Leo Trotzki‎ > ‎1938‎ > ‎

Leo Trotzki 19380605 Mexiko und der britische Imperialismus

Leo Trotzki: Mexiko und der britische Imperialismus

[Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 6. Jahrgang, Nr. 4-5 (88-89), Oktober 1938, S. 1]

Die internationale Kampagne, die die imperialistischen Kreise gegen die Enteignung der mexikanischen Erdölindustrie durch die mexikanische Regierung führen, zeichnet sich durch alle Züge des imperialistischen Propagandabacchanals aus, das Unverschämtheit, Betrügerei und Spekulation in Unwissenheit mit der selbstgefälligen Gewissheit der eigenen Straflosigkeit verbindet. Die britische Regierung gab das Signal für diese Kampagne, als sie ihren Boykott über das mexikanische Erdöl verhängte. Boykott schließt bekanntlich immer Selbstboykott ein und fordert deshalb stets große Opfer von Seiten des Boykottierenden. Großbritannien war bis vor ganz kurzem der größte Verbraucher mexikanischen Erdöls, natürlich um des eigenen Vorteils willen und nicht aus Sympathie für das mexikanische Volk. Der größte Erdölverbraucher in Großbritannien selbst ist der Staat mit seiner gigantischen Flotte und seinen schnell wachsenden Luftstreitkräften. Der Boykott mexikanischen Erdöls durch die britische Regierung ist deshalb gleichzeitig ein Boykott nicht nur der britischen Industrie, sondern auch der Landesverteidigung. Die Regierung des Herrn Chamberlain hat mit außergewöhnlicher Freimütigkeit gezeigt, dass die Profitinteressen der imperialistischen Räuber sogar über den eigentlichen Staatsinteressen stehen. Die unterdrückten Klassen, und Völker sollten sich diese fundamentale Lehre gründlichst zu eigen machen.

Der Aufstand des Generals Cedillo war sowohl chronologisch wie logisch ein Ergebnis der Politik Chamberlains. Die Monroe-Doktrin hindert die britische Admiralität daran, die mexikanische Küste zu blockieren. Sie muss durch Agenten im Lande selbst handeln, die zwar nicht offen die britische Flagge hissen, jedoch den gleichen Interessen wie Herr Chamberlain dienen – den Interessen einer Clique von Petroleummagnaten. Indes können wir sicher sein, dass das Weißbuch, welches die britische Diplomatie vor einigen Tagen herausgab, nicht über die Verhandlungen ihrer Agenten mit General Cedillo enthält. Ihre wichtigsten Geschäfte betreibt die imperialistische Diplomatie unter dem Siegel des Geheimnisses.

Um die Enteignung in der bürgerlichen öffentlichen Meinung zu diskreditieren, wird sie als eine «kommunistische» Maßnahme hingestellt. Unkenntnis der Geschichte verbindet sich hier mit bewusstem Betrug. Das halbkoloniale Mexiko kämpft politisch wie ökonomisch für seine nationale Unabhängigkeit. Das ist der grundlegende Inhalt der mexikanischen Revolution im gegenwärtigen Stadium. Die Petroleumkönige sind keine einfachen Kapitalisten, keine gewöhnlichen Bourgois. Nachdem sie die größten Naturreichtümer eines fremden Landes an sich gebracht haben, stützen sie sich auf ihre Milliarden und auf die militärisch-diplomatische Hilfe ihrer Metropole und streben danach, in dem unterworfenen Land ein Regime des imperialistischen Feudalismus zu errichten, indem sie sich Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung untertänig machen. Unter solchen Bedingungen ist die Enteignung das einzige wirksame Mittel zur Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit und der elementaren Voraussetzungen der Demokratie.

Welche Richtung die weitere ökonomische Entwicklung Mexikos einschlagen wird, hängt entscheidend von internationalen Faktoren ab. Aber das ist eine Frage der Zukunft. Die mexikanische Revolution leistet jetzt die gleiche Arbeit, die beispielshalber die Vereinigten Staaten von Amerika im Laufe eines Dreivierteljahrhunderts vollbracht haben, vom revolutionären Unabhängigkeitskrieg angefangen bis zum Bürgerkrieg für die Abschaffung der Sklaverei und zur Herstellung der nationalen Einheit, Die britische Regierung tat zu Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur alles, was in ihren Kräften stand, um die Vereinigten Staaten im Zustand einer Kolonie zu belassen, sie unterstützte auch später, in den Jahren des Bürgerkriegs, die Sklavenhalter der Südstaaten gegen die Sklavenbefreier der Nordstaaten. Um ihrer imperialistischen Interessen willen trachtete sie danach, die junge Republik in einen Zustand ökonomischer Rückständigkeit und nationaler Zerrissenheit zu stoßen.

Den Chamberlains jener Zeit erschien die Expropriation der Sklavenhalter ebenfalls als eine teuflische «bolschewistische» Maßnahme. In Wirklichkeit bestand die historische Aufgabe der Nordstaaten darin, das Feld für die demokratische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft freizumachen. Genau die gleiche Aufgabe wird im gegenwärtigen Stadium durch die Regierung Mexikos gelost. General Cardenas steht in der Reihe jener Staatsmänner seines Landes, deren Leistungen mit denjenigen Washingtons, Jeffersons, Abraham Lincolns und General Grants vergleichbar sind.

