Leo Trotzki‎ > ‎Deutschland‎ > ‎

Leo Trotzki 19400820 Bonapartismus, Faschismus und Krieg

Leo Trotzki: Bonapartismus, Faschismus und Krieg

[Fragment. Nach Schriften über Deutschland, Band 2, Frankfurt am Main 1971, S. 732-741]

In seinem sehr prätentiösen, sehr ver­wirrten und einfältigen Ar­tikel versucht Dwight Macdonald, uns die Ansicht zu unterschieben, der Faschismus sei ein­fach eine Wiederholung des Bonapartis­mus. Größeren Unsinn könnte man kaum erfinden. Wir haben den Faschismus in seiner Entwicklung analysiert, seine ver­schiedenartigen Phasen, und bald den ei­nen, bald den andern Aspekt hervorgeho­ben. Im Faschismus steckt ein Moment von Bonapartismus. Ohne dies, ohne dass infolge extremer Ver­schärfung des Klassenkampfes die Staatsgewalt sich über die Ge­sellschaft erhebt, wäre der Faschismus nicht möglich gewesen. Aber wir haben von Anfang an hervorgehoben, dass es sich um Bonapartismus in der Epoche des imperialistischen Nieder­gangs handelt, der sich qualitativ vom Bonapartismus der Epoche des bürgerli­chen Aufstiegs unterscheidet. Auf der nächsten Etappe haben wir den reinen Bonapartismus als Prolog zum faschisti­schen Regime charakterisiert. Denn der reine Bonapartismus nähert sich der Herrschaft eines Monarchen und …

in Italien …

Im Nachkriegs-Italien war die Situation durch und durch revo­lutionär. Das Prole­tariat hatte alle Chancen …

Die Regierungen Brüning, Schleicher und die Präsidentschaft Hindenburgs in Deutschland, die Regierung Pétain in Frank­reich, alle haben sich als instabil erwiesen oder werden sich als instabil er­weisen. In der Epoche des imperialisti­schen Nieder­gangs ist der rein bonapar­tistische Bonapartismus völlig inadä­quat; für den Imperialismus ist es unerlässlich, das Kleinbürger­tum zu mobilisieren und das Proletariat unter seinem Gewicht zu erdrücken. Der Imperialismus kann dies Werk nur unter der Bedingung vollbrin­gen, dass das Proletariat sich als unfähig er­weist, die Macht zu erobern, während die soziale Krise das Kleinbürgertum zu wütender Verzweiflung treibt.

Die Schärfe der sozialen Krise resultiert daraus, dass bei der heutigen Konzentra­tion der Produktionsmittel, d. h. unter den Bedingungen der von den Trusts errich­teten Monopole, das Wertgesetz – der Markt – schon nicht mehr imstande ist, die ökonomischen Verhältnisse zu regu­lieren. Staatsintervention wird zur abso­luten Notwendigkeit. Soweit das Proleta­riat …

Der jetzige Krieg ist, wie wir bei mehr als einer Gelegenheit festgestellt haben, eine Fortsetzung des vorigen. Aber Fortset­zung bedeutet nicht Wiederholung. In der Regel bedeutet eine Fortsetzung eine Entwicklung, eine Vertiefung, eine Ver­schärfung. Unsere Politik, die Politik des revolutionären Proletariats gegenüber dem zweiten imperialistischen Kriege ist eine Fortset­zung jener Politik, die wäh­rend des vorigen imperialistischen Krie­ges – vor allem unter Leitung Lenins – erarbeitet worden ist. Auch hier bedeutet Fortsetzung nicht einfach Wiederholung, sondern Weiterentwicklung, Vertiefung und Verschärfung.

1914 wurden wir überrascht

Während des letzten Krieges war nicht nur das Proletariat als ganzes, sondern auch seine Avantgarde und – in gewis­sem Sinne – die Avantgarde dieser Avantgarde unvorbereitet. Die Ausarbei­tung der Prinzipien einer revolutionären Politik gegen­über dem Kriege begann zu einer Zeit, als der Krieg schon voll ent­brannt war und der Militärapparat unum­schränkte Herr­schaft ausübte. Ein Jahr nach Kriegsausbruch war die kleine revolutionäre Minderheit noch gezwungen, sich auf der Zimmerwalder Konferenz ei­ner zentristischen Mehrheit anzupassen. Vor und selbst nach der Februarrevolution fühlten sich die revolu­tionären Elemente nicht als Kämpfer um die Macht, sondern nur als extreme linke Opposition. Selbst Lenin verlegte die soziali­stische Revoluti­on in eine mehr oder weniger entfernte Zukunft. (1915 oder 1916 schrieb er in der Schweiz: (Zitat).) Wenn Lenin die Si­tuation so einschätzte, braucht man von den anderen gar nicht erst zu reden.

