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Leo Trotzki 19300900 An die Kommunisten Chinas und der ganzen Welt

Leo Trotzki: An die Kommunisten Chinas und der ganzen Welt

Über die Aufgaben und Perspektiven der chinesischen Revolution

Manifest der Internationalen Linken Opposition

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 687-696, dort mit Fußnoten]

In den letzten Monaten gab es in einigen Provinzen Südchinas erneut eine Bauernbewegung von erheblichem Ausmaß. Nicht nur in der Weltpresse des Proletariats, sondern auch in der Presse seiner Feinde hat dieser Kampf breiten Widerhall gefunden. Die betrogene, zerschlagene, ausgeblutete chinesische Revolution zeigt, dass sie lebt. Hoffen wir, dass die Zeit nicht allzu fern ist, in der sie neuerlich ihr proletarisches Haupt erhebt. Um sich darauf vorzubereiten, muss man die Probleme der chinesischen Revolution rechtzeitig auf die Tagesordnung der internationalen Arbeiterklasse setzen.

Wir, die kommunistische Internationale Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten), halten es für unsere Pflicht, jetzt die Stimme zu erheben, um die Aufmerksamkeit aller Kommunisten, aller fortschrittlichen revolutionären Arbeiter auf die Aufgabe der Befreiung dieses großen Landes des asiatischen Ostens zu richten und zugleich vor der falschen Politik der führenden Fraktion der Kommunistischen Internationale zu warnen, die die künftige chinesische Revolution augenscheinlich ebenso zum Scheitern zu bringen droht, wie sie schon die Revolution von 1925 bis 1927 ins Verderben gestürzt hat.

Schon in den ersten Anzeichen des Wiederauflebens der chinesischen Revolution auf dem Lande werden ihre inneren Kräfte und grandiosen Möglichkeiten deutlich. Die Aufgabe besteht aber darin, diese Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Vorbedingung für den Erfolg ist das Begreifen dessen, was vor sich geht, d. h. wir brauchen eine marxistische Bestimmung der Triebkräfte und eine richtige Einschätzung der gegenwärtigen Etappe des Kampfes. In beiden Fragen ist die Führung der Komintern auf dem falschen Weg.

Die stalinistische Presse ist voll von Nachrichten über die »Sowjetmacht«, die angeblich in weiten Teilen der chinesischen Provinz unter dem Schutz einer Roten Armee errichtet worden ist. Die Arbeiter der verschiedenen Länder nehmen diese Nachricht mit Begeisterung auf. Wie könnte das anders sein! Die Errichtung der Sowjetmacht in einem bedeutenden Teil Chinas und der Aufbau einer chinesischen Roten Armee wären ein gigantischer Erfolg der internationalen Revolution. Aber wir müssen klar und deutlich sagen: So weit ist es noch nicht!

Die Nachrichten aus den unermesslichen Weiten Chinas sind spärlich; doch das marxistische Verständnis der inneren Kräfte des sich entfaltenden Prozesses ermöglicht es uns, die stalinistische Interpretation der Vorgänge mit voller Gewissheit als falsch und für die weitere Entwicklung der Revolution äußerst gefährlich zurückzuweisen.

Chinas Geschichte ist über viele Jahrhunderte hin eine Geschichte gewaltiger, fürchterlicher Aufstände von verarmten und ausgehungerten Bauern. Nicht weniger als fünfmal ist es ihnen in den letzten zweitausend Jahren gelungen, das Grundeigentum völlig umzuverteilen. Und jedes Mal begann der Prozess der Bodenkonzentration von vorn, bis das Bevölkerungswachstum zu neuen, örtlich begrenzten oder landesweiten Ausbrüchen führte. Dieser Kreislauf war Ausdruck der wirtschaftlichen Stagnation und der gesellschaftlichen Ausweglosigkeit.

