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Leo Trotzki 19360211 Brief an Harold Isaacs

Leo Trotzki: Brief an Harold Isaacs

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 821-823, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Lieber Genosse Roberts,

ich habe Ihre beiden Briefe nicht beantwortet, weil ich den Besuch der Genossen Spector und White abwarten wollte. Das Ergebnis ist Ihnen aus meinem Telegramm bekannt. Meine Bemühungen in der Diskussion waren vor allem von der Notwendigkeit bestimmt, es nicht zum Bruch kommen zu lassen: Eine Minderheit als »unabhängige Partei« würde eine politische Karikatur darstellen und ausgezeichnete Genossen dazu verurteilen, ihre Kräfte zu verschwenden und ihre Autorität einzubüßen.

Ihr Manuskript habe ich Spector nicht mitgegeben, weil ich noch immer hoffe, dass das Buch veröffentlicht wird, und ich das Manuskript dann benötige, um das Vorwort zu schreiben.

Hier kurz meine Meinung. Ihre Arbeit ist sehr gut und sehr wichtig, und sie könnte für den Leser von großem Nutzen sein. Jedoch sind die Gliederung und teilweise auch Ihre Form der Darstellung änderungsbedürftig. In seiner jetzigen Form wirkt Ihr Buch wie die historische Illustration der vorgefassten Meinung der Bolschewiki-Leninisten. Sie beginnen mit Zitaten aus der Heiligen Schrift und zeigen dann, wie gut die Ereignisse zu diesen Zitaten passen. Das gibt der Darlegung einen etwas »theologischen« Charakter. Wir wissen ebenso gut wie Sie selbst, dass Ihre Analyse nichts mit »Theologie« gemein hat. Im Grunde beruhen Ihre doktrinären Zitate ebenso wie Ihre Darstellung auf einer materialistischen Analyse der Ereignisse. Doch die Darstellungsform muss diejenigen vor den Kopf stoßen, die keine Bolschewiki-Leninisten sind, d. h. einen recht beträchtlichen Teil der Menschheit (vor allem in Amerika).

Was schlage ich also vor?

Streichen Sie die doktrinäre und abstrakte Einleitung und geben Sie ihr die Gestalt einer Schlussbetrachtung, die sich auf die dargelegten Tatsachen stützt.

Schreiben Sie eine historische Einleitung über die bürgerlich-nationalen Revolutionen. Die niederländische Revolution im 16. Jahrhundert z. B. war auch eine Revolution der nationalen Befreiung von spanischer Herrschaft: Ein auch nur summarischer Vergleich der Triebkräfte der niederländischen Revolution mit denen der chinesischen nationalen Revolution würde die späteren Darlegungen unterstreichen.

Ebenso könnte man von der Großen Französischen Revolution und der Oktoberrevolution ausgehen, um die Wandlungen der bürgerlich-nationalen Revolutionen im Laufe der Jahrhunderte herauszuarbeiten. Eine solche Einleitung würde es Ihnen sehr erleichtern, das Interesse des Verlegers und die Sympathie der Leser zu gewinnen.

Unter dem gleichen Gesichtspunkt müsste man den gesamten Text durchgehen. Ich glaube nicht, dass große Umarbeitungen nötig wären. Man müsste lediglich die Spuren des »theologischen« Vorgehens tilgen und die Darstellung durch zahlreichere lebendige Schilderungen, Charakteristiken usw. ergänzen.

Sollten Sie ihr Manuskript doch brauchen, kann ich es Ihnen jederzeit zurückgeben.

Meine herzlichsten Grüße an Ihre Lebensgefährtin und an Sie selbst.

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