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Leo Trotzki 19330329 KPD oder neue Partei?

Leo Trotzki: KPD oder neue Partei?

(Zweiter Brief)

[Schriften über Deutschland, Band 2, S. 514- 517}

Der Verzicht auf das Wort »Reform« im Hinblick auf die offizielle KPD kann bei manchen Genossen Zweifel hervorrufen. Versuchen wir, die möglichen Einwände vorwegzunehmen:

    a) Wir haben stets unsere Ergebenheit gegenüber der offiziellen Partei betont, jetzt wollen wir ihr den Rücken kehren. Das wird die Kommunisten von uns abstoßen.

    b) Die Partei ist jetzt in der Illegalität, viele Zellen und Organisationen zeigen Aktivität. Man muss sie unterstützen.

    c) Urbahns und andere werden sagen, dass sie uns gegenüber Recht hatten, als sie die KPD für tot erklärten.

    d) Wir sind zu schwach, um uns die Schaffung einer neuen Partei vornehmen zu können.

All diese Erwägungen sind unhaltbar. Wir gingen davon aus, dass der Schlüssel zur Lage sich in Händen der KPD befinde. So war es auch. Nur eine zweckmäßige Wendung der KPD konnte die Situation retten. Hätte man sich unter diesen Umständen gegen die KPD gestellt und sie von vornherein für tot erklärt, so hätte man damit die Unvermeidlichkeit des Sieges des Faschismus proklamiert. Dazu konnten wir uns nicht verstehen. Man musste die Möglichkeiten der damaligen Situation gründlich ausschöpfen.

Jetzt hat sich die Lage von Grund auf verändert. Der Sieg des Faschismus ist ebenso wie die Katastrophe der KPD zur Tatsache geworden. Es handelt sich schon nicht mehr um eine Prognose oder um theoretische Kritik, sondern um ein bedeutendes historisches Ereignis, das sich immer tiefer dem Bewusstsein der Massen und damit dem der Kommunisten einprägen wird. Auf den unvermeidlichen Folgen dieses Ereignisses müssen wir die Gesamtperspektive und -strategie aufbauen, nicht auf irgendwelchen zweitrangigen Erwägungen.

Zweifellos werden viele subjektiv revolutionäre Elemente der alten Partei versuchen, sie zu retten, ohne die alten prinzipiellen Grundlagen aufzugeben. Für die nächste Zukunft kann man – sobald der erste Schock überwunden ist – mit einer Belebung der illegalen kommunistischen Arbeit rechnen. Aber – ohne gründliche Revision des gesamten ideologischen Gepäcks, ohne Ausarbeitung neuer Methoden, ohne neue Auswahl der Kader usw. hat all diese Arbeit keine Zukunft. Anstrengungen und Opfer auf der alten Basis werden nicht Zeichen einer Wiedergeburt, sondern Todeszuckungen sein. Unter den Bedingungen der Legalität kann die Politik des bürokratischen Zentrismus, gestützt auf Heuchelei, Apparat und Kasse, lange Zeit hindurch Kraft vortäuschen. Eine illegale Organisation hingegen kann sich nur durch völlige Hingabe ihrer Kämpfer halten, und diese Hingabe lebt einzig von der Richtigkeit der Politik und der theoretischen Aufrichtigkeit der Führung. Fehlen diese Voraussetzungen, so geht die illegale Organisation unweigerlich zugrunde (Beispiel Italien).

Es wäre unzulässig, sich irgendwelchen Illusionen über die Aussichten des stalinistischen Apparats in der Illegalität hinzugeben oder sich ihm gegenüber von sentimentalen Rücksichten statt von Prinzipien revolutionärer Politik leiten zu lassen. Der Apparat ist durchsetzt von bezahlten Funktionären, Abenteurern, Karrieristen, Agenten des Faschismus und Vor- Faschismus. Die ehrlichen Elemente haben keinen Kompass. Die stalinistische Führung wird in der illegalen Partei ein Regime einführen, das noch niederträchtiger und schändlicher als das in der legalen sein wird. Unter diesen Umständen wird die illegale Arbeit nicht mehr als ein – wie immer heroisches – Feuerwerk sein. Das Resultat wird der Zerfall sein.

