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Leo Trotzki 19390311 Stalins Kapitulation

Leo Trotzki: Stalins Kapitulation

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 7, Nr. 4-5 (95-96), Anfang Mai 1939, S. 2 f.]

Die ersten Berichte über Stalins Rede auf dem letzten Moskauer Kongress der sogenannten Kommunistischen Partei der Sowjetunion zeigen, dass Stalin sich beeilte, aus den spanischen Ereignissen soweit er dabei betroffen ist, Schlussfolgerungen zu ziehen und zwar in der Richtung auf eine neue Wendung zur Reaktion hin.

In Spanien erlitt Stalin eine weniger direkte, aber nicht weniger tiefe Niederlage als Azaña und Negrin, Dabei handelt es sich um etwas unendlich Größeres als um eine rein militärische Niederlage oder selbst einen verlorenen Krieg. Die ganze Politik der «Republikaner» wurde durch Moskau bestimmt. Die Beziehungen zwischen der republikanischen Regierung und den Arbeitern und Bauern waren nichts anderes als die Übersetzung der Beziehungen zwischen der Kremloligarchie und den Völkern der Sowjetunion in die Sprache des Krieges. Die Methoden der Regierung Azaña-Negrin waren nichts anderes als ein Extrakt der Methoden der Moskauer GPU. Die Grundtendenz dieser Politik bestand in der Ersetzung des Volkes durch die Bürokratie, und der Bürokratie durch die politische Polizei.

Stalin wechselt die Stiefel

Dank den Bedingungen des Krieges fanden die Tendenzen des Moskauer Bonapartismus in Spanien nicht nur ihren höchsten Ausdruck, sondern sie wurden auch schnell einer Prüfung unterzogen. Daraus ergibt sich die Bedeutung der spanischen Ereignisse vom internationalen und besonders vom Standpunkt der Sowjets gesehen. Stalin ist unfähig zu kämpfen, und wenn er zum Kampfe gezwungen ist, ist er unfähig, etwas anderes zu bringen als Niederlagen.

In seiner Rede auf dem Kongress verurteilte Stalin öffentlich die Idee eines «Bündnisses der Demokratien zur Abwehr der faschistischen Angreifer». Die Anstifter eines internationalen Krieges sind jetzt weder Mussolini noch Hitler, sondern die beiden wichtigsten Demokratien Europas, England und Frankreich, die, wie der Redner ausführt, Deutschland und die UdSSR in einen Konflikt hineinziehen möchten, indem sie einen deutschen Angriff auf die Ukraine verwenden. Faschismus? Das tut nichts zur Sache. Es kann, nach Stalins Worten, von einem Angriff Hitlers auf die Ukraine gar nicht die Rede sein, und es gibt nicht die geringste Grundlage für einen militärischen Konflikt mit Hitler.

Das Aufgeben der Politik des «Bündnisses der Demokratien» wird sogleich ergänzt durch erniedrigendes Kriechen vor Hitler und überstürztes Stiefellecken. So ist Stalin!

Die Kapitulation der «Demokratien» vor dem Faschismus kam in der Tschechoslowakei durch einen Regierungswechsel zum Ausdruck. In der UdSSR ist Stalin, dank der vielfältigen Vorteile des totalitären Regimes, sein eigener Benesch und sein eigener General Syrovy. Er beseitigt die «Prinzipien» seiner Politik, um selbst nicht beseitigt zu werden. Die bonapartistische Clique will leben und regieren. Alles andere ist für sie nur eine Frage der «Technik».

In Wirklichkeit unterscheiden sich die politischen Methoden Stalins in keiner Weise von den Methoden Hitlers. Aber auf dem Gebiet der internationalen Politik ist der Unterschied in den Ergebnissen augenscheinlich. In einem kurzen Zeitraum gewann Hitler das Saargebiet zurück, warf den Versailler Vertrag über den Haufen, bemächtigte sich Österreichs und des Sudetengebiets, unterwarf die Tschechoslowakei seiner Herrschaft und eine Reihe anderer zweit- und drittrangiger Mächte seinem Einfluss. In denselben Jahren erlitt Stalin auf der internationalen Arena nur Niederlagen und Demütigungen (China, Tschechoslowakei, Spanien). Zur Erklärung dieses Unterschiedes die persönlichen Qualitäten Hitlers und Stalins heranziehen, wäre viel zu oberflächlich.. Hitler ist ohne Zweifel geschickter und kühner als Stalin. Doch das ist nicht entscheidend. Entscheidend sind die allgemeinen sozialen Bedingungen der beiden Länder.

Die wirklichen Unterschiede

In oberflächlichen radikalen Kreisen ist es jetzt Mode, die Regimes in Deutschland und in der UdSSR auf einen Haufen zu werfen. Das ist unsinnig. In Deutschland haben wir trotz aller staatlichen «Regulierungen» ein Regime des Privateigentums an den Produktionsmitteln. In der Sowjetunion haben wir eine nationalisierte Industrie und eine kollektivierte Landwirtschaft. Uns sind alle gesellschaftlichen Missbildungen bekannt, die die Bürokratie im Lande des Oktober erzeugte. Aber die Tatsache einer Planwirtschaft auf der Grundlage der Verstaatlichung und Kollektivierung der Produktionsmittel bleibt bestehen. Diese verstaatlichte Wirtschaft hat ihre eigenen Gesetze, die stets weniger mit dem Despotismus, der Ignoranz und der Raubsucht der stalinistischen Bürokratie in Einklang zu bringen sind.

