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Leo Trotzki 19270511 Der sichere Weg

Leo Trotzki: Der sichere Weg

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 228-233, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Der Korrespondent des Daily Express in Shanghai teilt mit: »Bauern der Provinz Hunan bemächtigen sich des Landes und richten die Gutsbesitzer hin, die am hartnäckigsten Widerstand leisten. Überall ist die Kontrolle in der Hand der Kommunisten. Vielerorts werden Arbeiterräte gebildet, die die administrative Gewalt innehaben.« (Prawda vom 11. Mai 1927.) Wir wissen nicht, wie zuverlässig die Depesche ist, die die Zustände so drastisch schildert. Wir verfügen über keine anderen Informationen außer dieser Depesche. Was ist das wirkliche Ausmaß der Bewegung? Wird hier nicht bewusst übertrieben, um die Herren MacDonald, Thomas, Purcell und Hicks gegenüber Chamberlains Politik willfähriger zu machen? Wir wissen es nicht. Doch ist das in diesem Fall auch nicht von entscheidender Bedeutung.

Die Bauern erobern das Land und rotten die schlimmsten konterrevolutionären Gutsbesitzer aus. Vielerorts werden Arbeiterräte geschaffen, die die administrative Gewalt innehaben. Das teilt uns der Korrespondent einer reaktionären Zeitung mit. Und die Redaktion der Prawda hält diese Mitteilung für wichtig genug, um sie ins Verzeichnis der Schlagzeilen zu den wichtigsten internationalen Tagesereignissen aufzunehmen. Wir halten das für richtig.

Es wäre natürlich voreilig zu behaupten, dass die chinesische Revolution nach dem Staatsstreich der bürgerlichen Konterrevolution im April jetzt in ein neues, fortgeschritteneres Stadium eingetreten sei. Nach großen Niederlagen geschieht es nicht selten, dass derjenige Teil der angreifenden Masse, der den Schlägen nicht unmittelbar ausgesetzt war, zum nächsten Stadium der Bewegung übergeht und die Vorhut vorübergehend überholt. Hätten wir es mit einem derartigen Phänomen zu tun, dann würden die Räte von Hunan bald wieder zunichte werden, dann würden sie für eine gewisse Zeit von der allgemeinen Ebbe der Revolution fortgespült werden.

Aber es gibt absolut keinen Grund zu behaupten, wir hätten es hier nur mit schweren Nachhutgefechten einer Revolution zu tun, die für lange Zeit abgeebbt sei. Obwohl die Aprilniederlage keine vereinzelte »Episode«, sondern eine äußerst bedeutsame Etappe in der Entwicklung der Konterrevolution war, und obwohl fortschrittliche Teile der Arbeiterklasse böse zur Ader gelassen worden sind, gibt es nicht den geringsten Anlass zu behaupten, die chinesische Revolution sei auf Jahre hinaus zurückgeschlagen worden. Die Agrarbewegung ist stärker zersplittert und daher für die konterrevolutionären Henker weniger leicht erreichbar. Es ist nicht auszuschließen, dass das weitere Anwachsen der Agrarbewegung dem Proletariat die Möglichkeit gibt, sich schon relativ bald wieder aufzurichten und erneut zum Angriff überzugehen. Genaue Voraussagen darüber sind natürlich nicht möglich, schon gar nicht aus der Ferne. Die chinesische KP muss den realen Gang der Ereignisse und die Umgruppierung der Klassen aufmerksam verfolgen, um den richtigen Augenblick für eine neue Angriffswelle abzupassen.

Die Möglichkeit eines neuen Angriffs wird jedoch nicht nur von der Entwicklung der Agrarbewegung abhängen, sondern auch davon, auf welche Seite sich in nächster Zeit die breiten kleinbürgerlichen Massen der Städte schlagen werden. Der Staatsstreich Tschiang Kaischeks bedeutet nicht nur (vielleicht nicht einmal in erster Linie) eine Stärkung der Macht der chinesischen Bourgeoisie, sondern auch die Wiederherstellung und Stärkung der Position des ausländischen Kapitals in China mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Von daher ist es wahrscheinlich, wenn nicht gar unausweichlich, dass sich die kleinbürgerlichen Massen gegen Tschiang Kaischek wenden – und zwar ziemlich bald. Das Kleinbürgertum, das nicht nur unter dem ausländischen Kapital, sondern auch unter dem Bündnis der nationalen Bourgeoisie Chinas mit dem ausländischen Kapital schwer leidet, wird sich nach einigem Schwanken gegen die bürgerliche Konterrevolution wenden müssen. Das ist ein für uns besonders wichtiges Phänomen der Klassendynamik in der nationaldemokratischen Revolution.

