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Leo Trotzki 19270528 Ist es nicht höchste Zeit zu begreifen?

Leo Trotzki: Ist es nicht höchste Zeit zu begreifen?

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 279-282, mit umfangreichen Fußnoten]

Heute enthält das nicht zur Veröffentlichung bestimmte TASS-Bulletin (Nr. 116) einige Meldungen von politisch außerordentlicher Bedeutung. Sie werden nicht etwa deshalb vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, weil sie dem Sowjetstaat oder der chinesischen Revolution Schaden zufügen könnten, sondern weil sie beweisen, dass der offizielle Kurs falsch ist und die Opposition recht hat. Wir wollen hier nur die beiden krassesten Nachrichten anführen:

»Shanghai, den 24.5. (TASS). Die zentrale politische Konferenz in Nanjing hat beschlossen, Feng Yuxiang als Konferenzmitglied aufzunehmen.«

Dass Tschiang Kaischek Feng Yuxiang als Mitglied in die Konferenz aufgenommen hat (möglicherweise bisher noch ohne Zustimmung des vorsichtigen Feng Yuxiang), weiß inzwischen die ganze Welt. Den sowjetischen Arbeitern soll das jedoch ein Geheimnis bleiben. Warum? Weil Feng Yuxiang bei uns bis in die jüngste Zeit als ein echter »Arbeiter« (oder »Bauer«), als zuverlässiger Revolutionär u.a. hingestellt wurde, d.h., weil in Bezug auf Feng Yuxiang noch einmal all die Fehler wiederholt wurden, die wir früher schon in Bezug auf Tschiang Kaischek gemacht haben. Und jetzt verheimlichen wir schon seit mehreren Wochen alle Nachrichten über das mehr als zweideutige Verhalten von Feng Yuxiang. Warum? Wozu? Offensichtlich in der geheimen Hoffnung, dass er uns vielleicht doch nicht betrügen wird. Und wenn er uns betrügt, werden wir sagen: Das entspricht vollkommen dem, was wir hinsichtlich des Bruchs der Bourgeoisie mit der nationalen Revolution vorausgesehen haben. Aber jetzt? Statt die chinesischen Arbeiter und die Partei zu warnen, statt die Massen der Arbeiter, Bauern und Soldaten zu drängen, wirklich revolutionäre Maßnahmen gegen den Verrat der Generäle zu ergreifen, übergehen wir die Depeschen mit Stillschweigen, verheimlichen sie und verstecken sie in unserer Tasche. Aber das wird nichts helfen. Die Klassenlogik der Revolution lässt sich nicht einfach verstecken. Die zweite Depesche lautet:

»Hankou, den 23.5. (TASS). Das ZK der Kommunistischen Partei hat dem >Bund zur Stärkung der revolutionären Front< von Hubei vorgeschlagen, die Beziehungen zwischen den Arbeitern und dem Kleinbürgertum zu regeln. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass die Disziplin unter den Arbeitern gehoben und der Respekt vor den Dekreten der Nationalregierung gestärkt werden müsse, zugleich aber auch erklärt, dass die Gewerkschaften nicht das Recht haben, Verhaftungen vorzunehmen, sondern sich in jedem einzelnen Fall an die Behörden wenden müssen, wenn sie die eine oder andere Verhaftung für nötig halten.«

Diese Depesche ist noch wichtiger als die erste. Sie erhellt jedem wirklichen Revolutionär blitzartig den Gesamtzusammenhang und beweist, dass die offizielle Linie falsch, verhängnisvoll ist, die Linie der Opposition hingegen ohne Zweifel richtig.

Man denke nur: Die Gewerkschaften verhaften auf dem Gebiet der Regierung von Hankou die Feinde der Revolution. Das bedeutet, dass die Logik der Situation sie dazu zwingt, die Aufgaben von revolutionären Räten zu übernehmen. Was aber macht das ZK der KP? Es empfiehlt den Gewerkschaften, auf ungesetzliche Aktionen zu verzichten, sich den »Dekreten« der Wuhan-Behörden zu unterwerfen und sich, falls es notwendig sein sollte, einen Konterrevolutionär, Verräter oder Verschwörer zu verhaften oder zu erschießen, respektvoll an die Obrigkeit zu wenden (die wahrscheinlich mit diesem Verschwörer verwandt oder verbündet ist). Ist das nicht eine Verhöhnung der Revolution, ihrer Bedürfnisse und elementaren Aufgaben? Statt die Massen dazu aufzurufen, auf der Stelle mit den Feinden abzurechnen, verbietet die Wuhan-Regierung das. Mehr noch, sie verbietet es nicht im eigenen Namen, sondern namens der Kommunistischen Partei. Das ZK der KP spielt in diesem Falle die Rolle des politischen Handlangers der feigen bürgerlichen Radikalen und Pseudoradikalen, die vor den revolutionären Massen Angst haben und mit Martynow der Meinung sind, man könne eine Revolution mit Hilfe von Schiedskommissionen machen, statt dass die Massen mit ihren Feinden abrechnen. Ist das nicht ungeheuerlich? Ist das nicht Hohn und Spott über die Revolution? Wohin soll das führen, Genossen?

