14 Punkte Wilsons, die ARA (internationale philanthropische Organisation) Hoovers im Quäkerstil, den reformistischen New Deal Roosevelts. die Doktrin der Isolierung, die Gesetze der absoluten Neutralität usw. marschieren die Vereinigten Staaten unvermeidlich in eine imperialistische Explosion, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.

Weit zurückgeworfen durch den Versailler Frieden, machte Deutschland die Aufgabe der «nationalen Einigung» zur Basis seines imperialistischen Programms. Unter dieser Losung entstand und erstarkte der Faschismus als legitimer Erbe der Weimarer Demokratie. Welche Ironie des Schicksals! In der Periode ihres geschichtlichen Aufstiegs (von den Napoleonischen Kriegen bis zum Versailler Frieden von 1871) erwies sich die zurückgebliebene deutsche Bourgeoisie als unfähig, die nationale Einigung aus eigenen Kräften zu vollbringen. Bismarck vollendete dies Werk nur zur Hälfte, indem er den ganzen alten feudalen und partikularistischen Trödelkram unangetastet ließ. Gewiss, die Revolution von 1918 schaffte die deutschen Dynastien ab (einzig darum, weil der Sozialdemokratie die Kraft gefehlt hatte, sie zu retten!), aber durch die Sozialdemokratie In die Hände der Junker, der Bankiers, der Bürokratie und der Offiziere geliefert, fand sie sich nicht nur unfähig, eine einzige großdeutsche Republik zu sichern, sondern selbst das Deutschland der Hohenzollern auf bürokratische Weise zu zentralisieren. Diese beiden Aufgaben fielen Hitler zu. Auf seine Art erscheint der Leiter des Faschismus als Fortsetzer Bismarcks, der seinerseits der Testamentsvollstrecker der bürgerlichen Bankrotteure von 1848 gewesen war. Aber das ist schließlich nur die äußere Seite des Prozesses. Sein sozialer Inhalt ist radikal verändert. In den vorgeschrittenen Ländern ist der nationale Staat aus einem ehemals progressiven Faktor seit langem zu einer Bremse für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden. Zehn Millionen Deutsche mehr innerhalb der deutschen Grenzen verändern nicht die reaktionäre Natur des nationalen Staates. Das verstehen die Imperialisten auf ihre Weise sehr gut. Für Hitler handelt es sich keineswegs um die «Einigung der Deutschen» als unabhängige Aufgabe, sondern um die Schaffung eines geräumigeren europäischen Waffenplatzes für die künftige Weltexpansion. Die um die Sudetendeutschen, genauer um die Sudetenberge herum entstandene Krise war nur eine Episode auf dem Wege des Kampfes für die Kolonien.

Eine Neuaufteilung der Welt steht auf der Tagesordnung. Der erste Schritt zur revolutionären Erziehung der Arbeiter muss darin bestehen, sie unter den offiziellen Formeln, Losungen und heuchlerischen Phrasen die wirklichen imperialistischen Appetite, Pläne und Berechnungen unterscheiden zu lehren.

Das imperialistische Quartett ersetzt die Front der Demokratien.

Die kriecherische Folgsamkeit der europäischen Demokratien ist nicht das Resultat der Friedensliebe, sondern der Schwäche. Die Ursache der Schwäche ist nicht das demokratische Regime an sich, sondern das Missverhältnis zwischen der ökonomischen Basis der Mutterländer und den aus der Vergangenheit ererbten Kolonialreichen. Zu diesem Missverhältnis fügt sich der Emanzipationskampf der Kolonien, der besonders in Kriegszeiten den revolutionären Brand zu entfachen droht. Unter diesen Bedingungen wird die faulende «Demokratie» wahrhaft eine ergänzende Schwächequelle für die alten imperialistischen Mächte.

Die offene Reaktion in Frankreich profitiert zweifellos von den Kapitulationen der Volksfront. Mit Gewissheit kann man eine Verstärkung des französischen Faschismus erwarten, der den Schutz führender militärischer Kreise ausnutzen wird. In England, wo sich die konservative Bourgeoisie an der Macht befindet, ist es wahrscheinlich, dass in der nächsten Periode die Labour-Opposition mehr gewinnt als der Faschismus. Doch kann, angesichts der ganzen historischen Situation, die Machtübernahme durch die Labour Party nur eine Episode, genauer eine Etappe auf dem Wege radikaler Veränderungen sein. Weder Major Attlee noch Sir Citrine werden mit den bösen Geistern unserer Epoche fertig werden!

Auf die eine oder andere Weise hat die «Weltfront der Demokratien», die die Scharlatane der «Volksfronten» versprochen hatten, vorläufig ihren Ersatz gefunden in der Front der Vier Mächte: Deutschland, Italien, England und Frankreich. Nach der Konferenz von München, wo England und Frankreich mit der wie immer zweideutigen Vermittlung Mussolinis vor Hitler kapitulierten, erschienen die Führer der vier Machte vor ihren Völkern als nationale Helden. Hitler hatte die Deutschen geeint. Chamberlain und Daladier hatten den Krieg vermieden. Mussolini halte dem einen und dem anderen geholfen. Es lebe das Quartett. Die kleinbürgerliche Brüderschaft, die die GPU gewöhnlich für pazifistische Kongresse aller Arten mobilisiert, beginnt schon, ihre Blicke den neuen Messiassen des Friedens zuzuwenden. In der Frage der außerordentlichen Vollmachten für Daladier, den Helden der Kapitulation, enthielten die französischen Sozialisten sich der Stimme: die Enthaltung Ist nur eine Zwischenstufe beim Übergang vom Moskauer Lager in das Lager des Quartetts. Die Isolierung der stalinistischen Prätorianer in der Kammer und Im Senat symbolisiert die vollständige Isolierung des Kreml In der europäischen Politik.

Indessen kann man von nun an mit Gewissheit sagen, dass das Quartett von München ebenso wenig fähig ist, den Frieden zu erhalten, wie es die niemals verwirklichte «Front der Demokratien» war. England und Frankreich warfen Hitler die Tschechoslowakei zum Fraße hin, um ihm für eine gewisse Zeit etwas zum Verdauen zu geben und so die Frage der Kolonien in die Zukunft zu verschieben. Auf eine äußerst unklare und unbestimmte Weise versprachen Chamberlain und Daladier eine allgemeine Regelung aller strittigen Fragen. Seinerseits versprach Hitler, in Europa keinerlei territoriale Ansprüche mehr zu stellen. Wodurch er jedenfalls andeutete, dass er die Absicht habe, territoriale Ansprüche für die anderen Teile der Welt zu präsentieren. Was Elsass-Lothringen, Schleswig usw. betrifft, so verschiebt Hitler die Lösung dieser Fragen bestenfalls bis zum neuen Weltkrieg. Wenn in ein oder zwei Jahren in Frankreich der Faschismus Sieger ist und in England die Labour Party, so werden diese politischen Umbildungen sehr wenig zur Veränderung in der Gestaltung der imperialistischen Kombinationen auf dem Weltschachbrett beitragen. Das faschistische Frankreich wäre ebenso wenig wie das Frankreich der «Volksfront» geneigt, Elsass-Lothringen an Hitler abzutreten oder seine Kolonien mit ihm zu teilen. Die Arbeiterpartei, völlig durchtränkt vom Geiste des Imperialismus, würde weder den Antagonismus mit Italien im Mittelmeer mildern, noch die Entwicklung der Weltantagonismen der deutschen und britischen Interessen aufhalten können. Unter diesen Bedingungen wird das Quartett, selbst wenn es zustande kommt, nur zu einer neuen Krise führen, die man binnen kurzem erwarten kann. Der Imperialismus geht unvermeidlich und unwiderstehlich einer Neuaufteilung der Welt entgegen, die den Umbildungen in den Kräfteverhältnissen entspricht. Um der Katastrophe zuvorzukommen, muss man den Imperialismus erwürgen. Alle anderen Mittel sind Fiktionen, Illusionen, Betrügereien.

Der Sinn der Staatsumwälzung in der Tschechoslowakei.

