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Leo Trotzki 19270507 Die chinesische Revolution und die Thesen des Genossen Stalin

Leo Trotzki: Die chinesische Revolution und die Thesen des Genossen Stalin

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 175-213, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Die Thesen des Genossen Stalin mit dem Titel »Fragen der chinesischen Revolution« wurden in der Prawda vom 21. April veröffentlicht, einige Tage nach Abschluss des ZK-Plenums, dem diese Thesen nicht vorgelegen hatten und von dem sie auch nicht diskutiert wurden (obgleich alle Plenumsmitglieder noch in Moskau geblieben waren)*. Dabei sind die Thesen des Genossen Stalin derart falsch, stellen die Dinge vollkommen auf den Kopf, sind so sehr vom Geist der Nachtrabpolitik durchdrungen und in solchem Maße geeignet, die bereits begangenen Fehler zu verewigen, dass es ein wahres Verbrechen wäre, darüber zu schweigen.

Wir müssen aus den Ereignissen in China eine Lehre ziehen

1. Dass eine offene Diskussion über die theoretischen und taktischen Fragen der chinesischen Revolution nicht zugelassen wurde, hat man neuerdings damit begründet, dass eine solche Diskussion den Feinden der UdSSR allzu sehr in die Hände spielte. Selbstverständlich wäre es absolut unzulässig, wenn man der Öffentlichkeit Fakten zugänglich machte, die von den Feinden aufgegriffen werden könnten. Im Übrigen schrecken die ja nicht einmal davor zurück, »Fakten« und »Dokumente« zu erfinden. Doch für eine solche Diskussion besteht auch gar kein Bedarf. Vielmehr geht es darum festzustellen, was die Triebkräfte der chinesischen Revolution sind und wie die Orientierung ihrer politischen Führung grundsätzlich zu bewerten ist. Mit anderen Worten, es geht genau um die Fragen, denen die Thesen des Genossen Stalin gewidmet sind. Wenn diese Thesen veröffentlicht werden konnten, warum dann nicht auch die Kritik daran?

Wer behauptet, die Diskussion über Probleme der chinesischen Revolution könne unseren Staatsinteressen schaden, begeht einen schweren Fehler. Wenn dem so wäre, müsste nicht nur die KPdSU, sondern überhaupt jede Partei der Kommunistischen Internationale, darunter auch die chinesische, auf Diskussionen verzichten. Dabei liegt es gerade im Interesse der chinesischen Revolution und der Erziehung aller kommunistischen Parteien der Welt, dass sämtliche Fragen der chinesischen Revolution – vor allem die strittigen – offen, entschlossen und erschöpfend diskutiert werden. Es ist einfach nicht wahr, dass die Interessen der Komintern den Staatsinteressen der UdSSR entgegenstehen. Der Verzicht auf die Diskussion der Fehler ist nicht von den Interessen des Arbeiterstaates diktiert, sondern von der falschen, »apparatmäßigen«, bürokratischen Einstellung zur chinesischen Revolution und zu den Interessen der UdSSR.

2. Die April-Niederlage der chinesischen Revolution ist nicht nur eine Niederlage der opportunistischen Linie, sondern auch der »apparatmäßigen« Methoden der Führung, die die Partei bei anstehenden Entscheidungen vor vollendete Tatsachen stellt: Es wird erklärt, der Beschluss dürfe keinerlei Kritik unterzogen werden; das gilt so lange, bis die Fakten beweisen, dass der Beschluss nicht länger aufrechterhalten werden kann, wonach er genauso schematisch, d.h. hinter dem Rücken der Partei, durch eine neue, nicht selten noch schlimmere Fehlentscheidung ersetzt wird – wie die nun vorliegenden Thesen Stalins. Derartige Methoden, die mit der Entwicklung einer revolutionären Partei absolut unvereinbar sind, werden zu einem besonders schweren Hindernis für die jungen Parteien, die doch selbständig aus den Niederlagen und Fehlern lernen könnten und sollten.

Die Thesen des Genossen Stalin sind veröffentlicht. Wenigstens im Rahmen dieser Thesen können und sollen die Fragen der chinesischen Revolution offen und gründlich diskutiert werden.

Das imperialistische Joch und der Klassenkampf

3. Die Besonderheit der chinesischen Revolution etwa im Vergleich zu unserer Revolution von 1905 besteht zunächst im halbkolonialen Status Chinas. Eine Politik, die den gewaltigen Druck des Imperialismus auf das innere Leben Chinas ignorierte, wäre grundfalsch. Aber nicht weniger falsch wäre eine Politik, die von einer abstrakten Vorstellung der nationalen Unterdrückung ausginge, ohne klassenmäßig zu differenzieren. Die Hauptquelle der Fehler in den Thesen des Genossen Stalin, wie überhaupt der ganzen Linie der Führung, ist die Fehlinterpretation der Rolle des Imperialismus und seines Einflusses auf die Klassenverhältnisse in China.

Das imperialistische Joch muss als Rechtfertigung für die Politik des »Blocks der vier Klassen« herhalten. Angeblich bewirkt es, dass »alle (!) Klassen Chinas gleichermaßen (!) die Kanton-Regierung für die Nationalregierung ganz Chinas halten.« In Wahrheit ist das die Position des rechten Guomindang-Vertreters Dai Jitao, der nachweisen will, dass angesichts der imperialistischen Unterdrückung die Gesetze des Klassenkampfs für China nicht gelten.

China ist ein unterdrücktes, halb koloniales Land. Für die Entwicklung seiner Produktivkräfte, die sich in kapitalistischen Formen vollzieht, ist es notwendig, das imperialistische Joch abzuwerfen. Der Krieg Chinas für seine nationale Unabhängigkeit ist ein progressiver Krieg, weil er sich aus den Bedürfnissen der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes selbst ergibt, außerdem aber, weil er die Entwicklung der Revolution des englischen Proletariats und des Weltproletariats erleichtert. Das bedeutet keineswegs, dass das imperialistische Joch mechanisch – durch äußeren Druck – auf »allen« Klassen Chinas »gleichermaßen« lastet. Die gewaltige Bedeutung des ausländischen Kapitals für das Leben Chinas hat dazu geführt, dass mächtige Schichten der chinesischen Bourgeoisie, der Bürokratie und des Militärs ihr Schicksal mit dem des Imperialismus verbunden haben. Ohne diese Verbindung wäre der gewaltige Einfluss der sogenannten »Militärmachthaber« auf das Leben Chinas in letzter Zeit undenkbar.

Außerdem wäre es schlicht naiv zu glauben, es läge ein Abgrund zwischen der sogenannten Kompradoren-Bourgeoisie, d.h. der ökonomischen und politischen Agentur des ausländischen Kapitals in China, und der sogenannten »nationalen« Bourgeoisie. Diese beiden Schichten stehen einander ungleich näher als die Bourgeoisie den Arbeiter- und Bauernmassen. Die Bourgeoisie beteiligte sich am nationalen Krieg als Bremsklotz, stets mit feindseligen Blicken die Arbeiter- und Bauernmassen beobachtend und allzeit bereit, mit dem Imperialismus Kompromisse zu schließen.

Die nationale Bourgeoisie war zwar in der Guomindang organisiert, stellte deren Führung, erwies sich aber in Wahrheit als Werkzeug der Kompradoren und Imperialisten. Sie konnte nur so lange im Lager des nationalen Krieges bleiben, als die Bewegung der Arbeiter- und Bauernmassen schwach, der Klassenkampf nicht entwickelt, die Kommunistische Partei Chinas noch unselbständig und die Guomindang ein gefügiges Werkzeug in ihren Händen war.

Es ist ein grober Fehler zu glauben, der Imperialismus schweiße alle Klassen Chinas mechanisch von außen zusammen. Das ist die Position des chinesischen Kadetten Dai Jitao, auf keinen Fall die unsere. Der revolutionäre Kampf gegen den Imperialismus schwächt nicht die Entwicklung der Klassengegensätze, sondern verschärft sie. Der Imperialismus ist die stärkste Kraft im innerchinesischen Kräfteverhältnis. Seine eigentliche Kraftquelle sind nicht die Kriegsschiffe auf den Gewässern des Yangtse – das sind nur Hilfsmittel –, sondern die ökonomischen und politischen Beziehungen des ausländischen Kapitals zur chinesischen Bourgeoisie. Der Kampf gegen den Imperialismus verlangt gerade wegen der ökonomischen und militärischen Stärke des Imperialismus die Anspannung aller Kräfte des gesamten chinesischen Volkes. Die Arbeiter und Bauern wirklich zum Aufstand gegen den Imperialismus mobilisieren kann man nur, wenn man ihre fundamentalen Lebensinteressen mit der Befreiung des Landes verbindet. Ein Arbeiterstreik – klein oder groß –, ein Bauernaufstand, die Erhebung des unterdrückten Volkes in Stadt und Land gegen die Geldverleiher, die Bürokratie und die lokalen Militär-Satrapen – alles, was die unteren Volksschichten aufrüttelt, sie zusammenschließt, erzieht und stählt, ist ein echter Schritt voran auf dem Wege zur revolutionären und sozialen Befreiung des chinesischen Volkes. Ohne das sind die militärischen Erfolge und Fehlschläge der rechten, halb rechten und halb linken Generäle nichts als Schaum auf der Oberfläche des Meeres. Doch alles, was die unterjochten und niedergehaltenen Massen der Werktätigen aktiviert, drängt die nationale Bourgeoisie Chinas unweigerlich in einen militärischen Block mit dem Imperialismus. Der Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und den Arbeiter- und Bauernmassen wird durch das imperialistische Joch nicht abgeschwächt, sondern verschärft sich bei jedem ernsteren Konflikt bis hin zum blutigen Bürgerkrieg. Die chinesische Bourgeoisie findet immer starken Rückhalt beim Imperialismus, der ihr noch jedes Mal mit Geldern, Waren und Granaten gegen die chinesischen Arbeiter und Bauern geholfen hat.

Nur erbärmliche Philister und Verleumder, die insgeheim darauf hoffen, der Imperialismus werde ihnen die Freiheit Chinas als eine Belohnung für gutes Betragen der Massen schenken, können glauben, man könne die nationale Befreiung Chinas erreichen, indem man den Klassenkampf befriedet, die Streiks und die Bauernaufstände behindert, auf die Bewaffnung der Massen verzichtet und dergleichen mehr. Wenn der Genosse Martynow vorschlägt, man solle die Streiks und die Kämpfe auf dem Lande mit Hilfe eines Schlichtungsverfahrens der Regierung beilegen, dann unterscheidet er sich in nichts von Dai Jitao, dem philosophischen Begründer von Tschiang Kaischeks Politik.

Eine demokratische oder eine sozialistische Revolution?

4. Der Opposition wird die unsinnige Behauptung unterstellt, China stünde unmittelbar vor der sozialistischen Diktatur des Proletariats. An dieser »Kritik« ist nichts originell. Am Vorabend des Jahres 1905 und später verkündeten die Menschewiki mehrfach, Lenins Taktik wäre berechtigt, wenn Russland unmittelbar vor einer sozialistischen Revolution stünde. Lenin erklärte ihnen darauf, dass seine Taktik der einzige Weg zum radikalen Sieg der demokratischen Revolution sei, die dann unter günstigen Bedingungen zu einer sozialistischen werden könne.

Die eigentliche Frage nach dem »nicht-kapitalistischen« Weg der Entwicklung Chinas wurde in bedingter Form bereits von Lenin gestellt, für den es wie für uns immer eine Binsenweisheit war, dass die chinesische Revolution, wenn sie auf sich selbst gestellt bleibt, d.h. wenn sie keine direkte Unterstützung des siegreichen Proletariats der UdSSR und nicht die Unterstützung der Arbeiterklasse aller fortgeschrittenen Länder erhält, nur damit enden kann, dass sie sich breitere Möglichkeiten der kapitalistischen Entwicklung für ihr Land und günstigere Bedingungen für die Arbeiterbewegung erkämpft.