Diese politische Haltung der extremen Linken kam besonders deutlich in der Frage der Vaterlandsverteidigung zum Aus­druck.

1915 erwähnte Lenin in seinen Schriften revolutionäre Kriege, die das Proletariat zu führen haben würde. Aber das war ein Problem in unbestimmter historischer Perspektive, nicht eine Aufgabe für mor­gen. Die Aufmerksamkeit des revolutionä­ren Flügels war auf die Frage der Verteidigung des kapitalistischen Vaterlands konzentriert. Natürlich beantworteten die Revolutionäre diese Frage negativ. Das war völlig richtig. Diese rein negative Antwort diente als Grundlage für die Pro­paganda und die Erziehung der Kader, aber sie konnte die Massen, die keinen fremden Eroberer wollten, nicht überzeu­gen. Vor dem Krieg stellten die Bolsche­wiki in Russland vier Fünftel der proletari­schen Avantgarde – der Arbeiter, die am politischen Leben (Zeitungen, Wahlen usw.) teilnahmen. Nach der Februarrevo­lution ging die unumschränkte Herrschaft in die Hände der Vaterlandsverteidiger, der Menschewiki und Sozialrevolutionäre über. Zwar eroberten die Bolschewiki bin­nen acht Monaten die über­wältigende Mehrheit der Arbeiter, aber entscheidend dafür war nicht die Weigerung, das Bour­geois-Vaterland zu verteidigen, sondern die Losung „Alle Macht den Räten!“ – und nur diese revolutionäre Parole. Die Kritik am Imperialismus, am Mili­tarismus, die Weigerung, die bürgerliche Demokra­tie zu vertei­digen usw. – das hätte nie­mals die überwiegende Mehrheit der Be­völkerung auf die Seite der Bolschewiki gebracht. In allen übrigen kriegführenden Ländern mit Ausnahme Russlands war der revolutionäre Flügel gegen Kriegs­ende …

Sofern das Proletariat sich in einer be­stimmten Phase als un­fähig erweist, die Macht zu erobern, beginnt der Imperia­lismus, das Wirtschaftsleben mit seinen eigenen Methoden zu regeln; die faschis­tische Partei, die zur Staatsmacht wird, ist der politische Mechanismus dazu. Die Produktivkräfte stehen in unversöhn­li­chem Widerspruch nicht nur zum Privat­eigentum, sondern auch zu den Grenzen der Nationalstaaten. Der Imperialismus ist Ausdruck dieses Widerspruchs. Durch Ausdehnung der Grenzen, Eroberung neuer Territorien usw. sucht der imperia­listische Kapitalismus diesen Wider­spruch zu lösen. Der totalitäre Staat, der alle Seiten des wirtschaftlichen, politi­schen und kulturellen Lebens dem Fi­nanzkapital unterwirft, ist das Instrument zur Schaffung eines übernationalen Staates, eines imperialistischen Empires, der Weltherrschaft.

Alle diese Züge des Faschismus haben wir einzeln und in ihrer Gesamtheit in dem Maße analysiert, wie sie manifest wurden oder in den Vordergrund traten.