Erst Chinas Anschluss an die Weltwirtschaft eröffnete dem chinesischen Volk neue Möglichkeiten. Der Kapitalismus drang in China von außen ein. Die verspätete chinesische Bourgeoisie wurde zur Mittlerin zwischen dem ausländischen Kapital und den erbarmungslos ausgebeuteten Massen des eigenen Landes. Gemeinsam mit den chinesischen Bourgeois kombinierten die ausländischen Imperialisten Methoden kapitalistischer Ausbeutung mit Leibeigenschaft und Ausbeutung durch Wucher.

Die Grundidee der Stalinisten war es, die chinesische Bourgeoisie zur Führerin der nationalen Revolution gegen Feudalismus und Imperialismus zu machen. Die sich daraus ergebende politische Strategie hat die Revolution zugrunde gerichtet. Das chinesische Proletariat musste teuer für die Erkenntnis bezahlen, dass die Bourgeoisie weder gegen den sogenannten »Feudalismus« – der doch wesentlicher Bestandteil ihres eigenen Ausbeutungssystems ist – kämpfen kann, kämpfen will und jemals kämpfen wird, noch gegen den Imperialismus, dessen Agentur sie ist und unter dessen Vormundschaft sie steht.

Sobald deutlich wurde, dass das chinesische Proletariat, trotz allen Widerstands der Komintern, einen eigenen revolutionären Weg anstrebte, brachte die Bourgeoisie den Arbeitern mit Hilfe der ausländischen Imperialisten eine vernichtende Niederlage bei – zuerst in Shanghai. Sobald sich herausstellte, dass die Freundschaft mit Moskau nicht das geeignete Mittel war, den Aufstand der Bauern zu paralysieren, zerschlug die Bourgeoisie die Bauernbewegung. Im Frühjahr und Sommer 1927 beging die chinesische Bourgeoisie ihre größten Verbrechen.

Durch die Folgen ihrer Fehler aufgeschreckt, versuchte die Stalin-Fraktion Ende 1927 mit einem Schlag all das nachzuholen, was sie im Laufe von Jahren versäumt hatte. So wurde der Aufstand in Kanton organisiert. Die Führer nahmen an, dass es mit der Revolution nach wie vor aufwärts gehe. In Wirklichkeit aber ging es mit ihr bereits immer mehr bergab. Der Heroismus der Arbeitervorhut von Kanton konnte die vom Abenteurertum der Führer heraufbeschworene Katastrophe nicht verhindern. Der Kantoner Aufstand wurde in Blut ertränkt. Die zweite chinesische Revolution war endgültig zugrunde gerichtet.

Wir, Angehörige der Internationalen Linken Opposition, Bolschewiki-Leninisten, waren von Anfang an Gegner eines Eintritts der Kommunistischen Partei in die Guomindang und Befürworter einer selbständigen proletarischen Politik. Von Beginn des revolutionären Aufschwungs an forderten wir die Schaffung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten. Wir verlangten, die Arbeiter sollten die Führung des Bauernaufstands übernehmen und die Agrarrevolution zu Ende führen. All das wurde abgelehnt. Unsere Anhänger wurden verfolgt und aus der Komintern ausgeschlossen; in der UdSSR wurden sie verhaftet und verbannt. In wessen Namen? Im Namen des Bündnisses mit Tschiang Kaischek!

Nach den konterrevolutionären Coups in Shanghai und Wuhan haben wir linken Kommunisten immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass die zweite chinesische Revolution zu Ende sei, dass eine Periode des vorübergehenden Triumphs der Konterrevolution eingesetzt habe und dass Aufstandsversuche von Avantgarde-Arbeitern angesichts der Niedergeschlagenheit und der Erschöpfung der Massen unweigerlich zu einer weiteren kriminellen Zerstörung revolutionärer Kräfte führen würden. Wir forderten den Übergang zur Verteidigung, die Festigung der illegalen Organisation der Partei, die Teilnahme am ökonomischen Kampf des Proletariats und die Mobilisierung der Massen unter den Losungen der Demokratie: Unabhängigkeit Chinas, Selbstbestimmungsrecht seiner Völker, Nationalversammlung, Konfiskation von Grund und Boden, Achtstundentag. Eine solche Politik sollte der kommunistischen Avantgarde die Möglichkeit geben, sich allmählich von den Niederlagen zu erholen und die Verbindungen zu den Gewerkschaften und zu den nichtorganisierten Massen in Stadt und Land wiederherzustellen, um für einen neuen revolutionären Aufschwung gerüstet zu sein.