5. Es wäre jedoch grundfalsch, die Antwort auf die Frage, ob das chinesische Proletariat eine selbständige Partei braucht, ob diese Partei einen Block mit der Guomindang schließen oder sich ihr unterwerfen soll, ob es Räte braucht usw., davon abhängig zu machen, wie wir uns den Verlauf und das Tempo aller weiteren Stadien der chinesischen Revolution vorstellen. Es ist sehr wohl möglich, dass China ein vergleichsweise langes Stadium des Parlamentarismus durchlaufen muss, beginnend mit einer Konstituierenden Versammlung. Die letztere Losung hat die chinesische KP auf ihr Banner geschrieben. Wenn sich die bürgerlich-demokratische Revolution nicht in nächster Zukunft in eine sozialistische verwandelt, werden die Räte der Arbeiter-und-Bauern-Deputierten in einem bestimmten Stadium aller Wahrscheinlichkeit nach von der Bühne abtreten und einem bourgeoisen Regime Platz machen, das dann, je nach dem Verlauf der Weltrevolution, in einem historisch späteren Stadium der Diktatur des Proletariats Platz macht.

6. Aber erstens ist keinesfalls erwiesen, dass der kapitalistische Weg unvermeidlich ist; zweitens kann man – was für uns zur Zeit von ungleich größerer Aktualität ist – die bürgerlichen Aufgaben auf verschiedene Weise lösen. Selbst die Losung der Konstituierenden Versammlung wird zur leeren Abstraktion, manchmal schlicht zur Scharlatanerie, wenn nicht gesagt wird, wer sie wie und aufgrund welchen Programms einberufen will. Tschiang Kaischek kann schon morgen die Losung der Konstituierenden Versammlung gegen uns richten, so wie er heute sein Arbeiter-und-Bauern-»Programm« aufgestellt hat. Wir wollen die Einberufung der Konstituierenden Versammlung nicht durch Tschiang Kaischek, sondern durch das Exekutivkomitee der Arbeiter-und-Bauern-Räte. Das ist der einzig ehrliche und sichere Weg.

7. Letztlich unhaltbar ist der Versuch des Genossen Bucharin, die opportunistisch-kompromisslerische Linie mit dem Hinweis auf die angeblich dominierende Rolle der »Überreste des Feudalismus« in der chinesischen Wirtschaft zu rechtfertigen. Selbst wenn diese Einschätzung der chinesischen Wirtschaft durch den Genossen Bucharin auf einer ökonomischen Analyse und nicht auf scholastischen Definitionen beruhte, könnten doch die »Überreste des Feudalismus« nicht eine Politik rechtfertigen, die so offensichtlich den Staatsstreich vom April erleichtert hat.

Die chinesische Revolution ist allein deshalb eine bürgerlich-nationale Revolution, weil die Entwicklung der Produktivkräfte des chinesischen Kapitalismus durch die staatliche und zollrechtliche Abhängigkeit Chinas von den imperialistischen Staaten gehemmt wurde. Die Verzögerung in der Entwicklung der chinesischen Industrie und der Druck des Binnenmarkts bedeuten, dass die rückständigsten Produktionsformen in der Landwirtschaft, die parasitärste Art der Ausbeutung, die barbarischsten Formen von Unterdrückung und Gewalt nach wie vor praktiziert werden, und das bei wachsender Überbevölkerung, so dass Pauperismus und jegliche Form von Sklaverei aufrechterhalten und intensiviert werden.

Was auch immer die Bedeutung der spezifisch »feudalen« Elemente in der chinesischen Wirtschaft sein mag, beseitigen kann man sie nur auf revolutionärem Wege, folglich nicht im Bündnis mit der Bourgeoisie, sondern im offenen Kampf gegen sie.

Je komplizierter und schmerzlicher die Verflechtung kapitalistischer Verhältnisse mit denen der Leibeigenschaft ist, desto weniger kann die Agrarfrage durch gesetzgeberische Maßnahmen von oben gelöst werden und desto notwendiger ist die revolutionäre Eigeninitiative der Bauernmassen, die aufs Engste mit den Arbeitern und den Armen der Städte verbunden sind; desto falscher ist eine Politik, die sich krampfhaft an das Bündnis mit dem Bourgeois und dem Grundbesitzer klammert und diesem Bündnis die Arbeit in den Massen unterordnet. Die Politik des Blocks der vier Klassen hat nicht nur den Block der Bourgeoisie mit dem Imperialismus vorbereitet, sondern hat auch bewirkt, dass alle Überbleibsel der Barbarei in Verwaltung und Wirtschaft konserviert werden.

Wenn als Argument besonders gegen die Räte der bürgerliche Charakter der chinesischen Revolution angeführt wird, so heißt das, dass man sich einfach von den Erfahrungen unserer bürgerlichen Revolutionen des Jahres 1905 und des Februars 1917 lossagt. In diesen Revolutionen war die wichtigste und nächstliegende Aufgabe, die Autokratie und die Leibeigenschaftsordnung zu stürzen. Dieses Ziel schloss aber die Bewaffnung der Arbeiter und die Bildung von Räten nicht aus, ja, es machte beides sogar erforderlich.

Lenin schrieb dazu nach der Februarrevolution:

»Wenn ein wirklicher Kampf gegen die Zarenmonarchie geführt werden soll, wenn man sich nicht mit den Worten und Versprechungen der Schönredner des Liberalismus begnügen, sondern die Freiheit wirklich sichern will, dann müssen nicht die Arbeiter die neue Regierung unterstützen, dann muss diese Regierung die Arbeiter »unterstützen«! Denn die einzige Garantie der Freiheit und der endgültigen Vernichtung des Zarismus ist die Bewaffnung des Proletariats und die Festigung, die Steigerung der Rolle, der Bedeutung und der Macht des Rates der Arbeiter- und Soldatendeputierten.

Alles andere ist Phrase und Lüge, ist Selbstbetrug der politischen Schieber aus dem liberalen und radikalen Lager.

Helft die Arbeiter bewaffnen oder stört sie wenigstens nicht dabei – dann wird die Freiheit in Russland unbesiegbar sein, die Monarchie wird nicht wieder hergestellt werden können, und die Republik wird gesichert sein.

Alles andere ist Volksbetrug. Versprechungen sind billig. Versprechungen kosten nichts. In allen bürgerlichen Revolutionen haben alle politischen Schieber der Bourgeoisie das Volk mit Versprechungen >gefüttert« und die Arbeiter zum Narren gehalten.

Unsere Revolution ist eine bürgerliche Revolution, deshalb müssen die Arbeiter die Bourgeoisie unterstützen, – so sagen die völlig unfähigen Politiker aus dem Lager der Liquidatoren.

Unsere Revolution ist eine bürgerliche – so sagen wir Marxisten –, deshalb müssen die Arbeiter das Volk über den Betrug der politischen Schieber der Bourgeoisie aufklären und es lehren, nicht an Worte zu glauben und sich nur auf die eigenen Kräfte, auf die eigene Organisation, auf die eigene Einigkeit, auf die eigene Bewaffnung zu verlassen.«

Derjenige chinesische Revolutionär, der sich diese einfachen Leninschen Worte zu eigen macht, nachdem er sich die spitzfindigen Resolutionen und Kommentare über den Block der vier Klassen aus dem Sinn geschlagen hat, wird sicherlich nicht fehlgehen und ans Ziel gelangen.

8. Die offizielle Führung der chinesischen Revolution hat sich immer an der Linie der »nationalen Einheitsfront« oder des »Blocks der vier Klassen« orientiert. (Vgl. die Berichte Bucharins, den Leitartikel in Nr. 12 der Kommunistischen Internationale, die unveröffentlichte Rede Stalins vor dem Moskauer Partei aktiv vom 5. April 1927, den Artikel Martynows in der Prawda vom 10. April, den Leitartikel der Prawda vom 16. März, die Rede des Genossen Kalinin in der Iswestija vom 6. März 1927, die Rede des Genossen Rudsutak in der Prawda vom 9. März 1927 usw. usf.) Das ging so weit, dass die Prawda am Vorabend des Staatsstreichs Tschiang Kaischeks die Opposition anklagte und verkündete, nicht die Bourgeoisie regiere das revolutionäre China, sondern eine »Regierung des Blocks der vier Klassen«.

Die Philosophie Martynows, der bedauerlicherweise den Mut besitzt, alle Fehler Stalins und Bucharins in der Chinapolitik zu ihrem logischen Ende zu führen, stößt nicht auf die leiseste Kritik. Dabei missachtet er die Grundprinzipien des Marxismus sträflich und reproduziert in groben Zügen den russischen und internationalen Menschewismus in Anwendung auf die chinesische Revolution. Nicht zufällig schreibt der derzeitige Führer der Menschewiki, Dan, in der letzten Nummer des Sozialistitscheskij Westnik:

»>Im Prinzip< haben sich auch die Bolschewiki dafür eingesetzt, die >Einheitsfront< in der chinesischen Revolution zu erhalten, bis die nationale Aufgabe der Befreiung gelöst ist. Noch am 10. April hat Martynow in der Prawda sehr überzeugend und – trotz der obligatorischen Beschimpfungen der Sozialdemokratie – durchaus >menschewistisch< dem >linken< Oppositionellen Radek bewiesen, dass der offizielle Standpunkt richtig sei, dass nämlich der >Block der vier Klassen< unbedingt erhalten bleiben müsse und man die Koalitionsregierung, in der die Arbeiter und die Großbourgeoisie gemeinsam sitzen, nicht voreilig sprengen, ihr aber andererseits auch nicht vorzeitig >sozialistische< Aufgaben aufdrängen solle.«

Wer die Geschichte des Kampfes zwischen Bolschewismus und Menschewismus kennt, vor allem beider Verhältnis zur liberalen Bourgeoisie, wird hier erkennen, dass Dans Zustimmung zu den »vernünftigen Prinzipien« der Schule Martynows kein Zufall, sondern äußerst folgerichtig ist. Widernatürlich ist allein, dass diese Schule ihre Stimme ungestraft in den Reihen der Komintern erhebt.

Die alte menschewistische Taktik der Jahre 1905-1917, die von den Ereignissen überholt worden ist, wird jetzt von der Schule Martynows auf China übertragen, ganz so, wie Waren von niedrigster Qualität, die im Ursprungsland keinen Absatz finden, vom kapitalistischen Handel in die Kolonien abgeschoben werden. Nur ist bei diesem Export die Ware nicht einmal aufgefrischt worden. Die Argumente sind buchstäblich dieselben geblieben wie vor 20 Jahren. Nur dort, wo damals von Autokratie die Rede war, setzt man jetzt Imperialismus in den Text ein. Natürlich unterscheidet sich der britische Imperialismus von der Autokratie, aber die menschewistischen Verweise darauf unterscheiden sich überhaupt nicht von denen auf die Autokratie. Der Kampf gegen den ausländischen Imperialismus ist Klassenkampf, genau wie der Kampf gegen die Autokratie. Dass man ihn mit der Idee einer nationalen Einheitsfront nicht wegzaubern kann, dafür zeugen nur allzu beredt die blutigen Aprilereignisse, die ja unmittelbare Folge der Politik des Blocks der vier Klassen sind.

Wie die »Linie« in Wirklichkeit ausgesehen hat

9. Über die vergangene Periode, die mit dem Staatsstreich vom April abgeschlossen wurde, sagen die Thesen des Genossen Stalin: »Die Linie, die wir verfolgt haben, war die einzig richtige.«

Wie sah das in der Praxis aus? Darüber hat sich Tan Pingshan, der kommunistische Landwirtschaftsminister, in seinem Referat vor dem 7. Erweiterten EKKI-Plenum** im Dezember 1926 beredt geäußert:

»Seit der Errichtung der nationalen Regierung in Kanton im Juli vorigen Jahres, die dem Namen nach eine Regierung des linken Flügels ist, befindet sich faktisch die Macht in den Händen des rechten Flügels... Die Arbeiter- und Bauernbewegung ist durch die verschiedenen Hindernisse in ihrer vollen Entwicklung gehemmt. Nach der Märzaktion ist eine militärische Diktatur des mittleren Flügels (d.h. Tschiang Kaischeks, L. T.) errichtet worden, während die politische Macht weiter in den Händen des rechten Flügels verblieb. Die ganze politische Macht, die sich eigentlich in den Händen des linken Flügels hätte befinden müssen (!), ging ganz und gar verloren.«

Also: den Linken hätte die Macht gehören müssen, aber die haben sie endgültig verloren; die Staatsmacht war den Rechten zugefallen; die militärische Gewalt, die von ungleich größerer Bedeutung ist, war ganz in der Hand des Zentrums um Tschiang Kaischek, von dem dann auch die Verschwörung ausging. Unter diesen Umständen ist es nicht schwer zu verstehen, warum »die Arbeiter- und Bauernbewegung« sich nicht richtig entfalten konnte.

