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Leo Trotzki 19390318 Nur die Revolution kann dem Kriege ein Ende bereiten!

Leo Trotzki: Nur die Revolution kann dem Kriege ein Ende bereiten!

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 7, Nr. 4-5 (95-96), Anfang Mai 1939, S. 1]

Sybil Vincent, ein Korrespondent des Londoner «Daily Herald», unterbreitete Leo Trotzki eine Reine von Fragen über die Entwicklung der Kriegslage. Untenstehend bringen wir die Antworten des Gen.Trotzki.

Ist ein Weltkrieg unvermeidlich? Und wenn ja, würde er das Ende des kapitalistischen Systems bedeuten?

Ja, ein Weltkrieg ist unvermeidlich, wenn ihm nicht eine Revolution zuvorkommen wird. Die Unvermeidlichkeit des Krieges ergibt sich erstens aus der unheilbaren Krise des kapitalistischen Systems; und zweitens aus der Tatsache, dass die gegenwärtige Aufteilung unseres Planeten, d.h. vor allem der Kolonien, nicht mehr dem ökonomischen spezifischen Gewicht der imperialistischen Staaten entspricht. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der tödlichen Krise erstreben die Parvenu-Staaten, und sie sind dazu gezwungen, eine neue Aufteilung der Welt. Nur Säuglinge und berufliche «Pazifisten», die selbst aus der Erfahrung des unglückseligen Völkerbundes nichts lernten, können meinen, eine «gerechtere» Aufteilung der Erdoberfläche könne an den grünen Tischen der Demokratie durchgeführt werden.

Auswirkungen der spanischen Niederlage.

Wäre die spanische Revolution siegreich gewesen, so hätte das der revolutionären Bewegung in Frankreich und in anderen europäischen Ländern einen mächtigen Impuls gegeben. In diesem Falle hätte man vertrauensvoll hoffen können, dass die siegreiche sozialistische Bewegung dem imperialistischen Kriege zuvorkommen, ihn nutzlos und unmöglich machen würde. Aber das sozialistische Proletariat Spaniens wurde von der Koalition Stalin-Azaña-Caballero-Negrin-Garcia Oliver erdrosselt, noch bevor es von den Banden Francos definitiv niedergeschlagen wurde. Die Niederlage der spanischen Revolution verdrängte die revolutionäre Perspektive zu Gunsten des imperialistischen Krieges. Nur ein Blinder kann das nicht sehen!

Je energischer und kühner nun die vorgeschrittenen Arbeiter heute in allen Ländern trotz der ungünstigen Bedingungen gegen Militarismus und Imperialismus kämpfen wenden, desto schneller werden sie fähig sein, den Krieg zu beenden, wenn er einmal begonnen hat, desto größer wird die Hoffnung auf die Rettung unserer Zivilisation vor der Vernichtung sein.

Ja, ich zweifle nicht daran, dass der neue Weltkrieg mit absoluter Unvermeidlichkeit die Weltrevolution und den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems hervorrufen wird. Die imperialistischen Regierungen aller Länder tun alles was sie können, um diesen Zusammenbruch zu beschleunigen. Es ist nur notwendig, dass das Weltproletariat sich nicht wieder von den großen Ereignissen überraschen lässt.

Die Aufgabe, die die Vierte Internationale sich stellt, das bemerke ich im Vorbeigehen, ist gerade die revolutionäre Vorbereitung der Avantgarde. Darum nennt sie sich auch die Weltpartei der Sozialistischen Revolution.

Die deutschen Massen werden einen Weg finden.

Ist die Furcht der Welt vor Hitler nicht zu groß?

Die demokratischen Regierungen betrachten Hitler, dem es gelang, die soziale Frage zu «liquidieren», mit Bewunderung und Furcht. Die Arbeiterklasse, die anderthalb Jahrhundert lang die zivilisierten Länder Europas periodisch durch ihre Aufstände erschütterte, wurde auf einmal in Italien und Deutschland zu vollkommenem Schweigen gebracht. Die Herren offiziellen Politiker schreiben diesen «Erfolg» den inneren, quasi mystischen Eigenarten des Faschismus und Nationalsozialismus zu. In Wirklichkeit besteht Hitlers Stärke weder in ihm selbst, noch in seiner lächerlichen Philosophie, sondern in der furchtbaren Enttäuschung der arbeitenden Massen, in deren Verwirrung und Müdigkeit.

Im Laufe einiger Jahrzehnte baute das deutsche Proletariat eine Gewerkschaft und eine sozialdemokratische Partei auf. Neben der starken Sozialdemokratie erschien später eine mächtige kommunistische Partei. Und alle diese Organisationen, die sich auf den Schultern des Proletariats erhoben, waren im kritischen Moment eine Null und schmolzen vor der Offensive Hitlers dahin. Sie fanden nicht den Mut, die Massen zum Kampfe aufzurufen, da sie selbst vollständig degeneriert und verbürgerlicht waren und die Gewohnheit verloren hatten, an den Kampf zu denken.