Die Stalin-Fraktion erklärte unsere Politik für »liquidatorisch« und machte selbst den – in der Geschichte nicht seltenen – Schritt vom Opportunismus zum Abenteurertum. Im Februar 1928, als die chinesische Revolution völlig darnieder lag, proklamierte das 9. EKKI-Plenum den Kurs auf den bewaffneten Aufstand in China. Resultat dieser wahnsinnigen Politik waren die weitere Vernichtung von Arbeitern, die Ausrottung der besten Revolutionäre, der Verfall der Partei und Demoralisierung in den Reihen der Arbeiter.

Der Niedergang der Revolution und das vorübergehende Abflauen des Kampfes der Militärmachthaber untereinander schufen die Möglichkeit für eine gewisse ökonomische Belebung im Lande. Von neuem begannen Arbeiterstreiks. Aber sie entwickelten sich unabhängig von der Partei, die die Situation nicht verstand und vollkommen unfähig war, den Massen eine neue Perspektive aufzuzeigen und sie unter den demokratischen Losungen der Übergangsperiode zusammenzuführen. Als Resultat dieser Fehler des Opportunismus und des Abenteurertums zählt die Kommunistische Partei jetzt nur noch einige Tausend Arbeiter in ihren Reihen. Die roten Gewerkschaften umfassen, nach Angaben der Partei selbst, etwa 60.000 Arbeiter, wohingegen es in den Monaten des revolutionären Aufschwungs etwa 3 Millionen waren.

Die Konterrevolution wirkte sich auf die Arbeiter sehr viel direkter und grausamer aus als auf die Bauern. Die Arbeiter sind in China nicht sehr zahlreich und sind in den industriellen Zentren konzentriert. Die Bauern hingegen sind in gewissem Maße durch ihre große Zahl und ihre Verstreutheit auf unermessliche Räume geschützt. In den revolutionären Jahren wuchsen im Dorf nicht wenige lokale Führer heran, die die Konterrevolution nicht alle ausrotten konnte. Sicherlich hat eine bedeutende Zahl von revolutionären Arbeitern in den Dörfern Zuflucht vor der Soldateska gefunden. Im letzten Jahrzehnt sind im ganzen Land nicht wenig Waffen unter die Leute gekommen. Bei Zusammenstößen mit der lokalen Obrigkeit oder mit Militäreinheiten holen die Bauern ihre Waffen hervor und bilden Abteilungen von roten Partisanen. Unter den Truppen der bourgeoisen Konterrevolution kommt es oft zu Unruhen, manchmal sogar zu offenen Meutereien.

Bewaffnete Soldaten laufen in Gruppen und manchmal sogar in ganzen Verbänden zu den Bauern über.

Deshalb ist es ganz natürlich, dass auch nach der vernichtenden Niederlage der Revolution die Wellen der Bauernbewegung verschiedene Provinzen des Landes immer wieder überrollen und jetzt besonders hoch schlagen. Mit der Waffe in der Hand verjagen und vernichten die Bauern die örtlichen Gutsbesitzer, soweit es sie in ihrem Gebiet überhaupt noch gibt, vor allem aber die sogenannte Gentry und die Tuhao, die örtlichen Vertreter der herrschenden Klasse, die landbesitzenden Beamten, die Wucherer und Kulaken.