Tan Pingshan beschreibt noch sehr viel genauer, wie die »einzig richtige Linie« in Wirklichkeit ausgesehen hat:

»... praktisch haben wir... die Interessen der Arbeiter und Bauern geopfert. ... Nach langen Verhandlungen mit uns ist von der Regierung nicht einmal ein Gewerkschaftsgesetz erlassen worden. Auch sind die Forderungen der Bauern, die wir im Namen verschiedener öffentlicher Organisationen aufstellten, von der Regierung nicht erfüllt worden ... Wenn ein Kampf zwischen den Großgrundbesitzern und den armen Bauern entstand, stellte sich die Regierung immer auf die Seite der ersteren.«

Wie konnte das nur geschehen? Tan Pingshan verweist vorsichtig auf zwei Ursachen:

a) »Die linken Führer sind nicht befähigt, durch die politische Macht ihren Einfluss zu befestigen und zu erweitern.« b) Der rechte Flügel bekommt »teilweise wieder, auch auf Grund unserer falschen Taktik, Betätigungsmöglichkeiten«.

10. Das also sind die politischen Verhältnisse, denen man den pompösen Namen »Block der vier Klassen« gegeben hat. Solche »Blöcke« begegnen uns in der revolutionären wie in der parlamentarischen Geschichte der bürgerlichen Staaten auf Schritt und Tritt: Die Großbourgeoisie führt die kleinbürgerlichen Demokraten mit ihrem Geschwätz von der nationalen Einheitsfront am Gängelband, und diese letzteren verwirren die Arbeiter und zerren sie hinter der Bourgeoisie her. Wenn aber das ins Schlepptau genommene Proletariat trotz der Bemühungen der kleinbürgerlichen Schwätzer allzu sehr in Bewegung gerät, dann befiehlt die Bourgeoisie ihren Generälen, es niederzumachen. Dann konstatieren die Kompromissler tiefsinnig, die Bourgeoisie habe die nationale Sache »verraten«.

11. Aber die chinesische Bourgeoisie hat doch »immerhin« gegen den Imperialismus gekämpft? Auch dieses Argument ist leeres Gerede. Die Kompromissler aller Länder haben den Arbeitern in den entsprechenden Fällen immer versichert, die liberale Bourgeoisie kämpfe gegen die Reaktion. Die chinesische Bourgeoisie hat die Hilfe der kleinbürgerlichen Demokratie im Kampf gegen den Imperialismus nur dazu genutzt, mit diesem Imperialismus ein Bündnis gegen die Arbeiter zu schließen. Nach dem Nordfeldzug wurde die Bourgeoisie stärker, wurden die Arbeiter schwächer. Eine politische Linie, die zu solchen Ergebnissen führt, ist falsch. »... praktisch haben wir ... die Interessen der Arbeiter und Bauern geopfert«, sagt Tan Pingshan. Warum? Für die Erhaltung des Blocks der vier Klassen. Und was ist das Resultat? Der größte Erfolg der bürgerlichen Konterrevolution, die Konsolidierung des schon wankenden Imperialismus, die Schwächung der UdSSR. Eine solche Politik ist verbrecherisch. Wenn wir sie nicht unerbittlich verurteilen, so kommen wir keinen Schritt voran.

Die Thesen rechtfertigen eine Linie, für die es keine Rechtfertigung gibt

12. Selbst jetzt noch wird in den Thesen versucht, eine Politik zu rechtfertigen, die die Partei des Proletariats mit der Großbourgeoisie im Rahmen ein und derselben Organisation, der Guomindang, vereinigt hat, wobei die Führung ganz in Händen der Bourgeoisie lag. Die Thesen verkünden: »Das war die Linie ... der Ausnutzung der Rechten, ihrer Verbindungen und ihrer Erfahrungen, sofern sie sich der Disziplin (!) der Kuomintang unterwerfen (!).« Inzwischen wissen wir, wie sich die Bourgeoisie der »Disziplin« untergeordnet hat und wie das Proletariat die Rechten ausgenützt hat – die Großbourgeoisie mit ihren »Verbindungen« (zu den Imperialisten) und ihren »Erfahrungen« (bei der Erdrosselung und Erschießung der Arbeiter). Man sollte denken, der Bericht über dies »Ausnützen« sei mit blutigen Lettern in das Buch der chinesischen Revolution eingeschrieben. Statt dessen sagen die Thesen: »Die darauf folgenden Ereignisse haben die Richtigkeit dieser Linie voll und ganz bestätigt.« Weiter kann man nicht mehr gehen! Aus einem machtvollen konterrevolutionären Staatsstreich ziehen Stalins Thesen den wirklich erbärmlichen Schluss, dass die Politik der »Isolierung der Rechten« innerhalb der geeinten Guomindang durch eine Politik des »entschlossenen Kampfes« gegen die Rechten »ersetzt« werden solle. Und das, nachdem die rechten »Parteigenossen« bereits in der Sprache der Maschinengewehre geredet haben.

13. Die Thesen verweisen zwar auf die früheren »Prognosen«, denen zufolge ein Abweichen der Bourgeoisie vom Wege der Revolution unausweichlich sei. Aber sind denn solche Prognosen ausreichend für die Politik des Bolschewismus? Die »Prognose« des Abweichens der Bourgeoisie ist leeres Gerede, wenn sie nicht zu bestimmten politischen Konsequenzen führt. In dem schon zitierten Artikel, der die offiziöse Linie Martynows billigt, schreibt Dan: »In einer Bewegung, die derart antagonistische Klassen miteinander vereint, kann die Einheitsfront natürlich nicht ewig halten.« Das heißt, auch Dan erkennt, dass ein Abweichen der Bourgeoisie »unvermeidlich« ist. Faktisch besteht die Politik des Menschewismus in der Revolution darin, die Einheitsfront um jeden Preis und so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, selbst dann, wenn die eigene Politik der der Bourgeoisie angepasst werden muss, die Losungen und die Aktivitäten der Massen eingeschränkt werden müssen und sogar, wie in China, die Arbeiterpartei dem politischen Apparat der Bourgeoisie organisatorisch untergeordnet werden muss. Der bolschewistische Weg besteht hingegen darin, sich politisch wie organisatorisch von der Bourgeoisie bedingungslos abzugrenzen, sie von den ersten Schritten der Revolution an erbarmungslos zu entlarven, jegliche kleinbürgerlichen Illusionen in Bezug auf eine Einheitsfront mit der Bourgeoisie zu zerstören, unermüdlich mit der Bourgeoisie um die Führung der Massen zu kämpfen und unerbittlich all diejenigen aus der KP zu vertreiben, die Hoffnungen in Bezug auf die Bourgeoisie verbreiten oder sie idealisieren.

Die zwei Wege und die Fehler der Vergangenheit

14. In den Thesen des Genossen Stalin wird freilich versucht, zwei Entwicklungswege der chinesischen Revolution einander gegenüberzustellen: Bei dem einen hat die Bourgeoisie die Führung inne, die das Proletariat unterdrückt und unvermeidlich im Bündnis mit dem ausländischen Imperialismus steht; bei dem anderen hat das Proletariat die Führung inne und wendet sich gegen die Bourgeoisie.

Doch damit dieser zweite Weg, die Perspektive einer bürgerlich-demokratischen Revolution kein leeres Gerede bleibt, muss klar und deutlich gesagt werden, dass die gesamte Führung der chinesischen Revolution bisher dazu in einem unversöhnlichen Widerspruch stand. Die Opposition wird nach wie vor aufs heftigste kritisiert, eben weil sie sich von Anfang an für die Leninsche Perspektive eingesetzt hat – für den Weg des Kampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie um die Führung der unterdrückten Massen in Stadt und Land im Rahmen und auf der Grundlage einer nationaldemokratischen Revolution.

15. Aus Stalins Thesen folgt, dass das Proletariat erst dann mit der Bourgeoisie brechen kann, wenn diese selbst das Proletariat beiseite schleudert, entwaffnet, seiner Führung beraubt und zertritt. Aber es war doch gerade dieser Weg, auf dem sich die Revolution von 1848, diese Fehlgeburt, entwickelt hat, als das Proletariat noch nicht über ein eigenes Banner verfügte, sondern hinter der kleinbürgerlichen Demokratie herlief, die sich ihrerseits an die liberale Bourgeoisie anhängte – und die Arbeiter Cavaignac ans Messer lieferte. Die Eigenart der chinesischen Verhältnisse mag beträchtlich sein, doch hat sich das, was den revolutionären Weg von 1848 charakterisiert, bei der chinesischen Revolution in wesentlichen Zügen mit so tödlicher Genauigkeit wiederholt, als gäbe es weder die Erfahrungen von 1848, 1871, 1905 und 1917, noch auch die KPdSU oder die Komintern.

Dass Tschiang Kaischek dabei das Geschäft des liberal-republikanischen Generals Cavaignac übernommen hat, ist inzwischen zum Gemeinplatz geworden. Auch Stalins Thesen registrieren diese Analogie und folgen darin der Opposition. Doch muss man diese Analogie noch weiterführen. Ein Cavaignac wäre nicht möglich gewesen ohne solche Leute wie Ledru-Rollin, Louis Blanc und andere, die von einer gesamtnationalen Front schwafelten. Und wer hat in China diese Rolle gespielt? Nicht nur Wang Jingwei, sondern auch die Führer der chinesischen KP und vor allem ihre Inspiratoren aus dem EKKI. Wenn das nicht offen ausgesprochen, nicht erläutert oder erklärt wird, dann dient die Philosophie der zwei Wege ausschließlich dazu, die opportunistische Linie à la Louis Blanc und Martynow zu vertuschen, d. h., mit ihrer Hilfe wird eine Wiederholung der Tragödie vom April vorbereitet, nur in einem neuen Stadium der chinesischen Revolution.

Die Lage der chinesischen Kommunistischen Partei

16. Will man vom Kampf um den bolschewistischen Weg der demokratischen Revolution sprechen, so muss man über das wichtigste Werkzeug der proletarischen Politik verfügen: eine selbständige proletarische Partei, die unter ihrem eigenen Banner kämpft und keinen Augenblick duldet, dass ihre Politik und ihre Organisation in der Politik und der Organisation einer anderen Klasse aufgelöst wird. Wird nicht vollständige, theoretische, politische und organisatorische Selbständigkeit der KP garantiert, dann ist das Gerede von den »zwei Wegen« nur Spott und Hohn über den Bolschewismus. Die chinesische KP war aber in Wahrheit die ganze Zeit über nicht mit dem revolutionären, kleinbürgerlichen Teil der Guomindang verbündet, sondern der gesamten Guomindang untergeordnet; diese wiederum wurde in Wirklichkeit vom Großbürgertum geführt, das die Armee und die Macht in seinen Händen konzentriert hatte. Die KP unterwarf sich der politischen Disziplin von Tschiang Kaischek. Sie verpflichtete sich mit ihrer Unterschrift dazu, keine Kritik am Sunyatsenismus zu üben – einer kleinbürgerlichen Theorie, die nicht nur gegen den Imperialismus, sondern auch gegen den Klassenkampf gerichtet ist. Man hat der KP ihre Presseorgane genommen, d.h. das wichtigste Instrument einer selbständigen Partei. Wer unter solchen Bedingungen noch vom Kampf des Proletariats um die Vorherrschaft spricht, betrügt sich und andere.