Die Weigerung Frankreichs und Englands, die imperialistischen Interessen der tschechischen Bourgeoisie zu verteidigen, führte nicht nur zur Zerstückelung der Tschechoslowakei, sondern auch zum Einsturz ihres politischen Regimes. In chemisch reiner Form hat diese Erfahrung gezeigt, dass die tschechoslowakische Demokratie nicht der Ausdruck des «Volkswillens» war, sondern einzig ein Apparat für die Anpassung des tschechischen Monopolkapitals an die Schutzmächte. Von dem Augenblick an, wo die militärische Vormundschaft aufhörte, erwies sich der demokratische Mechanismus nicht nur als unnütz, sondern als schädlich, da er überflüssige Reibungen mit Hitler hervorzurufen drohte. Unter der Form der Militärdiktatur schufen die Spitzen der tschechischen Bourgeoisie unverzüglich einen neuen imperialistischen Anpassungsapparat. Die Veränderung des Regimes geschah ohne die mindeste Teilnahme des Volkes, ohne Neuwahlen, selbst ohne Appell an das frühere Parlament. Der durch das Volk gewählte Präsident. der Erz- «Demokrat» Benesch, rief einen alten General der Republik an die Macht, Diese Berufung hatte ursprünglich den Anschein einer Konzession an das Volk, das sich beunruhigte, protestierte und Demonstrationen veranstaltete, wobei es forderte, Hitler mit der Waffe in der Hand zu widerstehen. Widerstehen? Da habt Ihr einen General, einen nationalen Führer! Diesen Akt einmal vollbracht, zog sich der Präsident zurück. Worauf der General, der ehedem an der Spitze der Armee gestanden hatte und sozusagen das Schwert der Demokratie gewesen war. seine Absicht offenbarte, im Interesse der Freundschaft mit Hitler ein neues Staatsregime einzuführen. Und nichts mehr!*

Allgemein gesagt ist die Demokratie für die Bourgeoisie eine Notwendigkeit in einer Epoche der freien Konkurrenz. Dem nicht auf der «freien» Konkurrenz, sondern auf dem zentralisierten Kommando begründeten Monopolkapitalismus dient die Demokratie zu nichts; sie hemmt und hindert ihn. Bis zu einem gewissen Moment kann der Imperialismus die Demokratie als ein unvermeidliches Übel dulden. Doch innerlich strebt er nach der Diktatur. «Der Unterschied zwischen der republikanisch-demokratisch-imperialistischen Bourgeoisie und der reaktionären Monarchie – schrieb Lenin zur Zeit des vergangenen Krieges, schon vor 22 Jahren verwischt sich gerade deshalb, weil die eine wie die andere bei lebendigem Leibe verfaulen». Und weiter: «Die politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus.» Nur hoffnungslose Idioten können denken, dass die weltimperialistischen Antagonismen durch den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Demokratie und Faschismus bestimmt sind. Tatsächlich betrachten die führenden Cliquen aller Länder die Demokratie, die Militärdiktatur, den Faschismus usw., als verschiedene Instrumente und Methoden, um sich ihre Völker imperialistischen Zwecken zu unterwerfen; zudem findet sich im Inneren eines dieser politischer, Regimes, der Demokratie, von Anfang an ein anderes Regime, die Militärdiktatur, z.B. in der Form des Generalstabs, eingeschlossen.

In Deutschland stellte die imperialistische Bourgeoisie unter der aktiven Mitwirkung der Sozialdemokratie den Feldmarschall Hindenburg auf den Präsidentenposten, der der Verteidiger gegen den Faschismus sein sollte. Hindenburg rief seinerseits Hitler an die Macht, worauf der Feldmarschall zwar nicht abdankte, sondern starb; das ist nur eine Frage der Technik und des Alters. Im Grunde reproduziert die Wendung in der Tschechoslowakei die wesentlichen Züge der deutschen Wendung und enthüllt dadurch die fundamentalen Triebkräfte der politischen Mechanik des Imperialismus. Zweifellos wurde die Frage des Regimes der Tschechoslowakei hinter den Kulissen entschieden, in den Konferenzen der tschechischen, französischen, englischen und deutschen Kapitalmagnaten, der Spitzen der Generalstäbe und der Diplomatie. Die Hauptsorge war, dass die Verschiebung der staatlichen Grenzen die Interessen der Finanzoligarchie so wenig wie möglich störte. Die Orientierungsänderung, um von England und Frankreich nach Deutschland überzugehen, bedeutete im Grunde einen Aktienaustausch, eine Neuverteilung der Militäraufträge für Skoda usw.

Im Vorbeigehen sei gesagt, dass niemand sich um die Stellung der Sozialdemokratie und der ex-kommunistischen Partei gesorgt hat, denn in der Tschechoslowakei waren sie nicht fähiger zum Widerstand als es ihre älteren Brüder in Deutschland gewesen waren. Indem sie sich den nationalen «Notwendigkeiten» unterordneten, taten diese völlig verfaulten Organisationen alles, um den revolutionären Widerstand des Proletariats zu paralysieren. Nach Vollendung der Wendung wird die Finanzclique zweifellos ein «Referendum» veranstalten, d.h. sie wird dem in die Sackgasse getriebenen Volk die kostbare Möglichkeit geben, unter Sirovys Revolver die ohne und gegen das Volk durchgeführte Wendung zu «billigen».

Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit der Tschechoslowakei?

Während der kritischen Septemberwoche haben sich, wie man uns berichtet, selbst auf dem linken Flügel des Sozialismus Stimmen erhoben, dass im Falle des «besonderen Kampfes» zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland das Proletariat der Tschechoslowakei hätte helfen müssen, ihre «nationale Unabhängigkeit» zu retten und sei es selbst um den Preis eines Bündnisses mit Benesch. Dieser hypothetische Fall hat sich nicht verwirklicht; wie zu erwarten, kapitulierten die Helden der tschechoslowakischen Unabhängigkeit ohne Kampf. Im Interesse der Zukunft ist es hier indes unmöglich, an dem sehr groben und gefährlichen Irrtum der unzeitgemäßen Theoretiker der «nationalen Unabhängigkeit» vorbeizugehen.

Die Tschechoslowakei stellt, selbst wenn man ihre internationalen Bindungen beiseite lässt, einen durchaus imperialistischen Staat dar. Ökonomisch regiert dort das Großkapital. Politisch herrscht (bald muss man vielleicht sagen: herrschte) die tschechische Bourgeoisie über verschiedene unterdrückte Nationalitäten. Selbst seitens der isolierten Tschechoslowakei wäre der Krieg nicht für die nationale Unabhängigkeit geführt worden, sondern für die Aufrechterhaltung und, wenn möglich, für die Erweiterung der Grenzen der imperialistischen Ausbeutung.

Der Krieg zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland konnte, selbst wenn andere imperialistische Staaten sich nicht eingemischt hätten, absolut nicht außerhalb des Gewebes der europäischen und weit-imperialistischen Beziehungen betrachtet werden, aus denen dieser Krieg wie eine Episode hervorgegangen wäre. Einen oder zwei Monate später würde der tschechisch-deutsche Krieg — wenn die tschechische Bourgeoisie sich hätte schlagen wollen und können — die fast unvermeidliche Intervention der anderen Staaten herausgefordert haben. Darum wäre es für die Marxisten ein Irrtum, ihre Position auf der Grundlage zeitlicher diplomatischer und militärischer Gruppierungen und nicht auf der Basis des allgemeinen Charakters der Kräfte, die hinter diesem Kriege stehen, zu bestimmen.

Hunderte Male haben wir die unersetzliche und unschätzbare These von Clausewitz wiederholt: der Krieg ist die Fortsetzung der Politik, aber mit anderen Mitteln. Um in jedem konkreten Fall den historischen und sozialen Charakter des Krieges zu bestimmen, gilt es, sich nicht durch Eindrücke und Konjunkturen leiten zu lassen, sondern durch die wissenschaftliche Analyse der Politik, die dem Kriege voraufging und ihn bedingte. Diese Politik hatte, bei einer aus verschiedenen Stücken zusammengesetzten Tschechoslowakei, vom ersten Tage ihrer Entstehung an einen imperialistischen Charakter.

