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Leo Trotzki 19330317 Deutschland und die UdSSR

Leo Trotzki: Deutschland und die UdSSR

Zur Information der Sektionen der Internationalen Linken Opposition, 17. März 1933

[Schriften über Deutschland, Band 2, S. 495-497]

1. Das Ausbleiben jeglichen Widerstandes von seilen der deutschen Arbeiter hat in unseren Reihen Unruhe hervorgerufen. Wir nahmen an, dass das Näherrücken der faschistischen Gefahr nicht nur die verräterische Politik der Reformisten, sondern auch die ultimatistische Sabotage der Stalinisten überwindbar machen würde. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. War unsere Erwartung falsch? Die Frage lässt sich nicht so formal behandeln. Wir waren verpflichtet, davon auszugehen, dass Widerstand geleistet werden würde, und alles, was in unseren Kräften stand zu tun, um ihn zu mobilisieren. Wären wir von vornherein von der Unmöglichkeit des Widerstands ausgegangen, so hätten wir das Proletariat nicht vorwärtsgetrieben, sondern einen zusätzlichen demoralisierenden Faktor eingeführt.

Die Ereignisse haben unseren Kurs bestätigt. Trotzki hat in »Die Tragödie des deutschen Proletariats« die ersten Lehren daraus gezogen. Man kann jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass nur ein Wechsel der Konjunktur einen Impuls zu wirklichen Massenkämpfen geben würde. In der Zwischenzeit ist unsere Aufgabe die der Kritik und der Vorbereitung. Das faschistische Terrorregime wird für unsere Kader insgesamt und für jedes einzelne Mitglied eine schwere Probe bedeuten. Gerade eine solche Periode stählt und erzieht die Revolutionäre. Solange die Faschisten Gewerkschaften dulden, müssen die Mitglieder der Linken Opposition alles daransetzen, in sie einzudringen und definitiv mit der konspirativen Arbeit in ihnen zu beginnen. Der Übergang zur Illegalität bedeutet nicht allein, dass man in den Untergrund geht (eine Zeitung im Ausland herstellt, sie über die Grenze schmuggelt und verteilt, illegale Kernorganisationen bildet usw.), sondern auch imstande ist, innerhalb der Massenorganisationen, soweit solche bestehen, illegale Arbeit zu leisten.

2. Viele Genossen stellen mit Nachdruck die Frage, welche Rolle die Rote Armee spielen kann. Wir brauchen unsere prinzipielle Haltung in dieser Frage offensichtlich nicht zu revidieren. Sofern es die innere Lage der UdSSR erlaubte, hätte die Sowjetregierung in der ersten Phase von Hitlers Machtergreifung einige Armeekorps in Weißrussland und der Ukraine mobilisieren müssen, – natürlich unter der Flagge der Verteidigung der sowjetischen Grenzen. Einige Genossen, die von der völlig richtigen Vorstellung ausgehen, dass die Rote Armee die Revolution in anderen Ländern lediglich unterstützen, nicht aber ersetzen kann, neigen zu der Auffassung, dass es nicht ratsam ist, zu einer Mobilisierung in der UdSSR seine Zuflucht zu nehmen, solange es keinen offenen Bürgerkrieg in Deutschland gibt. Die Frage auf diese Weise stellen heißt, sie zu abstrakt stellen. Selbstverständlich kann die Rote Armee die deutschen Arbeiter beim Machen der Revolution nicht vertreten, sondern nur die Revolution der deutschen Arbeiter unterstützen. Aber auf verschiedenen Stufen kann diese Unterstützung verschiedene Gestalt annehmen. Die Rote Armee kann den deutschen Arbeitern zum Beispiel helfen, die Revolution zu beginnen.

Das deutsche Proletariat wurde vom Gefühl der Uneinigkeit, der Isolierung und Verzweiflung paralysiert. Die bloße Aussicht auf bewaffnete Hilfe von außen hätte einen enorm ermutigenden Einfluss auf die Avantgarde ausgeübt. Der erste ernsthafte Widerstandsakt gegen Hitler von Seiten der deutschen Arbeiter hätte den Bruch zwischen dem faschistischen Deutschland und der UdSSR provozieren und zu einer militärischen Lösung führen können. Die Sowjetregierung kann nicht das leiseste Interesse haben, den Aggressor zu spielen; das ist keine Frage des Prinzips, sondern eine der politischen Zweckmäßigkeit. Den Bauernmassen wäre ein Krieg mit dem Ziel, dem deutschen Proletariat zu helfen, wenig verständlich gewesen. Aber es ist möglich, die Bauern in einen Krieg hineinzuziehen, der als Verteidigung des Sowjetterritoriums gegen eine drohende Gefahr beginnt. (Alles, was in Trotzkis »Geschichte der russischen Revolution« zur Frage der Verteidigung und des Angriffs in Bezug auf die Revolution gesagt wird, gilt ebenso in Bezug auf den Krieg.)

Die Art des Eingreifens der Roten Armee in die deutschen Ereignisse hätte natürlich genau auf jene Ereignisse und die Stimmung der arbeitenden Massen in Deutschland abgestimmt sein müssen. Aber gerade weil die deutschen Arbeiter sich selbst unfähig fühlten, die Ketten ihrer Passivität zu zerbrechen, hätte die Initiative zum Kampf – selbst in der oben erwähnten, einleitenden Form – von der Roten Armee ausgehen können. Was eine solche Initiative verhindert, ist indessen nicht die gegenwärtige Situation in Deutschland, sondern die Lage in der UdSSR. Es scheint, dass viele Genossen dieser Seite der Frage ungenügende Aufmerksamkeit schenken. Vor mehr als einem Jahr sprachen wir von der Notwendigkeit einer Intervention der Roten Armee für den Fall, dass der Faschismus an die Macht kommen sollte. Wir hofften, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland der zur Besserung der Wirtschaftslage erforderliche politische Wechsel herbeigeführt würde, und dass dadurch die Sowjetmacht die nötige Bewegungsfreiheit gewönne. Stattdessen hat sich die innere Lage in beiden Ländern während des letzten Jahres extrem ungünstig entwickelt. Die Wirtschaftslage wie die Stimmung der Massen sind einem Krieg außerordentlich ungünstig. Alle Informationen aus der UdSSR bestätigen, dass unter den gegenwärtigen Umständen die Parole des militärischen Beistands für das deutsche Proletariat selbst den fortgeschrittenen russischen Arbeitern als unrealisierbar, unwirklich und phantastisch erscheinen würde.

Wir geben kein Jota von unserer prinzipiellen Haltung auf. Aber die Haltung des aktiven Internationalismus motiviert uns heute vor allem zur erbarmungslosen Kritik der stalinistischen Bürokratie, die in entscheidender Stunde den Arbeiterstaat paralysiert. Doch wir dürfen auf keinen Fall die objektive Lage außer Acht lassen; die Folgen der Fehler haben sich in objektive Bedingungen verwandelt. Unter den gegenwärtigen Umständen die Mobilisierung der Roten Armee zu fordern, wäre reines Abenteurertum. Umso entschlossener müssen wir einen Kurswechsel in der Politik der UdSSR zur Konsolidierung der proletarischen Diktatur und zugunsten der aktiven Rolle der Roten Armee fordern.

G. Gurow

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