Schließlich ist das junge chinesische Proletariat in solchem Maße an Entbehrungen und Opfer gewöhnt, hat gemeinsam mit allen geknechteten chinesischen Menschen in solchem Ausmaße »gelernt«, dem Tod ins Auge zu blicken, dass man von den chinesischen Arbeitern, die die Revolution wirklich wachgerüttelt hat, eine ganz außergewöhnliche Selbstaufopferung im Kampf erwarten kann.

All das gibt uns das Recht, darauf zu bauen, dass sich eine neue Welle der chinesischen Revolution von der Woge abtrennt, die mit der Aprilniederlage des Proletariats endete, und zwar nicht nach langen Jahren, sondern nach wenigen Monaten. Auch diesmal kann natürlich niemand die Fristen kennen. Doch taugten wir nichts als Revolutionäre, hielten wir nicht Kurs auf den neuen Aufschwung, indem wir das Aktionsprogramm, den politischen Weg und die Organisationsformen dafür ausarbeiten.

Die Aprilniederlage war keine »Episode«. Das war eine schwere Klassenniederlage, deren Ursachen zu analysieren wir uns hier versagen. Wir wollen in diesem Artikel von morgen sprechen, nicht von gestern. Die Aprilniederlage war eine besonders schwere nicht nur, weil ein blutiger Schlag gegen die proletarischen Zentren geführt worden ist, sondern auch deshalb, weil gerade diejenigen, die bis dahin ihre Führung gestellt hatten, die Arbeiter vernichtet haben. Eine so scharfe Wende muss neben dem physischen Durcheinander auch politische Verwirrung in den Reihen des Proletariats stiften. Diese Verwirrung, die für die Revolution gefährlicher ist als die eigentliche Niederlage, kann man nur mit einer klaren, deutlichen, revolutionären Linie für den morgigen Tag überwinden.

In diesem Sinne hat die Depesche des Shanghaier Korrespondenten der reaktionären englischen Zeitung eine außerordentliche Bedeutung. Zeigt sie doch, welchen Weg in China die Revolution nehmen kann, sollte es ihr gelingen, in nächster Zeit eine höhere Stufe zu erreichen.