Man kann einwenden, dass sich Hitler nach der Abtrennung der Sudetendeutschen, der Ungarn, der Polen, und, vielleicht, der Slowaken, nicht genieren werde, die Tschechen selbst in die Sklaverei zurückzuführen, und dass in diesem Falle der Kampf für die nationale Unabhängigkeit alles Recht auf die Unterstützung des Proletariats haben würde. Eine solche Art die Frage zu stellen, ist nichts anderes als ein sozialpatriotischer Sophismus. Welches die weiteren Phasen der Entwicklung der Imperialistischen Antagonismen sein werden, wissen wir nicht. Die vollständige Zermalmung der Tschechoslowakei ist gewiss durchaus möglich. Aber es ist auch möglich, dass, noch ehe diese Zermalmung vollendet ist. der europäische Krieg ausbricht, in dem die Tschechoslowakei sich an der Seite der Sieger befinden und an einer neuen Zerstückelung Deutschlands teilnehmen wird. Ist die Rolle der revolutionären Partei etwa die einer Krankenschwester am Lager der vom Imperialismus «verkrüppelten» Gangster?

Es ist absolut klar, dass das Proletariat seine Politik aufbauen muss, indem es von dem gegebenen Kriege ausgeht, so wie er ist, d.h. wie er durch den vorherigen Gang der Entwicklung bedingt ist, und nicht, indem es von hypothetischen Mutmaßungen den möglichen strategischen Ablauf des Krieges ausgeht. Mit solchen Mutmaßungen wird jeder unvermeidlich die Variante wählen, die seinen eigenen Wünschen, seinen eigenen nationalen Sympathien und Antipathien am besten entspricht. Es ist klar, dass eine solche Politik nicht einen marxistischen, sondern einen subjektiven, nicht einen internationalistischen, sondern chauvinistischen Charakter hat.

Welches auch immer der Ort sei, an dem der imperialistische Krieg begonnen wird – er wird nicht für irgendeine «nationale Unabhängigkeit» sondern im Hinblick auf die Neuverteilung der Welt gemäß den Interessen der verschiedenen Cliquen des Finanzkapitals gemacht werden. Das schließt nicht aus, dass der imperialistische Krieg die Lage dieser oder jener Nation» vorübergehend verbessern oder verschlimmern kann; genauer hieße es: die Lage einer Nation zum Nachteil einer anderen. So zerstückelte der Versailler Vertrag Deutschland. Ein neuer Frieden kann Frankreich zerstückeln. Die Sozialpatrioten rufen gerade darum eine mögliche «nationale» Gefahr in der Zukunft an, um in der Gegenwart «ihre» imperialistischen Banditen zu unterstützen. Die Tschechoslowakei bildet nicht im geringsten Maße eine Ausnahme von dieser Regel.

Alle konjunkturellen Argumente dieser Art und die Ängste vor zukünftigen nationalen Bedrängnissen, die für die Predigt der Unterstützung dieser oder jener Bourgeoisie geeignet sind, gehen im Grunde von dem stillschweigenden Verzicht auf die revolutionäre Perspektive und die revolutionäre Politik aus. Wohlverstanden: wenn der neue Krieg durch den alleinigen Sieg dieses oder jenes imperialistischen Lagers beendet wird; wenn der Krieg weder den revolutionären Aufstand noch den Sieg des Proletariats hervorbringt; wenn ein neuer imperialistischer Frieden, schrecklicher als der von Versailles, den Völkern für Jahrzehnte neue Ketten auferlegt; wenn die unglückliche Menschheit all dies stillschweigend und passiv erduldet, — dann können nicht nur die Tschechoslowakei und Belgien, sondern auch Frankreich in den Rang unterdrückter Nationen zurückgeworfen werden (dieselbe Hypothese kann man euch hinsichtlich Deutschlands aufstellen). In diesem Falle muss die künftige furchtbare Zersetzung des Kapitalismus alle Völker für viele Jahrzehnte zurückwerfen. Gewiss, wenn sich diese Perspektive der Passivität, der Kapitulation, der Niederlage und des Verfalls verwirklichte, wären die unterdrückten Massen und ganze Völker gezwungen, sich auf den Knien schleppend, mit ihren Schweiß und Blut bezahlend, den schon früher zurückgelegten Weg noch einmal zu erklimmen.

Ist eine solche Perspektive ausgeschlossen? Wenn das Proletariat die Führung der Sozial-Imperialisten und der Kom-Chauvinisten endlos duldet; wenn die Vierte Internationale den Weg zu den Massen nicht zu finden weiß; wenn die Schrecken des Krieges die Arbeiter und Soldaten nicht auf den Weg der Revolte stoßen; wenn die Kolonialvölker gehorsam ihr Blut für die Interessen der Sklavenhalter geben, — unter diesen Bedingungen würde sich das Niveau der Zivilisation unvermeidlich senken, und ein allgemeiner Rückschritt und Verfall können in Europa aufs Neue nationale Kriege auf die Tagesordnung stellen. Doch dann werden wir, oder genauer: unsere Kinder, unsere Politik hinsichtlich der künftigen Kriege auf der Grundlage der Analyse der neuen Situation bestimmen müssen. Heute gehen wir nicht von einer Perspektive des Verfalls, sondern der Revolution aus; wir sind Defätisten auf Kosten des Imperialismus und nicht des Proletariats. Die Frage des Schicksals der Tschechen, der Belgier, der Franzosen und der Deutschen als Nationen binden wir nicht an die zeitlichen Verschiebungen der militärischen Fronten bei einem neuen Handel der Imperialisten, sondern an den Aufstand des Proletariats und an seinen Sieg über alle Imperialismen. Wir schauen vorwärts und nicht zurück. Das Programm der Vierten Internationale sagt, dass die Freiheit aller Nationen Europas, der kleinen und großen, nur im Rahmen der Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa gesichert werden kann.

Noch einmal über die Demokratie und den Faschismus.

Wohlverstanden bedeutet dies alles nicht, dass im allgemeinen zwischen Demokratie und Faschismus kein Unterschied bestehe oder dass dieser Unterschied ohne Wichtigkeit für das Proletariat sei, wie die Stalinisten noch vor ganz kurzem behaupteten. Die Marxisten haben mit einem so tollen politischen Nihilismus nichts zu tun. Es gilt nur, in jedem gegebenen Fall den wirklichen Inhalt dieses Unterschieds, und seine wahren Grenzen klar zu begreifen.

Für die zurückgebliebenen kolonialen und halbkolonialen Länder bildet der Kampf für die Demokratie, die nationale Unabhängigkeit einbegriffen, eine notwendige und fortschrittliche Etappe der geschichtlichen Entwicklung. Gerade darum anerkennen wir es nicht nur als Recht, sondern auch als Pflicht für die Arbeiter dieser Länder, aktiv an der «Verteidigung des Vaterlandes» gegen den Imperialismus teilzunehmen, wohlverstanden unter der Bedingung der Aufrechterhaltung der vollständigen Unabhängigkeit ihrer Klassenorganisationen und des unversöhnlichen Kampfes gegen die Gifte des Chauvinismus. So befindet sich in dem Konflikt Mexikos mit den Petroleummagnaten und deren Exekutivkomitee, der demokratischen Regierung Großbritanniens, das bewusste Proletariat der ganzen Welt vollständig an der Seite Mexikos (wohlverstanden, das betrifft nicht die imperialistischen Lakaien, die die Labour Party führen).

Der vorgeschrittene Kapitalismus hingegen hat nicht nur seit langem die früheren Eigentumsformen überschritten, sondern auch ihn nationalen Staat und infolgedessen auch die bürgerliche Demokratie. Hierin besteht gerade die fundamentale Krise der heutigen Zivilisation. Die imperialistische Demokratie verfault und zerfällt. Für die vorgeschrittenen Länder ist das Programm der «Verteidigung der Demokratie» ein Programm der Reaktion. Die einzig fortschrittliche Aufgabe ist hier die Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution. Ihr Ziel ist, den Rahmen des allen Nationalstaates zu zerbrechen und die Gesellschaft gemäß den geographischen und technischen Bedingungen aufzubauen, ohne Zölle und mittelalterliche Abgaben.