Die Linke Opposition muss sich ganz und gar auf den Boden der durch den faschistischen Sieg geschaffenen neuen geschichtlichen Situation stellen. Nichts ist gefährlicher als der Versuch, sich bei jähen Wendungen der Geschichte an alte Formeln, die habituell und bequem geworden sind, zu klammern – das ist der gerade Weg zum eigenen Verderben.

Urbahns und Genossen werden sagen: Wir haben stets proklamiert, dass eine neue Partei nötig ist. Aber die sogen. Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) hat das vor Urbahns gesagt, in den Jahren, als Urbahns noch gegen uns daran mitarbeitete, die offizielle Partei zu ruinieren. Das Sektierertum besteht wesentlich darin, den historischen Prozess mit der Elle seines eigenen Zirkels zu messen. Die neue Partei beginnt für die Urbahns in dem Augenblick, wo sie mit der offiziellen Bürokratie gebrochen haben. Der Marxist aber misst alle Organisationen und Gruppen am Maßstab des objektiven geschichtlichen Prozesses.

Während der beiden letzten Jahre haben wir mehr als einmal geschrieben, dass unsere Haltung gegenüber der offiziellen Partei keinerlei dogmatischen Charakter habe und dass große Ereignisse, die die Situation der Arbeiterklasse radikal verändern würden, uns zwingen könnten, unsere Position zu ändern. Als Beispiele solcher Ereignisse haben wir meist den Sieg des Faschismus in Deutschland und den Zusammenbruch der Sowjetmacht genannt. So liegt in unserer Wendung nichts Subjektives oder Willkürliches; sie wird ganz und gar durch den Gang der Entwicklung diktiert, in den die Politik der stalinistischen Bürokratie als entscheidendster Faktor einging.

»Wir sind zu schwach, um die neue Partei zu proklamieren«. Aber das schlägt auch niemand vor. Wie und wann die neue Partei geschaffen wird, das hängt von vielerlei objektiven Bedingungen ab und nicht bloß von uns. Aber für uns kommt es darauf an, den richtigen Kurs einzuschlagen. Wenn wir Illusionen über die Lebenskraft der alten Partei stärken, können wir nur die Bildung der neuen bremsen.

Man kann übrigens keinen Augenblick übersehen, dass Zerfallsprozesse nicht nur in der offiziellen KP vor sich gehen, sondern auch in der Sozialdemokratie, der SAP, in allen Organisationen, Gruppen und Sekten, die die Probe der historischen Katastrophe nicht bestehen können. Unter diesen Bedingungen muss man einen selbständigen Kristallisationskern für alle revolutionären Elemente schaffen, unabhängig von ihrer Vergangenheit in der Partei.

Man könnte versuchen, darauf zu antworten: In diesem Fall fordert die Logik den Bruch mit der KI. Die formale Logik fordert das vielleicht, aber die historischen Prozesse entwickeln sich nicht gemäß der formalen Logik, sondern dialektisch. Wir verzichten nicht darauf, die Sowjetmacht vor dem Zusammenbruch zu retten, auf den sie die Stalinisten zusteuern. Wir können nicht von vornherein wissen, wie die Reaktion anderer Sektionen der KI auf den Sieg des Faschismus sein wird. Die Ereignisse werden es – mit unserer aktiven Hilfe – zeigen.

Die Frage des offenen Bruchs mit der stalinistischen Bürokratie in Deutschland ist jetzt von größter prinzipieller Bedeutung. Die revolutionäre Avantgarde wird den Stalinisten das historische Verbrechen, das sie begangen haben, nicht verzeihen. Würden wir Illusionen über die Lebensfähigkeit der Partei Thälmann-Neumann stützen, so würden wir den Massen als wahre Verteidiger des Bankrotts erscheinen. Das hieße, selber auf den Weg des Zentrismus und des Zerfalls zu geraten.

G. Gurow

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