17. Wie ist diese untergeordnete, unselbständige und politisch unwürdige Situation der KP in der Guomindang Tschiang Kaischeks zu erklären? Sie erklärt sich daraus, dass als Ziel die Einheit der nationalen Front unter der tatsächlichen Führung der Bourgeoisie vorschwebt, die sich angeblich (so die Schule Martynows) von der Revolution nicht loslösen »kann«. Das bedeutet faktisch, dass man den zweiten, bolschewistischen Weg, von dem Stalins Thesen nur nachträglich und nur zum Schein sprechen, ablehnt.

Wenn man eine solche Politik mit der Notwendigkeit des Bündnisses der Arbeiter mit den Bauern rechtfertigt, so heißt das, selbst aus diesem Bündnis eine leere Phrase zu machen, die der politischen Kommandorolle der Bourgeoisie als Maske dient. Diese Abhängigkeit der KP – die unvermeidliche Folge des »Blocks der vier Klassen« – war das Haupthindernis der Arbeiter-und-Bauernbewegung, also auch eines echten Bündnisses zwischen Proletariat und Bauern, ohne das an einen Sieg der chinesischen Revolution nicht zu denken ist.

18. Wie soll es nun mit der KP in Zukunft weitergehen?

In den Thesen gibt es dazu einen einzigen Satz, der jedoch größte Verwirrung stiften und nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten kann. »... Wenn die KP in einer Front mit den Guomindang-Genossen kämpft«, lesen wir, »dann müsste sie ihre Selbständigkeit mehr denn je bewahren.« Bewahren? Aber bisher hat die KP noch gar keine Selbständigkeit gehabt. Ist doch gerade ihre Unselbständigkeit die Wurzel allen Übels und aller Fehler. In den Thesen wird in dieser fundamentalen Frage nicht etwa vorgeschlagen, ein für allemal mit den Praktiken der Vergangenheit Schluss zu machen, sondern im Gegenteil, sie »mehr denn je« zu bewahren. Das bedeutet aber doch wohl, die ideologische, politische und organisatorische Abhängigkeit der Partei des Proletariats von der kleinbürgerlichen Partei zu erhalten, die eben dadurch unvermeidlich zum Werkzeug der Großbourgeoisie wird.

Um eine falsche Politik zu rechtfertigen, muss man Abhängigkeit einfach Unabhängigkeit nennen und verlangen, dass das erhalten bleibt, was ein für allemal begraben werden sollte.

19. Ein chinesischer Bolschewismus kann nur aus der schonungslosen Selbstkritik der besten Elemente der gegenwärtigen KP entstehen. Unsere erste Pflicht ist, ihnen dabei zu helfen. Der Versuch, die Fehler der Vergangenheit zu vertuschen, indem man ihre Diskussion künstlich verhindert, wird großes Unheil anrichten, vor allem bei der Kommunistischen Partei Chinas. Wenn wir ihr nicht so schnell wie möglich helfen, ihre Reihen vom Menschewismus und von den Menschewiki zu säubern, dann wird sie in eine Dauerkrise mit Spaltungen, Parteiaustritten und erbitterten Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppen geraten. Die schweren Niederlagen des Opportunismus können darüber hinaus noch anarchosyndikalistischen Einflüssen Tür und Tor öffnen.

Wenn die Kommunistische Partei trotz der Massenbewegung der Arbeiter, des mächtigen Aufschwungs der Gewerkschaften und der revolutionären Agrarbewegung auf dem Lande nach wie vor nur einen untergeordneten Teil der bürgerlichen Partei ausmachen und als machtloses Anhängsel in die Nationalregierung eintreten soll, die von dieser Bourgeoisie eingesetzt wird, dann kann man nur offen sagen: Für die Kommunistische Partei ist in China die Zeit noch nicht genommen. Denn es ist besser, überhaupt keine Kommunistische Partei zu gründen, als sie in Zeiten der Revolution so schwer zu kompromittieren, gerade dann, wenn die Bindung zwischen der Partei und den Arbeitermassen mit Blut besiegelt und die großen Traditionen geschaffen werden, die über Jahrzehnte hin wirken.

Wer hat sich im Tempo geirrt?

20. In den Thesen des Genossen Stalin gibt es natürlich einen ganzen Abschnitt, der den »Fehlern der Opposition« gewidmet ist. Statt nach rechts, also gegen Stalins eigene Fehler Hiebe auszuteilen, wird in den Thesen versucht, die Linke zu treffen, wodurch die Fehler verschlimmert werden, das Durcheinander vermehrt, der Ausweg erschwert und die Linie der Führung in den Morast des Kompromisslertums gezerrt wird.

21. Die Hauptanklage lautet: Die Opposition »versteht nicht, dass sich die Revolution in China nicht in einem raschen Tempo entwickeln kann.« Die Thesen ziehen hier aus irgendeinem Grunde das Tempo der Oktoberrevolution mit hinein. Wenn man schon vom Tempo spricht, so darf man es nicht schematisch an dem der Oktoberrevolution messen, sondern sollte es aus den internen Klassenverhältnissen der chinesischen Revolution selbst ableiten. Die chinesische Bourgeoisie hat bekanntlich nicht in Betracht gezogen, ein langsames Tempo vorzuschreiben. Sie hielt im April 1927 den Augenblick für gekommen, die Maske der Einheitsfront, die ihr doch so gut gedient hatte, abzuwerfen, um mit aller Kraft gegen die Revolution loszuschlagen. Weder die KP noch das Proletariat und mit ihm die linken Guomindang-Mitglieder waren auf diesen Schlag überhaupt vorbereitet. Warum? Weil die Führung mit einem langsameren Tempo gerechnet hatte und der Entwicklung hoffnungslos hinterherhinkte – gefangen in der eigenen Nachtrabpolitik.

Am 23. April, also nach dem Staatsstreich von Tschiang Kaischek, veröffentlichte das ZK der Guomindang gemeinsam mit der »linken« Wuhan-Regierung ein Manifest, in dem es heißt:

»Jetzt bleibt uns nur zu bedauern (!), dass wir nicht gehandelt haben, solange es noch nicht zu spät war. Hiermit wollen wir uns aufrichtig entschuldigen (!).«

Diese erbärmlichen und weinerlichen Worte bedeuten gegen den Willen ihrer Autoren auch eine schonungslose Widerlegung der Stalinschen Philosophie über das »Tempo« der chinesischen Revolution.

22. Wir haben den Block mit der Bourgeoisie auch dann noch aufrechterhalten, als die Arbeitermassen bereits zum selbständigen Kampf drängten. Wir haben versucht, die Erfahrungen der »Rechten« auszunutzen, und wurden in Wirklichkeit zu ihrem Werkzeug. Wir haben eine Vogel-Strauß-Politik betrieben und den ersten Staatsstreich von Tschiang Kaischek im März 1926, die Erschießungen der Arbeiter und Bauern und überhaupt alle Fakten, die den konterrevolutionären Charakter der Guomindang-Führung deutlich machten, in der Presse verschwiegen und vor der eigenen Partei verborgen. Wir haben vergessen, uns um die Selbständigkeit der eigenen Partei zu kümmern. Wir haben keine Zeitungen für sie gegründet. »Wir haben praktisch die Interessen der Arbeiter und Bauern geopfert« (Tan Pingshan). Wir haben keinen ernsthaften Versuch gemacht, die Soldatenmassen zu gewinnen. Wir haben Tschiang Kaischeks Bande gestattet, eine »Militärdiktatur des Zentrums«, also der bürgerlichen Konterrevolution, aufzurichten. Noch am Vorabend des Staatsstreichs haben wir für Tschiang Kaischek Reklame gemacht. Wir haben behauptet, er habe sich »der Disziplin gefügt« und es sei uns gelungen, »durch geschickte taktische Manöver die scharfe Wende nach rechts, die der chinesischen Revolution drohe, zu verhüten« (Vorwort Raskolnikows zur Broschüre von Tan Pingshan). Wir sind auf der ganzen Linie hinter den Ereignissen zurückgeblieben. Auf Schritt und Tritt haben wir zugunsten der Bourgeoisie an Tempo verloren. Auf diese Weise haben wir günstigste Bedingungen für die bürgerliche Konterrevolution geschaffen. Die linke Guomindang trägt aus diesem Anlass wenigstens ihre »aufrichtige Entschuldigung« vor. Doch Stalin zieht in seinen Thesen aus dieser ganzen Kette von beispiellosen Fehlern einer Nachtrabpolitik den bemerkenswerten Schluss, dass die Opposition... ein allzu rasches Tempo fordere.

23. Immer häufiger werden auf unseren Parteiversammlungen Anklagen gegen die »Ultralinken« aus Shanghai und überhaupt gegen die chinesischen Arbeiter vorgebracht, die Tschiang Kaischek mit ihren »Exzessen« provoziert hätten. Irgendwelche Fakten bringt in diesem Zusammenhang niemand vor. Und was könnten die auch beweisen? Ohne sogenannte »Exzesse« kommt keine wirkliche nationale Revolution aus, die Millionen in ihren Strudel zieht. Eine Politik, die den erwachten Massen als erstes eine Marschroute vorschreiben will, die die bürgerliche »Ordnung« nicht stört, ist hoffnungslos spießig. Sie stößt sich an der Logik des Bürgerkriegs und hat zugleich mit ihren verspäteten Verwünschungen gegen Cavaignac und Kornilow immer auch die »Exzesse« von links angeprangert.

Die »Schuld« der chinesischen Arbeiter besteht darin, dass die Krise der Revolution sie unvorbereitet, unorganisiert und unbewaffnet überrascht hat. Aber das ist nicht ihre Schuld, sondern ihr Unglück. Und die Verantwortung dafür fällt ganz und gar auf die Fehlentscheidungen der Führung, die das Tempo hoffnungslos verpasst hat.

Gibt es bereits ein neues Zentrum der Revolution, oder muss es erst noch geschaffen werden?

24. Über die gegenwärtige Situation der chinesischen Revolution heißt es in den Thesen: »Der Umsturz Tschiang Kaischeks bedeutet, dass es in Südchina nunmehr zwei Lager, zwei Regierungen, zwei Armeen, zwei Zentren geben wird – das Zentrum der Revolution in Wuhan und das Zentrum der Konterrevolution in Nanking.« Was für eine falsche, oberflächliche und primitive Charakterisierung der Situation! Es geht ja nicht bloß um die beiden Hälften der Guomindang, sondern um eine Neugruppierung der Klassenkräfte. Zu glauben, die Regierung in Wuhan sei bereits ein fertiges Zentrum und werde die Revolution einfach an dem Punkt fortsetzen, wo sie von Tschiang Kaischek angehalten und niedergeworfen wurde, heißt, den konterrevolutionären Staatsstreich vom April als die »Fahnenflucht« eines einzelnen, als eine »Episode« anzusehen, d.h. nichts verstanden zu haben.

Die Arbeiter wurden nicht bloß vernichtet, sie wurden von denjenigen vernichtet, die ihre Führung übernommen hatten! Kann man da wirklich glauben, dass die Massen auch jetzt noch mit demselben Vertrauen der linken Guomindang folgen werden, mit dem sie gestern der Guomindang insgesamt gefolgt sind? Und dabei heißt es von nun an nicht nur gegen die ehemaligen Militärmachthaber kämpfen, die mit dem Imperialismus verbündet sind, sondern auch gegen die »nationale« Bourgeoisie, die dank unserer grundfalschen Politik über den militärischen Apparat und einen bedeutenden Teil der Armee verfügt.

Für den Kampf auf einer neuen, höheren Stufe der Revolution muss den betrogenen Massen vor allem Selbstvertrauen eingeflößt, müssen die noch nicht erwachten Massen aufgerüttelt werden. Zuallererst muss daher gezeigt werden, dass von der schändlichen Politik, die »die Interessen der Arbeiter und Bauern geopfert hat« (Tan Pingshan), um den Block der vier Klassen zu erhalten, keine Spur mehr geblieben ist. Wer dennoch mit dieser Richtung sympathisiert, sollte unbarmherzig aus der chinesischen KP vertrieben werden.

