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Leo Trotzki 19310300 Was geht in der chinesischen KP vor?

Leo Trotzki: Was geht in der chinesischen KP vor?

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 734-736, dort mit Fußnoten]

Die Prawda vom 25. Dezember 1930 berichtet:

»Die chinesische Kommunistische Partei zählte im Herbst 1930 etwa 200.000 Mitglieder. Die Partei hat die Überreste der Ideen Chen Duxius mit der Wurzel ausgerissen und den Trotzkismus ideenmäßig (!) vernichtet. In letzter Zeit haben jedoch die außerordentlich schwierigen Kampfbedingungen in der Partei Schwankungen >linken<, halb trotzkistischen Charakters hervorgerufen. Einige führende Parteiarbeiter meinten, im internationalen Maßstab sei eine revolutionäre Situation herangereift, und schlugen vor, unverzüglich den Kampf um die Macht im gesamtnationalen Maßstab zu beginnen; hierbei ignorierten sie die Notwendigkeit, die Sowjetmacht in den Regionen zu festigen, die von der Roten Armee eingenommen worden sind. Aufgrund dieser Beurteilung der Lage hielten sie es für möglich, den ökonomischen Kampf der Arbeiter zu beenden und die revolutionären Gewerkschaften aufzulösen.«

Diese Zeilen vermitteln eine Vorstellung von dem Chaos, das in den Köpfen der offiziellen Führer des chinesischen Kommunismus herrscht. Sie haben »den Trotzkismus ideenmäßig vernichtet« – das versteht sich von selbst. Aber gleich danach haben in der Partei Schwankungen »halb trotzkistischen Charakters« begonnen. Auch das hat es schon öfter gegeben. Diese Schwankungen haben sogar »einige führende Parteiarbeiter« ergriffen. Auch das kam schon vor.

Worin bestehen nun diese neuen, halb trotzkistischen Schwankungen? Vor allem in der Forderung, »unverzüglich den Kampf um die Macht im gesamtnationalen Maßstab zu beginnen«. Aber die Linke Opposition hat doch seit Herbst 1927 ganz im Gegenteil gefordert, die Losung des bewaffneten Aufstands als aktuelle Losung zurückzuziehen. Und gegenwärtig setzen unsere chinesischen Gesinnungsfreunde nicht den bewaffneten Aufstand auf die Tagesordnung, sondern die Mobilisierung der Massen zugunsten der sozialen Forderungen des Proletariats und der Bauernschaft sowie der Losungen der revolutionären Demokratie; anstelle abenteuerlicher Experimente im Dorf fordern sie den Aufbau der Gewerkschaften und der Partei! Wenn es sich nicht um Verleumdungen der Prawda handelt (was sehr wahrscheinlich ist), wenn die neue Opposition also tatsächlich fordert, »den ökonomischen Kampf der Arbeiter zu beenden und die revolutionären Gewerkschaften aufzulösen«, dann widerspricht dies völlig den Vorschlägen der Linken Opposition (Bolschewiki-Leninisten).

Weiter lesen wir, dass die neue Opposition »die Notwendigkeit ignoriert, die Sowjetmacht in den Regionen zu festigen, die von der Roten Armee eingenommen worden sind.« Statt einer solchen »Festigung« fordert sie angeblich einen Aufstand in nationalem Maßstab. Auch hier gibt es keinerlei Gemeinsamkeiten mit der Position der Bolschewiki-Leninisten. Sieht man in der chinesischen »Roten Armee« die Waffe des proletarischen Aufstands, dann müssen sich die chinesischen Kommunisten von dem allgemeinen Gesetz eines jeden revolutionären Aufstands leiten lassen: angreifen, das Territorium erweitern, die Lebenszentren des Landes erobern. Andernfalls ist ein revolutionärer Aufstand hoffnungslos. Tritt man auf der Stelle, verteidigt man sich, statt anzugreifen, so bedeutet das die Niederlage des Aufstands. In diesem Sinn ist die neue Opposition, wenn ihre Ansichten korrekt wiedergegeben sind, konsequenter als die Stalin-Anhänger, die glauben, man könne die »Rätemacht« in den bäuerlichen Regionen jahrelang konservieren, oder diese Rätemacht könne sich im Tross von Partisanenabteilungen von Ort zu Ort bewegen, die »Rote Armee« genannt werden. Weder die eine noch die andere Position ist die unsere. Beide beruhen auf falschen Voraussetzungen, gehen von der Klassentheorie der Rätemacht ab und lösen die Revolution in regionale Bauernaufstände auf, mit denen sie in abenteuerlicher Weise das Schicksal der chinesischen Kommunistischen Partei verbinden.