Wenn die Stalinisten von einer Sowjetregierung sprechen, die von Bauern in einem wesentlichen Teil Chinas gebildet worden sei, offenbaren sie nicht nur ihre Leichtgläubigkeit und Oberflächlichkeit, sondern verschleiern und verzerren auch das Grundproblem der chinesischen Revolution.

Die Bauernschaft – und sei sie noch so revolutionär – kann keine unabhängige Regierung bilden. Sie kann nur die Regierung einer anderen Klasse, die in den Städten herrscht, unterstützen. Die Bauernschaft folgt in jedem entscheidenden Moment entweder der Bourgeoisie oder dem Proletariat. Dass es sogenannte »Bauern«-Parteien gibt, kann diesen Sachverhalt vorübergehend überdecken, aber nichts daran ändern. Räte sind Machtorgane der revolutionären Klasse, die der Bourgeoisie gegenübersteht. Das bedeutet, dass die Bauernschaft nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften ein Sowjetsystem aufzubauen. Gleiches gilt in Bezug auf die Armee. Die Bauern haben in China, Russland und anderen Ländern immer wieder Partisanenabteilungen gebildet, die mit unvergleichlichem Mut und mit großer Hartnäckigkeit kämpften. Aber das waren Partisanen: an eine bestimmte Provinz gebunden und nicht zu zentralisierten strategischen Operationen in großem Maßstab fähig. Nur die Herrschaft des Proletariats in den entscheidenden industriellen und politischen Zentren des Landes schafft die notwendigen Voraussetzungen für den Aufbau einer Roten Armee und ein auch die Landbevölkerung erfassendes Rätesystem. Wer das nicht begreift, dem bleibt die Revolution ein Buch mit sieben Siegeln.

Das chinesische Proletariat beginnt erst, sich wieder von der Lähmung der Konterrevolution zu befreien. Die Bauernbewegung entwickelt sich jetzt weitgehend unabhängig von der Arbeiterbewegung, nach eigenen Gesetzen und eigenem Tempo. Aber die Hauptaufgabe der chinesischen Revolution besteht darin, den proletarischen Aufstand mit dem der Bauern politisch und organisatorisch zu verbinden. Wer von einem Sieg der Räterevolution in China spricht – und dabei einzelne Provinzen des Südens von den in Passivität verharrenden Industriezentren des Nordens abtrennt –, der ignoriert das Doppelproblem der chinesischen Revolution: das Problem des Bündnisses zwischen den Arbeitern und Bauern und das Problem der Führungsrolle der Arbeiter in diesem Bündnis.

Die gewaltige Flut des Bauernaufstands kann ohne Zweifel der Wiederbelebung des politischen Kampfes in den Industriezentren einen Impuls geben. Wir rechnen fest darauf. Aber das heißt keineswegs, dass das revolutionäre Erwachen des Proletariats unmittelbar zur Eroberung der Macht oder auch nur zum Kampf um die Macht führt. Das Erwachen des Proletariats kann in der ersten Zeit den Charakter von ökonomischen und politischen, defensiven und offensiven Teilkämpfen annehmen. Wie lange wird das Proletariat und vor allem seine kommunistische Avantgarde benötigen, bis sie die Rolle des Führers der revolutionären Nation einnehmen können? Sicherlich nicht nur Wochen oder Monate. Das Kommando bürokratischer Führer kann das selbständige Wachsen der Klasse und ihrer Partei nicht ersetzen.

Die chinesischen Kommunisten brauchen jetzt eine Politik auf lange Sicht. Sie haben nicht die Aufgabe, die verstreuten Herde der Bauernaufstände mit ihren Kräften zu unterstützen – die kleine und schwache Partei kann sie ohnehin nicht lenken. Pflicht der Kommunisten ist es vielmehr, ihre Kräfte in den Fabriken der Leicht- und Schwerindustrie und in den Arbeitervierteln zu konzentrieren, den Arbeitern die Bedeutung der Ereignisse auf dem Lande klarzumachen, die Müden und Mutlosen wieder aufzurichten, sie zum Kampf um ökonomische Forderungen, um Losungen der Demokratie und der Agrarrevolution zu sammeln. Nur auf diesem Wege, d. h. über die Reaktivierung und den Zusammenschluss der Arbeiter, kann die Kommunistische Partei zur Führerin des Bauernaufstands und damit auch der nationalen Revolution im ganzen werden.

