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Leo Trotzki 19270416 Über die Losung der Räte in China

Leo Trotzki: Über die Losung der Räte in China

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 158-166, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Sehr geehrte Genossen,

gestern, während der Diskussion über die chinesische Frage, war einer der Haupteinwände des Genossen Stalin gegen die von Genosse Sinowjew und mir vorgebrachte Kritik an den Grundfehlern unserer Politik in den Fragen der chinesischen Revolution die Wiederholung der Worte: »Warum hat Sinowjew nicht gesagt...«, »Warum hat Trotzki nicht geschrieben...« Ich will hier nicht darauf zurückkommen, was wir in dieser Angelegenheit gesagt oder geschrieben haben. Ich zweifle nicht: Wäre man unserem Rat und unseren Vorschlägen seinerzeit weniger voreingenommen begegnet, weniger feindselig, aufmerksamer, dann hätten wir die schlimmsten Fehler vermieden. Ich will mich nicht dabei aufhalten, dass in letzter Zeit grundsätzliche Fragen in geschlossenen Sitzungen des Politbüros entschieden werden, zu denen die Mitglieder des ZK nicht zugelassen sind. Es ist nicht die Aufgabe dieses Briefes, an die Probleme von gestern zu erinnern, sondern die wichtigste Frage von heute und morgen zu stellen: das ist die Frage der Räte in China. Genosse Stalin hat sich sogleich dagegen ausgesprochen, die Arbeiter und überhaupt die unterdrückten Massen Chinas zur Bildung von Räten aufzurufen. Dabei ist diese Frage von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der chinesischen Revolution. Ohne Räte wird die ganze Revolution nur der Oberschicht der chinesischen Bourgeoisie und durch sie den Imperialisten dienen.

Das Plenum hat sich zu dieser grundsätzlichen Frage nicht geäußert. Dabei stellt sie sich jetzt mit äußerster Dringlichkeit; man kann sie nicht länger aufschieben, denn das Schicksal der chinesischen Revolution ist mit der Frage der Bildung von Räten verknüpft. Und eben darum werfe ich diese Frage in diesen Zeilen auf.

Genosse Stalin stellt folgende Überlegung an: Räte sind Organe des Kampfes um die Macht; zur Bildung von Räten aufrufen bedeutet faktisch, zur Diktatur des Proletariats, zum chinesischen Oktober führen. Aber warum gab es denn bei uns 1905 schon Räte? Wir kämpften gegen den Zarismus, antwortet Stalin. In China gibt es diesen Kampf gegen den Zarismus nicht. Solange wir nicht direkt Kurs auf den Oktober nehmen, dürfen wir auch nicht zur Bildung von Räten aufrufen.

All diese Überlegungen sind eine derart himmelschreiende Verdrehung des Sinns unserer gesamten revolutionären, von Lenin theoretisch erläuterten Erfahrungen, dass ich niemals geglaubt hätte, ein seriöser und verantwortungsbewusster Revolutionär könnte solche Dinge sagen, wenn ich es nicht mit eigenen Ohren gehört hätte.

Versuchen wir, die Frage kurz zu analysieren:

1. Gegen den Zaren konnte man Räte schaffen, noch ehe man den Kampf um die Diktatur des Proletariats führte. Warum ist es dann nicht erlaubt, mit Hilfe von Räten den Kampf gegen den Block der chinesischen Militärmachthaber, Kompradoren, Feudalherren und ausländischen Imperialisten zu führen, auch wenn man sich noch nicht direkt die Diktatur des Proletariats zur Aufgabe gemacht hat? Warum?

Wenn man glaubt, wie Stalin glaubte (und noch glaubt?), die Vereinigung Chinas müsse durch die bürgerliche Führung der Guomindang verwirklicht werden, die sich mittels der Guomindang die Kommunistische Partei unterworfen hat, sie ihrer elementarsten Unabhängigkeit beraubte (sogar der Zeitungen) und mit Hilfe einer reaktionären Bürokratie die eroberten Territorien verwaltet – wenn man sich die nationale Revolution so vorstellt, dann ist darin für Räte natürlich kein Platz. Wenn man begreift, dass die bürgerliche Führung der Guomindang, nicht nur ihr rechter, sondern auch ihr Mitte-Links-Flügel, nicht in der Lage ist, die nationaldemokratische Revolution zu Ende zu führen, ja, nicht einmal zur Hälfte; dass sie unverzüglich mit den Imperialisten paktiert; wenn man das alles begreift, dann hätte man rechtzeitig, und jetzt um so mehr, die Ablösung dieser Führung vorbereiten müssen.