Die Massen überwinden solche Katastrophen schwerfällig und langsam. Es ist unrichtig zu sagen, dass sich das deutsche Proletariat mit Hitler versöhnt habe! Aber es glaubt nicht mehr an die alten Parteien, an die alten Losungen und hat dabei noch keinen neuen Weg gefunden. Das und nur das erklärt die starke Allmacht des Faschismus. Das wird so bleiben, bis die Massen von ihren Wunden genesen sind, neue Kraft finden und ihren Kopf wieder erheben. Ich denke, wir können das in nicht allzu langer Zeit erwarten.

Der Kampf um die Weltherrschaft

Die Furcht Englands und Frankreichs vor Hitler und Mussolini findet ihre Erklärung in der Tatsache, dass die Weltposition dieser beiden Kolonialmächte, wie wir bereits sagten, nicht mehr ihrem ökonomischen spezifischen Gewicht entspricht. Der Krieg kann ihnen nichts bringen, aber er kann ihnen sehr viel nehmen. Es ist natürlich, dass sie versuchen, den Moment einer neuen Teilung der Welt hinauszuschieben, und dass sie Hitler und Mussolini einen Knochen vorwerfen, wie Spanien und die Tschechoslowakei.

Der Kampf geht um koloniale Besitzungen, um die Herrschaft der Welt. Der Versuch, diesen Wettstreit der Interessen und Appetite als einen Kampf zwischen «Demokratie» und «Faschismus» hinzustellen, dient nur dazu, die Arbeiterklasse zu betrügen. Chamberlain würde alle Demokratien der Welt (und es gibt deren nicht mehr viele) hingeben für den zehnten Teil von Indien.

Die Stärke Hitlers (und gleichzeitig auch seine Schwäche) besteht darin, dass er unter dem Druck der hilflosen Lage des deutschen Kapitalismus bereit ist, zu den stärksten Mitteln zu greifen, Erpressungen und Bluff im Vorbeigehen anwendend, auf die Gefahr hin, dass sie zum Kriege führen. Hitler hat die Furcht der alten Kolonienbesitzer vor jeder Störung voll und ganz begriffen und er spielte mit dieser Furcht, wenn auch nicht mit einem allzu großen Herzen, so doch wenigstens mit unzweifelhaftem Erfolg.

Ein Rat an die Arbeiter

Müssen sich die «Demokratien» und die USSR zusammenschließen, um Hitler zu vernichten?

Ich betrachte es nicht als meine Mission, weder den imperialistischen Regierungen einen Rat zu geben, selbst wenn sie sich demokratisch nennen, noch der bonapartistischen Kremlclique, selbst wenn sie sich sozialistisch nennt. Ich kann nur den Arbeitern einen Rat geben. Ich gebe ihnen den Rat, keinen Augenblick zu glauben, dass der Krieg der beiden imperialistischen Lager etwas anderes bringen kann als Unterdrückung und Reaktion in beiden Lagern. Es wird der Krieg der Sklavenhalter sein, die sich mit verschiedenen Masken decken: «Demokratie», «Zivilisation» einerseits, «Rasse», «Ehre» andererseits. Nur der Sturz aller Sklavenhalter kann dem Kriege ein für allemal ein Ende bereiten und eine Epoche wahrhafter Zivilisation eröffnen.

Stellt Hitler eine große Gefahr für die Demokratien dar?

Die «Demokratien» selbst stellen eine viel größere Gefahr für sich selbst dar. Das bürgerlich demokratische Regime erwuchs auf der Basis des liberalen Kapitalismus, d.h. der freien Konkurrenz. Jene Epoche ist nun weit hinter uns. Der heutige Monopolkapitalismus, der das mittlere und das Kleinbürgertum auflöste und degradierte, unterminierte so den Boden der bürgerlichen Demokratie, Der Faschismus ist das Produkt dieser Entwicklung. Er kommt keineswegs «von außen». In Italien und Deutschland siegte der Faschismus ohne fremde Intervention. Die bürgerliche Demokratie ist tot, nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika.

Der Kapitalismus kann nicht gerettet werden

Wenn der Faschismus nicht rechtzeitig durch die sozialistische Revolution liquidiert wird, wird er unvermeidlich in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten mit oder ohne die Hilfe von Mussolini und Hitler zur Macht gelangen. Aber der Faschismus bedeutet nur eine Frist. Der Kapitalismus ist verurteilt. Nichts wird ihn vor dem Zusammenbruch retten. Je entschlossener und kühner die Politik des Proletariats sein wird, desto geringere Opfer wird die sozialistische Revolution erfordern, desto, schneller wird die Menschheit einen neuen Weg betreten.

Meine Meinung über den Bürgerkrieg in Spanien? Ich habe mich über diesen Gegenstand verschiedentlich in der Presse ausgesprochen.

Die spanische Revolution war Im Wesen sozialistisch, die Arbeiter versuchten mehrere Male, die Bourgeoisie zu stützen, sich der Fabriken zu bemächtigen; die Bauern wollten das Land nehmen Die «Volksfront» unter der Führung der Stalinisten erdrosselte die sozialistische Revolution im Namen der überlebten bürgerlichen Demokratie. Daher die Enttäuschung, Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit der Arbeiter- und Bauernmassen, die Demoralisierung der republikanischen Armee und folglich der militärische Zusammenbruch.