Man muss diese erbärmliche, oberflächliche Meinung der Oberen, wonach man auch jetzt noch, nach all den blutigen Prüfungen, Millionen von Arbeitern und Bauern mobilisieren und führen kann, indem man die »Fahne« der Guomindang vor ihnen schwenkt, energisch zurückweisen. (Wir werden die blaue Fahne der Guomindang niemandem aushändigen, ruft Bucharin.) Nein, die Massen brauchen ein revolutionäres Programm und eine Kampforganisation, die aus ihren eigenen Reihen erwachsen ist und darum das Bündnis mit den Massen und die Treue ihnen gegenüber garantiert. Die Oberschicht von Wuhan allein genügt dazu nicht, man braucht Arbeiter-, Bauern-und Soldatenräte.

Die Räte und die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern

25. In den Thesen des Genossen Stalin wird die lebensnotwendige Räte-Losung abgelehnt, gleichzeitig aber etwas überraschend erklärt, das wichtigste »Gegengift (?) gegen die Konterrevolution [sei] die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern.« Die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern ist zweifellos vordringlich. In dieser Hinsicht gibt es unter uns keine Meinungsverschiedenheiten. Aber wie ist zu erklären, dass man es bisher um der Revolution willen für notwendig gehalten hat, die Arbeiter »minimal« zu bewaffnen? Dass die Repräsentanten der Komintern sich faktisch einer Bewaffnung der Arbeiter widersetzt haben? (Vgl. den Brief der vier Genossen an die Delegation der KPdSU in der Komintern.) Dass die Arbeiter zum Zeitpunkt des Staatsstreichs unbewaffnet waren, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre, sie zu bewaffnen? All das erklärt sich aus dem Bestreben, nur nicht mit Tschiang Kaischek zu brechen, nur nicht Tschiang Kaischek zu betrüben, ihn nur nicht nach rechts zu drängen. Die Waffen, das »Gegengift«, fehlten ausgerechnet zu der Zeit, als sie am allernotwendigsten gewesen wären. Jetzt bewaffnen sich auch die Arbeitermassen in Wuhan nicht – um Wang Jingwei »nicht zurückzustoßen«.

26. Die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern ist eine ausgezeichnete Sache. Doch muss man auch wissen, wie damit umzugehen ist. In Südchina gibt es bereits bewaffnete Bauern: das sind die sogenannten Nationalarmeen. Aber sie haben nicht als »Gegengift« gegen die Konterrevolution gewirkt, sondern als ihr Werkzeug. Warum? Weil sich die politische Führung, statt die breite Masse der Armee mittels der Soldatenräte zu mobilisieren, darauf beschränkte, rein äußerlich unsere politischen Abteilungen und Kommissare zu kopieren, die ohne eine selbständige revolutionäre Partei und ohne Soldatenräte zur bloßen Maske des bürgerlichen Militarismus wurden.

27. In Stalins Thesen wird die Losung der Räte deshalb abgelehnt, weil das angeblich eine »Losung des Kampfs gegen die Macht der revolutionären Kuomintang« ist. Was bedeuten aber dann die Worte: »Wichtigstes Gegengift gegen die Konterrevolution ist die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern«? Gegen wen werden sich die Arbeiter und Bauern bewaffnen? Nicht gegen die Macht der revolutionären Guomindang?

Die Losung der Bewaffnung der Arbeiter und Bauern – wenn es nicht nur eine Phrase, bloßes Geschreibsel, Maskerade, sondern ein Aufruf zum Handeln ist – ist nicht weniger akut als die Losung der Arbeiter-und-Bauern-Räte. Werden denn die bewaffneten Massen neben oder über sich die Macht einer ihnen fremden und feindlichen Bürokratie dulden? Die wirkliche Bewaffnung der Arbeiter und Bauern bedeutet unter den gegebenen Umständen unbedingt die Bildung von Räten.

28. Weiter: Wer wird die Massen bewaffnen? Wer wird die Bewaffneten führen?

Bisher befindet sich die Nationalarmee auf dem Vormarsch, und die nördlichen Heere haben ihre Waffen abgeliefert; die Bewaffnung der Arbeiter hätte also relativ leicht vorgenommen werden können. Hätte man rechtzeitig Räte von Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten organisiert, so wäre das ein wirkliches »Gegengift« gegen die Konterrevolution gewesen. Leider kann man nicht mehr korrigieren, was einmal geschehen ist. Jetzt hat sich die Situation entschieden zum Schlechteren verändert. Der verschwindend kleine Vorrat an Waffen, die von den Arbeitern selbständig erobert worden sind (bestehen etwa darin ihre »Exzesse«?), ist ihnen aus der Hand geschlagen worden. Der Vormarsch nach Norden ist aufgehalten worden. Unter diesen Umständen ist es eine große und schwierige Aufgabe, die Arbeiter und Bauern mit Waffen auszurüsten. Und wenn man erklärt, die Zeit für Räte sei noch nicht reif, aber gleichzeitig die Losung ausgibt, die Arbeiter zu bewaffnen, stiftet man Verwirrung. Nur Räte können bei der künftigen Entwicklung der Revolution zu den Organen werden, die die Massen wirklich bewaffnen und dann auch ihre Führung übernehmen.

Warum sollen keine Räte gebildet werden?

29. In den Thesen heißt es dazu: »Erstens kann man sie nicht in einem beliebigen Augenblick bilden, sie werden nur in einer Periode besonderen Ansteigens der revolutionären Wellen gebildet.« Wenn diese Worte irgendeinen Sinn haben, dann nur den: Wir haben den günstigsten Zeitpunkt versäumt, weil wir nicht gleich zu Beginn des letzten Stadiums der mächtigen revolutionären Massenbewegung zur Bildung von Räten aufgerufen haben. Nochmals: Was einmal geschehen ist, lässt sich nicht mehr korrigieren. Wenn man glaubt, dass die chinesische Revolution für lange Zeit unterdrückt ist, dann kann man mit der Losung der Räte natürlich keinen Widerhall bei den Massen finden. Um so unbegründeter erscheint dann die Losung der Bewaffnung der Arbeiter und Bauern. Wir glauben aber nicht, dass die Folgen der falschen Politik so schwer und weitreichend sind. Es mehren sich Anzeichen dafür, dass ein neuer revolutionärer Aufschwung in nicht allzu ferner Zukunft möglich, sogar wahrscheinlich ist. Dafür spricht unter anderem auch, dass sich Tschiang Kaischek genötigt sieht, sich bei den Massen anzubiedern, den Arbeitern den Achtstundentag und den Bauern Sonderrechte zu versprechen usw. Falls sich die Agrarbewegung weiter ausbreitet und die Massen des städtischen Kleinbürgertums sich gegen Tschiang Kaischek als den unmittelbaren Agenten des Imperialismus wenden, dann könnten in nächster Zukunft günstigere Bedingungen geschaffen werden, die es der heute zerschlagenen proletarischen Avantgarde ermöglichen, die Reihen der Werktätigen für einen neuen Angriff zu schließen. Gleichgültig, ob das einen Monat früher oder später geschieht, müssen wir diesen Angriff, was das Programm, die Losungen und die Organisationsformen anbelangt, jetzt vorbereiten. Mit anderen Worten: Die Räte-Losung wird von nun an den weiteren Verlauf der chinesischen Revolution begleiten und ihr Schicksal widerspiegeln.

30. »Zweitens«, heißt es in den Thesen, »werden Sowjets [Räte] nicht zum Schwätzen gebildet – sie werden vor allem als Organe des Kampfes gegen die bestehende Macht, als Organe des Kampfes um die Macht gebildet.« Dass Räte nicht zum Schwätzen geschaffen werden, ist wohl die einzige richtige Stelle in den Thesen. Doch ein Revolutionär schlägt die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern auch nicht zum Schwätzen vor. Wer behauptet, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei den Räten nur Geschwätz herauskommt, bei der Bewaffnung der Arbeiter und Bauern dagegen etwas Ernsthaftes, der macht sich entweder über sich selbst oder über die anderen lustig.

31. Das dritte Argument: Daraus, dass zur Zeit in Wuhan eine Reihe von führenden linken Guomindang-Organisationen ihren Sitz hat, die sich in einem feierlichen Manifest vom 23. April dafür entschuldigen, dass sie den Staatsstreich von Tschiang Kaischek verschlafen haben, wird in den Thesen gefolgert, die Bildung von Räten bedeutete den Aufstand gegen die linke Guomindang, »denn in diesem Gebiet gibt es gegenwärtig keine andere Macht als die Macht der revolutionären Kuomintang«.

Aus diesen Worten trieft es nur so von bürokratischer Apparatschik-Einstellung zur revolutionären Macht. Die Macht gilt hier nicht als Ausdruck und als Verdichtung des sich entfaltenden Klassenkampfes, sondern als selbständiger Ausdruck des Willens der Guomindang. Klassen kommen und gehen, doch die Kontinuität der Macht der Guomindang bleibt bestehen. Es genügt aber nicht, Wuhan zum Zentrum der Revolution zu proklamieren, damit es das auch wirklich wird. Tschiang Kaischeks Guomindang verfügt auf örtlicher Ebene über eine alteingesessene, reaktionäre und käufliche Bürokratie. Worauf stützt sich die linke Guomindang? Vorläufig auf nichts oder fast gar nichts. Die Räte-Losung bedeutet also, zur Bildung wirksamer Organe der neuen Macht aufzurufen, die sich nach einem Übergangsregime der Doppelherrschaft konstituiert.

32. Wie wird das Verhältnis der Räte zur »Regierung der revolutionären Guomindang« aussehen, der angeblich »einzigen Macht« in diesem Gebiet? Eine wahrhaft klassische Frage! Das Verhältnis der Räte zur revolutionären Guomindang wird dem der revolutionären Guomindang zu den Räten entsprechen. Mit anderen Worten, je mehr Räte entstehen, sich bewaffnen und sich konsolidieren, desto weniger werden sie eine Regierung über sich dulden, die sich nicht ausschließlich auf die bewaffneten Arbeiter und Bauern stützt. Das Rätesystem ist deshalb so unentbehrlich, weil es vor allem in unmittelbar revolutionären Zeiten am zuverlässigsten die Übereinstimmung von zentraler und lokaler Macht garantiert.

33. Der Genosse Stalin hat schon 1925 die Guomindang eine »Arbeiter-und-Bauern-Partei« (!?) genannt. Diese Definition hat nichts mit Marxismus zu tun. Doch ist klar, dass der Genosse Stalin mit seiner falschen Formulierung den Gedanken ausdrücken wollte, dass der antibürgerliche Block der Arbeiter und Bauern die Basis der Guomindang bildet. Das war allerdings schon zu diesem Zeitpunkt absolut falsch: Wohl haben sich die Arbeiter und Bauern der Guomindang angeschlossen, die Führung hatte aber die Bourgeoisie inne, und wohin die sie geführt hat, wissen wir. Solche Parteien nennt man bürgerliche Parteien, nicht Arbeiter-und-Bauern-Parteien. Jetzt, nach der »Abkehr« der Bourgeoisie (d.h. nachdem sie das unbewaffnete und unvorbereitete Proletariat vernichtet hat), geht die Revolution, laut Stalin, in eine neue Etappe über, in der die linke Guomindang die Führung stellen soll, d.h. eine Guomindang, die, wie anzunehmen ist, endlich den Stalinschen Gedanken einer »Arbeiter-und-Bauern-Partei« verwirklicht. Es fragt sich bloß: Warum bedeutet dann die Bildung von Räten der Arbeiter-und-Bauern-Deputierten Krieg gegen die Macht der Arbeiter-und-Bauern-Guomindang?