Ablösung bedeutet nicht, dass man einfach nur Wang Jingwei an die Stelle von Tschiang Kaischek setzt: Es könnte sich herausstellen, dass der eine nur ein verdünnter Aufguss des anderen ist. Das Problem wird nicht mit Personen gelöst. Ablösung bedeutet hier die Vorbereitung einer revolutionären Regierung, die nicht nur den Worten nach, sondern faktisch, real, von den Arbeitern, dem Kleinbürgertum, den Bauern und den Soldatenmassen in der Armee abhängt. Erreichen lässt sich das nur, wenn man diesen Massen die Organisation gibt, die den Bedingungen der Revolution, dem Aufbruch der Massen, ihrem Drang nach Selbständigkeit, der Umgestaltung ihrer gesamten Lebensbedingungen usw. entspricht. Eben das sind die Räte.

2. Stalin stellt sich vor, zuerst werde die Bourgeoisie, gestützt auf die nicht revolutionär organisierten Massen (die organisierten würden ihr ja nicht als Stütze dienen), den Kampf gegen den Imperialismus zu Ende führen; danach könnten wir dann mit der Vorbereitung der Räte beginnen. Eine völlig falsche Vorstellung! In Wirklichkeit geht es darum, wie der Kampf gegen den Imperialismus und die chinesische Reaktion geführt wird, und wer in diesem Kampf die führende Rolle spielen wird. Eine demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern kann man nur im Rahmen eines sich ausweitenden Kampfes mit dem Imperialismus errichten, und dieser Kampf wird langwierig sein und sich hinziehen; nur im Rahmen des Kampfes mit der nationalliberalen Bourgeoisie um den Einfluss auf die Arbeiter und Bauern; nur gestützt auf eine Massenorganisation der Arbeiter und Bauern, die nicht nur gegen den Imperialismus, sondern auch gegen die chinesische Bourgeoisie gerichtet ist. Die einzige Form dieser Organisation können die Räte sein.

3. »Man darf nicht Räte im Rücken der Armee errichten«, sagt Stalin. Das ist der Standpunkt der Generalität, nicht der unsere. Die Generäle glauben, dass man auch Gewerkschaften nicht im Rücken der Armee organisieren darf. Wir wissen jedoch, dass Räte und Gewerkschaften im Rücken der revolutionären Armee eine großartige Hilfe für sie sind. »Aber Räte, das sind doch Organe des Aufstands«, wendet Stalin ein, »d.h. Sie schlagen vor, im Rücken der Armee Aufstände anzuzetteln und nach der Macht zu greifen«. Das ist eine falsche Darstellung, eine Karikatur des Problems! Es stimmt, dass die Räte Organe des Kampfes um die Macht sind. Doch werden sie ja keineswegs als solche geboren, sie entwickeln sich in dieser Richtung. Nur durch die Erfahrungen des Kampfes können sie in die Rolle von Organen der Diktatur (im vorliegenden Falle – einer demokratischen) hineinwachsen. Wenn wir ernsthaft den Kurs auf eine demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern im Sinn haben, wäre es nötig, dass man den Räten die notwendige Zeit ließe, sich zu formieren und in den Gang der Ereignisse, auch der kriegerischen, einzugreifen, damit sie, die Räte, erstarken, Erfahrungen sammeln und schließlich die Hand nach der Macht ausstrecken können.

»Doch die Machthaber werden keine Räte zulassen.« Mit dieser Position haben wir nichts gemein. Über die Zulassung entscheidet allein das Kräfteverhältnis. Und das muss zugunsten des Proletariats verschoben werden. Solange die erwachten, aber unorganisierten Massen hinter der politischen Führung der Guomindang-Organisation herlaufen, verleihen sie den Oberschichten der Bourgeoisie und der Generalität ein gewaltiges Übergewicht gegenüber dem Proletariat. Wenn man behauptet, dass es in China noch keinen Oktober gibt und mit dieser Begründung die Massen in einem Zustand der Zersplitterung belässt, dann heißt das faktisch, dass man eigenhändig das Proletariat schwächt, während man die Bourgeoisie und ihre Machthaber stärkt und dann darauf hinweist, dass diese Machthaber keine Räte im Rücken der Armee dulden.