Die Stunde des Faschismus

Die theoretische Analyse wie die reiche historische Erfahrung des letzten Viertel­jahrhunderts zeigen in gleichem Maße, dass der Faschismus jedes Mal die Schlussphase eines spezifischen politi­schen Zyklus bildet, der aus folgenden Momenten besteht: schwerste Krise der kapitalistischen Gesellschaft; steigende Radi­kalisierung der Arbeiterklasse; wach­sende Sympathie für die Arbeiterklasse und Sehnsucht nach einer Veränderung beim ländlichen und städtischen Klein­bürgertum; äußerste Verwir­rung beim Großbürgertum, das mit feigen und be­trügerischen Manövern versucht, den re­volutionären Siedepunkt zu vermei­den; Erschöpfung des Proletariats, zuneh­mende Verwirrung und Indifferenz; Ver­schärfung der sozialen Krise; Verzweif­lung des Kleinbürgertums, das noch im­mer eine Veränderung ersehnt; kollektive Neurose des Kleinbürgertums – seine Bereitschaft, an Wunder zu glauben, seine Bereitschaft für Gewaltmaßnah­men; wachsende Feindseligkeit gegen­über dem Proletariat, das die kleinbürger­lichen Erwartungen enttäuscht hat. Das sind die Voraussetzungen für die rasche Formierung einer faschistischen Par­tei und für deren Sieg. Es ist ganz evident, dass die Radikalisie­rung der Arbeiter­klasse in den Vereinigten Staaten erst die An­fangsphasen durchlaufen hat, fast ausschließlich auf den Bereich der Ge­werkschaftsbewegung (CIO) beschränkt ist. Die Vor­kriegsperiode und dann der Krieg selbst können diesen Prozess der Radikalisierung zeitweilig unterbrechen, vor allem wenn eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern von der Kriegsindustrie auf­gesogen wird. Aber diese Unterbrechung des Radikalisierungsprozesses kann nicht von langer Dauer sein. Die zweite Etappe der Radikalisierung wird dann viel deutli­cher zum Aus­druck kommen. Das Prob­lem der Schaffung einer unabhängigen Arbeiterpartei wird auf der Tagesordnung stehen. Unsere Über­gangsforderungen werden große Popularität gewinnen. Die reak­tionären, faschistischen Strömungen werden in den Hintergrund treten, eine defensive Haltung einnehmen und einen für sie gün­stigeren Augenblick abwarten. Das ist die nächste Perspektive. Nichts ist unwürdiger, als darüber zu spekulieren, ob es uns gelin­gen wird, eine starke re­volutionäre Führungspartei aufzubauen. Voraus liegt eine günstige Perspektive, die den revolutionären Aktivismus vollauf rechtfertigt. Es ist nötig, die Chancen, die sich auftun, zu nutzen und die revolutio­näre Partei aufzubauen.


Die Arbeiter vor der Machtfrage

Der Zweite Weltkrieg wirft – sehr viel dringlicher als der Erste – das Problem des Regimewechsels auf. Es ist zunächst und vor allem eine Frage des politischen Regimes. Die Arbeiter wissen, dass die Demokratie überall Schiffbruch erleidet und dass sie vom Faschismus selbst in jenen Ländern bedroht sind, wo es jetzt noch keinen Faschismus gibt. Die Bour­geoisie der demokratischen Länder wird natürlich diese Furcht der Arbeiter vor dem Faschismus ausnutzen; auf der an­deren Seite aber zwingt der Bankrott der Demokratien, ihr Zusammenbruch, ihre schmerzlose Umwandlung in Diktaturen die Arbeiter, sich mit dem Problem der Macht zu beschäftigen, – sie werden für diese Frage interessiert.

Die Reaktion verfügt heute vielleicht über größere Macht als je zuvor in der moder­nen Geschichte der Menschheit. Aber es wäre ein unentschuldbarer Fehler, nur die Reaktion zu sehen. Der historische Pro­zess ist ein widersprüchlicher. Unter der Decke offizieller Reaktion vollziehen sich in den Massen tief­greifende Prozesse, sie sammeln Erfahrung und werden für neue politische Perspektiven empfänglich. Die alte konservative Tra­dition des demokra­tischen Staats, die selbst in der Ära des letz­ten imperialistischen Krieges noch so stark war, existiert heute nur noch als ein höchst labiles Relikt. Am Vorabend des letzten Krieges hatten die europäischen Arbeiter zahlenmäßig starke Parteien. Aber auf deren Tagesordnung standen Reformen, Teilerfolge, – keineswegs die Machteroberung.

Die amerikanische Arbeiterklasse hat selbst heute noch keine Arbeiter-Massen­partei. Aber die objektive Lage und die Erfah­rung, die die amerikanischen Arbei­ter gesammelt haben, können binnen kur­zem die Frage der Machteroberung auf die Tagesordnung setzen. Diese Perspek­tive müssen wir zur Basis unserer Agita­tion machen. Es handelt sich für uns nicht nur um die Hal­tung zum kapitalistischen Militarismus und um die Weigerung, den Bourgeois-Staat zu verteidigen, sondern um die direkte Vorbereitung zur Machter­oberung und zur Verteidigung des proleta­rischen Vaterlandes.