Außerdem ist bemerkenswert, dass man dem »Bund zur Stärkung der revolutionären Front« von Hubei den speziellen Auftrag gibt, »die Beziehungen zwischen den Arbeitern und dem Kleinbürgertum zu regeln«. Regeln kann man diese Beziehungen nicht mit Hilfe eines besonderen Bundes und nicht durch einen speziellen Auftrag, sondern nur durch die richtige Politik. Räte der Arbeiter und der halbproletarischen, verarmten Stadtbevölkerung müssen in großem Maßstab zu Organen einer alltäglichen Politik der Revolution werden. Wenn sich die Gewerkschaften gezwungen sehen, die Funktion von Räten zu übernehmen, dann ist es kaum zu vermeiden, dass sie in bestimmten Fällen die legitimen Interessen der kleinbürgerlichen Unterschichten ignorieren oder gar verletzen. Das Fehlen von Räten trifft also auch das Kleinbürgertum und unterminiert sein Bündnis mit dem Proletariat.

So ist die wirkliche Lage. Von den Massen gedrängt, versuchen die Gewerkschaften, die Fehler der chinesischen und der Moskauer Führung zu korrigieren, und beginnen unverzüglich, mit den Feinden abzurechnen. Doch das ZK der KP, das die Massen zu einer solchen strengen Abrechnung inspirieren und führen sollte, ruft die Arbeiter zur Ordnung, befiehlt ihnen, »die Disziplin« (gegenüber der Bourgeoisie) besser zu wahren und das Einverständnis der Hankouer Kerenskis und Zeretellis mit den Agenten des Imperialismus, der Bourgeoisie und Tschiang Kaischeks stillschweigend hinzunehmen. Da haben wir die Martynowschtschina, und zwar in Taten, nicht nur in Worten.

Eine ganze Reihe von Nachrichten, vor allem aus Tokio, informieren über den »Niedergang« der Hankouer Regierung, ihren baldigen Sturz u. ä. Natürlich sind solche Nachrichten mit äußerster Vorsicht zu genießen. Sie kommen vom Feind, der den Untergang der Revolution erwartet, erhofft, auf ihn lauert und alle möglichen Geschichten und Lügen ersinnt. Aber die beiden oben angeführten Depeschen, wie auch all die anderen dieser Art, die fast täglich eintreffen, lassen uns erkennen, dass die Lage der Hankouer Regierung zu einer hoffnungslosen werden kann. Hindert sie die Arbeiter und Bauern daran, mit den Konterrevolutionären abzurechnen, so wird sie stürzen. Und das ZK der KP wird mit seiner verlogenen Politik zu diesem Sturz beitragen.

Würde die Hankouer Regierung unter dem Druck der Arbeiter-, Bauern-und Soldatenräte stürzen, so würden wir das natürlich nicht bedauern. Doch sie wird fallen, weil sie sich der Bildung von Räten widersetzt. Die chinesische KP unterstützt diese fatale Politik der Hankouer Regierung und hindert die chinesischen Arbeiter und Bauern daran, unverzüglich mit ihren Feinden abzurechnen und Räte zu bilden. Damit trägt die KP zum Sturz dieser Regierung in kürzester Frist bei: Zu einem ruhmlosen Ende, das nicht die Arbeiter- und Bauernmassen, sondern die bourgeoise Reaktion herbeiführen wird. Im übrigen wird die Hankouer Regierung im Verfolg einer solchen Politik aller Wahrscheinlichkeit nach nicht »stürzen«, sondern eher ein Bündnis mit Tschiang Kaischek eingehen — gegen die Arbeiter und die Bauern. Ist es nicht höchste Zeit zu begreifen?

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