4. Aber warum sollen die Arbeiter nicht einfach in die Guomindang eintreten? Genügt diese Organisation denn nicht? Wenn man die Frage so stellt, dann muss man alles vollständig vergessen, was wir durchgemacht und gelernt haben. Die Guomindang ist eine Parteiorganisation, die trotz der Popularität ihres Banners äußerst elitär ist. Kann man sich denn vorstellen, dass Hunderttausende und Millionen von Arbeitern und Bauern während der Revolution einer Parteiorganisation beitreten? Wann und wo hätte es das schon einmal gegeben? Besteht doch gerade darin die Bedeutung der Räte, dass sie sofort, auf der Stelle jene Massen in sich aufnehmen, die auf keinen Fall, auch nicht nach einer Reihe von Jahren reif wären für eine Partei. Die Behauptung, die Guomindang sei ein Ersatz für die Räte, ist unzulässige Sophisterei. Die Guomindang zählt 300.000 Mitglieder. Zur Stunde sind diese 300.000 (wenn die Zahl nicht übertrieben ist) zersplittert. Noch immer wird nur von der Notwendigkeit von Guomintang-Wahlen geredet, d.h. von Wahlen der führenden Organe durch die Mitglieder der Partei, und nicht von Wahlen der Guomindang-Mitglieder durch die viele Millionen zählenden Massen. Allein die Tatsache, dass man bei solchen Sophismen wie der Gleichsetzung der Guomindang mit Räten Zuflucht sucht, zeigt, dass die Räte an die Tür pochen, und dass man sie nicht mit Hilfe des doktrinären Schemas »Oktober oder Nicht-Oktober« los wird.

5. Was aber werden die Räte tun – »vorzeitige Aufstände organisieren«? Vorzeitige Aufstände brechen am ehesten und häufigsten dort aus, wo die Masse nicht über die maßgebende Organisation verfügt, in der sich für sie der Wille der Revolution verkörpert. Gerade das Fehlen von Räten in den wichtigsten revolutionären Zentren wird zu chaotischen, vorzeitigen und unzweckmäßigen Aufständen führen, wie sie sich aus dem unorganisierten Klassenkampf ergeben, der der richtigen politischen Führung bedarf. So ist es immer gewesen, das sagt uns die Erfahrung aller Revolutionen.

6. Was also werden die Räte tun? Das erste und allerdringlichste ist, dass sie den Arbeitern eine Organisation geben und ihnen helfen, ihre Verbrüderung mit den Soldaten zu organisieren. Der Rat der Arbeiterdeputierten einer bestimmten Industriestadt oder eines Bezirks muss als erstes Soldatendeputierte, Vertreter der Garnisonen, aufnehmen. Das ist der sicherste Weg, genauer gesagt, der einzige Weg, um sich zuverlässig gegen die bonapartistischen, faschistischen Versuchungen der Guomindang-Führung oder irgendeiner anderen Bande abzusichern. Bildet man keine Arbeiter- und Soldatenräte, so bedeutet das, die Soldaten zum Kanonenfutter für Tschiang Kaischek zu machen und ein blutiges Gemetzel unter den Arbeitern vorzubereiten, so ähnlich, wie es sich in Shanghai zugetragen hat.

7. Natürlich kann man sich in den Städten nicht nur auf die Arbeiter beschränken. Die kleinen Handwerker, die Händler und überhaupt die geknechteten städtischen Unterschichten müssen unbedingt in die Räte einbezogen werden. Das erleichtert es auch den Arbeitern, die Armee auf revolutionärem Wege hinter sich zu bringen. Gelingt das nicht, wird das Schicksal Shanghais, also auch das der Revolution, vom ersten besten verdammten kleinen Bonaparte abhängen.

8. Auf keinen Fall darf man sich auf die Städte beschränken. So bald wie möglich muss ein Netz von Räten von den wichtigsten Industriezentren aus über die Dörfer gespannt werden, wobei man sich auf die bestehenden Bauernverbände stützen, ihren Rahmen verbreitern, ihr Programm erweitern und sie mit den Arbeitern und Soldaten vereinigen muss.

9. Was also werden die Räte tun? Sie werden mit der reaktionären lokalen Bürokratie kämpfen, sie werden lernen und die Massen lehren, die Beziehungen zwischen der Macht im lokalen Bereich und der im ganzen Lande zu verstehen. Sie werden auf den Dörfern mit derselben Bürokratie, mit den Militärbanden, den Gutsbesitzern usw. kämpfen. Sie werden also zu Organen der Agrarrevolution, die man nicht bis zur Einigung Chinas (»bis zur konstituierenden Versammlung«) aufschieben darf.

