Leo Trotzki‎ > ‎1938‎ > ‎

Leo Trotzki 19380717 Ignaz Reiss

Leo Trotzki: Ignaz Reiss

[Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 6, Nr. 6-7 (90-91), Mitte Dezember 1938, S. 7]

Je mehr die Zeit vergeht, um so klarer zeichnet sich das Bild des auf der Schwelle der 4. Internationale so tragisch dahin gesunkenen Ignaz Reiss ab. Der Bruch mit der bonapartistischen Clique bedeutete für ihn nicht – wie für einige andere verängstigte und demoralisierte Bürokraten – Flucht in das private Leben.

Keine Minute bereitete Reiiss sich darauf vor, sich mit der Miene angeblicher Überlegenheit über diejenigen, die den Kampf fortsetzen, bei Seite zu stellen. Bevor er Maßnahmen zum Schutz seiner eigenen Sicherheit traf, schrieb er eine Prinzipienerklärung über die Motive seines Übergangs zu den Fahnen der 4. Internationale. Im gleichen Augenblick, wo er nur einen offenen Bruch mit dem Kreml vorbereitete, beschäftigte er sich schon mit der Propaganda und der Rekrutierung unter seinen ehemaligen Mitarbeitern und Kollegen. Um zu verstehen, welche Geisteskraft dieser revolutionäre Kämpfer in sich barg, muss man sich klar die schwere innere Erschütterung vorstellen, die er zu ertragen hatte.

Die Figur Ludwigs wird uns um so verwandter und teurer, je mehr wir die «desillusionierten» und müden Bürokraten, zu betrachten gezwungen sind die, man denke, durch Stalin und ihre eigene Vergangenheit so entrüstet sind, dass sie ohne Atem zu schöpfen ins Lager der bürgerlichen Demokratie oder des liberalen Halbanarchismus überlaufen. Unter den Stößen des Lebens gelangen solche Leute zu der Schlussfolgerung, dass die Oktoberrevolution sich einfach als ein «Irrtum» erwiesen hat und dass man aus diesem Grunde etwas Neues, etwas Niegesehenes und Niegehörtes, etwas Vollkommenes, etwas hermetisch gegen alle Schwächen und Misserfolge Geschütztes ersinnen muss. Aber in der Erwartung dieser heilbringenden Lehre beschäftigen sich die mit den aufrichtigsten Philistern einigen ultralinken Dilettanten mit Verleumdungen und Intrigen gegen die wahren Revolutionäre. Muss man Beispiele anführen?

Ludwig ist ganz am Anfang eines neuen Kapitels seines Lebens vernichtet worden. Wir alle empfinden seinen Verlust als einen der härtesten Schläge. – und es hat an Schlägen nicht gefehlt. Es wäre jedoch ein unzulässiger Fehler, das von ihm gebrachte Opfer als vergeblich zu betrachten. Durch den mannhaften Charakter seiner Wendung vom Thermidor zur Revolution hat Reiss dem Schatz des proletarischen Kampfes einen viel bedeutenderen Beitrag vermacht als alle «desillusionierten» Entlarver Stalins zusammengenommen.

Das Bild von Reiss wird in der Erinnerung der jungen Generation als eine Lehre und ein Beispiel weiterleben, wird sie begeistern und vorwärtstreiben.

17 Juli 1938

Kommentare