Können sich nicht die Stalinisten an die Spitze einer neuen revolutionären Erhe­bung stellen und die Revolution zugrunde ­richten, wie sie es in Spanien und früher in China gemacht ha­ben? Natürlich lässt sich eine solche Möglichkeit nicht aus­schließen, z. B. in Frankreich. Die erste Welle der Revolution hat oft – oder ge­nauer: immer – jene „linken" Parteien an die Spitze gebracht die sich in der vorher­gehenden Periode nicht völlig diskreditiert haben und hinter denen eine imponie­rende politische Tradition steht. So trug die Februarrevolution die Menschewiki und Sozialrevolutionäre empor, die noch am Vorabend der Revolution ihre Gegner waren. So brachte die deutsche Novem­berrevolution die Sozialdemokraten an die Macht, – unversöhnliche Feinde revoluti­onärer Erhebungen.

Vor zwölf Jahren schrieb Trotzki in einem in „The New Republic“ veröffentlichten Artikel:

Keine Epoche der Menschheitsge­schichte war so von Antagonis­men erfüllt wie die Gegenwart. Unter der mächtigen Spannung der Klassenkämpfe und der internationalen Gegensätze brennen die Sicherungen der Demokratie durch. Da­her die Kurzschlüsse der Diktatur. Natür­lich geben die schwächsten ,Sicherungen‘ zuerst nach. Aber der Druck der inneren und äußeren Gegensätze des Weltkapita­lismus fällt nicht, sondern steigt … Es ist zwei­felhaft, dass sie sich beruhigen wer­den, zumal der Prozess bisher nur die Pe­ripherie der kapitalistischen Welt erreicht hat. Die Gicht beginnt ihr Werk im kleinen Finger einer Hand oder im großen Zeh; ist aber ein Anfang gemacht, ruht sie nicht, bis sie zum Herzen vorgedrungen ist“ („‘The New Republic“, 22. Mai 1929).

Der amerikanische Philister protestiert

Das wurde zu einer Zeit geschrieben, als die gesamte bürgerliche Demokratie in allen Ländern glaubte, Faschismus sei nur in rückständigen Ländern möglich, die die Schule der Demokratie noch nicht ab­solviert hätten. Der Redaktionsstab der „New Re­public“, der damals von den Segnungen der GPU noch unbe­rührt war, fügte Trotzkis Artikel einen eigenen hinzu. Der Ar­tikel ist so typisch für den amerika­nischen Spießbürger, dass wir die inte­ressantesten Passagen zitieren wollen:

In Anbetracht seines persönlichen Miss­geschicks zeigt der exilierte russische Führer eine bemerkenswerte Kraft zur objek­tiven Analyse; aber seine Objektivi­tät ist die des strengen Mar­xisten und scheint uns eine realistische Geschichts­betrachtung, deren er sich rühmt, auszu­schließen. Seine Auffassung, dass die Demokratie eine Schön-Wetter-Form der Regierung darstellt die den Stürmen in­ternationaler oder innenpolitischer Ausei­nandersetzungen nicht gewachsen ist, lässt sich (wie er selbst halbwegs zugibt) nur dann halten, wenn man als Beispiele solche Länder heranzieht, in denen die Demokratie über die schwächsten An­fänge nie hinausgekommen ist und zu­dem die industrielle Revolution noch kaum begonnen hat.“

Im weiteren weist die Redaktion von „The New Republic“ das Beispiel der Kerenski-Demokratie in Russland zurück, die sich als unfähig erwies, den Klassenkämpfen standzuhalten und darum einer revolutio­nären Perspektive den Platz räumen musste. Die Zeitschrift bemerkt weise:

Kerenskis Schwäche war ein historischer Zufall, was Trotzki nicht zugeben kann, weil in seinem mechanistischen Schema für Derartiges kein Platz ist,“