10. Die Kommissare sind machtlose Figuren in den Händen der reaktionären Generäle, nicht selten geradezu Lakaien, von denselben Generälen ernannt. In solchen Zeiten kann ein Kommissar nur dann Bedeutung erlangen, wenn er sich auf solide lokale Massenorgane stützt, und nicht nur auf eine politische Partei, der es an einer ernstzunehmenden Organisation fehlt, wie der Guomindang oder wie die an Händen und Füßen gebundene Kommunistische Partei, die noch nicht einmal über eine Tageszeitung verfügt. Die Bildung von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten schafft die Voraussetzung für eine wirklich revolutionäre Demokratisierung der revolutionären Volksarmee, die sonst unvermeidlich zum Werkzeug eines hausgemachten chinesischen Bonapartismus werden muss.

11. Über die Räte vollzieht sich eine reale und nicht doktrinär erdachte Umgruppierung der Kräfte. In die Räte werden all diejenigen Klassen, Schichten und Gruppen hineingehen, die es wirklich zu einem realen Kampf gegen die ausländische und die eigene Reaktion drängt. Die Überredungskünste der einzelnen Guomindang-»Führer«, die Kombinationen, mit denen sie den einen gegen den anderen ausspielen und dann beide wieder zusammenbringen – all diese Machenschaften hinter den Kulissen, deren Unzulänglichkeit und Schwäche jetzt ganz an den Tag gekommen ist – werden durch eine andere, weit ernsthaftere, wirklich revolutionäre klassenmäßige Auswahl ersetzt. Die Gruppierung der Kräfte vollzieht sich dann nach dem Kriterium: Für oder gegen die Räte, d.h. für die Vorbereitung des Übergangs der Revolution auf ein höheres Niveau oder für das Paktieren der chinesischen Bourgeoisie mit dem Imperialismus. Wenn man die Frage nicht in dieser Weise stellt, dann bleiben alle Perspektiven einer demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern usw., von den nicht-kapitalistischen Entwicklungswegen gar nicht zu reden, nur Geschwätz, das uns darüber hinwegtrösten soll, dass die chinesischen Volksmassen das Kanonenfutter der Revolution sind, die von den käuflichen Nationalliberalen ausgeführt wird.

12. Wer gegen die Bildung von Räten ist, der sollte sagen: Alle Macht der Guomindang! Und darum ruft die Guomindang den Kommunisten zu: »Unterwerft euch!«, untersagt ihnen, den Sunyatsenismus zu kritisieren, und gibt ihnen nicht einmal eine Zeitung, und das alles unter Hinweis darauf, dass es ja auch in Russland die Diktatur einer Partei gebe. Aber die Diktatur der einen Partei in Russland ist Ausdruck der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Revolution; die Guomindang hingegen ist eine bürgerliche Partei in einer bürgerlichen Revolution. Eine Diktatur der Guomindang – ohne Räte – bedeutet unter den gegebenen konkreten Umständen, dass die Arbeiter entwaffnet werden, dass den Kommunisten der Mund verschlossen wird und die Massen im Zustand der Desorganisation belassen werden, bedeutet den Staatsstreich Tschiang Kaischeks.

13. Das heißt also Krieg mit der Guomindang? Unsinn! Unsinn! Unsinn!

Es geht um die Zusammenarbeit mit der Guomindang auf einer wesentlich breiteren und solideren Basis – auf der Basis von Räten der vielen Millionen von Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und anderen Deputierten. Natürlich setzt diese Zusammenarbeit die volle und bedingungslose Freiheit der KP voraus, an der Guomindang Kritik zu üben. Diese Freiheit der Kritik setzt die Freiheit der kommunistischen Presse und der kommunistischen Organisation voraus.

14. Ohne eine Spaltung der Guomindang auf der ganzen Linie, ohne dass sie von Tschiang-Kaischek-Elementen gesäubert würde, kann es überhaupt keine revolutionäre Zusammenarbeit mit ihr geben. An der Frage der Räte wird sich die Differenzierung innerhalb der Guomindang, ihre Säuberung und Läuterung am besten und zuverlässigsten vollziehen. Wir werden Hand in Hand mit dem Teil der alten Guomindang arbeiten, der sich für die Räte einsetzt, sich an den Räten beteiligt, d. h. sich wirklich mit den realen Massen verbindet. Natürlich werden wir, wenn wir Hand in Hand mit der revolutionären Guomindang zusammenarbeiten, diesen Verbündeten sehr aufmerksam beobachten und seine Halbherzigkeiten, sein Zurückweichen und seine Fehler offen kritisieren, von möglichen verräterischen Aktivitäten gar nicht zu reden. So werden wir auf der Basis der engsten Zusammenarbeit mit der Guomindang für eine Verstärkung des Einflusses der KP auf die Räte und durch die Räte kämpfen.