Der Monopolkapitalismus befindet sich in der ganzen Welt und besonders in Deutschland in einer auswegslosen Krise. Der Faschismus selbst ist ein Ausdruck dieser Krise. Aber innerhalb des Rahmens des Monopolkapitalismus ist das Hitlerregime das für Deutschland einzig mögliche. Das Rätsel von Hitlers Erfolgen erklärt sich aus der Tatsache, dass er mit seinem Polizeiregime den Tendenzen des Imperialismus den höchsten Ausdruck verleiht. Das Regime Stalins dagegen befindet sich in einem unauflösbaren Widerspruch mit den Tendenzen der sterbenden bürgerlichen Gesellschaft.

Die Rede ist ein Versuchsballon

Hitler wird bald seinen Höhepunkt erreichen, wenn er ihn nicht bereits erreicht bat, um dann in den Abgrund zu stürzen. Aber dieser Moment ist noch nicht gekommen. Hitler exploitiert weiterhin die dynamische Kraft eines um seine Existenz ringenden Imperialismus. Andererseits haben die Widersprüche zwischen dem bonapartistischen Stalinregime und den Erfordernissen von Wirtschaft und Kultur ein unerträglich akutes Stadium erreicht. Der Kampf des Kreml um seine Selbsterhaltung verschärft und vertieft nur die Widersprüche, die zu einem dauernden Bürgerkrieg im Lande und als Konsequenzen dieses Bürgerkrieges auf internationalem Gebiet zu Niederlagen führten.

Was bedeutet Stalins Rede? Ist sie ein Kettenglied einer neuen, sich vorbereitenden Politik, die sich auf vorher bereits abgeschlossene Abkommen mit Hitler stützt? Oder ist sie nur ein Versuchsballon, Stalins Angebot von Herz und Hand? Höchstwahrscheinlich ist die Wirklichkeit näher bei der zweiten als bei der ersten Variante. Als Sieger hat es Hitler keineswegs eilig, seine Freundschaften und Feindschaften ein für allemal festzulegen. Im Gegenteil ist es für ihn von größtem Interesse, wenn die Sowjetunion und die westlichen Demokratien sich gegenseitig beschuldigen, einen «Krieg zu provozieren». Jedenfalls hat Hitler bei seiner Offensive schon so viel gewonnen: Stalin, der noch gestern der Alexander Newski der westlichen Demokratien war, wendet seine Augen heute Berlin zu und bekennt untertänigst die begangenen Fehler.

Schwere Arbeit für die Lügen-Komintern

Was ist die Lehre? In den letzten drei Jahren bezeichnete Stalin alle Gefährten Lenins als Agenter Hitlers. Er vernichtete die Blüte des Generalstabs. Er erschoss, verabschiedete und deportierte ungefähr 30.000 Offiziere – alle unter derselben Anklage Agenten Hitlers oder seiner Verbündeten zu sein. Nach der Zertrümmerung der Partei und der Enthauptung der Armee stellt nun Stalin öffentlich seine eigene Kandidatur für die Rolle eines … Hauptagenten Hitlers. Mögen die Knechte der Komintern lügen und sich herauszufinden versuchen. Die Fakten sind so klar, so überzeugend, dass es niemandem mehr gelingen wird, die öffentliche Meinung der internationalen Arbeiterklasse durch marktschreierische Phrasen zu betrügen. Bevor Stalin fällt, wird die Komintern in Stücke zerfallen. Wir werden nicht mehr Jahre warten müssen, bis beides eintreten wird.

Coyoacan, den 11. März 1939.

P.S. – Nach Hitlers Einzug In Prag hörte mal Gerüchte von einer Rückkehr Stalins in den Kreis der Demokratien. Man kann das unmöglich für ausgeschlossen halten. Aber es ist ebenso wenig ausgeschlossen, dass Hitler in Prag einzog, die Beweise von Stalins Entfernung von den «Demokratien» in der Hand. Hitlers Abtreten der Karpatho-Ukraine, die Ihm nicht gehörte, an Ungarn ist ein offen demonstrativer Verzicht auf die Pläne einer Groß-Ukraine. Ob das für längere Zeit sein wird, ist eine andere Frage.

Jedenfalls muss man es für wahrscheinlich halten, dass Stalin im Voraus das Geschick der Karpatho-Ukraine kannte: darum verneinte er auch mit solcher Sicherheit das Vorhandensein irgendeiner Gefahr von Seiten Hitlers für die Sowjet-Ukraine. Die Schaffung einer gemeinsamen Grenze zwischen Polen und Ungarn kann man auch auslegen als eine Kundgebung von Hitlers «gutem Willen» gegenüber der Sowjetunion. Ob das für lange sein wird, ist wieder eine andere Frage.

Bei dem gegenwärtigen Entwicklungsgänge der Weltantagonismen kann sich die Situation radikal ändern. Heute jedoch scheint Stalin ein Spiel mit Hitler vorzubereiten.

Leo Trotzki.

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