34. Noch ein Argument: Zur Bildung von Räten aufzurufen, »bedeutet, den Feinden des chinesischen Volkes eine neue Waffe in die Hand zu geben zum Kampf gegen die Revolution, zur Verbreitung neuer Legenden darüber, dass in China keine nationale Revolution vor sich gehe, sondern eine künstliche Verpflanzung der >Moskauer Sowjetisierung<.«

Dieses erstaunliche Argument bedeutet, dass die Feinde des chinesischen Volkes, wenn wir die revolutionäre Massenbewegung fördern, ausweiten und intensivieren wollen, ihre Anstrengungen, sie zu verleumden, verstärken werden. Einen anderen Sinn hat dieses Argument nicht. Folglich hat es überhaupt keinen Sinn.

Vielleicht hat der Verfasser der Thesen nicht die Feinde des chinesischen Volkes im Sinn, sondern die Furcht der Volksmassen vor einer Moskauer Sowjetisierung? Worauf gründet sich aber eine solche Überlegung? Es ist bekannt, dass die »nationale« Bourgeoisie in all ihren Schattierungen – Rechte, Zentrum und Linke – ihre gesamte politische Arbeit eifrig mit einer Moskauer Deckfarbe überzieht: man schafft Kommissare, politische Armeeposten, politische Abteilungen, ZK-Plenen, Kontrollkommissionen u.a. Die chinesische Bourgeoisie fürchtet sich also keineswegs vor einer Übertragung von Moskauer Formen, sondern ahmt sie für ihre Klassenziele eifrig nach. Warum greift sie darauf zurück? Nicht aus Liebe zu Moskau, sondern weil sie bei den Volksmassen populär sind. Der chinesische Bauer weiß, dass die Räte den russischen Bauern Land gegeben haben, und wer es noch nicht weiß, wird es erfahren. Die chinesischen Arbeiter wissen, dass die Räte den Sieg des russischen Proletariats gesichert haben. Aus den Erfahrungen der Konterrevolution Tschiang Kaischeks mussten die fortgeschrittenen Arbeiter lernen, dass die Revolution ohne eine selbständige Organisation, die das gesamte Proletariat umfasst und seine Zusammenarbeit mit den unterdrückten Massen in Stadt und Land gewährleistet, nicht siegen wird. Die Schaffung von Räten ergibt sich für die chinesischen Massen aus ihren eigenen Erfahrungen und ist für sie keineswegs eine »Verpflanzung der Moskauer Sowjetisierung«. Eine Politik, die sich fürchtet, die Dinge beim Namen zu nennen, ist eine falsche Politik. Man muss sich nach den revolutionären Massen und den objektiven Bedürfnissen der Revolution richten, nicht danach, was die Feinde sagen.

35. Man sagt: Aber die Regierung in Hankou ist trotz allem eine Tatsache, Feng Yuxiang ist eine Tatsache, Tang Shengzhi ist eine Tatsache, und sie kontrollieren die bewaffneten Streitkräfte; weder die Wuhan(-Hankou)-Regierung noch Feng Yuxiang, noch Tang Shengzhi wollen Räte. Räte aufbauen hieße mit diesen Verbündeten brechen. Auch wenn es in den Thesen nicht offen ausgesprochen wird, scheint dieses Argument für viele den Ausschlag zu geben. Über die Hankou-Regierung haben wir schon von Stalin gehört, sie sei »das Zentrum der Revolution«, die »einzige Macht«.

Gleichzeitig wird auf unseren Parteiversammlungen Propaganda für Feng Yuxiang gemacht: »Ein ehemaliger Arbeiter«, »ein zuverlässiger Revolutionär«, »ein verlässlicher Mensch« usw. All das ist nichts als eine Wiederholung früherer Fehler in einer Situation, in der diese Fehler zur Katastrophe führen. Die Hankou-Regierung und das Militärkommando sind doch deshalb gegen die Räte, weil sie sich nicht für ein radikales Agrarprogramm, für den wirklichen Bruch mit den Großgrundbesitzern und der Bourgeoisie entscheiden können und insgeheim an einen Kompromiss mit den Rechten denken. Um so wichtiger ist es, Räte zu bilden. Nur so können wir die revolutionären Elemente in Hankou nach links drängen und die Konterrevolutionäre zum Rückzug zwingen.

36. Aber bedeuten nicht die Räte, selbst wenn sie nicht mit der »einzigen« Regierung in Hankou kämpfen, doch Elemente einer Doppelherrschaft? Zweifellos. Wer auf eine Arbeiter-und-Bauern-Regierung zusteuert, und zwar nicht mit Worten, sondern mit Taten, der muss begreifen, dass dieser Weg durch eine Periode der Doppelherrschaft führt. Wie lange diese Periode dauern wird und welche konkreten Wechselbeziehungen sich dabei herausbilden, hängt davon ab, wie sich die »einzige« Regierung in Hankou wirklich verhalten wird, wie schnell die Entwicklung der Räte vor sich geht usw. Unsere Aufgabe ist es jedenfalls, darauf hinzuwirken, dass das Arbeiter-und-Bauern-Element in der Phase der Doppelherrschaft gestärkt wird, und so die Räteregierung der Arbeiter und Bauern auf der Grundlage eines konsequent demokratischen Programms vorzubereiten.

37. Aber in den Gewässern des Yangtse ankern Dutzende von ausländischen Kriegsschiffen, die Shanghai, Hankou usw. zerstören können. Ist es unter diesen Umständen nicht Wahnsinn, Räte zu bilden? Dieses Argument wird zwar nicht in Stalins Thesen formuliert, kursiert aber überall auf den Parteiversammlungen (Martynow, Jaroslawski und andere). Martynows Schule möchte die Räte-Idee mit Hilfe der Furcht vor der britischen Marine-Artillerie zunichte machen. Das ist nicht neu. 1917 wollten uns die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki damit schrecken, die Machtergreifung durch die Räte werde die Eroberung Kronstadts und Petrograds durch die Alliierten nach sich ziehen. Wir haben darauf geantwortet: Nur die Intensivierung der Revolution kann sie retten. Der ausländische Imperialismus wird sich nur mit einer »Revolution« abfinden, die um den Preis einiger Zugeständnisse zugunsten der chinesischen Bourgeoisie seine eigene Position in China festigt. Jede wirklich nationale Revolution untergräbt die koloniale Basis des Imperialismus und muss seinen erbitterten Widerstand hervorrufen. Wir haben ja versucht, auf halbem Wege stehenzubleiben, aber diese »einzig richtige Linie« konnte weder Nanjing vor den Kanonen des Imperialismus noch die chinesischen Arbeiter vor Tschiang Kaischeks Maschinengewehren schützen. Nur der Übergang der chinesischen Revolution in eine echte Massenbewegung, nur die Bildung von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten, nur die Stärkung des sozialen Programms der Revolution vermögen, wie unsere Erfahrung zeigt, bei den ausländischen Streitkräften Verwirrung zu stiften und ihre Sympathie für die Räte zu wecken. Nur so kann man die Revolution wirksam vor einem Schlag von außen schützen.

Was schlägt Stalin in seinen Thesen anstelle der Räte vor?

38. Die Bildung von »revolutionären Bauernkomitees, der Arbeitergewerkschaften und der anderen revolutionären Massenorganisationen, ... die vorbereitenden Elemente für die künftigen Sowjets [Räte]«. Welchen Zweck sollen diese Organisationen haben? Darüber finden wir in den Thesen kein Wort. Der Satz, dass das nur »vorbereitende Elemente für die künftigen Sowjets« seien, ist eine bloße Phrase, sonst nichts. Was sollen diese Organisationen jetzt tun? Sie werden Streiks und Boykotts anführen müssen, dem bürokratischen Apparat das Rückgrat brechen, die konterrevolutionären Militärbanden zerschlagen, die Gutsbesitzer vertreiben, die Geldverleiher- und Kulakentrupps entwaffnen und die Arbeiter und Bauern bewaffnen müssen, d. h., sie müssen in Wahrheit alle anstehenden Aufgaben der demokratischen Agrarrevolution lösen und werden damit zu lokalen Machtorganen. Aber dann handelt es sich ja um Räte, nur um solche, die für ihre Aufgaben wenig geeignet sind. In den Thesen wird also vorgeschlagen – wenn man diesen Vorschlag überhaupt ernst nehmen soll – statt Räten ein Rätesurrogat zu schaffen.

39. Während aller vorausgegangener Massenbewegungen haben die Gewerkschaften zwangsläufig Funktionen erfüllt, die denen der Räte sehr nahekommen (in Hongkong, Shanghai und anderwärts). Aber gerade für diese Aufgaben haben sie sich als vollkommen ungeeignet erwiesen. Sie erfassen eine viel zu geringe Zahl von Arbeitern. Und die kleinbürgerlichen Unterschichten der Stadt, die zum Proletariat tendieren, erfassen sie überhaupt nicht. Dabei können Aufgaben wie die Durchführung von Streiks mit möglichst wenig Nachteilen für die städtischen Unterschichten, oder die Verteilung von Lebensmitteln, die Beteiligung an der Steuerpolitik oder am Aufbau von bewaffneten Streitkräften, von der Durchführung von Agrarrevolutionen auf lokaler Ebene gar nicht zu sprechen, nur dann angemessen gelöst werden, wenn die führende Organisation alle Schichten des Proletariats erfasst und sie außerdem in der alltäglichen Arbeit eng mit der verarmten Bevölkerung in Stadt und Land zusammenschließt. Der militärische Staatsstreich Tschiang Kaischeks sollte es jedem Revolutionär völlig klar gemacht haben, dass die von der Armee getrennten Gewerkschaften eines sind, die vereinigten Räte der Arbeiter-und-Soldaten-Deputierten hingegen etwas vollkommen anderes. Revolutionäre Gewerkschaften und Bauernkomitees können genauso gut wie die Räte den Hass der Feinde auf sich ziehen. Doch können sie die Schläge des Feindes wesentlich schlechter abwehren als die Räte.

Sprechen wir im Ernst von einem Bündnis des Proletariats mit den unterdrückten Massen in Stadt und Land – nicht von einem »Bündnis« von oben, das durch dubiose Repräsentanten verfälscht wird, sondern von einem wirklichen Kampfbündnis, das sich im Ringen der Massen mit ihren Feinden konsolidiert und gestählt hat –, so kann dieses Bündnis nur die Organisationsform der Räte haben. Das kann nur der leugnen, der eher auf die kompromisslerische Führung als auf die revolutionären Unterschichten baut.

Droht der Bruch mit der linken Guomindang?

Aus allem Vorangegangenen wird klar, wie grundlos das Gerede über einen drohenden Bruch der KP mit der Guomindang ist. »Das bedeutet«, heißt es in den Thesen, »das Schlachtfeld zu verlassen und seine Verbündeten in der Kuomintang, den Feinden der Revolution zur Freude, im Stiche zu lassen.« Diese pathetischen Zeilen sind ganz deplatziert. Es geht ja nicht um einen Bruch, sondern um die Vorbereitung eines Blocks, und zwar nicht nach dem Prinzip der Unterordnung, sondern nach dem Prinzip wirklicher Gleichberechtigung. Eine revolutionäre Guomindang muss erst noch entstehen. Wir sind dafür, dass die Kommunisten auch innerhalb der Guomindang arbeiten und die Arbeiter und Bauern geduldig auf unsere Seite ziehen. Aber die KP kann sich einen revolutionären kleinbürgerlichen Verbündeten heranziehen, auch ohne sich bei jeder Schwankung vor der Guomindang in den Staub zu werfen; sie muss sich nur offen und direkt, im eigenen Namen und unter eigener Fahne an die Arbeiter wenden und sie organisieren. Dann kann sie der Guomindang exemplarisch und konkret vorführen, was eine Massenpartei bedeutet, die die Guomindang bei jedem Schritt nach vorn unterstützt, jede ihrer Schwankungen und jeden Schritt rückwärts aber unerbittlich anprangert und für den Block mit der Guomindang eine wirklich revolutionäre Basis in Gestalt von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten schafft.