Genau wie Dwight Macdonald hat „The New Republic“ die Marxisten beschuldigt, sie seien aufgrund ihrer orthodoxen oder mechanischen Deutung politischer Ereig­nisse unfähig, Geschichte realistisch auf­zufassen. „The New Republic“ vertrat die Mei­nung, der Faschismus sei ein Produkt kapitalistischer Unterent­wicklung, nicht von Überreife. Nach Auffassung dieser Zeit­schrift, die sich, wie ich wiederholen möchte, mit der der über­wältigenden Mehrheit der durchschnittlichen demokra­tischen Spießbürger deckte, ist der Fa­schismus das Los rückständiger bürgerli­cher Länder. Die weise Redaktion machte sich nicht ein­mal die Mühe, darüber nachzudenken, wieso im neunzehnten Jahrhundert allgemein die Überzeugung herrschte, unterent­wickelte Länder müssten sich demokratisch entwickeln. Jeden­falls setzte sich die Demokratie in den alten kapitalistischen Ländern zu ei­ner Zeit durch, als das Niveau ihrer wirt­schaft­lichen Entwicklung nicht über, son­dern unter dem der wirt­schaftlichen Ent­wicklung des heutigen Italiens lag. Mehr noch: In jener Epoche war die Demokratie die Hauptstraße der geschichtlichen Ent­wicklung, die nach und nach von allen Ländern betre­ten wurde, wobei die zu­rückgebliebenen den entwickelteren folg­ten und ihnen mitunter vorausgingen. Un­sere Ära hingegen ist die Ära des Zu­sammenbruchs der Demokratie; er be­ginnt bei den schwächeren Gliedern, dehnt sich aber schrittweise auch auf diejenigen aus, die stark und unbezwing­bar schienen. Die ortho­doxe, mechani­sche, d. h. marxistische Interpretation der Ereig­nisse befähigte uns, den Lauf der Entwicklung viele Jahre vorher vorauszu­sehen. Die realistische Deutung der „New Repu­blic“ glich hingegen der eines blin­den Kätzchens. „The New Republic“ blieb bei ihrer kritischen Einstellung zum Mar­xismus, indem sie unter den Einfluss der abstoßendsten Karikatur des Marxismus geriet – des Stalinismus.

Das neueste Aufgebot der Philister

Die meisten Philister des jüngsten Aufge­bots basieren ihre An­griffe gegen den Marxismus auf der Tatsache, dass, ent­gegen Marx Prognose, an Stelle des So­zialismus der Faschismus kam. Nichts ist dümmer und vulgärer als diese Kritik, Marx zeigte und führte den Nachweis, dass, wenn der Kapitalismus ein be­stimmtes Entwicklungsniveau erreicht, der einzige Ausweg für die Gesellschaft in der Vergesellschaftung der Produktions­mittel, also im Sozialismus liegt. Er zeigte auch, dass in Anbetracht der Klassen­struktur der Gesellschaft einzig das Pro­letariat imstande ist, diese Aufgabe in ei­nem unversöhnlichen revolutionären Kampf gegen die Bourgeoisie zu erfüllen. Ferner zeigte er, dass das Proletariat zur Lösung dieser Aufgabe eine revolutionäre Partei braucht. Sein ganzes Leben lang führte Marx, mit ihm und nach ihm Engels und nach ihnen Lenin einen unversöhn­li­chen Kampf gegen jene Züge proletari­scher, sozialistischer Parteien, die die Lö­sung der revolutionären geschichtlichen Aufgabe verhinderten, Die Unversöhnlich­keit des Kampfes, den Marx, Engels und Lenin einerseits gegen den Opportunis­mus, andererseits gegen den Anarchis­mus führten, zeigt, dass sie diese Gefahr keineswegs unterschätzt haben. Worin bestand sie? Dar­in, dass der Opportu­nismus der Führung der Arbeiterklasse, die dem Einfluss der Bourgeoisie unter­liegt, die Erfüllung der revo­lutionären Auf­gabe hindern, verlangsamen, schwieriger machen, aufschieben könnte. Gerade diese gesellschaftliche Situation ha­ben wir heute, Der Faschismus kam keines­wegs „an Stelle“ des Sozialismus. Der Faschismus ist die Fortsetzung des Ka­pitalis­mus, ein Versuch, dessen Existenz mit bestialischen und monströsen Mitteln zu verlängern. Der Kapitalismus erhielt die Gele­genheit, zum Faschismus seine Zuflucht zu nehmen, nur darum, weil das Proletariat die sozialistische Revolution nicht rechtzei­tig durchführte. Das Proleta­riat wurde bei der Erfüllung seiner Auf­gabe durch die opportunistischen Par­teien gelähmt. Das einzige, was man sa­gen kann, ist, dass sich der Weg der re­volutionären Entwicklung des Proletariats als reicher an Hindernisten, Schwierigkei­ten und Etappen erwiesen hat, als die Begründer des wissenschaftlichen Sozia­lismus voraussahen. Der Faschismus und die Serie von imperialistischen Kriegen sind eine furchtbare Schule, in der sich das Proletariat von kleinbürgerlichen Tra­ditionen und kleinbürgerlichem Aberglau­ben, von opportunistischen, demokrati­schen und abenteurerischen Parteien be­freien muss, – in der es die revolutionäre Avantgarde schmieden und schulen muss und sich so auf die Lösung der Aufgabe vorbereitet, ohne die es für die Entwick­lung der Menschheit keine Hoffnung gibt.