Um den Illusionen des Abenteurertums Vorschub zu leisten und die Schwäche der proletarischen Avantgarde zu verbergen, sagen die Stalinisten, es gehe vorläufig nur um eine demokratische Diktatur, nicht um die proletarische. In diesem zentralen Punkt basiert ihr Abenteurertum voll und ganz auf opportunistischen Prämissen. Die Stalinisten, denen die Erfahrungen mit der Guomindang noch nicht genügen, halten für die künftige Revolution ein neues Mittel zur Einschläferung und Fesselung des Proletariats parat: die »demokratische Diktatur«.

Wenn die fortschrittlichen chinesischen Arbeiter die Räte-Losung ausgeben, heißt das: Wir wollen es so machen, wie es die russischen Arbeiter gemacht haben. Noch gestern haben ihnen die Stalinisten darauf geantwortet: »Nein, tut das nicht, ihr habt die Guomindang, und die wird alles Nötige tun.« Heute antworten die gleichen Führer ausweichender: »Räte wird man aufbauen müssen, aber nicht für die proletarische Diktatur, sondern für die demokratische.« Damit sagen sie dem Proletariat, dass diese Diktatur nicht die seine sein wird. Also gibt es eine andere, bislang unbekannte Kraft, die in der Lage ist, in China eine revolutionäre Diktatur zu verwirklichen. So wird mit der Formel der demokratischen Diktatur ein neuerlicher Betrug der bürgerlichen Demokratie an den Arbeitern und Bauern vorbereitet.

Um den Weg für die »demokratische Diktatur« freizumachen, stellen die Stalinisten die chinesische Konterrevolution als eine feudal-militaristische und imperialistische dar. Dadurch klammern sie die chinesische Bourgeoisie aus der Konterrevolution aus, das heißt: sie idealisieren sie wie eh und je.

Tatsächlich vertreten aber die Militärmachthaber die Interessen der chinesischen Bourgeoisie, die von den auf der Leibeigenschaft beruhenden Interessen und Verhältnissen nicht zu trennen sind.

Die chinesische Bourgeoisie steht dem Volk viel zu feindselig gegenüber, ist viel zu eng mit den ausländischen Imperialisten liiert und hat viel zu große Angst vor der Revolution, als dass sie danach streben könnte, in eigenem Namen mit parlamentarischen Methoden zu regieren. Das militaristisch-faschistische Regime in China ist Ausdruck des antinationalen und antirevolutionären Charakters der chinesischen Bourgeoisie. Die chinesische Konterrevolution ist nicht die Konterrevolution der Feudalherren und Vertreter des Leibeigenschaftssystems gegen die bürgerliche Gesellschaft. Es ist die Konterrevolution aller Besitzenden, d. h. in erster Linie der bürgerlichen Eigentümer, gegen die Arbeiter und Bauern.

Der proletarische Aufstand in China kann und wird sich nur als ein Aufstand vollziehen, der sich direkt und unmittelbar gegen die Bourgeoisie richtet. Der Bauernaufstand in China ist in ungleich höherem Maße als in Russland ein Aufstand gegen die Bourgeoisie. Einen selbständigen Gutsbesitzerstand gibt es in China überhaupt nicht. Der Landbesitzer ist Bourgeois. Gentry und Tuhao, gegen die sich der Bauernaufstand unmittelbar richtet, repräsentieren die unteren Kettenglieder der bürgerlichen wie der imperialistischen Ausbeutung. Während in Russland die Oktoberrevolution in ihrer ersten Etappe die gesamte Bauernschaft als Stand dem Stand der Gutsbesitzer entgegenstellte und erst nach einigen Monaten anfing, den Bürgerkrieg auch in die Bauernschaft hinein zutragen, ist in China jeder Bauernaufstand von Anfang an ein Bürgerkrieg der Dorfarmut gegen die Kulaken, d. h. gegen die ländliche Bourgeoisie.