40. Es ist unsinnig zu behaupten, die Opposition trete für eine politische »Isolierung« der Kommunistischen Partei ein. Daran ist gerade so viel wahr, wie an der Behauptung, die Opposition wolle den Austritt aus den englischen Gewerkschaften. Die eine wie die andere Beschuldigung sollte nur den Block mit der rechten Guomindang und dem verräterischen Generalrat bemänteln. Die Opposition tritt energisch für die Stärkung und Entwicklung des Blocks mit den revolutionären Elementen der Guomindang ein, für ein engeres Kampfbündnis der Arbeiter mit der Stadt- und Dorfarmut, für den Kurs auf eine revolutionäre Diktatur der Arbeiter, der Bauern und des städtischen Kleinbürgertums.

Dafür ist nötig:

a) dass erkannt wird, wie verhängnisvoll ein Block ist, in dem die KP die Interessen der Arbeiter und Bauern für das utopische Ziel opfert, die Bourgeoisie im Lager der nationalen Revolution zu halten;

b) dass ein Block, der direkt oder indirekt die Selbständigkeit der eigenen Partei einengt, indem er sie der Kontrolle anderer Klassen unterwirft, rundweg abgelehnt wird;

c) dass auch ein Block, bei dem die KP ihre Fahne einholt und auf das Wachstum ihres eigenen Einflusses und ihrer eigenen Autorität zugunsten ihres Bündnispartners verzichtet, kategorisch abgelehnt wird;

d) dass ein Block auf der Basis klar formulierter gemeinsamer Aufgaben und nicht auf der Grundlage von Halbheiten, diplomatischen Tricks, Ausweichmanövern und Betrügereien gebildet wird;

e) dass die Voraussetzungen und Grenzen dieses Blocks ganz exakt festgelegt und allen zur Kenntnis gegeben werden;

f) dass die KP sich die volle Freiheit der Kritik an ihrem Verbündeten vorbehält, auf den sie ein ebenso wachsames Auge hat, wie auf ihren Feind, ohne auch nur eine Minute zu vergessen, dass dieser Verbündete sich auf andere Klassen stützt bzw. von anderen Klassen abhängig ist und deshalb nur ein Weggenosse ist, der sich unter Umständen in einen Gegner und Feind verwandelt;

g) dass die Verbindung zu den kleinbürgerlichen Massen für wichtiger gilt als die zu ihrer Parteiführung; und

h) dass man sich letztlich nur auf sich selbst verlässt, auf die eigene Organisation, die eigenen Waffen und die eigene Kraft.

Nur unter diesen Bedingungen ist ein wahrhaft revolutionärer Block der KP mit der Guomindang möglich, nicht ein schwankender und von Zufällen abhängiger Block der Führungen, sondern ein Block, der auf dem Bündnis aller unterdrückten Massen in Stadt und Land unter politischer Führung der proletarischen Avantgarde beruht.

Die Probleme der chinesischen Revolution und das Anglo-Russische Komitee

41. Bei der Führung der chinesischen Revolution haben wir es nicht mit taktischen Fehlern, sondern mit einer von Grund auf falschen Linie zu tun. Das geht aus dem oben Dargelegten deutlich hervor. Noch deutlicher wird es, wenn man die Politik in China mit der Politik gegenüber dem Anglo-Russischen Komitee vergleicht. Im Fall des Anglo-Russischen Komitees hatte die Inkonsistenz der opportunistischen Linie zwar nicht so tragische, aber doch nicht weniger deutliche und überzeugende Folgen wie in China.

42. In England wurde wie in China eine Linie der Annäherung an die »soliden« Führungsgruppen verfolgt, die auf persönlichen Beziehungen und diplomatischen Tricks beruhte; ihr zuliebe wurde faktisch darauf verzichtet, die Kluft zwischen den revolutionären oder linksorientierten Massen und ihren verräterischen Führern zu vertiefen. Um Tschiang Kaischeks Gunst zu gewinnen, drängten wir die chinesischen Kommunisten zur Annahme der diktatorischen Bedingungen, die er der Kommunistischen Partei stellte. Um sich Purcell, Hicks, Citrine und Co. günstig zu stimmen, verpflichteten sich die Vertreter des Zentralrats der sowjetischen Gewerkschaften zu prinzipieller Neutralität in der Gewerkschaftsbewegung und zur Nichteinmischung in die Angelegenheiten der englischen Arbeiterbewegung, erkannten also den Generalrat als einzigen Vertreter des englischen Proletariats an.

43. Die Beschlüsse der Berliner Konferenz des Anglo-Russischen Komitees bedeuten, dass wir in Zukunft darauf verzichten, die Streikenden gegen den Willen der notorischen Streikbrecher zu unterstützen. Sie bedeuten auch, dass wir das Minority Movement verurteilen und bewusst verraten, dessen Arbeit sich gegen jene Verräter, die wir als einzige Vertreter der englischen Arbeiterklassen anerkannt haben, richtet. Schließlich bedeutet die feierliche Verkündigung der »Nichteinmischung«, dass wir prinzipiell vor der nationalen Borniertheit der Arbeiterbewegung in ihren rückständigsten und konservativsten Formen kapitulieren.

44. Tschiang Kaischek beschuldigt uns der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas, so wie uns Citrine der Einmischung in die internen Angelegenheiten der Gewerkschaften beschuldigt hat. Die eine wie die andere Beschuldigung ist nichts als eine Wiederholung der Beschuldigungen, die der Weltimperialismus gegen den Arbeiterstaat erhoben hat, der es wagte, sich für das Schicksal der unterdrückten Massen der ganzen Welt zu interessieren. Hier wie auch in anderen Fällen bleiben Tschiang Kaischek und Citrine – zwar unter unterschiedlichen Bedingungen und auf verschiedenen Posten – Agenten des Imperialismus, trotz ihrer zeitweiligen Zusammenstöße mit ihm. Wenn wir weiter der Zusammenarbeit mit solchen »Führern« nachjagen, müssen wir unsere Methoden der revolutionären Mobilisierung der Massen immer weiter einschränken, begrenzen und beschneiden.

45. Mit unserer falschen Politik haben wir nicht nur dem Generalrat dazu verholfen, seine nach dem Verrat des Streiks ins Wanken geratene Position zu halten, sondern wir haben ihn auch mit allem Notwendigen versehen, so dass er seine unverschämten Forderungen stellen konnte, die wir dann gehorsam annahmen. Bei dem Gerede über die »Hegemonie« haben wir uns in Fragen der chinesischen Revolution und der englischen Arbeiterbewegung aufgeführt wie ideologisch Besiegte und damit unsere reale Niederlage vorbereitet. Auf jede opportunistische Wende in der Politik folgt der Verfall des Vertrauens auf die eigene Linie.

46. Die Geschäftemacher des Generalrats werden ohne Zweifel, sowie sie vom Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften einen Wechsel über die Nichteinmischung erhalten haben, Chamberlain beweisen, dass ihre Methode des Kampfes gegen die bolschewistische Propaganda wesentlich wirksamer ist als diejenige der Ultimaten und Drohungen. Chamberlain wird aber kombinierte Aktionen bevorzugen und dabei die Diplomatie des Generalrats ins System des britischen Imperialismus lediglich miteinbeziehen.

47. Wer gegenüber der Opposition darauf verweist, dass Baldwin oder Chamberlain ja »auch« den Bruch des Anglo-Russischen Komitees wollten, versteht nichts von den politischen Machenschaften der Bourgeoisie. Baldwin fürchtet mit Recht den schädlichen Einfluss der sowjetischen Gewerkschaften auf die linksorientierte englische Arbeiterbewegung. Die englische Bourgeoisie hat durch ihren Druck auf den Generalrat dem Druck des Zentralrats der sowjetischen Gewerkschaften auf die verräterische Führung der Trade-Unions entgegengewirkt und sich auf diesem Gebiet auf der ganzen Linie als Siegerin erwiesen. Der Generalrat hat sich geweigert, von den sowjetischen Gewerkschaften Geld anzunehmen und mit ihnen über eine Unterstützung der Bergarbeiter zu diskutieren. Die englische Bourgeoisie hat also über den Druck auf den Generalrat auch Druck auf den Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften ausgeübt und so auf der Berliner Konferenz die sowjetischen Delegierten dazu gebracht, in den wesentlichen Fragen des Klassenkampfes in skandalöser Weise zu kapitulieren. So nützt das Anglo-Russische Komitee der britischen Bourgeoisie (vgl. die Erklärungen der Times). Und das wird sie nicht daran hindern, auch in Zukunft Druck auf den Generalrat auszuüben, ja, seinen Bruch mit dem Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften zu verlangen; denn mit einer solchen Politik des Drucks und der Erpressung gewinnt sie all das, was wir durch unser sinnloses und prinzipienloses Verhalten verlieren.

48. Die Unterstellung, Tschiang Kaischek sei mit der Opposition »solidarisch« – weil er die Kommunisten aus der Guomindang vertreiben will –, ist von gleichem Wert. Zu diesem Zweck wird eine Äußerung Tschiang Kaischeks in Umlauf gebracht, wonach er einmal zu einem anderen General gesagt haben soll, er stimme in dieser Frage mit der Opposition in der KPdSU überein. Im Text des Dokuments, aus dem dieses »Zitat« herausgerissen ist, werden Tschiang Kaischeks Worte allerdings nicht als Ausdruck seiner Ansichten angeführt, sondern als Beleg für seine Bereitschaft und Fähigkeit, zu lügen und zu betrügen, sich sogar für einige Tage als »linker Kommunist« zu verkleiden, um uns desto sicherer in den Rücken fallen zu können. Mehr noch, das Dokument, in dem Tschiang Kaischeks Worte angeführt werden, ist insgesamt eine Anklageschrift gegen die Linie und die Arbeit der Kominternvertreter in China. Statt einem Dokument Zitate zu entnehmen und ihnen einen Sinn zu verleihen, der zu dem, den sie im Text haben, in Gegensatz steht, hätte man der Komintern das Dokument selbst zur Kenntnis geben sollen.

Wenn man aber einmal vom Missbrauch angeblicher »Zitate« absieht, bleibt immer noch die »Übereinstimmung«, dass Tschiang Kaischek die ganze Zeit gegen den Block mit den Kommunisten war – und wir gegen den Block mit Tschiang Kaischek. Daraus zieht Martynows Schule den Schluss, dass die Politik der Opposition »generell« der Reaktion diene. Und diese Beschuldigung ist nicht neu. Die gesamte Entwicklung des Bolschewismus in Russland vollzog sich unter der Begleitmusik menschewistischer Anklagen, die Bolschewiki dienten der Reaktion, sie hülfen der Monarchie gegen die Kadetten und den Kadetten gegen die Sozialrevolutionäre und Menschewiki, und so weiter, ohne Ende. Renaudel beschuldigte die französischen Kommunisten, sie unterstützten Poincaré, weil sie den Block der Radikalen und Sozialisten sprengen wollten. Die deutsche Sozialdemokratie hat mehrfach erklärt, unser Nichteintritt in den Völkerbund arbeite den extremen Imperialisten in die Hände, usw. usf.

Dass die Großbourgeoisie, repräsentiert durch Tschiang Kaischek, politisch mit dem Proletariat brechen muss, und dass das revolutionäre Proletariat mit der Bourgeoisie politisch brechen muss, bezeugt nicht Solidarität, sondern ihren unversöhnlichen Klassenhass. Die hilflosen Kompromissler stehen zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat und beschuldigen die beiden »extremen« Flügel, dass sie die nationale Front zerbrochen und die Reaktion unterstützt haben. Aus kompromisslerischem Unverstand beschuldigen sie die Opposition, ihre Politik käme Chamberlain, Thomas oder Tschiang Kaischek entgegen, und erkennen damit unwillkürlich den proletarisch-revolutionären Charakter unserer politischen Linie an.