Noch einmal, das bedeutet nicht eine gleichgültige Haltung gegenüber den heutigen politischen Methoden des Imperialismus! In allen Fällen, wo die konterrevolutionären Kräfte versuchen, vom faulenden «demokratischen» Staat zum provinziellen Partikularismus, zur Monarchie, der Militärdiktatur, dem Faschismus zurückzugehen, wird das revolutionäre Proletariat, ohne die mindeste Verantwortung für die «Verteidigung der Demokratie» (sie ist nicht zu verteidigen!) auf sich zu nehmen, den konterrevolutionären Kräften einen bewaffneten Widerstand entgegensetzen, um im Falle des Erfolgs seine Offensive gegen die imperialistische Demokratie zu richten.

Diese Politik ist indessen nur anwendbar für innere Konflikte, d.h. für den Fall, wo der Einsatz des Kampfes wahrhaft die Frage des politischen Regimes ist: so hat sich z.B. die Frage in Spanien gestellt. Die Teilnahme der spanischen Arbeiter am Kampfe gegen Franco war ihre elementare Pflicht. Doch einzig und allein weil es den Arbeitern nicht gelungen ist, zeitig die bürgerliche Demokratie durch ihre eigene Macht zu ersetzen, hat die «Demokratie» dem Faschismus Platz gemacht.

Indes ist es reiner Betrug und Scharlatanerie, die Gesetze und Regeln des Kampfes der verschiedenen Klassen einer und derselben Nation mechanisch auf den imperialistischen Krieg, d.h. auf den Kampf einer und derselben Klasse verschiedener Nationen zu übertragen. Heutzutage ist es, wie es scheint, nicht nötig zu beweisen, dass die Imperialisten nicht um politische Prinzipien gegen einander kämpfen, sondern um die Beherrschung der Welt, unter dem Deckmantel der Prinzipien, die ihnen gut scheinen.

Mussolini und seine nächsten Mitarbeiter sind, soviel man sehen kann, Atheisten, d.h. sie glauben weder an Gott noch an den Teufel. Der König von England und seine Minister stecken tief in mittelalterlichen Vorurteilen und glauben nicht nur an den Teufel, sondern sogar an seine Großmutter. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Krieg zwischen Italien und England ein Krieg der Wissenschaft gegen die Religion wäre. Der Atheist Mussolini würde mit allen seinen Kräften die religiösen Leidenschaften der Muselmänner anfachen. Der achtbare Protestant Chamberlain würde seinerseits um die Hilfe des Papstes werben usw. Im Kalender des menschlichen Fortschritts steht die Republik über der Monarchie. Bedeutet dies, dass der Krieg des republikanischen Frankreich, sagen wir gegen das monarchistische Holland und um dessen Kolonien, der Krieg der Republik gegen die Monarchie wäre? Ganz zu schweigen davon, dass im Falle eines nationalen Krieges des Bey von Tunis gegen Frankreich der Fortschritt sich auf der Seite der barbarischen Monarchie und nicht auf der der imperialistischen Republik befände. Die Hygiene nimmt einen wichtigen Platz in der menschlichen Zivilisation ein. Wenn es sich jedoch um einen Mord handelt, hat die Frage, ob der Mörder sich vorher die Hände gewaschen hatte, keine entscheidende Bedeutung. Die wirklichen Ziele der kämpfenden imperialistischen Lager durch politische und moralische Abstraktionen ersetzen, heißt nicht für die Demokratie kämpfen, sondern den Räubern helfen, ihre Diebstähle, Plündereien und Gewalttaten zu maskieren. Eben darin besteht gegenwärtig die Funktion der Zweiten und Dritten Internationale.

Die internationale Politik der bonapartistischen Kremlclique.

Der unmittelbare Schlag wurde diesmal gegen die Tschechoslowakei geführt. Frankreich und England haben ernsten Schaden davongetragen. Den furchtbarsten Schlag aber hat der Kreml erlitten. Sein System von Fiktionen, Scharlatanerien und Betrügereien ist international zusammengebrochen.

Nachdem sie die Sowjetmassen erdrückt und mit der Politik der internationalen Revolution gebrochen hat, ist die Kremlclique das Spielzeug des Imperialismus geworden. Im Wesentlichen war die Diplomatie Stalins in den letzten fünf Jahren nur der Reflex und die Ergänzung der Diplomatie Hitlers, 1933 versuchte Stalin mit allen seinen Kräften der Verbündete Hitlers zu werden. Doch wurde die ausgestreckte Hand zurückgewiesen, denn bei der Werbung um die Freundschaft Englands spielte Hitler sich als Retter Deutschlands und Europas vor dem Bolschewismus auf. Nun stellte Stalin sich die Aufgabe, dem kapitalistischen Europa zu beweisen, dass es Hitler nicht brauche, dass der Bolschewismus keinerlei Gefahr in sich berge, dass die Regierung des Kreml ein wohl dressiertes Tier sei. welches schön zu machen verstünde. So wird Stalin, indem er sich von Hitler weg drängt, genauer von ihm weg gedrängt wird, allmählich ein Lakai und gedungener Mörder im Dienste der Länder des satten Imperialismus.

Daher bei der totalitären Bande des Kreml die so absurde Leidenschaft, vor der absterbenden bürgerlichen Demokratie auf den Knien zu rutschen. Daher die stumpfsinnig-falsche Idealisierung des Völkerbundes. Daher die «Volksfronten», die die spanische Revolution erwürgt haben. Daher die Ersetzung des wirklichen Klassenkampfes durch Deklamationen «gegen den Faschismus». Mit einer ganz besonderen Unverschämtheit hat sich die gegenwärtige internationale Funktion der Sowjetbürokratie und der Komintern auf dem pazifistischen Kongress von Mexiko (September 1938) offenbart, wo die von Moskau gemieteten Agenten die Völker Lateinamerikas zu überzeugen versuchten, dass sie nicht gegen den sehr realen sie bedrohenden Imperialismus, sondern ausschließlich gegen den Faschismus zu kämpfen hätten.

Wie zu erwarten, hat Stalin sich durch seine niedrigen Manöver weder Freundschaft noch Vertrauen erworben. Die Imperialisten haben die Gewohnheit, eine Gesellschaft nicht nach den Erklärungen ihres «Führers», selbst nicht nach dem Charakter ihrer politischen Struktur, sondern nach ihrer sozialen Basis einzuschätzen. Solange die USSR das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln aufrecht erhält, indem sie das Außenhandelsmonopol schützt, solange werden die Imperialisten, einschließlich der «demokratischen» Imperialisten nicht mehr Vertrauen zu Stalin und unvergleichlich weniger Respekt vor ihm haben, als das feudale und monarchistische Europa vor dem ersten Bonaparte hatte. Umstrahlt von dem Glorienschein seiner Siege und umringt von dem Zuge seiner glänzenden Marschälle ist Napoleon dem Waterloo nicht entronnen. Stalin hat die Serie seiner Kapitulationen, Niederlagen und Verrätereien durch die allgemeine Ausrottung der Marschälle der Revolution gekrönt. Kann man den mindesten Zweifel über das Los haben, das ihn erwartet?

Das einzige Hindernis auf dem Wege zum Kriege ist die Angst der besitzenden Klassen vor der Revolution. Solange die kommunistische Internationale den Prinzipien der proletarischen Revolution treu blieb, stellte sie neben der roten Armee, mit der sie eng verbunden war, den Hauptfaktor des Friedens dar. Indem Stalin die Komintern prostituierte und sie in eine Agentur des «demokratischen» Imperialismus verwandelte, indem er die militärische Kraft der Sowjets enthauptete und paralysierte, hat er Hitler wie seinen Gegnern endgültig die Hände frei gemacht und Europa zum Kriege getrieben.