Eastman ist zu dem Schluss gekommen, dass die Konzentration der Produktions­mittel in Händen des Staates seine „Frei­heit“ gefährdet, und hat sich deshalb ent­schlossen, dem Sozialismus abzusagen. Diese Anekdote verdient, in einer Ge­schichte der Ideologie Aufnahme zu fin­den. Die Sozialisierung der Produktions­mittel ist die einzige Lösung des ökono­mischen Problems auf der jetzigen Stufe der Entwicklung der Menschheit. Die Ver­zögerung der Lösung dieses Problems führt zur Barbarei des Faschismus. Alle Zwischenlösungen, die die Bourgeoisie mit Hilfe des Kleinbürgertums versucht hat, sind kläglich geschei­tert. All dies ist für Eastman völlig uninteressant. Er be­merkte, dass seine „Freiheit“ (die Freiheit zur Verwirrung, die Freiheit der Gleich­gültigkeit, der Passivität und des literari­schen Dilet­tantismus) von verschiedenen Seiten her bedroht war, und beschloss unmittelbar, dagegen seine eigene Schutzmaßregel zu treffen: auf den Sozi­alismus zu verzichten. Erstaunlich genug. dass diese Entscheidung weder auf Wall­street noch auf die Po­litik der Gewerk­schaften einen Einfluss hatte. Das Leben ging weiter, gerade so, als wäre Max Eastman Sozialist geblieben. Als allge­meine Regel kann man festhalten, dass, je ohnmächtiger ein kleinbürgerlicher Ra­dikaler, speziell in den Vereinigten Staa­ten ist, desto …

In Frankreich hat der Faschismus nicht gesiegt

In Frankreich gibt es keinen Faschismus im strengen Sinne des Wortes. Das Re­gime des greisen Marschalls Pétain ist eine senile Form von Bonapartismus in der Epoche des imperialistischen Nieder­gangs. Aber auch dieses Regime wurde erst möglich, nachdem die verzögerte Radikalisierung der französischen Arbei­ter­klasse, die zur Explosion vom Juni 1936 führte, keinen revolu­tionären Aus­weg gefunden hatte. Die Zweite und Dritte Inter­nationale, die reaktionäre Scharlata­nerie der „Volksfront“ täuschte und demo­ralisierte die Arbeiterklasse. Nach fünf Jah­ren Propaganda für eine Allianz der Demokratien und für kol­lektive Sicherheit, nach Stalins plötzlichem Übergang in das Lager Hitlers, erwies sich die französische Arbeiterklasse als un­vorbereitet. Der Krieg rief eine furchtbare Desorientierung und die Stimmung eines passiven Defä­tismus hervor, – genauer ge­sagt: aus­weglose Apathie. Aus dieser Verflechtung von Umstän­den entstand zuerst die bei­spiellose militärische Niederlage und dann das verächtliche Pétain-Regime.

Gerade weil Pétains Regime seniler Bo­napartismus ist, hat es keinerlei Stabilität und kann durch eine revolutionäre Mas­senerhebung viel früher gestürzt werden als ein faschistisches Regime.

Besonders wichtig für amerikanische Arbeiter

In jeder politischen Diskussion erhebt sich unweigerlich die Frage: Wird es uns ge­lingen, eine starke Partei für den Augen­blick der Krise zu schaffen? Wird uns der Faschismus nicht zuvorkommen? Ist eine faschistische Entwicklungsphase nicht un­vermeidlich? Die Erfolge des Faschismus lassen die Menschen leicht jede Per­spektive verlieren und verführen sie dazu, die wirklichen Bedingungen zu vergessen, die das Erstarken und den Sieg des Fa­schismus ermöglicht haben, Aber ein kla­res Verständ­nis dieser Bedingungen ist besonders für die Arbeiter der Vereinigten Staaten wichtig. Wir können als histori­sches Gesetz formulieren: Der Faschis­mus konnte nur in solchen Ländern sie­gen, wo konservative Arbeiterparteien das Proletariat davon abhielten, die revolutio­näre Situation auszunutzen und die Macht zu erobern. In Deutschland kamen zwei revolutionäre Situationen in Frage: 1918-19 und 1923. Sogar 1929 war noch ein di­rekter Kampf des Proletariats um die Macht möglich. In allen drei Fällen ver­hinderten die Sozialdemokratie und die Komintern durch Verbrechen und Fehler die Machteroberung und stießen damit die Gesellschaft in eine Sackgasse. Nur unter diesen Bedingungen und in dieser Situation wurde der stürmische Aufstieg des Faschismus möglich, nur so kam er an die Macht.

Kommentare