Was bedeutet das zuletzt Gesagte? Zu unserer Überraschung erfahren wir aus dem Artikel, dass die »Kommunistische Partei im Herbst 1930 etwa 200.000 Mitglieder zählte«. Diese Zahl wird ohne die geringsten Erläuterungen genannt. Dabei zählte die chinesische Kommunistische Partei im vergangenen Jahr kaum mehr als 6000 bis 7000 Personen. Wenn das gigantische Wachstum der Partei im Verlauf des letzten Jahres eine Tatsache ist, wäre das allein schon Symptom einer grundlegenden Änderung der Lage zugunsten der Revolution. 200.000 Mitglieder! Wenn tatsächlich 50-, 40-, ja, 30- oder auch nur 20.000 Arbeiter, die durch die Erfahrungen der zweiten chinesischen Revolution gegangen sind und ihre Lehren begriffen haben, zur Partei gehörten, würden wir sagen: Das ist eine gewaltige, eine unüberwindliche Kraft, mit solchen Kadern kann man China umwälzen. Aber zugleich würden wir fragen: Gehören diese 20.000 Arbeiter den Gewerkschaften an? Welche Arbeit leisten sie dort? Wächst ihr Einfluss? Gehen sie ein Bündnis mit der unorganisierten Masse und mit der dörflichen Peripherie ein? Unter welchen Losungen?

Aber es handelt sich ja gerade darum, dass die Führung der Komintern in dieser Frage irgend etwas nicht ausspricht, irgend etwas verschweigt und die proletarische Avantgarde in die Irre führt. Unzweifelhaft entfällt der Löwenanteil dieser zweihunderttausend – sagen wir 90-95 Prozent – auf das Operationsfeld der Abteilungen der »Roten Armee«. Man muss sich nur ein wenig die politische Psychologie der Bauernabteilungen und die Umstände, unter denen sie operieren, vergegenwärtigen, damit das politische Bild klar wird: Die Partisanen schreiben sich anscheinend en bloc in die Partei ein, und mit ihnen treten auch die Bauern der von den Roten besetzten Gebiete in die Partei ein. Die chinesische Partei ist – ebenso wie die »Rote Armee« und die »Rätemacht« – vom proletarischen Gleis abgegangen und hat sich auf die Feldwege des Dorfes begeben.

Auf der Suche nach einem Ausweg propagiert die neue chinesische Opposition, wie wir hören, die Losung eines nationalen proletarischen Aufstands. Das wäre natürlich der beste Ausweg, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben wären. Aber sie existieren heute nicht. Was bleibt in diesem Fall zu tun? Losungen für die gegenwärtige, zwischenrevolutionäre Periode auszugeben, deren Dauer niemand im Voraus abmessen kann. Das sind die Losungen der demokratischen Revolution: Land für die armen Bauern, Achtstundentag, die Unabhängigkeit Chinas, freie Selbstbestimmung seiner Völker, schließlich: Nationalversammlung.

Unter diesen Losungen werden die Bauernaufstände und die Partisanenabteilungen in der Provinz aus ihrer provinziellen Isolation herauskommen, sich – in die gesamtnationale Bewegung einfügen und ihr Schicksal damit verbinden. Die Kommunistische Partei wird sich erheben – nicht als ein technischer Gehilfe der bäuerlichen Partisanen, sondern als politischer Führer der Arbeiterklasse des Landes.

Einen anderen Weg gibt es nicht!

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