Die Fälscher von Moskau überschütten jetzt ihren ehemaligen demokratischen Freund Benesch mit wohlfeilen Verwünschungen, weil er zu früh «kapituliert» und die rote Armee verhindert habe, Hitler unabhängig von der Haltung Frankreichs zu zerschmettern. Dieser Theaterdonner lässt die Ohnmacht und Heuchelei des Kreml in seiner reinsten Gestalt hervortreten. Wer hat Euch genötigt, an Benesch zu glauben? Wer hat Euch gezwungen, Euch dem Mythos des «Bundes der Demokratien» zu unterwerfen? Wer endlich hat Euch in den kritischen Stunden, als es in der ganzen Tschechoslowakei wie in einem Kessel brodelte, verhindert, das Proletariat von Prag aufzurufen, die Macht zu ergreifen und ihm die rote Armee zu Hilfe zu schicken? Offenbar ist es schwieriger, gegen den Faschismus zu kämpfen, als alte Bolschewiken erschießen und vergiften zu lassen … Am Beispiel der Tschechoslowakei müssen alle kleinen Staaten und besonders die Kolonialvölker ersehen, welche Hilfe sie vom Kreml erwarten können.

Allein der Sturz der bonapartistischen Kremlclique wird die Wiederherstellung der militärischen Kraft der UdSSR ermöglichen. Allein die Liquidierung der Ex-Komintern wird dem revolutionären Internationalismus den Weg öffnen. Der Kampf gegen den Krieg, gegen Imperialismus und Faschismus erfordert einen unbarmherzigen Kampf gegen den verbrechenbeladenen Stalinismus. Wer ihn direkt oder indirekt verteidigt, wer über seine Verrätereien schweigt oder seine militärische Kraft übertreibt, der ist der schlimmste Feind der Revolution, des Sozialismus und der unterdrückten Völker. Je früher die Clique des Kreml durch den bewaffneten Angriff der Arbeiter gestürzt wird, desto größer werden die Chancen der sozialistischen Wiedergeburt der USSR, desto naher und breiter wird die Perspektive der internationalen Revolution sein.

Die soziale Basis des Opportunismus.

Um die gegenwärtige Rolle der Sozialdemokratie und der Ex-Komintern zu verstehen, muss man aufs Neue an das erinnern, was die ökonomische Basis des Opportunismus in der Weltarbeiterbewegung ausmacht.

Die Blüte des Kapitalismus, die mit den unvermeidlichen Schwankungen bis 1913 andauerte, erlaubte der Bourgeoisie einerseits, das Lebensniveau gewisser Schichten des Proletariats leicht zu erhöhen, andererseits der Bürokratie und Arbeiteraristokratie hinreichend fette Pfründe zu verschaffen und sie so über die Masse zu erheben. Die gewerkschaftliche und parlamentarische Bürokratie, deren «soziale Frage» nahezu gelöst schien, hatte die Möglichkeit, den Massen zu zeigen, dass dies der Beginn der Verbesserung ihres eigenen Loses sei. Das ist die soziale Basis des Reformismus (Opportunismus) als System der Massenillusionen und als System des Betrugs seitens der Arbeiterbürokratie. Der reformistische Optimismus der Zweiten Internationale erreichte seine höchste Blüte in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs, der dem Kriege voraufging (1909-1913). Darum begrüßten die Führer den Krieg und stellten ihn den Massen als ein äußeres Übel vor, das die Grundlagen der wachsenden nationalen Prosperität bedrohe. Daher die Politik der «Vaterlandsverteidigung», die in der Tat – unbewusst seitens der Massen, bewusst oder halb bewusst seitens der Arbeiterbürokratie – die Verteidigung der imperialistischen Interessen ihrer eigenen Bourgeoisie war.

In Wirklichkeit war der Krieg nicht ein «äußeres» Übel, das den nationalen Fortschritt zeitweilig erschütterte, sondern die Explosion der Inneren Widerspräche des kapitalistischen Systems im Moment, wo ein weiterer Fortschritt auf der Grundlage dieses Systems praktisch unmöglich geworden war. Und da der Krieg weder die Oberfläche unseres Planeten zu vergrößern noch dem Kapitalismus seine Jugend zurückzugeben vermochte, hatte er den Prozess der kapitalistischen Verfaulung außerordentlich beschleunigt und verschärft. Mit dem Niedergang der Demokratie hat der Niedergang der Arbeiterbürokratie begonnen. Der Faschismus brachte den Arbeitern «nur» doppelte Versklavung; der reformistischen Bürokratie brachte er den vollständigen Ruin.

Die politische Form der Demokratie wurde, obgleich bis zum äußersten verstümmelt («außerordentliche Vollmachten», Gesetze über die Einwanderung, Aufgabe des Asylrechts usw.), unter den großen Mächten allein durch Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten konserviert, die reichsten kapitalistischen Länder der Welt, die traditionellsten Plünderer und Privilegierten, die seit langem den Löwenanteil der kolonialen Besitzungen und der wichtigsten natürlichen Reichtümer unseres Planeten in ihren Händen konzentriert haben, Die Erklärung für diese «natürliche Auslese» Ist nicht schwer zu finden. Die Demokratie kann sich halten, solange die Klassengegensätze sich nicht zu explodieren anschicken. Um die sozialen Reibungen zu mildern ist die Bourgeoisie gezwungen, einer breiten Schicht der kleinbürgerlichen Intelligenz, der Bürokratie und der Arbeiteraristokratie einen Köder anzubieten. Je größer die Futterkrippe, um so glühender ist der Sozialpatriotismus. Heutzutage hat sich reformistische Futterkrippe nur in den Ländern erhalten, die in der Vergangenheit dank der Ausbeutung des Weltmarktes und der Plünderung der Kolonien unermessliche Reichtümer anhäufen konnten. Mit anderen Worten: unter den Bedingungen der kapitalistischen Fäulnis ist das demokratische Regime (bis zu einer gewissen Zeit) nur der aristokratischen Bourgeoisie zugänglich. Die koloniale Sklaverei bleibt die Grundlage des Sozialpatriotismus

In Ländern wie Italien und Deutschland: die von der Vergangenheit keine Anhäufungen großer Reichtümer ererbt haben und die der Möglichkeit beraubt sind, Extraprofite aus ihren Kolonien zu erhalten, hat die Bourgeoisie das Parlament vernichtet, die reformistische Bürokratie verjagt und die Arbeiter in einen eisernen Schraubstock gezwängt. Gewiss, die faschistische Bürokratie verschlingt nicht weniger, sondern mehr als die reformistische Bürokratie. Doch sie sieht sich wenigstens nicht gezwungen, den Massen Konzessionen zu machen oder ihnen Verträge zu geben, die der heruntergekommene Kapitalismus nicht mehr bezahlen kann. Der Futterkrippe beraubt, halt die in Italien. Deutschland und Österreich abgedankte sozialdemokratische Bürokratie die Fahne des Defätismus fest und hoch... in der Emigration.

Der Hauptursprung der Kraft der sozialpatriotischen, genauer sozialimperialistischen Parteien ist der Schulz, den ihnen die Bourgeoisie bietet, die durch Parlament, Presse, Armee und Polizei die Sozialdemokratie gegen die revolutionären Bewegungen aller Art und selbst gegen die revolutionäre Kritik verteidigt und beschützt. Im künftigen Kriege wird diese organische Verbindung der Bürokratie mit der Bourgeoisie infolge der Zuspitzung der nationalen und internationalen Widersprüche noch offener und zynischer hervortreten, oder besser gesagt, sie beginnt schon jetzt hervorzutreten, insbesondere durch die Verratspolitik der Volksfronten, die am Vorabend des vergangenen Krieges absolut unbegreiflich gewesen wäre. Jedoch kommt die Initiative der Volksfronten nicht von der Zweiten Internationale, sondern von der Dritten.

Der Kom-Chauvinismus.

Die unerhört schnelle Entwicklung des Sowjetopportunismus erklärt sich durch ähnliche Ursachen, die eine Generation vorher zum Aufblühen des Opportunismus in den kapitalistischen Ländern geführt hatten: das Parasitentum einer Arbeiterbürokratie, der es gelungen ist, auf der Grundlage des Aufschwungs der Produktivkräfte der UdSSR ihre «soziale Frage» zu lösen. Da aber die Sowjetbürokratie unvergleichlich mächtiger ist als die Arbeiterbürokratie der kapitalistischen Länder und da die Futterkrippe, worüber sie verfügt, sich durch eine fast unbegrenzte Kapazität auszeichnet, ist nichts Erstaunliches daran, wenn die Sowjet-Abart des Opportunismus mit einem einzigen Schlage einen besonders perfiden und gemeinen Charakter angenommen hat.