Die mittlere Bauernschaft ist in China ganz unbedeutend. Zu achtzig Prozent besteht die Bauernschaft aus armen Bauern. Sie und nur sie spielen eine revolutionäre Rolle. Es geht nicht um ein Bündnis der Arbeiter mit der Bauernschaft insgesamt, sondern um ihr Bündnis mit der Dorfarmut. Beide haben denselben Feind – die Bourgeoisie. Niemand außer dem Proletariat kann die Dorfarmut zum Sieg führen. Ihr gemeinsamer Sieg kann zu keinem anderen Regime führen als zur Diktatur des Proletariats. Nur dieses Regime kann das Sowjetsystem und die Rote Armee aufbauen, die der militärische Ausdruck der von den armen Bauern gestützten Diktatur des Proletariats ist.

Die Stalinisten sagen, die demokratische Diktatur, die nächste Etappe der Revolution, werde später in die proletarische Diktatur hinüber wachsen. Das ist jetzt die Komintern-Doktrin nicht nur für China, sondern für alle Länder des Ostens. Es handelt sich dabei um einen vollständigen Bruch mit der Marxschen Lehre vom Staat und mit Lenins Schlussfolgerungen daraus für die Rolle des Staates in der Revolution. Die demokratische Diktatur bedeutet im Unterschied zur proletarischen eine bürgerlich-demokratische Diktatur. Der Übergang von der bürgerlichen zur proletarischen Diktatur kann sich jedoch nicht als ein friedliches »Hinüberwachsen« vollziehen. Die Diktatur des Proletariats kann die demokratische oder auch die faschistische Diktatur der Bourgeoisie mit Hilfe des bewaffneten Aufstands ablösen.

Das friedliche Hinüberwachsen einer demokratischen Revolution in die sozialistische ist nur unter der Diktatur ein und derselben Klasse – des Proletariats – möglich. Der Übergang von demokratischen Maßnahmen zu sozialistischen erfolgte in der Sowjetunion unter dem Regime der proletarischen Diktatur. In China wird sich der Übergang von der demokratischen Etappe der proletarischen Diktatur zur sozialistischen noch schneller vollziehen, weil die elementarsten demokratischen Aufgaben in China einen noch viel ausgeprägter antikapitalistischen und antibürgerlichen Charakter haben als in Russland.

Die Stalinisten brauchen offenbar noch eine weitere, mit Arbeiterblut bezahlte Niederlage, ehe sie sich endlich dazu entschließen können zu sagen: »Die Revolution hat ihr höchstes Stadium erreicht und dessen Losung ist die Diktatur des Proletariats.«

Heute kann noch niemand sagen, inwieweit sich in den gegenwärtigen Bauernaufständen der Widerschein der zweiten chinesischen Revolution mit dem Wetterleuchten der dritten verbindet. Niemand kann vorhersagen, ob das Feuer des Bauernaufstands die lange Periode hindurch geschürt werden kann, die die proletarische Avantgarde benötigt, um selbst Kraft zu gewinnen, die Arbeiterklasse in den Kampf zu führen und ihren Kampf um die Macht mit der allgemeinen Offensive der Bauern gegen ihre unmittelbaren Feinde zu koordinieren.

