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Leo Trotzki 19380531 „Für“ die Vierte Internationale? Nein! Die Vierte Internationale!

Leo Trotzki: „Für“ die Vierte Internationale? Nein! Die Vierte Internationale!

[Nach Der Todeskampf der Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale. Essen 1975, S. 101-103]

Lieber Genosse,

die Proklamierung der Vierten Internationale erscheint Ihnen „verfrüht“. Sie sind der Meinung, dass es „bescheidener“ und genauer sei, den Namen „Bewegung für die Vierte internationale“ beizubehalten. Ich kann dem überhaupt nicht zustimmen. Dieser Name erschien mir pedantisch, unpassend und ein wenig lächerlich, schon vor zwei Jahren, als er zuerst angenommen wurde. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre hat ihn vollkommen als Fehler erwiesen. Der beste Beweis ist die Tatsache, dass er überhaupt nicht akzeptiert worden ist. Niemand nennt uns bei diesem Namen. Die bürgerliche Presse, die Komintern, Sozialdemokraten, alle sprechen einstimmig einfach von der Vierten Internationalen. Niemand sieht das kleine Wörtchen „für“. Unsere eigene Organisation – mit geringen Ausnahmen handelte ebenso sie nennen sich Sektionen der Vierten Internationale. Es ist so, in jedem Fall, bei den Franzosen, den Deutschen, den Russen, den Amerikanern, den Mexikanern, den Kubanern und anderen. Nur Sneevliet und Vereecken haben aus dem kleinen Wörtchen „für“ ihr Banner gemacht. Aber allein diese Tatsache unterstreicht am besten den Fehler des alten Namens, ein Name, der sich für die überwältigende Mehrheit als vollkommen unpraktikabel erwiesen hat.

Sie stimmen mit mir völlig überein, dass die Vierte Internationale nur von uns aufgebaut wird, dass keine andere Gruppierung fähig ist oder es unternehmen wird, diese Aufgabe zu erfüllen. Andererseits bin ich als letzter von allen geneigt, meine Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass unsere Internationale immer noch jung und schwach ist. Aber dies ist kein Grund, unseren Namen aufzugeben. In zivilisierten Gesellschaften trägt eine Person ein und denselben Namen in der Kindheit, in der Jugend und im Alter, und dieser Name verschmilzt mit ihrer Individualität.

Ihnen erscheint das kleine Wort „für“ als ein Ausdruck von politischer „Bescheidenheit“. Mir erscheint es als ein Ausdruck von Unentschlossenheit und Fehlen von Selbstvertrauen. Eine revolutionäre Partei, die sich ihrer eigenen Bedeutung nicht sicher ist, kann das Vertrauen der Massen nicht gewinnen. Der Umstand, dass sowohl Klassenfeinde wie weite Kreise von Arbeitern sich schon auf uns als die Vierte Internationale beziehen, zeigt, dass sie mehr Vertrauen in dieses „Unternehmen“ haben als einige der Skeptiker und halben Skeptiker in unseren Reihen.

Es scheint Ihnen, dass der Name Vierte Internationale sympathisierende oder halb sympathisierende Organisationen abhalten wird, sich zu nähern. Das ist grundsätzlich falsch. Wir können andere nur durch korrekte und klare Politik an uns heranziehen. Und dafür müssen wir eine Organisation und nicht einen nebulösen Klecks haben. Unsere nationalen Organisationen nennen sich Partei oder Bund.

Auch hier könnte gesagt werden, dass die „Proklamation“ einer Revolutionären Sozialistischen Partei in Belgien es für sympathisierende oder halb sympathisierende Gruppierungen sehr schwer macht, sich uns zu nähern. Wenn das Prinzip der „Bescheidenheit“ beachtet werden soll, müsste unsere belgische Partei z.B. „die Bewegung für eine sozialistische Partei“ genannt werden. Aber ich glaube, dass sogar Genosse Vereecken nicht einem solchen lächerlichen Namen zustimmen würde! Warum sollen wir denn in unserer internationalen Organisation Prinzipien annehmen, die von denen in unseren nationalen Organisationen verschieden sind? Es ist unwürdig für einen Marxisten, zwei Standards zu haben: einen für nationale Politik und den anderen für internationale.

Kein Zweifel, dass in Belgien, wie in jedem anderen Land, Gruppen zu Sympathisanten werden können, aber heute noch nicht bereit sind, formal in unsere Reihen einzutreten. Wir müssen bereit sein, mit ihnen freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen und, wenn sie es wünschen, sie in den Rahmen der Vierten Internationale aufzunehmen auf der Basis einer sympathisierenden Organisation, d. h. mit beratendem Stimmrecht.

Sie weisen auf die Tatsache hin, dass wir bis jetzt noch keine theoretische Analyse des letzten Stadiums des Imperialismus usw. gemacht haben. Aber wenn es ein Argument gegen die „Proklamierung“ der Vierten Internationale ist, ist es nicht weniger ein Argument gegen die Existenz nationaler Parteien. Wieder zwei Standards! Aber die Vierte Internationale als Ganzes ist unzweifelhaft viel besser theoretisch ausgerüstet und in viel größerem Maße gegen Schwankungen gesichert, als irgendeine der nationalen Sektionen einzeln.

Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis trägt nicht einen einseitigen, sondern einen zweiseitigen, d. h. dialektischen Charakter. Wir sind theoretisch genügend für die Aktion gerüstet – auf jeden Fall viel besser als irgendeine andere Organisation. Unsere Aktion wird unsere theoretische Arbeit vorwärts stoßen, wird ansteigen und neue Theoretiker anziehen usw. Die Vierte Internationale wird niemals aus unseren Händen springen, fertig gestellt wie Minerva aus dem Kopf Jupiters. Sie wird wachsen und gedeihen, sowohl in der Theorie als auch in der Aktion.

Lassen Sie sich daran erinnern, dass der Kommunistische Bund von Marx/Engels geschaffen wurde, bevor sie das Kommunistische Manifest schrieben. Dass die Erste Internationale geschaffen wurde vor dem Erscheinen des ersten Bandes des Kapital. Die Zweite Internationale vor der Publikation aller Bände des Kapital. Die Dritte Internationale existierte während ihrer besten Periode ohne ein abgeschlossenes Programm usw.

Der historische Prozess wartet nicht auf „endgültige“, „abgeschlossene“, „erschöpfende“ marxistische Untersuchung. Wir mussten eine Position zur spanischen Revolution einnehmen, ohne marxistische Studien über Spanien abzuwarten. Der Krieg wird von uns eine Antwort fordern, unabhängig von der Tatsache, ob unsere Theoretiker ein, zwei oder drei Bände Untersuchungsarbeit herausgegeben haben. Genau wie der Krieg nicht verschoben werden kann bis zur Entdeckung der perfekten Waffe, so können die Revolution und die Vierte Internationale nicht bis zum Erscheinen des perfektioniertesten theoretischen Werkes verschoben werden.

Theorie ist sehr wichtig. Aber pedantischer Theoriefetischismus taugt nichts.

Das Paradoxon liegt in der Tatsache, dass die, die sich „für die Vierte Internationale“ nennen, in Wirklichkeit einen sich stets verschärfenden Kampf gegen die Vierte Internationale führen. Beim Beispiel Sneevliet ist dies sehr klar. Er ist „für“ die POUM und „für“ das Londoner Büro, und um sein Gleichgewicht zu halten, ist er außerdem „für“ die Vierte Internationale. Wir haben keinen Bedarf nach solcher Verwirrung. Die Politik von Sneevliet kompromittiert die Vierte Internationale nur in Holland wie auch international. In Spanien nahm Sneevliets Politik die Form direkten Streikbruchs im kritischsten Moment an. Und all dies ist durch das kleine Wörtchen „für“ abgedeckt! Vereeckens Politik ist nur 51 Prozent von Sneevliets Politik. Die Frage ist nicht sehr anders bei Maslow. Sie alle sind „für“. In Wirklichkeit führen sie einen Kampf gegen die grundsätzlichen Prinzipien der Vierten Internationale, verstohlen nach der Rechten und der Linken schauend, um solche Verbündete zu suchen, die helfen können, diese Prinzipien umzuwerfen. Wir können dies auf keinen Fall erlauben. Wir müssen die größte Aufmerksamkeit all den schwankenden und unreifen Gruppierungen der Arbeiterklasse widmen, die sich in unsere Richtung entwickeln. Aber wir können keine prinzipiellen Konzessionen an sektiererisch-zentristische Führer machen, die weder unsere internationale Organisation noch unsere Disziplin anerkennen wollen.

Das heißt, dass Sie eine monolithische Internationale wollen?“ wird jemand in heiliger Furcht sagen. Nein, am allerwenigsten das, werde ich ruhig auf diese Unterstellung antworten. Die gesamte Geschichte der Vierten Internationale und jeder ihrer Sektionen zeigt einen konstanten, ununterbrochenen und freien Kampf von Gesichtspunkten und Tendenzen. Aber unsere Erfahrung bezeugt, dass dieser Kampf einen vernünftigen Charakter nur dann behält, wenn seine Teilnehmer sich selbst als Mitglieder ein und derselben nationalen und internationalen Organisation begreifen, die ihr Programm und ihre Satzung hat. Wir können andererseits eine brüderliche Diskussion mit Gruppen, die außerhalb unserer Organisation stehen, weiterführen. Aber wie die Erfahrung mit Sneevliet und Vereecken zeigt, nimmt die Diskussion unvermeidlich einen vergifteten Charakter an, wenn einige Führer mit einem Fuß in unserer Organisation, mit dem anderen außerhalb von ihr stehen. Die Entwicklung solch eines Regimes zu erlauben, wäre selbstmörderisch.

Aufgrund all dieser Überlegungen stehe ich vollkommen dafür, uns zu nennen, wie wir von den Arbeitern und Klassenfeinden genannt werden, d. h. die Vierte Internationale!

Coyoacan, D. F.

31 Mai 1938

L. Trotzki

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