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Leo Trotzki 19270331 Brief an das Politbüro der KPdSU

Leo Trotzki: Brief an das Politbüro der KPdSU

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 136-138, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Sehr geehrte Genossen,

zur Zeit kann ich die Ereignisse in China nur anhand der Zeitungen verfolgen. Welche Instruktionen erteilt worden sind, weiß ich nicht. Dass aber im Zusammenhang mit der Entwicklung der chinesischen Revolution, vor allem mit den damit verbundenen militärischen Fragen, nirgends in der Presse die Frage nach den Räten aufgeworfen wird, muss uns aufmerken lassen. Mir scheint, dass dieser Frage im jetzigen Stadium entscheidende Bedeutung zukommt.

1. Die chinesische Revolution beherrscht solche proletarische Zentren wie Shanghai und Hankou, von einer Reihe anderer Orte von geringerer Bedeutung ganz zu schweigen. Alles spricht doch wohl dafür, in diesen proletarischen Bereichen vor allem Arbeiterräte zu organisieren.

2. Die revolutionäre Zusammenarbeit des Proletariats mit der städtischen und der Dorfarmut ist für das weitere Voranschreiten der chinesischen Revolution eine Frage auf Leben und Tod. Wie immer man über die Frage der weiteren Beziehungen zwischen KP und Guomindang denkt, eines sollte klar sein: Die tägliche politische, administrative und praktische Zusammenarbeit von Hunderttausenden von Arbeitern mit vielen Millionen halb proletarischer und kleinbürgerlicher Elemente in Stadt und Land kann nicht nur mit Hilfe der Guomindang verwirklicht werden, die eigentlich eine Organisation der gesellschaftlichen Oberschichten mit ungefähr 300.000 Parteimitgliedern ist. Eine wirkliche, alltägliche Zusammenarbeit der Massen des von der Revolution geweckten Volkes kann nur mittels der Bildung von Arbeiter-, Handwerker- und Bauernräten zustande kommen.

3. Es ist nicht zu vermeiden, dass die Nationalarmee, mit deren politischer Erziehung gerade erst begonnen wurde, durch den Anschluss von Streitkräften aus der Provinz, die in politischer Hinsicht noch völlig unbeschlagen sind, aufgefüllt wird. Die Offizierskader kommen, sofern sich das anhand der zugänglichen Unterlagen beurteilen lässt, aus dem Bürgertum bzw. aus der Gutsbesitzerschicht und haben dementsprechende politische Neigungen. Die Furcht vor einem chinesischen Bonapartismus ist in den revolutionären Kreisen Chinas offenbar ziemlich stark, und man kann nicht behaupten, sie sei unbegründet. Bei den bestehenden Verhältnissen gibt es offensichtlich keine wirksamere Maßnahme gegen derartige Gefahren als die Bildung einer Soldatensektion in den Räten, wobei die Garnisonen der großen Arbeiterzentren den Anfang machen müssen.

4. Selbstverständlich muss die Bildung von Räten sorgfältig mit den Lebensbedingungen und Besonderheiten der Klassen, der Regionen usw. in Einklang gebracht werden, damit nicht zufällig hier und da reaktionäre Elemente das Übergewicht erhalten oder Unruhe in die Armee hineingetragen wird usw. usf. Doch spricht alles dafür, dass man die wirksame Sicherung der eroberten Territorien durch den Aufbau von Räten der werktätigen und ausgebeuteten Masse der chinesischen Bevölkerung nicht länger aufschieben darf.

5. Nur so kann eine radikale Agrarreform durchgeführt werden – »reformistisch«, wo die Umstände es erlauben, »revolutionär«, wo die Gutsbesitzer von militärischen Einheiten unterstützt werden.

6. Gegenwärtig sucht man noch immer, zum Verrat und zum Überlaufen zu überreden, vor allem, wenn es sich um Generäle handelt. Mit der Bildung von Räten, die in in den Massen verwurzelt sind, würden sich diese Verhältnisse radikal ändern lassen. Wenn man nicht unerbittlich mit den Militärmachthabern, den Bandenführern, den zahllosen Generälen und Banditen abrechnet, lässt sich in China nach den Jahren des Bürgerkriegs keine solide demokratische Ordnung herstellen. Doch eine solche strenge Abrechnung ist nur denkbar, wenn sie bei den Unterschichten festen Rückhalt findet. Und das können nur Räte des Proletariats, der Soldaten und der Stadt- und Dorfarmut gewährleisten.

7. Es versteht sich von selbst, dass diese Räte zu Organen des Kampfes um die Macht oder zu Organen der Machtausübung am jeweiligen Ort werden müssen.

8. Alle Schichten und Gruppen der Bevölkerung, die unter den gegebenen Bedingungen, am gegebenen Ort und zur gegebenen Zeit tatsächlich mit der Revolution gehen und sie unterstützen, werden die Räte wählen. Die Einstellung dieser Schichten zum Proletariat, zu seinen Streiks etc. auf der einen, zur Nationalarmee auf der anderen Seite, wird das Kriterium abgeben. Die politische Zusammenarbeit und die politische Abgrenzung ergibt sich aus der großen Linie des Klassenkampfs, nicht aus dem künstlichen Organisationsschema der Guomindang (ein Drittel Kommunisten, zwei Drittel Intelligenz und Kaufmannschaft usw. usf.).

9. Ich will hier nicht die Frage nach den Beziehungen zwischen der KP und der Guomindang aufwerfen. Ich glaube aber, dass uns das Rätesystem dazu verhelfen könnte, in kurzer Frist auch diese Frage richtig anzugehen. Das Rätesystem wird in China in der nächsten Zeit nicht zum Instrument der proletarischen Diktatur, sondern zum Instrument der nationalrevolutionären Befreiung und der demokratischen Vereinigung des Landes werden. In dieser Phase werden die Räte nicht unter der Diktatur einer Partei, sondern unter der Führung eines Blocks von Parteien stehen, wobei innerhalb dieses Blocks Kämpfe, Kräfteverschiebungen usw. unvermeidlich sind. Die Versuche der Guomindang, unter Berufung auf das Beispiel Russlands die Diktatur einer Partei zu errichten, eben die der Guomindang, die sich die KP vollkommen unterwirft, sind de facto konterrevolutionär und werden sicherlich zu faschistischen Tendenzen führen. Eine Diktatur des Proletariats unter den Bedingungen der Sowjetunion, also in kapitalistischer Umklammerung, ist nur als Diktatur der einen Kommunistischen Partei denkbar. Doch in China geht es ja um eine nationaldemokratische, nicht um eine sozialistische Revolution. Die nationaldemokratische Revolution muss dem Klassenkampf des Proletariats volle Freiheit garantieren, folglich auch die völlige Selbständigkeit der Kommunistischen Partei als der Führerin dieses Kampfes. Ohne die enge, kontinuierliche und sich vertiefende Zusammenarbeit des Proletariats mit den Unterschichten in Stadt und Land ist ein Erfolg der Revolution nicht denkbar. Und diese Zusammenarbeit wird durch die Räte verwirklicht werden – in Gestalt von Parteien-Blöcken und dem Einfluss der Arbeiterdeputierten auf die Parteilosen usw.

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