49. Die Berliner Konferenz des Anglo-Russischen Komitees, die mit dem Beginn der englischen Intervention in China zusammenfiel, wagte es nicht einmal, die Frage wirksamer Maßnahmen gegen die Henkersarbeit des britischen Imperialismus im Fernen Osten aufzuwerfen. Gibt es einen deutlicheren Beweis dafür, dass das Anglo-Russische Komitee nicht in der Lage ist, auch nur einen Finger zu rühren, um einen Krieg wirksam zu verhindern? Das heißt aber nicht, dass es bloß nutzlos ist. Nein, es fügt der revolutionären Bewegung – wie jede Illusion oder Heuchelei – maßlosen Schaden zu. Der Generalrat wird mit dem Hinweis auf seine Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften im »Kampf für den Frieden« das durch die Kriegsgefahr aufgeschreckte Gewissen des englischen Proletariats beruhigen und einschläfern. Und der Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften gilt nun als Bürge der internationalen Politik der Verräter des Generalrats vor der Arbeiterklasse Englands und der ganzen Welt. Damit wird die Kritik der revolutionären Elemente in England am Generalrat geschwächt und abgestumpft. Durch Purcell, Hicks und Co. erhalten MacDonald und Thomas die Möglichkeit, die derart eingeschläferten Arbeitermassen bis an die Schwelle eines Krieges zu führen, um sie dann zur Verteidigung des demokratischen Vaterlandes aufrufen zu können. Genosse Tomski hat in seinem letzten Interview (in der Prawda vom 8. Mai) zwar Thomas, Havelock Wilson und die anderen Börsenmietlinge kritisiert, dabei aber mit keinem Wort die einschmeichelnde, zersetzende, einschläfernde und deshalb wesentlich schädlichere Arbeit der Purcell, Hicks und Co. erwähnt. Diese »Verbündeten« werden in dem Interview überhaupt nicht namentlich erwähnt, so als gäbe es sie gar nicht. Warum gibt es dann einen Block mit ihnen? Aber es gibt sie. Ohne sie ist Thomas politisch nicht existent. Ohne Thomas kein Baldwin, d.h. kein kapitalistisches Regime in England. Auch wenn wir die besten Vorsätze haben, bedeutet unsere Unterstützung des Blocks mit Purcell faktisch doch, dass wir das ganze britische Regime unterstützen und seine Arbeit in China erleichtern. Nach allem, was geschehen ist, muss das jeder Revolutionär, der Lenins Schule durchlaufen hat, einsehen. In gleicher Weise hat unsere Zusammenarbeit mit Tschiang Kaischek die Klassenwachsamkeit des chinesischen Proletariats geschwächt und damit den Staatsstreich im April erleichtert.

Die Etappentheorie und die Theorie des Sozialismus in einem Lande

50. Zur Rechtfertigung der opportunistischen Wende musste die Nachtrabtheorie der »Etappen« oder »Stufen« herhalten, wie sie in letzter Zeit vom Genossen Stalin wiederholt verkündet worden ist. Fordert man volle organisatorische und politische Selbständigkeit für die chinesische KP, so heißt das nun, »Stufen« zu überspringen. Fordert man für die in den Bürgerkrieg hineingezogenen Arbeiter- und Bauernmassen die Räteorganisation, so heißt das, »Etappen« zu überspringen. Fordert man den Bruch des politischen Blocks mit den Verrätern vom Generalrat, die derzeit die schändlichste und verräterischste Arbeit verrichten, dann heißt das, »Stufen« zu überspringen.

Die konservative bürgerlich-nationale Regierung der Guomindang, das Militärkommando Tschiang Kaischeks, der Generalrat, jede Institution, die auf Druck der besitzenden und herrschenden Klassen geschaffen worden ist und sich in ein Hindernis für die revolutionäre Massenbewegung verwandelt, wird unter diesem Gesichtspunkt zur großen historischen Etappe, der man seine Politik so lange anzupassen hat, bis »die Massen selbst« diese Etappe überwinden. Begeben wir uns auf diesen Weg, dann wird sich unsere Politik unvermeidlich aus einem revolutionären in einen konservativen Faktor verwandeln. In diesem Zusammenhang sind der Verlauf der chinesischen Revolution und das Schicksal des Anglo-Russischen Komitees eine eindringliche Warnung.

51. Fakten, wie die Niederlage der großen Streiks des englischen Proletariats im vergangenen Jahr oder die der chinesischen Revolution in diesem, können für die internationale Arbeiterbewegung nicht ohne Folgen bleiben, genauso wenig wie die Niederlage des deutschen Proletariats im Herbst 1923. Die unvermeidliche zeitweilige Schwächung der revolutionären Positionen ist an und für sich schon ein großes Übel. Doch dieses Übel kann für lange Zeit irreparabel werden, wenn die Orientierung, wenn die strategische Linie falsch ist. Gerade jetzt, wo wir uns in einer Phase vorübergehender Ebbe der Revolution befinden, ist der Kampf gegen alle Formen von Opportunismus und nationaler Beschränktheit, ist der Kampf für die Linie des revolutionären Internationalismus nötiger denn je.

Die Anerkennung des Prinzips der Nichteinmischung kommt, was immer unsere Delegation damit beabsichtigt, den defätistischsten und konservativsten Tendenzen in der Arbeiterklasse entgegen. Es ist keineswegs überraschend, dass die rückständigsten und erschöpftesten Arbeiterschichten der UdSSR eine Einmischung in den englischen Streikkampf oder in die chinesische Revolution für einen Fehler halten. Sie argumentieren nämlich immer folgendermaßen: »Man hat uns doch gelehrt, dass wir den Sozialismus in unserem Lande aufbauen können, auch ohne dass die Revolution in den anderen Ländern siegreich gewesen ist; es darf nur keine Intervention erfolgen. Das heißt doch, dass wir eine Politik machen müssen, die keine Intervention provoziert. Unsere Einmischung in die englischen und die chinesischen Angelegenheiten ist ein Fehler, denn sie führt nicht zu positiven Ergebnissen, sondern stachelt die Weltbourgeoisie zu militärischen Interventionen an und bedroht damit den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande.«

Zweifellos dient die Theorie des Sozialismus in einem Lande – was immer ihre Schöpfer damit beabsichtigen mochten – jetzt, nach den neuerlichen Niederlagen der internationalen revolutionären Bewegung, als eine Rechtfertigung, Begründung und Sanktionierung aller Tendenzen, die zur Eingrenzung der revolutionären Aufgaben, zur Verminderung des revolutionären Schwungs und zur national-konservativen Selbstbegrenzung führen.

Dabei bedeutet schon die kleinste Abweichung in Richtung auf die »Nichteinmischung«, gleichgültig, ob sie durch die Theorie des Sozialismus in einem Lande verschleiert wird oder nicht, eine Vergrößerung der imperialistischen Gefahr, nicht deren Verminderung.

Die chinesische Revolution – das ist vollkommen klar und unbestreitbar – kann nur durch einen kräftigen Aufschwung der Massen, durch ein radikaleres soziales Programm und durch das deutlich sichtbare Banner der Arbeiter-und-Bauern-Räte wirklich vor einer militärischen Niederlage von außen bewahrt werden. Nur eine Revolution, die die Forderungen der Werktätigen und Unterdrückten klar erkennbar auf ihre Fahnen schreibt, vermag das internationale Proletariat und die Soldaten des Kapitals zu begeistern. Wir wissen das aus eigener Erfahrung recht gut, denn wir haben es in den Jahren des Bürgerkriegs bei Archangelsk, Odessa und an anderen Orten erfahren und überprüft. Die verräterische Führung hat durch ihre Kompromisse Nanjing nicht vor der Zerstörung bewahrt. Sie hat den feindlichen Schiffen den Yangtse geöffnet. Eine revolutionäre Führung könnte es mit einer mächtigen sozialen Bewegung im Rücken so weit bringen, dass die Gewässer des Yangtse für die Schiffe von Lloyd George, Chamberlain und MacDonald zu heiß werden. Jedenfalls könnte sich die Revolution nur so schützen.

Eine Erweiterung der Rätefront ist zugleich die beste Verteidigung der UdSSR. Unter den derzeitigen Umständen ist das Gerede, unsere internationale Lage habe sich verschlechtert oder könne sich wegen irgendwelcher »linken« Fehler verschlechtern, barer Unsinn. Verschlechtert hat sich unsere Lage wegen der Niederlage der chinesischen Revolution. Diese Niederlage ist ein internationales historisches Ereignis, auch unabhängig davon, ob wir uns nun einmischen oder nicht. Hätten wir uns nicht eingemischt, als der Imperialismus sich einmischte, dann hätten wir ihm nur sein Geschäft erleichtert – was China und uns selbst anbetrifft. Aber Einmischung und Einmischung ist nicht dasselbe. Die schlimmste und gefährlichste Art von Einmischung sind die Versuche, die Entwicklung der Revolution auf halbem Wege anzuhalten. Der Kampf um den Frieden ist die zentrale Aufgabe unserer internationalen Politik. Aber selbst ein extremer Vertreter der Schule Martynows wird nicht zu behaupten wagen, unser Kampf für den Frieden widerspräche der Entfaltung der chinesischen Revolution, oder umgekehrt, ihre Entfaltung könnte unserem Kampf für den Frieden widersprechen. Das eine ergänzt vielmehr das andere. Die UdSSR wird am besten geschützt, wenn die Konterrevolution Tschiang Kaischeks überwunden wird und die Bewegung eine höhere Stufe erreicht. Wer unter diesen Umständen gegen die Räte in China ist, entwaffnet die chinesische Revolution. Wer das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des europäischen Proletariats verkündet, schwächt dessen revolutionäre Avantgarde. Das eine wie das andere schwächt die UdSSR, das Bollwerk des internationalen Proletariats.

Wir sehen, wie sich Fehler an Fehler reiht und sich daraus eine Linie bildet, die immer stärker von der des Bolschewismus abzuweichen droht. Kritische oder warnende Stimmen werden als Störung empfunden. Die Rechtswende in der offiziellen Linie wird durch Schläge gegen links komplettiert. Wenn wir auf diesem Wege fortschreiten, bringt das sowohl den Sowjetstaat wie die Komintern in größte Gefahr. Diese Gefahren der internationalen proletarischen Avantgarde zu verschweigen, hieße das Banner des Kommunismus verraten.

Wir zweifeln keinen Augenblick, dass sich die Fehler noch korrigieren, die Abweichungen überwinden lassen und dass die Linie ohne schwerere Krisen und Erschütterungen wieder neu ausgerichtet werden kann. Zu deutlich ist die Sprache der Tatsachen, zu eindeutig sind die Lehren aus unseren Erfahrungen. Nur müsste unsere Partei, die KPdSU wie die Komintern, jede Möglichkeit zur freien und ruhigen Würdigung der Fakten erhalten, damit sie die nötigen Konsequenzen ziehen kann. Wir sind fest davon überzeugt, dass sie ihre Konsequenzen im Geiste der revolutionären Einheit ziehen wird.

* Die Thesen des Genossen Stalin wurden im Namen des ZK herausgegeben. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie im ZK-Plenum nicht diskutiert worden sind. Das Politbüro hat drei seiner Mitglieder – die Genossen Stalin, Bucharin und Molotow – damit beauftragt, die Thesen zu prüfen und sie bei Einmütigkeit im Namen des ZK der Partei zu veröffentlichen. Natürlich geht es hier nicht um die formale Seite der Angelegenheit, die keiner von uns anfechten wird. Aber es ist vollkommen klar, dass ein so »vereinfachtes« Verfahren zur Lösung weltbewegender Probleme den Interessen der Partei und der chinesischen Revolution nach den begangenen Fehlern und den schweren Niederlagen nicht im Geringsten entspricht. (L. T.)

** Dieses Referat ist als Sonderbroschüre unter dem Titel Entwicklungswege der chinesischen Revolution mit einem Vorwort von F. Raskolnikow erschienen. Es ist deshalb so bemerkenswert,weil es eine gewissenhafte und deshalb für die »Linie« vernichtende Darstellung der Fakten gibt. Die Schlussfolgerungen sind verworren und widersprüchlich, weil Raskolnikow einerseits von der Unterdrückung des Klassenkampfs in China spricht, andererseits aber von der »einzig richtigen Linie«, die doch in schreiendem Widerspruch zu diesen Tatsachen steht. Das Vorwort des Genossen Raskolnikow ist hingegen deshalb bemerkenswert, weil er nichts von dem, was war, was ist und was sein wird, begriffen hat. (L. T.)

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