Die Weltpresse und besonders die französische Presse setzt die Albernheit fort, meinen Namen in der Frage der Enteignung der Erdölindustrie hineinzuziehen. Wenn ich diesen Unsinn bereits einmal zurückgewiesen habe, so keineswegs, weil ich, wie von einem geschwätzigen Agenten der GPU unterstellt wurde, die «Verantwortung» fürchte. Im Gegenteil würde ich es als eine Ehre betrachten, auch nur einen Teil der Verantwortung für diese mutige und progressive Maßnahme der mexikanischen Regierung zu tragen. Aber dafür habe ich nicht den geringsten Anlass. Von dem Enteignungsdekret erfuhr ich erst durch die Zeitungen. Doch darum handelt es sich natürlich gar nicht. Die Verknüpfung meines Namens mit dem Dekret dient zwei Zwecken: Erstens wünschen die Organisatoren der Kampagne, der Expropriation eine «bolschewistische» Färbung zu geben, und zweitens versuchen sie, dem nationalen Selbstgefühl Mexikos einen Hieb zu versetzen. Die Imperialisten versuchen die Sache so darzustellen, als ob die Staatsmänner Mexikos nicht im Stande wären, ihren eigenen Weg zu bestimmen. Die erblich überlieferte, nichtswürdige und erbärmliche Psychologie der Sklavenhalter! Eben weil Mexiko heute noch zu jenen rückständigen Nationen gehört, die erst jetzt berufen sind, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, bringen seine Staatsmänner eine größere Kühnheit des Denkens auf als den konservativen Hütern einer großen Vergangenheit vergönnt ist.

Die französische Wochenschrift «Marianne», ein notorisches Organ der französischen Volksfront, behauptet sogar, dass die Regierung des Generals Cardenas in der Erdölfrage nicht nur im Einverständnis mit Trotzki handelte, sondern sogar … im Interesse Hitlers. Wie man leicht einsehen wird, geht es darum, die hochherzigen Demokratien im Kriegsfall des Petroleums zu berauben und stattdessen Deutschland und die andern faschistischen Nationen damit zu versorgen. Das ist um kein Haar klüger als die Moskauer Prozesse. Die Menschheit erfährt nicht ohne Verwunderung, dass Großbritannien durch die Böswilligkeit der Generals Cardenas und nicht durch Chamberlains Selbstboykott des mexikanischen Erdöls beraubt ist. Aber dann besitzen die «Demokratien» ein einfaches Mittel, diese «faschistische» Verschwörung zu paralysieren: sie sollen mexikanisches Petroleum, wieder mexikanisches Petroleum und abermals mexikanisches Petroleum kaufen! Wenn Mexiko sich jetzt gezwungen sehen sollte, sein flüssiges Gold den faschistischen Ländern zu verkaufen, steht für jeden ehrlichen und vernünftigen Menschen außer jedem Zweifel, dass die Verantwortung hierfür voll und ganz auf die Regierungen der imperialistischen «Demokratien» fallen würde. Hinter «Marianne» und ähnlichen Organen stehen die Moskauer Souffleurs. Auf den ersten Blick erscheint dies unglaublich, da andere Souffleure der gleichen Schule diametral entgegengesetzte Libretti benutzen. Aber das ganze Geheimnis besteht darin, dass die Freunde der GPU ihre Ansichten den geografischen Längen- und Breitengraden anpassen. Während einige von ihnen versprechen, Mexiko zu unterstützen, stellen andere den General Cardenas als einen Bundesgenossen Hitlers dar. Vom letzten Gesichtspunkt aus würde also der Petroleumaufstand des Generals Cedillo als ein Kampf für die Interessen der Weltdemokratie erscheinen.

Überlassen wir jedoch die Hanswurste und Intriganten ihrem eigenen Schicksal. Wir richten uns nicht an sie, sondern an die klassenbewussten Arbeiter der ganzen Welt. Ohne in Illusionen zu verfallen und Verleumdungen zu fürchten, werden die fortgeschrittenen Arbeiter den Kampf des mexikanischen Volks gegen die Imperialisten uneingeschränkt unterstützen. Die Enteignung des Erdöls ist weder Sozialismus noch Kommunismus. Aber sie ist eine in hohem Grade fortschrittliche Maßnahme der nationalen Notwehr. Marx betrachtete selbstverständlich Abraham Lincoln nicht als Kommunisten. Dies hinderte jedoch Marx nicht, die tiefste Sympathie für den Kampf zu hegen, an dessen Spitze Lincoln stand. Die Erste Internationale sandte dem Präsidenten des Bürgerkriegs ein Begrüßungsschreiben, und Lincoln drückte in seiner Antwort seine warme Anerkennung für diese moralische Unterstützung aus.

Das internationale Proletariat hat keinen Grund, sein Programm mit dem der mexikanischen Regierung zu identifizieren. Revolutionäre haben es nicht nötig, die Falbe zu wechseln, sich selbst aufzugeben und Schmeicheleien in der Art der aus der GPU-Schule hervorgegangenen Zöglinge herzusagen, die im Augenblick der Gefahr die schwächere Seite verraten und überlaufen werden. Ohne das geringste von ihren eigenen Zielen preiszugeben, ist jede ehrliche Arbeiterorganisation auf der ganzen Welt und vor allem in England verpflichtet, unversöhnlich gegen die imperialistischen Räuber, gegen deren Diplomatie, deren Presse und deren faschistische Mietlinge Stellung zu nehmen Die Sache Mexikos ist ebenso wie diejenige Spaniens und Chinas die Sache der internationalen Arbeiterklasse. Der Kampf um das mexikanische Petroleum ist einer der Vorpostengefechte der zuküftigen Schlachten zwischen Unterdrückern und Unterdrückten

Leo Trotzki

Coyoacan D. P. 5. Juni 1938

Kommentare