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Leo Trotzki 19400227 Testament

Leo Trotzki: Testament

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 203-205]

Mein hoher (und noch steigender) Blutdruck verbirgt den mir Nahestehenden meinen wirklichen Gesundheitszustand. Ich bin aktiv und in der Lage zu arbeiten, aber die Entscheidung ist nicht mehr fern. Diese Zeilen werden nach meinem Tode veröffentlicht werden.

Ich habe es nicht nötig, hier noch einmal die einfältige und niederträchtige Verleumdung Stalins und seiner Agenten zu widerlegen: Meine Ehre als Revolutionär ist makellos. Ich bin niemals, weder direkt noch indirekt, zu einer heimlichen Vereinbarung, nicht einmal zu Verhandlungen mit den Feinden der Arbeiterklasse bereit gewesen. Die Gegner Stalins sind zu Tausenden solchen falschen Anschuldigungen zum Opfer gefallen. Die neue revolutionäre Generation wird die politische Ehre dieser Opfer wiederherstellen und mit den Henkern des Kreml abrechnen, wie sie es verdient haben. Ich danke herzlich allen Freunden, die mir in den schwersten Stunden meines Lebens treu zur Seite standen. Ich kann keinen besonders erwähnen, weil ich sie nicht alle nennen kann.

Ich glaube jedoch, gerecht zu handeln, wenn ich in einem Falle eine Ausnahme mache und meine Gefährtin Natalia Iwanowna Sedowa direkt nenne. Zu dem Glück, ein Kämpfer für den Sozialismus zu sein, gab mir das Schicksal das Glück, ihr Mann sein zu dürfen. In den nunmehr fast vierzig Jahren unseres gemeinsamen Lebensweges blieb sie eine unerschöpfliche Quelle der Liebe, der Großmut und Zärtlichkeit. Sie erduldete große Leiden, hauptsächlich im letzten Abschnitt unseres Lebens. Aber ich empfinde doch Erleichterung bei dem Gedanken, dass sie trotzdem Tage des Glücks genossen hat.

Dreiundvierzig Jahre lang bin ich ein bewusster Revolutionär geblieben; zweiundvierzig Jahre habe ich unter dem Banner des Marxismus gekämpft. Wenn ich von vorne beginnen könnte, würde ich natürlich versuchen, den einen oder anderen Fehler zu vermeiden, aber die große Linie niemals ändern. Ich werde als proletarischer Revolutionär, als Marxist, als dialektischer Materialist und folglich als unbeirrbarer Atheist sterben. Mein Glaube an eine kommunistische Zukunft ist heute noch stärker als in meiner Jugend. Natascha hat das Fenster zur Hofseite noch weiter geöffnet, damit die Luft besser in mein Zimmer strömen kann. Ich kann den glänzenden grünen Rasenstreifen unter der Mauer sehen, den klaren blauen Himmel darüber und die Sonne überall. Das Leben ist schön. Die kommende Generation möge es reinigen von allem Bösen, von Unterdrückung und Gewalt und es voll genießen.

L. Trotzki

27. Februar 1940

Coyoacan

Leo Trotzki: Testament

Mein Besitz, der nach meinem Tode zurückbleibt, die Autorenrechte (für Bücher, Artikel usw.) sollen meiner Frau Natalia Iwanowna Sedowa zur Verfügung stehen.

27. Februar 1940

L. Trotzki

Wenn wir beide sterben1

3. März 19402

Bei der Art meiner Krankheit (hoher und steigender Blutdruck) rechne ich mit einem plötzlichen Ende, sehr wahrscheinlich – das ist wiederum meine persönliche Ansicht – durch Hirnblutung. Dies ist das beste Ende, das ich mir wünschen kann. Es ist jedoch möglich, dass ich mich irre (ich möchte keine Fachbücher über dieses Thema lesen, und der Arzt wird mir selbstverständlich nicht die Wahrheit sagen). Sollte die Arterienverkalkung jedoch langwierig sein und ein langes Invalidentum bedingen (im Moment bin ich allerdings voller geistiger Energie, die sicher dem hohen Blutdruck zuzuschreiben ist und nicht lange dauert), dann behalte ich mir das Recht vor, die Zeit meines Todes selbst zu bestimmen. Der »Selbstmord« (wenn dieses Wort in meiner Lage angewandt werden kann) wird in keinem Fall Ausdruck von Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit sein. Natascha und ich haben mehr als einmal davon gesprochen, dass wir uns in einem körperlichen Zustand befinden könnten, der eine Abkürzung des Lebens, oder besser eine Beschleunigung des Todes, angebracht erscheinen lässt. Aber wie immer auch die Umstände meines Todes sein werden, ich werde sterben im unerschütterlichen Glauben an die Zukunft des Kommunismus. Dieser Glaube an den Menschen und an seine Zukunft gibt mir eben jetzt eine Widerstandskraft, die mir keine Religion geben könnte.

L. Tr.

1 Der Rest der Seite ist unbeschrieben.

2 Nachtrag

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