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Leo Trotzki 19391018 Das Recht auf revolutionären Optimismus

Leo Trotzki: Das Recht auf revolutionären Optimismus

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 8, Nr. 2 (100), März 1940, S. 4]

[Aus einer längeren Arbeit des Genossen Trotzki „Wieder und noch einmal über die Natur der UdSSR“, die im Russ. Bulletin und der „New International“ (Februar 1940) erschien, entnehmen wir den folgenden Abschnitt]

Ich suchte in meinem Artikel „Die UdSSR und der Krieg1 zu zeigen, dass die Perspektive einer nicht-proletarischen und nicht-bürgerlichen Gesellschaft der Exploitation oder des „bürokratischen Kollektivismus“ die Perspektive der durchgehenden Niederlage und des Verfalls des internationalen Proletariats, die Perspektive des tiefsten historischen Pessimismus ist. Gibt es unverfälschte Gründe für eine derartige Perspektive? Es ist nicht überflüssig, sich darüber bei unseren Klassenfeinden zu erkundigen.

In der Wochenausgabe der wohlbekannten Zeitung Paris Soir vom 31. August 1939 wurde eine außerordentlich aufschlussreiche Unterhaltung zwischen dem französischen Botschafter Coulondre und Hitler am 25. August, dem Zeitpunkt ihrer letzten Unterredung, wiedergegeben. (Die Quelle der Information ist zweifellos Coulondre selbst.) Hitler sprüht, prahlt mit dem Pakt, den er mit Stalin abgeschlossen hat („ein realistischer Pakt!“) und „bedauert“, dass deutsches und französisches Blut vergossen werden wird.

Aber“, wirft Coulondre ein, „Stalin trug Falschheit zur Schau. Der wirkliche Sieger (im Kriegsfalle) wird Trotzki sein. Haben Sie darüber nachgedacht?“

Ich weiß“, antwortet der Führer, „aber warum gaben Frankreich und England Polen völlige Aktionsfreiheit? usw.“

Diesen Herren gefällt es, dem Gespenst der Revolution gern einen persönlichen Namen zu geben. Aber das ist selbstverständlich nicht die Essenz dieser dramatischen Unterredung im Augenblick, an dem gerade die diplomatischen Beziehungen abgebrochen wurden. „Krieg wird unausweichlich Revolution hervor rufen,“ erschreckt der Repräsentant der imperialistischen Demokratie, dem selbst die Angst in den Knochen steckt, seinen Gegner.

Ich weiß“, antwortet Hitler, als ob es sich um eine schon lange entschiedene Frage handelt. „Ich weiß.“ Ein erstaunlicher Dialog!

Beide, Coulondre und Hitler, vertreten die Barbarei, die über Europa vorrückt. Gleichzeitig zweifelt keiner, dass ihre Barbarei von der sozialistischen Revolution überwunden werden wird. Soweit sind sich jetzt die herrschenden Klassen aller kapitalistischen Länder2 im Klaren. Ihre völlige Demoralisation ist eines der bedeutendsten Elemente im Verhältnis der Klassenkräfte. Das Proletariat hat eine junge und noch schwache revolutionäre Führung. Aber die Führung der Bourgeoisie verfault von Grunde auf. Schon am Anfang dieses Krieges, den sie nicht verhüten konnten, sind diese Herrschaften im Voraus von dem Zusammenbruch ihres Regimes überzeugt. Diese Tatsache allein muss für uns die Quelle eines unbesiegbaren revolutionären Optimismus sein.

Leo Trotzki


1 Veröffentlicht in „Unser Wort“, Januar 1940 [Fußnote in „Unser Wort“]

2 „Unser Wort“ schreibt hier irrtümlich noch einmal „Klassen“ statt „Länder“

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