Die «Demokratien» halfen Franco

Ein Hinweis auf die verräterische Politik Englands und Frankreichs erklärt nichts. Selbstverständlich waren die demokratischen Imperialisten mit ganzem Herzen bei der spanischen Reaktion und halfen Franco so viel sie konnten. Das war so und wird immer so sein. Die Engländer waren naturgemäß auf Seiten der spanischen Bourgeoisie, die vollständig auf die Seite Francos übergelaufen war. Nur zu Anfang glaubte Chamberlain nicht au den Sieg Francos und fürchtete, sich durch vorzeitige Offenbarung seiner Sympathien zu kompromittieren. Frankreich führte, wie immer, den Willen der französischen Bourgeoisie aus. Die Sowjetregierung spielte die Rolle des Henkers der revolutionären spanischen Arbeiter, um London und Paris ihre Vertrauenswürdigkeit und Loyalität zu beweisen.

Die Grundursache der Niederlage der mächtigen und heroischen Revolution ist die verräterische antisozialistische Politik der sogenannten «Volksfront». Hätten die Bauern das Land genommen und die Arbeiter die Fabriken, dann wäre es Franco niemals gelungen, ihnen den Sieg aus den Händen zu reißen!

Kann sich das Francoregime halten?

Sicherlich nicht für ein Jahrtausend, wie der protzende deutsche Nationalsozialismus verspricht. Aber Franco wird sich eine gewisse Zeit halten können dank derselben Bedingungen, unter denen sich Hitler hält. Nach großen Anstrengungen und Opfern, nach furchtbaren Niederlagen trotz dieser Opfer müssen die arbeitenden Massen Spaniens bis auf den Grund ihres Herzens von den alten führenden Parteien: Sozialisten, Anarchisten, «Kommunisten» enttäuscht sein die mit vereinten Kräften unter dem Banner der «Volksfront» die sozialistische Revolution erdrosselten. Die spanischen Arbeiter werden jetzt unvermeidlich eine Periode der Entmutigung durchmachen, bevor sie sich langsam und hartnäckig nach einem neuen Wege umsehen. Die Periode, in der die Massen völlig regungslos verbleiben, wird mit der Zeit von Francos Herrschaft zusammenfallen.

Die Drohung Japans

Sie fragen, ob Japan eine ernste Drohung für die USSR, England und die Vereinigten Staaten darstellt. Japan ist unfähig, einen Krieg von größerem Umfange zu führen, teils aus ökonomischen, aber vor allem aus sozialen Gründen. Japan, das sich bis heute noch nicht von der Erbschaft des Feudalismus befreit hat, stellt das Reservoir einer gigantischen revolutionären Explosion dar. In vieler Hinsicht erinnert es an das Zarenreich am Vorabend von 1905.

De führenden Kreise Japans versuchen, den inneren Widersprüchen durch die Besitzergreifung und Plünderung Chinas zu entgehen. Aber die inneren Widersprüche machen die äußeren Erfolge in hohem Maße unverwertbar. Strategische Positionen in China erobern ist eine Sache; sich China unterwerfen ist etwas anderes. Japan würde es niemals wagen, die Sowjetunion herauszufordern, wenn dort nicht ein klaffender, für jeden sichtbarer Antagonismus zwischen der führenden Kremlclique und dem Sowjetvolke vorhanden wäre. Das die USSR schwächende Stalinregime kann einen Sowjet-japanischen Krieg ermöglichen.

Wie wäre der Ausgang dieses Krieges?

Ich kann keinen Augenblick an einen Sieg Japans glauben. Ich denke, der Krieg wird ganz unzweifelhaft den Zusammenbruch des mittelalterlichen Regimes des Mikado und des bonapartistischen Regimes Stalins zur Folge haben.

Meine Arbeit In Mexiko

Über mein Leben in Mexiko habe Ich sehr wenig zu sagen. Von Seiten der Behörden habe Ich nur Zuvorkommenheit angetroffen. Ich halte mich absolut fern vom mexikanischen politischen Leben, doch folge ich den Bemühungen des mexikanischen Volkes, eine vollkommene und wirkliche Unabhängigkeit zu erobern, mit heißer Sympathie.

Ich habe soeben ein Buch über Stalin beendet, das dieses Jahr In den Vereinigten Staaten, England und anderen Ländern erscheinen wird. Das Buch ist eine politische Biographie Stalins und will eine Aufklärung darüber geben, wie ein zweit oder drittrangiger Revolutionär an der Spitze des Landes erscheinen kann, wenn die thermidorianische Reaktion beginnt. Das Buch will im besonderen zeigen, wie und warum der frühere Bolschewik Stalin heute vollständig reif ist für ein Bündnis mit Hitler.

Leo Trotzki.

Coyoacan, DF., den 18. März 1939.

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