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Leo Trotzki 19380625 Brief an Frank Glass

Leo Trotzki: Brief an Frank Glass

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 921 f., dort mit Fußnoten.]

Lieber Genosse Glass,

für Ihre interessanten Informationen aus China bedanke ich mich. Es ist mir absolut unmöglich, so etwas wie ein spezielles Programm für die chinesischen Genossen auszuarbeiten. Nicht nur, weil ich jetzt mein Buch schreiben muss, sondern auch, weil es äußerst schwierig ist, praktische Ratschläge zu geben, wenn man keine konkreten Informationen hat. Ihre Kritik und Ihre Vorschläge erscheinen mir richtig, und es wäre für mich jetzt ohne ernsthafte Studien sehr schwierig, irgend etwas Wesentliches hinzuzufügen.

Mich bewegt sehr die Frage der persönlichen Sicherheit Chen Duxius. Dies ist eine wichtige politische Frage. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Stalinisten ihn während des Krieges ermorden werden. Ich halte es auch nicht für klug, wenn er in das britische Hongkong ginge. Er wäre dort ein politischer Emigrant, und wir kennen die künftige Haltung der britischen Regierung nicht. Er sollte, wenn möglich mit Zustimmung der chinesischen Regierung, in die Staaten gehen. Die Haltung Washingtons hängt von der öffentlichen Meinung ab, und zwar zum großen Teil von der Meinung der Arbeiter. Chen Duxiu könnte in den Staaten eine sehr wirksame Propagandatätigkeit zugunsten Chinas und gegen den japanischen Imperialismus entfalten. Als Chinese, als alter Revolutionär und als unabhängiger Politiker könnte er tausendmal mehr Einfluss auf die amerikanischen Arbeiter erringen als die Agenten Moskaus. Tschiang Kaischek ist durchaus in der Lage, das zu begreifen. Ein praktischer Kompromiss mit der Regierung auf dieser Grundlage wäre in der gegenwärtigen Situation durchaus akzeptabel (natürlich kein Kompromiss auf der Grundlage der drei Prinzipien Sun Yatsens).

Es ist notwendig, ihm um jeden Preis diesen Vorschlag zu übermitteln und auch Auszüge aus meinen Briefen, die er inoffiziell den Behörden vorlegen könnte. Er sollte ins Ausland gehen. Es ist im Hinblick auf die gesamte internationale Situation höchst wichtig, wichtiger als es auf den ersten Blick scheint.

Es ist durchaus verständlich, dass Chen Duxiu sich in Bezug auf unsere Sektion sehr vorsichtig verhält. Er ist im Lande allzu bekannt, und jeder seiner Schritte wird von den Behörden überwacht. Es ist sicher, dass sich in den Reihen unserer chinesischen Sektion Agents provocateurs, besonders stalinistische, d. h. GPU-Agenten befinden. Unter diesen Umständen könnte Chen Duxiu sehr leicht in irgendein infames Komplott verwickelt werden, das für ihn fatal wäre und der Vierten Internationale sehr schaden würde. Seine Lage ist äußerst schwierig, wenn nicht bereits unerträglich. Er muss um jeden Preis ins Ausland gehen. Das ist meine tiefste Überzeugung.

Was Niel Shih angeht, so werde ich ihm nicht antworten. Er ist zu unzuverlässig, die Lage zu gefährlich, und ich bin nicht sicher, ob er nicht eine Doppelrolle spielt.

Unsere besten Grüße an Sie beide.

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