Was die eigentliche Ex-Komintern betrifft, so hat ihre soziale Basis einen doppelten Charakter: einerseits lebt sie von den Zuschüssen des Kreml, ist seinem Kommando unterstellt, und in diesem Sinne ist der ex-kommunistische Bürokrat der jüngere Bruder und der Untergebene der Sowjetbürokraten; andererseits schöpfen die verschiedenen Apparate der Ex-Komintern aus den gleichen Quellen wie die Sozialdemokratie, d.h. aus den Überprofiten des nationalen Imperialismus. Das Wachstum der kommunistischen Parteien in den letzten Jahren, ihr Eindringen in die Reihen des Kleinbürgertums, ihre Festsetzung im Staatsapparat, in den Gewerkschaften, Parlamenten, Gemeinderäten usw. hat ihre Abhängigkeit gegenüber dem nationalen Imperialismus auf Kosten ihrer traditionellen Abhängigkeit vom Kreml in außerordentlichem Maße verstärkt.

Vor zehn Jahren wurde vorausgesagt, dass die Theorie des Sozialismus in einem einzigen Lande unvermeidlich zur Entwicklung nationalistischer Tendenzen in den Sektionen der Komintern führen müsse. Diese Voraussage ist eine offenkundige Tatsache geworden. Aber bis in die letzte Zeit hinein schien der französische, britische, belgische, tschechoslowakische, amerikanische usw. Kom-Chauvinismus die Widerspiegelung der Interessen der Sowjetdiplomatie (die «Verteidigung der USSR») zu sein und war es bis zu einem gewissen Grade. Heute kann man mit Sicherheit das Kommen einer neuen Etappe voraussagen. Das Wachstum der imperialistischen Antagonismen, die offenkundige Annäherung der Kriegsgefahr und die ebenso offenkundige Isolierung der USSR müssen unfehlbar die zentrifugalen nationalen Tendenzen im Innern der Ex-Komintern verstärken. Jede ihrer Sektionen wird beginnen, eine patriotische Politik auf eigene Rechnung zu entfalten. Stalin hat die kommunistischen Parteien der imperialistischen «Demokratien» mit ihrer nationalen Bourgeoisie versöhnt. Diese Etappe ist nun durchschritten. Der bonapartistische Kuppler hat seine Rolle erfüllt. Von nun an müssen sich die Kom-Chauvinisten um ihr eigenes Schicksal bekümmern, dessen Interessen nicht immer mit der «Verteidigung der USSR» zusammenfallen.

Als der Amerikaner Browder es für möglich hielt, vor der Senatskommission zu erklären, dass im Falle des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und der USSR seine Partei sich an der Seite ihres geliebten Vaterlandes befinden würde, betrachtete er selbst diese Phrase vielleicht als eine einfache Kriegslist. Doch ist die Antwort Browders in Wirklichkeit das unfehlbare Symptom des Überganges von der Orientierung «nach Moskau» zur nationalen Orientierung. Die «Kriegslist» ist aus der Notwendigkeit hervorgegangen, sich dem imperialistischen «Patriotismus» anzupassen. Die zynische Plumpheit dieser «List» (überzugehen vom «Vaterland der Arbeiter» zur Republik des Dollars) offenbart die ganze Tiefe der eingetretenen Entartung, die ganze Gewalt der Abhängigkeit der Kominternsektionen von der öffentlichen Meinung der Bourgeoisie.

Fünfzehn Jahre ununterbrochener Reinigungen. Entsittlichung und Korruption haben die Bürokratie der Ex-Komintern bis zu einem solchen Grade demoralisiert, dass sie sich als fähig und vorbereitet erwies, die Fahne des Sozialpatriotismus offen in Ihre Hände zu nehmen. Selbstverständlich haben die Stalinisten (bald wird man sagen müssen: die Ex-Stalinisten) das Pulver nicht erfunden. Sie haben nur dir verschlissensten Klischees des kleinbürgerlichen Opportunismus wieder hervorgeholt. Doch indem sie diese propagierten, haben sie sie mit der Tobsucht «revolutionärer» Emporkömmlinge ausgestattet, die aus der totalitären Verleumdung, der Erpressung und dem Mord normale Methoden der «Verteidigung der Demokratie» gemacht haben. Was die alten klassischen Reformisten betrifft, so haben sie sich der Unterstützung der neuen Rekruten des Chauvinismus zu bedienen verstanden und sich bei jedem sie genierenden Fall die Hände in Unschuld gewaschen.

In dem imperialistischen Lande (falls sich ein solches findet), das sich während des Krieges mit der USSR im gleichen Lager befinden wird, wird die Sektion der Ex-Komintern natürlich Moskau «verteidigen». Der Wert dieser Verteidigung wird freilich nicht sehr groß sein, denn in diesem Lande «verteidigen» alle Parteien die USSR. (Um sich vor dem imperialistischen Bundesgenossen nicht zu kompromittieren, wird Moskau der kommunistischen Partei zweifellos befehlen, nicht zu laut zu schreien und wird vielleicht sogar versuchen, sie aufzulösen.) In den Ländern des gegnerischen Lagers aber, d.h. gerade dort, wo Moskau Verteidiger nötig hätte, werden die ex-kommunistischen Parteien sich sämtlich an der Seite ihres imperialistischen Vaterlandes befinden: das wird unvergleichlich weniger gefährlich und einträglicher sein. Die führende Moskauer Clique wird die verdienten Früchte von fünfzehn Jahren Prostitution der Komintern ernten.

Die Zweite und die Dritte Internationale In den Kolonialländern.

Der wahre Charakter der Sozialdemokratie als Partei, deren Politik sich auf die imperialistische Ausbeutung der zurückgebliebenen Völker stützte und stützt, wird auf die klarste Weise durch die Tatsache erhellt, dass die Zweite Internationale in den kolonialen und halbkolonialen Ländern niemals Einfluss besessen hat. Die Arbeiterbürokratie der imperialistischen Länder hat bewusst oder halb bewusst gefürchtet, in den Kolonien eine Bewegung hervorzurufen, die die Grundlage ihrer eigenen Prosperität im Mutterlande hätte untergraben können.

Anders verhält es sich mit der Komintern. Als wahrhaft revolutionäre Organisation warf sie sich sofort auf das jungfräuliche Gebiet der Kolonien und eroberte dort dank des revolutionären Programms des Leninismus einen bedeutenden Einfluss. Die spätere bürgerliche Entartung der Komintern machte aus ihren Sektionen in den Kolonien und Halbkolonien, besonders in Lateinamerika, die linke Agentur des europäischen und amerikanischen Imperialismus. Parallel hiermit änderte sich auch die Basis der kolonialen «kommunistischen» Parteien. Während es seine asiatischen und afrikanischen Sklaven und seine amerikanischen Halbsklaven erbarmungslos ausplündert, ist jetzt das fremde Kapital in den Kolonien gezwungen, einer dünnen Schicht der Aristokratie — eine erbärmliche, elende, aber trotz allem eine Aristokratie in der Masse des allgemeinen Elends — einen Köder hinzuwerfen. Der Stalinismus ist in den letzten Jahren die Partei dieser Arbeiter«aristokratie» geworden und auch die der «linken» Fraktion des Kleinbürgertums, vorzüglich der Beamten. Die bürgerlichen Advokaten, Journalisten, Professoren usw., die sich der nationalen Revolution anpassen und, um ihre Karriere zu machen, die Arbeiterorganisationen ausbeuten, finden im Stalinismus die bestmögliche Ideologie.