15. Aber Räte, das bedeutet doch Doppelherrschaft auf unbestimmte Zeit? Einerseits die nationalrevolutionäre Regierung, (wenn sie, von Grund auf umgestaltet, sich behaupten, sich wieder aufrichten kann), andererseits die Räte. Ja, das bedeutet Doppelherrschaft, oder Elemente von Doppelherrschaft. Aber wir waren doch gegen die Doppelherrschaft? Ja, wir waren gegen die Doppelherrschaft, weil wir selbst als Partei des Proletariats die Macht erobern wollten. Zur Zeit der Provisorischen Regierung waren wir für die Doppelherrschaft, d.h. für das Rätesystem, weil die Räte den Diktaturbestrebungen der Bourgeoisie Grenzen setzten. Das Regime der Doppelherrschaft während der Februarrevolution war ein progressives Regime, weil es neue revolutionäre Möglichkeiten eröffnete. Doch diese Wirkung hatte es nur vorübergehend. Der Ausweg aus dem Widerspruch führte in Richtung auf die proletarische Diktatur. In unserem Fall dauerte das Regime der Doppelherrschaft nur acht Monate. In China könnte ein solches Übergangsregime unter gewissen Bedingungen wesentlich länger existieren, und zwar in den verschiedenen Landesteilen auf verschiedene Weise. Wenn man also zur Bildung von Räten aufruft, ihren Aufbau betreibt, so heißt das, dass man auch in China Elemente der Doppelherrschaft einführt. Das muss sein, das ist die Rettung. Nur daraus ergeben sich weitere Perspektiven in Richtung auf eine revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauern. Andernfalls bleibt alles Reden über diese Diktatur leeres Geschwätz, von dem die chinesischen Volksmassen nicht einmal etwas erfahren.

16. Was die künftigen Möglichkeiten und Wege eines künftigen Übergangs der künftigen Diktatur der Arbeiter und Bauern in eine Diktatur des Proletariats und in eine sozialistische Revolution anbelangt, so will ich diese äußerst wichtige Frage hier nicht analysieren, weil sie zur Zeit nicht auf der Tagesordnung steht. Dass aber eine solche Möglichkeit besteht und alle Chancen hat, zu einer Realität zu werden – ein entsprechendes Entwicklungstempo der proletarischen Revolution im Westen vorausgesetzt –, daran besteht unter Marxisten keinerlei Zweifel. Darüber kann und muss gesprochen werden. Aber diese Möglichkeit sollte nicht als platonischer Trost in der gegenwärtigen Situation herhalten, in der bewaffnete bourgeoise Verräter das Feld behaupten. Zur Zeit ist es von entscheidender Bedeutung, die nächste Etappe vorzubereiten, denn nur daraus können sich alle weiteren Perspektiven und Möglichkeiten ergeben.

17. Dass die chinesische Revolution im gegenwärtigen Stadium eine nationaldemokratische, d.h. bürgerliche Revolution ist, ist für uns alle eine Binsenweisheit. Unsere Politik leitet sich jedoch nicht aus der bloßen Bezeichnung der Revolution als einer bürgerlichen her, sondern aus der realen Entwicklung der Klassenverhältnisse innerhalb dieser Revolution. Besonders Genosse Martynow geht klar und deutlich von der alten menschewistischen Konzeption aus: Weil es sich um eine bürgerliche, aber antiimperialistische Revolution handelt, kann sich die chinesische Bourgeoisie, die an der Niederwerfung des Imperialismus interessiert ist, nicht von dieser Revolution distanzieren. Tschiang Kaischeks Antwort auf Martynow war das Paktieren mit den Imperialisten und die Vernichtung des Proletariats von Shanghai. Genosse Stalin kommt dabei aus dem Konzept, weil er nämlich aus der allgemeinen Definition der Revolution (als nicht-proletarischer, bürgerlicher Revolution) die Schlussfolgerung zieht, dass Räte unnötig seien. Den realen Verlauf des Klassenkampfes will er durch eine Marschroute für die Klassen ersetzen. Und diese Marschroute leitet er von der formalen Definition der Revolution als einer bürgerlichen ab. Diese Position ist durch und durch falsch, sie widerspricht allem, was Lenin uns gelehrt hat!

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