Wir haben oben gesagt, dass die Abrechnung der Bauern mit den Gutsbesitzern von Hunan und die Bildung von Arbeiterräten – soweit sich das aus der Ferne beurteilen lässt – sowohl ein Ausläufer der vorigen als auch der Anfang einer neuen Welle sein kann. Selbst die Unterscheidung dieser beiden Wellen kann aber bedeutungslos werden, wenn der Abstand zwischen ihnen nur ein paar Wochen oder Monate beträgt. Doch wie immer sich die Sache in dieser Hinsicht verhält (und hier sind nur Vermutungen möglich, vor allem aus der Ferne): die symptomatische Bedeutung der Hunan-Ereignisse ist klar und nicht zu bestreiten, unabhängig von ihrem Ausmaß. Die Bauern und Arbeiter von Hunan zeigen, welchen Weg ihre Bewegung gehen kann, nachdem sie die schweren Ketten des Blocks mit der Bourgeoisie und den Gutsbesitzern gesprengt haben. Es wäre erbärmlich und spießig, wenn man glaubte, die Agrarfrage und die Arbeiterfrage könnten im Verlauf dieser gigantischen Revolution – was die Aufgaben und die Einbeziehung der Massen anbelangt – durch Dekrete von oben und Schiedskommissionen gelöst werden. Der Arbeiter will aus eigener Kraft der reaktionären Bürokratie das Rückgrat brechen und den Fabrikanten lehren, den Proletarier in seiner Persönlichkeit zu achten und seine Rechte zu respektieren. Auch der Bauer will die Knoten seiner Abhängigkeit von Räubern und Wucherern eigenhändig durchschlagen. Der Imperialismus, der die ökonomische Entwicklung Chinas mit Hilfe seiner Zoll-, Finanz- und Militärpolitik gewaltsam bremst, verdammt die Arbeiter zur Armut und die Bauern zur schlimmsten Abhängigkeit. Der Kampf gegen den Gutsbesitzer, den Wucherer und den Kapitalisten um bessere Arbeitsbedingungen wird gerade dadurch zum Kampf um die nationale Unabhängigkeit Chinas und um die Befreiung seiner Produktivkräfte von den Fesseln und Ketten des ausländischen Imperialismus. Denn das ist der Hauptfeind, ein mächtiger Feind. Seine Macht beruht nicht so sehr auf seinen Kriegsschiffen als auf seinem direkten und unverbrüchlichen Bündnis mit den Oberschichten der chinesischen Bourgeoisie im Bereich der Banken, des Geldverleihs, der Bürokratie und des Militärs, und auf dem eher indirekten, doch nicht weniger intensiven Bündnis mit der großen Handels- und Industriebourgeoisie. Das alles zeigt, dass das Joch des Imperialismus keinesfalls ein mechanisch auferlegtes ist, das von außen alle Klassen zusammenschweißt. Nein, das imperialistische Joch ist der wichtigste Faktor der inneren Auseinandersetzungen, der den Klassenkampf verschärft. Die chinesische Handels- und Industriebourgeoisie hat bei jedem ernsthaften Zusammenstoß mit dem Proletariat die zusätzliche Macht des ausländischen Kapitals und der ausländischen Bajonette hinter sich. Die Herren dieses Kapitals und dieser Bajonette spielen die Rolle des erfahrenen, geschickten Aufwieglers, der mit dem Blut der chinesischen Arbeiter so kalkuliert wie mit den Rohstoffen Kautschuk und Opium. Um den ausländischen Imperialismus zurückzudrängen, um diesen Feind zu besiegen, muss man ihm seine »friedliche«, »normale« Räuber- und Henkersarbeit in China unmöglich machen. Das ist natürlich nicht durch einen Kompromiss der Bourgeoisie mit dem ausländischen Imperialismus zu erreichen. Ein solcher Kompromiss könnte den Anteil der chinesischen Bourgeoisie an den Produkten der Arbeit der chinesischen Arbeiter und Bauern um einige Prozent steigern. Doch würde er zugleich das weitere, immer tiefere Eindringen des ausländischen Imperialismus in das ökonomische und politische Leben Chinas bedeuten, die weitere, immer schlimmere Versklavung der chinesischen Arbeiter und Bauern. Der Sieg über den ausländischen Imperialismus kann nur errungen werden, wenn die Werktätigen in Stadt und Land den ausländischen Imperialismus aus China vertreiben. Und dazu müssen sich die viele Millionen zählenden Massen wirklich erheben. Sie werden das nicht unter der einfachen Losung der nationalen Befreiung tun, sondern im direkten Kampf gegen den Gutsbesitzer, den Militär-Satrapen, den Wucherer und den kapitalistischen Räuber. Gerade in diesen Kämpfen erheben, stählen und bewaffnen sich die Massen. Eine andere Möglichkeit der revolutionären Erziehung gibt es nicht. Die großbürgerliche Führung der Guomindang (die Bande von Tschiang Kaischek) hat sich dem mit allen Mitteln und Maßnahmen widersetzt – zunächst von innen, mit Hilfe von Dekreten und Verboten, doch als sich die »Disziplin« der Guomindang als ungenügend erwies, mit Hilfe von Maschinengewehren. Die kleinbürgerliche Führung der Guomindang schwankt, weil sie sich vor einer allzu stürmischen Entwicklung der Massenbewegung fürchtet. In ihrer ganzen Vergangenheit haben sich die kleinbürgerlichen Radikalen daran gewöhnt, eher nach oben zu schauen, auf die Kombinationen der verschiedenen »nationalen« Gruppen, als nach unten, auf den echten Kampf der Millionen. Während aber Wankelmut und Unentschiedenheit in allen anderen Situationen nur gefährlich sind, werden sie in einer Revolution verhängnisvoll. Die Arbeiter und Bauern von Hunan haben den Ausweg aus dieser schwierigen Situation gefunden – und damit den Weg zur Rettung der Revolution.