Der revolutionäre Kampf gegen den Imperialismus erfordert Mut. Entschlossenheit, Opfergeist. Wo können die kleinbürgerlichen Helden der Phrase diese Qualitäten wohl hernehmen? Die Anpassung an den «demokratischen» Imperialismus gestattet hingegen, eine friedliche und angenehme Karriere auf dem Rücken der Arbeiter zu machen. Diese Anpassung lässt sich vor den Arbeitern am besten durch die Losung der «Verteidigung der UdSSR» verbergen, d.h. durch die Freundschaft mit der Kremloligarchie. Das gibt die Möglichkeit, Zeitungen ohne Leser herauszugeben, pompöse Kongresse zu montieren und eine reichliche internationale Reklame zu machen. Das wahrhafte Gift für die Arbeiterbewegung der kolonialen und halbkolonialen Länder ist die Zunft der gewerbsmäßigen «Freunde» der USSR, der falschen «Sozialisten» und «Kommunisten», die hinter ohrenbetäubenden Deklamationen gegen den Faschismus ihren sozialen Parasitismus und ihre Servilität gegenüber dem Imperialismus und der Kremloligarchie verbergen Der Stalinismus – unter allen seinen Masken – ist das Haupthindernis auf dem Wege des Befreiungskampfes der zurückgebliebenen und unterdrückten Völker. Das Problem der kolonialen Revolutionen ist von nun an unauflöslich mit der historischen Mission der Vierten Internationale verbunden.

Über die internationale Vereinigung der ausgepressten Zitronen (Nr. 3¼).

Das Londoner Büro der unverbesserlichen Zentristen (Fenner Brockway, Walcher und Konsorten) hat sich, gemeinsam mit Brandler, Sneevliet, Marceau Pivert und unter Teilnahme der «Sektionen, die mit der sogenannten Vierten Internationale gebrochen haben», angesichts der Kriegsgefahr versammelt, um einen... — bitte nicht lachen! — «Außerordentlichen Kriegsfonds» (War Emergency Fund) zu schaffen. Über den «Fond» der Ideen haben diese Herren nicht nachgedacht: sie sind Gottseidank Materialisten und nicht Idealisten. Es ist zu zweifeln erlaubt, dass diese neue «Vereinigung» für den Imperialismus irgendeine Gefahr darstellt. Dagegen erweist sie der Vierten Internationale den größten Dienst, denn sie vereinigt die Gedankenschwäche, die Zwitterhaftigkeit und die Unbeständigkeit aller Spielarten und Schattierungen des Zentrismus. d.h. der Tendenz, die ganz besonders im Widerspruch zum Geist der heutigen Epoche steht. Gleich allen ähnlichen mechanischen «Vereinigungen» wird sie die Quelle neuer innerer Konflikte und neuer Spaltungen werden und gerade dann in Staub zerfallen, wenn die Stunde der Aktion schlagt.

Und könnte es anders sein? Die Organisationen, die an der heldenhaften Schöpfung des «Fonds» mitgewirkt haben, sind nicht auf dem Boden eines gemeinsamen Programms entstanden, sondern von allen Ecken der politischen Karte des Zentrismus als Überreste alter opportunistischer Parteien und Fraktionen gekommen. Sie schillern noch heute in allen Farben des opportunistischen Regenbogens und entwickeln sich nach verschiedenen Richtungen hin. Alle sind im Verfall begriffen und haben sich in den letzten Jahren unaufhörlich geschwächt, mit Ausnahme der von Pivert neu gebildeten Partei, der man das gleiche wenig beneidenswerte Los voraussagen kann In keinem Lande der Welt ist es dem Londoner Büro gelungen, eine neue Organisation zu schaffen, die aus jungen, frischen Elementen zusammengesetzt und auf einem selbständigen Programm aufgebaut Ist. Keine revolutionäre Gruppierung wird sich unter diese Fahne stellen, die weder Vergangenheit noch Zukunft hat. In den Kolonialländern besitzt das Londoner Büro nicht den Schatten eines Einflusses. Man kann indessen dies als Gesetz betrachten: die «revolutionäre» Organisation, die in unserer imperialistischen Epoche unfähig ist, in den Kolonien Wurzeln zu fassen, ist zu elendem Dahinvegetieren verurteilt.

Jede dieser Gruppierungen, die sich selbst überlebt haben, erhält sich durch Trägheit, nicht aber durch die Kraft der Ideen, Die Organisation, die in diesem Kreise ernsteste revolutionäre Vergangenheit besitzt, die POUM. hat sich bis jetzt als unfähig gezeigt, mutig ihre zentristische Politik zu revidieren, die eine der Hauptursachen des Zusammenbruchs der spanischen Revolution war. Die übrigen Mitglieder der Vereinigung sind zu Kritik und Selbstkritik noch weniger fähig. Ein Geist von dürrem Dilettantismus schwebt über diesem ganzen Unternehmen.

Gewiss, um die Fahne der Vierten Internationale haben sich in der ersten Zeit nicht wenig «Überreste» versammelt. Dort aber wurde, auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Theorie und eines exakten Programms, eine Arbeit der Auslese, der Reinigung, der Neuerziehung durchgeführt. Diese Arbeit, deren Sinn und Bedeutung die Philister nie begriffen haben, wurde und wird in einer Atmosphäre der freien, offenen und geduldigen Diskussion durchgeführt. Wer diese Prüfung nicht ertragen hat, zeigte in der Tat, dass er von Grund auf untauglich war, eine revolutionäre Internationale aufzubauen. Nun sind die entwurzelten, verbrauchten, überall zurückgewiesenen Überreste in den «Fonds» des internationalen Zentrismus eingetreten. Diese Tatsache allein stempelt sie alle mit dem Kennzeichen hoffnungsloser Invalidität.

In einem lichten Augenblick hat Marceau Pivert vor einigen Jahren verkündet: eine Tendenz der Arbeiterklasse, die heute den Kampf gegen den «Trotzkismus» führt, charakterisiert sich dadurch als eine reaktionäre Tendenz. Wie man sieht, hat dies Pivert, einen geborenen Zentristen, der stets das Wort von der Tat trennt, selbst nicht gehindert, sich dem Londoner Büro anzuschließen. das versucht, sich gerade durch die krampfhafte Zurückweisung des «Trotzkismus» eine Physiognomie zu geben.

Es ist jedoch unschwer vorauszusagen, dass die Bourgeoisie, die Reformisten und die Stalinisten diese Schöpfer des «Fonds» auch in Zukunft als «Trotzkisten» oder «Halbtrotzkisten» bezeichnen werden. Teils aus Unwissenheit, vor allem aber, um sie zu zwingen, sich zu entschuldigen, zu rechtfertigen und abzugrenzen. Und sie werden nicht verfehlen, aus Leibeskräften zu schwören, dass sie keine Trotzkisten sind, und wenn sie wie ein Löwe brüllen sollen, werden sie gleich ihrem Ahnherrn, dem Weber Bottom,1 alles tun, um zu brüllen wie die Taube. Wir kennen sie: es sind keine Neulinge. Die Fenner Brockway, Walcher, Brandler, Sneevliet, Pivert haben ebenso wie die aus der Vierten Internationale vertriebenen Elemente jahrelang Zeit gehabt, — einige von ihnen Jahrzehnte — ihren unverbesserlichen Eklektizismus in der Theorie, ihre Sterilität in der Praxis zu enthüllen. Sie sind weniger zynisch als die Stalinisten und ein wenig linker als die linken Sozialdemokraten. — das ist alles, was man von ihnen sagen kann. Darum muss man sie in der Tabelle der Internationalen mit der Ziffer 3 oder 3¼ vermerken. Mit «Fonds» oder ohne «Fonds» werden sie in die Geschichte eingehen als eine Vereinigung ausgepresster Zitronen. Wenn die großen Massen unter den Schlägen des Krieges zur revolutionären Bewegung stoßen, werden sie sich kaum nach der Adresse des Londoner Büros erkundigen.

Perspektiven.