Was die jetzige Bewegung auf dem Lande auszeichnet, ist das Bestreben der Bauern, sie zu einer Rätebewegung zu machen oder sie zumindest so zu nennen, und ihre Partisanenabteilungen der Roten Armee anzugleichen. Dies zeigt, wie angespannt die Bauern nach einer politischen Form suchen, die sie instandsetzt, aus ihrer Vereinzelung und Ohnmacht auszubrechen. Auf dieser Basis werden die Kommunisten mit Erfolg weiterarbeiten können.

Aber man muss sich von vornherein klarmachen, dass im Bewusstsein der chinesischen Bauern die verschwommene Räte-Losung noch keineswegs die Diktatur des Proletariats bedeutet. Die Bauernschaft kann sich als solche nicht für die Diktatur des Proletariats aussprechen. Sie kann nur durch die Erfahrung des Kampfes dazu kommen, der ihr in der Praxis zeigen und beweisen wird, dass seine demokratischen Aufgaben nur vermöge der Diktatur des Proletariats gelöst werden können.

Und das ist der Hauptgrund dafür, dass die Kommunistische Partei Chinas das Proletariat nur unter den Losungen der Demokratie zum Kampf um die Macht führen kann.

Die Bauernbewegung bleibt, auch wenn sie sich mit dem Namen der Räte schmückt, zersplittert, lokal, auf die Provinz beschränkt. Sie kann nur dann auf nationales Niveau gehoben werden, wenn der Kampf um den Boden gegen die Steuerlast und die Bürde des Militarismus mit den Ideen der Unabhängigkeit Chinas und der Volkssouveränität verbunden wird. Der demokratische Ausdruck einer solchen Verbindung ist die mit voller Macht ausgestattete Nationalversammlung. Unter dieser Losung wird die kommunistische Avantgarde die breiten Massen der Arbeiter, die unterdrückten kleinen Leute in der Stadt und die Hunderte von Millionen umfassende Dorfarmut zum Aufstand gegen die äußeren und inneren Unterdrücker um sich scharen können.

Zur Bildung von Arbeiterräten wird man erst übergehen können, wenn die Revolution in den Städten einen Aufschwung nimmt. Wann dies der Fall sein wird, wissen wir nicht. Vorläufig können wir uns nur darauf vorbereiten. Sich vorbereiten heißt Kräfte sammeln. Im Augenblick können wir das nur unter den Losungen der konsequenten, kühnen, revolutionären Demokratie.

Zugleich müssen wir der Arbeiter-Avantgarde erklären, dass die Nationalversammlung für uns nur eine Etappe auf dem revolutionären Weg ist. Wir halten Kurs auf die Diktatur des Proletariats in Gestalt des Rätesystems.

Wir schließen die Augen nicht davor, dass diese Diktatur das chinesische Volk vor die schwierigsten wirtschaftlichen und internationalen Probleme stellt. Das chinesische Proletariat ist ein kleinerer Teil der Gesamtbevölkerung, als es das russische Proletariat am Vorabend des Oktober war. Der chinesische Kapitalismus ist noch rückständiger als der russische. Aber Schwierigkeiten bewältigt man nicht mit Illusionen, nicht durch eine Abenteurerpolitik, nicht durch Hoffnungen auf Tschiang Kaischek oder auf eine »demokratische Diktatur«. Schwierigkeiten bewältigt man durch klares Denken und revolutionären Willen.

Das chinesische Proletariat wird die Macht nicht übernehmen, um die chinesische Mauer wieder aufzubauen und in ihrem Schutz einen nationalen Sozialismus zu errichten. Mit der Eroberung der Macht wird das chinesische Proletariat eine der wichtigsten strategischen Positionen für die internationale Revolution erobern. Das Schicksal Chinas ist wie das der Sowjetunion vom Schicksal der revolutionären Bewegung des Weltproletariats abhängig. Das ist eine Quelle größter Hoffnungen und eine Rechtfertigung für den größten revolutionären Mut.

Die Sache der Weltrevolution ist die ureigene Sache der chinesischen Arbeiter!

Die Sache der chinesischen Revolution ist die ureigene Sache des Weltproletariats!

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