Überflüssig zu erklären, dass nur auf diesem Weg, d.h. durch die Intensivierung der Massenbewegung, durch die soziale Radikalisierung des Programms und unter dem Banner der Arbeiter- und Bauernräte, im Ernstfall die Revolution vor der militärischen Vernichtung von außen geschützt werden kann. Wir wissen das aus eigener Erfahrung. Nur eine Revolution, auf deren Banner die Werktätigen und Unterdrückten deutlich ihre eigenen Forderungen geschrieben haben, kann auch die Soldaten des Kapitalismus erschüttern. Wir haben das in den Gewässern von Archangelsk, Odessa und anderen Städten erfahren und erprobt. Die kompromissbereite und verräterische Führung hat Nanjing nicht vor der Vernichtung bewahrt und hat den feindlichen Schiffen den Zugang zum Yangtse geöffnet. Eine revolutionäre Führung kann es, wenn die Bewegung gewaltige soziale Ausmaße erreicht, zuwege bringen, dass die Gewässer des Yangtse für die Schiffe von Lloyd George, Chamberlain und MacDonald zu heiß werden. Jedenfalls kann die Revolution nur so Schutz suchen und finden.

Wir haben wiederholt gesagt, dass die Agrarbewegung und die Bildung von Räten sowohl das Ende einer Etappe als auch den Anbruch einer neuen bedeuten können. Doch hängt das nicht nur von den objektiven Bedingungen ab. Unter den gegebenen Verhältnissen kommt dem subjektiven Faktor enorme, möglicherweise ausschlaggebende Bedeutung zu: der richtigen Aufgabenstellung und der festen und klaren Führung. Wenn eine Bewegung wie die, die in Hunan begonnen hat, sich selbst überlassen bleibt,wird sie unvermeidlich unterdrückt werden. Doch wird sich die Zuversicht der aufständischen Massen verzehnfachen, sobald sie eine feste Führung und stärkeren Zusammenhalt spüren. Nur eine klarsichtige Führung, die politisch verallgemeinern und organisatorisch verbinden kann, kann die Bewegung mehr oder weniger vor unvorsichtigen oder verfrühten Seitensprüngen und sogenannten »Exzessen« bewahren, ohne die es freilich in der Geschichte, wie die Erfahrung zeigt, bei keiner wirklich revolutionären Bewegung von Millionen Menschen abgeht. Die Aufgabe besteht darin, der Agrarbewegung und den Arbeiterräten ein klares Programm für ihr praktisches Handeln, den inneren Zusammenhalt und die politische Zielsetzung zu geben. Nur auf dieser Grundlage kann sich eine wirklich revolutionäre Zusammenarbeit des Proletariats mit dem Kleinbürgertum entwickeln, ein wirklich kämpferisches Bündnis der Kommunistischen Partei mit der linken Guomindang. Kaderelemente der linken Guomindang können sich nur im engen Bündnis mit dem revolutionären Kampf der bäuerlichen und städtischen Armen bilden und festigen. Die von Arbeiter- und Bauernräten geführte Agrarbewegung zwingt die linken Guomindang-Genossen, sich endgültig zwischen dem bürgerlichen Lager um Tschiang Kaischek und dem der Arbeiter und Bauern zu entscheiden. Die fundamentalen Klassenfragen offen und eindeutig aufzuwerfen, das ist unter den gegenwärtigen Bedingungen die einzige Möglichkeit, dem Wankelmut der kleinbürgerlichen Radikalen Einhalt zu gebieten und sie dazu zu zwingen, den einzigen Weg einzuschlagen, der zum Sieg führt. Das vermag nur unsere chinesische Partei mit Unterstützung der gesamten Kommunistischen Internationale.

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