Alle Kräfte und alle fundamentalen Triebfedern des vergangenen Krieges treten jetzt erneut ins Spiel, aber in einer unvergleichlich heftigeren und offeneren Form. Die Bewegung folgt dem schon vorgezeichneten Wegen, und darum sind ihre Rhythmen schneller. Heute glaubt niemand, wie am Vorabend von 1914, an die Unverletzlichkeit der Grenzen oder die Stabilität der Regierungsformen. Das ist für die revolutionäre Partei ein unermesslicher Vorteil. Wenn die Sektionen der Zweiten Internationale am Vorabend des vergangenen Krieges nicht einmal wussten. wie sie sich am folgenden Tage verhalten würden und erzrevolutionäre Resolutionen annahmen; wenn die linken Elemente sich nur allmählich aus dem pazifistischen Sumpf zogen und tastend ihren Weg suchten, sind heute alle Ausgangspunkte schon vor dem Kriege auf das Genaueste besetzt. Niemand erwartet eine internationalistische Politik seitens der sozialdemokratischen Parteien, die übrigens selbst nichts anderes als die «Verteidigung des Vaterlandes» versprechen. Mit dem Austritt der tschechischen Sozialpatrioten aus der Zweiten Internationale hat deren offizielle Teilung nach nationalen Linien begonnen. Die Politik der Dritten Internationale ist fast ebenso deutlich vorgezeichnet: die Prognose kompliziert sich hier in einem sehr schwachen Grade durch ein Element des Abenteurertums. Wenn die deutschen und italienischen Sozialdemokraten und Ex-Kommunisten im Kriege platonische Defätisten sind, so einzig darum, weil Hitler und Mussolini ihnen nicht gestatten, Patrioten zu sein. Aber überall, wo die Bourgeoisie noch fortfährt, eine Arbeiterbürokratie zu unterhalten, werden die Sozialdemokraten und Ex-Kommunisten völlig an der Seite ihrer Generalstäbe sein und, was mehr ist: die ersten Geigen des Chauvinismus werden sich in den Händen der Musiker stalinistischer Schule befinden. Und nicht nur die Geige, sondern auch der gegen die revolutionären Arbeiter gerichtete Revolver.

Zu Beginn des vergangenen Krieges wurde Jean Jaurès ermordet, am Ende des Krieges Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, In Frankreich hinderte die Ermordung eines der Führer der sozialistischen Partei die anderen nicht, in die Regierung des Imperialistischen Krieges einzutreten. In Deutschland wurde die Ermordung der beiden großen Revolutionäre unter direkter Beteiligung der sozialdemokratischen Regierung durchgeführt. Die physischen Mörder waren in Frankreich ein obskurer Kleinbürger, in Deutschland konterrevolutionäre Offiziere. Die heutige Situation unterscheidet sich auch in dieser Hinsicht durch eine unvergleichlich größere Klarheit. Das Werk der Ausrottung der Internationalisten hat schon vor der Entfesselung des Krieges im Weltmaßstabe begonnen. Der Imperialismus ist nicht mehr gezwungen, sich einer «günstigen Gelegenheit» zu überlassen: In der stalinistischen Mafia hat er eine fertige internationale Agentur für die systematische Ausrottung der Revolutionäre. Jaurès, Liebknecht, Luxemburg werden in der ganzen Welt als sozialistische Führer geehrt. Rudolf Klement war ein noch unbekannter junger Revolutionär. Nichtsdestoweniger hat Klements Verschwinden als Sekretär der Vierten Internationale einen tiefen symbolischen Sinn. Durch seine stalinistischen Gangster deutet der Imperialismus im Voraus an, von welcher Seite ihm in Kriegszeit eine tödliche Gefahr drohen wird.

Der Imperialismus täuscht sich nicht. Dass es ihm nach dem vergangenen Kriege außer in Russland überall gelungen ist. sich zu behaupten, erklärt sich ausschließlich durch die Abwesenheit revolutionärer Parteien. Während sie sich mühevoll aus dem Netz der alten Ideologie mit ihrem Fetischismus der «Einheit» befreite, ging die Mehrheit der oppositionellen Elemente der Sozialdemokratie nicht weiter als bis zum Pazifismus. In kritischen Augenblicken zeigten sich diese Gruppierungen als fähiger, die revolutionäre Bewegung zu bremsen, denn sich an ihre Spitze zu stellen. In diesem Sinne kann man ohne jede Übertreibung sagen, dass die «Einheit» der Parteien der Zweiten Internationale die europäische Bourgeoisie gerettet hat.

In dreißig Ländern besteht jetzt eine Sektion der Vierten Internationale. Gewiss, das ist erst die Vorhut der Vorhut. Aber wenn wir gegenwärtig, vor dem Kriege, bereits revolutionäre Massenorganisationen hätten, dann stünde nicht der Krieg sondern die Revolution auf der Tagesordnung. Dies ist, wohlverstanden, nicht der Fall, und wir machen uns darüber keine Illusionen. Die Lage der revolutionären Vorhut ist indes unvergleichlich günstiger als vor 25 Jahren. Die Haupterrungenschaft besteht darin, dass es schon vor dem Kriege in den wichtigsten Ländern der Welt erprobte Kader, hunderte und tausende Revolutionäre in wachsender Zahl gibt, die durch eine gemeinsame Lehre eng verbunden und durch eine Schule der grausamsten Verfolgungen seitens der imperialistischen Bourgeoisie, der Sozialdemokraten und insbesondere der stalinistischen Mafia gegangen sind. Weder die Zweite noch die Dritte noch die Amsterdamer Internationale sind jetzt fähig, ihren internationalen Kongress einzuberufen und einstimmige Beschlüsse anzunehmen, in denen die Aufgaben des gegenwärtigen gigantischen Kampfes auf der Grundlage der ganzen geschichtlichen Erfahrung genau und konkret formuliert sind.

Keine chauvinistische Welle wird diese kostbaren Kader hinwegschwemmen können, die weder die stalinistischen Revolver noch Messer schrecken. Die Vierte Internationale wird in den Krieg eintreten als ein fest gefügtes Ganzes, dessen Parteien verstehen werden, eine einzige und gleiche Politik zu führen ungeachtet der sie trennenden Grenzen und Schützengräben. Es ist sehr wohl möglich, dass sich die Sektionen der Vierten Internationale zu Beginn des Krieges isoliert finden werden, wenn der blinde Selbsterhaltungsinstinkt kombiniert mit der chauvinistischen Propaganda die Volksmassen ihren Regierungen zu treibt. Sie werden sich vor der nationalistischen Hypnose und der patriotischen Epidemie zu schützen wissen. In den Prinzipien des Internationalismus werden sie eine Stütze gegen die Herdenpanik von unten und den Terror von oben finden. Sie werden das Schwanken und Wanken der Philister«demokratie» mit Verachtung zu betrachten wissen. Dagegen werden sie den unterdrücktesten Schichten des Volkes und der verblutenden Armee ein aufmerksames Ohr leihen. Jeder neue Kriegstag wird für uns arbeiten. Die Menschheit ist ärmer geworden als vor 25 Jahren und die Vernichtungsmittel sind unermesslich mächtiger. Daher wird schon von den ersten Monaten des Krieges an bei den Massen eine stürmische Reaktion gegen die chauvinistische Gehirnvernebelung einsetzen. Die ersten Opfer dieser Reaktion werden mit dem Faschismus die Parteien der Zweitren und der Dritten Internationale sein. Ihr Zusammenbruch wird die notwendige Bedingung für eine ausgesprochen revolutionäre Bewegung sein, die für ihre Kristallisierung keine andere Achse als die Vierte Internationale finden wird. Ihre gestählten Kader werden die Arbeiter in die große Offensive führen.

Coyoacan, den 10. Oktober 1938

Leo Trotzki.

*Unmittelbar nach seiner Ankunft in England erklärte der frühere tschechische Präsident Benesch, dass das Los der Tschechoslowakei sich nun in sicheren Händen befände. Dies setzte endgültig das Pünktchen aufs i. Alle Unterschiede zwischen Demokratie und Faschismus verschwinden, wenn es um die fundamentalen Interessen des Kapitals geht. Der Demokrat und Franzosenfreund Benesch schämte sich nicht, den faschisten- und deutschfreundlichen General Sirovy öffentlich als «sicheren» Hüter der Tschechoslowakei anzuerkennen. Schließlich sind der eine wie der andere Diener des gleichen Herrn.

1 Bottom: Figur aus Shakespeare Sommernachtstraum. Bottom reklamiert in dem Schauspiel, das die Rüpel bei Hof aufführen wollen, alle Rollen für sich – darunter auch die des Löwen. Aber die Rüpel befürchten, die Hofdamen durch sein Gebrüll zu erschrecken. Diesem Einwand begegnet Bottom durch die Versicherung, dass er «sanft wie eine Taube» brüllen werde.

(Anmerkung der Redaktion [von «Unser Wort»])

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